PLM bei Kautex Textron

Alle Daten fließen in einen Tank

02.12.2004
Seit dem letzten Releasewechsel des Product Lifecycle Managements existiert beim Tanksystemhersteller Kautex Textron jeder Datensatz nur noch einmal. Es gibt keine Versionsunterschiede mehr. Die RoI Berechnung gestaltete sich allerdings schwierig.

DIE ENTWICKLER BEIM BONNER HERSTELLER von Kraftstofftanks Kautex-Textron konnten sich nie richtig sicher sein, ob sie gerade die aktuelle Zeichnung benutzten. Die Daten lagen auf verschiedenen Datenbanken und niemand wusste, ob ein Kollege nicht gerade an den Plänen arbeitete und sie veränderte. Häufig stellte sich zu spät heraus, dass es nicht um die neueste Version handelte.

Seit dem Releasewechsel des Product Lifecycle Management Systems (PLM) von Matrix 9.5 auf 10.5 vom Anbieter Matrix One arbeitet niemand mehr mit veralteten Zeichnungen. Alle Konstruktionsdaten fließen in den zentralen Daten-Tank. „Die Entwickler können ihre Konstruktionsdaten nur noch im PLM speichern und nirgends anders“, sagt CIO Christoph Hermes. PLM-Software begleitet im Idealfall den gesamten Lebenszyklus eines Produkts und hält die Daten über alle Prozesse einheitlich vor: von der ersten Idee, über Entwicklung, Beschaffung, Produktion bis hin zu Wartung und Kundenservice. Beim Tochter-Unternehmen des US-Konzerns Textron steuert das PLM-System die Daten allerdings nur bis zu Übergabe an die Fertigung. CIO Hermes: „Die Daten liegen bis zur Serienfreigabe unserer Produkte im PLM-System. Wenn wir die Daten in die Produktionswerke geben, übertragen wir sie in das dortige ERP-System.“

Die Besonderheit am Kautex-System liegt darin, dass jeder Datensatz nur einmal existiert. Dagegen fahren die meisten anderen PLM-Anwender einen anderen Ansatz: Sie kopieren ihren zentralen Daten-Pool jede Nacht auf die weltweit verteilten Server in den Standorten. So kommt es zu Versionsunterschieden der Konstruktionsdaten von bis zu 24 Stunden, und die Ingenieure laufen Gefahr, mit überholten Daten zu arbeiten. Allerdings greifen die Kautex-Mitarbeiter nicht nur auf die Datenbank in der Bonner Zentrale zu. Technisch ist das zwar möglich, aber die Zugriffszeiten würden wegen der großen Konstruktions-Files sehr lange dauern. Deshalb liegen bestimmte Daten verteilt auf Servern in den Standorten, wo sie am meisten gebraucht werden.

Wenn also hauptsächlich Entwickler in Troy (Michigan/ USA) bestimmte Konstruktionen am meisten nutzen, dann liegen diese Daten auf dem File Collaboration Server in Troy. Kopien dieser Daten liegen aber auf keinem anderen Server im Unternehmen. Natürlich können die Konstrukteure aus Europa und Asien auf die Zeichnungen in den USA zugreifen, nur dauert das etwas länger. „Das PLM steuert automatisch, wo welche Daten in welchen Standorten liegen müssen. Sie liegen also nicht dreimal in der Welt als Kopien herum“, erklärt Hermes. „Es gibt eine zentrale Datenbank, die alle Verweise beinhaltet, auf welchen Servern in der Welt welche Files liegen.“

In die Datenbank des PLM-Systems laufen alle Konstruktionsdaten aus der CAD-Software (Computer Aided Design) Catia von Dassault Systèmes über eine Schnittstelle ein. „Uns war wichtig, dass wir die Metadaten direkt aus Matrix in den Zeichnungskopf des CAD-Systems übernehmen können“, erläutert Hermes. Später will er auch die Produkte des CAD-Software-Spezialisten Unigraphics in das PLM integrieren. „Im Pool liegen Datenformate aller CAD-Anbieter vor. Mit dem PLM stehen sie jetzt allen Mitarbeitern zur Verfügung.“

Bis zu dieser „verteilt-zentralen“ Datenhaltung war es ein langer Weg für Kautex. Bereits im Oktober 2001 startete CIO Hermes mit einem Pilotprojekt, in dem er testete, ob die neue PLM-Version den Bedürfnissen des Autozulieferers genügte. „Die neue Software musste vor allem die CAD-Daten sowie die Produktstrukturen mit den dazugehörigen Dokumenten verwalten“, nennt Hermes die Anforderungen.

Prototypenverwaltung komplett im PLM

Ein weiteres zentrales Kriterium bestand darin, dass Kautex die Software so weit wie möglich im Standard einsetzen konnte. Denn Hermes weiß aus Projekten bei vorherigen Firmen, dass es zu viel Geld und Zeit kostet, Standardsoftware an die eigenen Prozesse anzupassen. Nur die Prototypen verwaltet Kautex mit einer Eigenentwicklung, weil das neue PLM diese Funktionen nicht als Standard bietet. „Wir erstellen bis zu 50 Prototypen für einen Auftrag. Wir speichern jetzt alle Details für jedes einzelne Teil, halten sie immer im System vor und können immer sofort darauf zurückgreifen“, begründet CIO Hermes die Bedeutung der Prototypenverwaltung. Diese Eigenentwicklung schloss Kautex allerdings erst gut ein Jahr nach Abschluss des Pilotprojektes an die neue PLM-Version an. Erst im Dezember 2003 startete Hermes mit dem globalen Roll-out, weil die Geschäftsführung das Projekt wegen des ausstehenden RoI-Nachweises zunächst nicht genehmigte. Hermes: „Wir hatten große Schwierigkeiten, wirklich fundierte RoI-Analysen auf die Beine zu stellen und die Kosten zu identifizieren, die wir sparen.“

Lange Diskussionen bei RoI-Berechnung

Hermes ging es wie allen CIOs: RoI-Berechnungen für PLM-Projekte gibt es nicht. Auch Anbieter und Berater argumentieren nur mit Allgemeinplätzen wie „schneller Daten finden“ und „effizienter arbeiten“. „Es handelt sich um ein mehrere Millionen Euro teures Projekt, da müssen wir einen Benefit vorweisen“, so Hermes. „Wir haben bisher niemanden gefunden, der Effizienzsteigerungen durch das Investment in PLM berechnen und mit Zahlen belegen kann.“

So schaute Hermes, welche Entlastungen und Effizienzsteigerungen das neue PLM den einzelnen Kostenstellen bringen wird. Die Sparsumme berechnete er nach den geringeren Aufwendungen für Mitarbeiter. „Das gab ziemliche Diskussionen“, räumt Hermes ein. Erst als diese erwarteten Einsparungen in Zahlen auf dem Tisch lagen, gab die Geschäftsführung die weltweite Einführung frei. Ob die RoI-Rechnung von CIO Hermes aufgeht, wird er voraussichtlich erst im Frühjahr 2005 sehen.

Zusätzliche Projekte sollen den Wert des PLM für Kautex weiter steigern. Noch in diesem Jahr will der Tankhersteller erste Zulieferer über das Web auf PLM-Daten zugreifen lassen, sodass diese schon in der Produktentwicklung mit den gleichen Daten wie Kautex arbeiten können. Die Idee sei nicht grundlegend neu, aber kaum ein Unternehmen habe sie bislang umgesetzt. „Wir haben erste Prototypen getestet, aber nicht live geschaltet, weil wir noch einige Sicherheitsmechanismen prüfen“, erläutert Hermes. „Wer an einem Dokument arbeitet, sperrt es für alle anderen Entwickler. Die können es sich dann nur zur Ansicht öffnen“, erklärt er die Funktionsweise.

Außerdem will Kautex künftig mit der neuen PLMVersion innerhalb kürzerer Zeit Angebote für Kunden erstellen. Denn bislang wussten die Entwickler nicht immer sicher, welche Informationen aus früheren Projekten schon vorlagen. Das erklärte Ziel von Hermes lautet: „Früher haben wir das bei einigen Projekten schon im PLM gemacht, jetzt wollen wir das in allen machen.“

Schnittstellen zum ERP-System schaffen

Um die Arbeitsabläufe zu beschleunigen, plant Hermes zudem, dass Stücklisten aus dem PLM per Knopfdruck in die Kautex-ERP-Systeme SAP und Infor gebracht werden. Umgekehrt will er über eine Schnittstelle alle preisrelevanten Daten aus dem SAP-Finanzsystem im PLM darstellen. So lassen sich Preise schneller und genauer kalkulieren, beispielsweise für den Fall, dass ein Kunde Änderungen an einem bestehenden Tanksystem wünscht. Bislang geschieht das alles noch mit dem Tabellenkalkulationsprogramm Excel.

Allerdings sollen sich die Mitarbeiter die SAP-Daten im PLM nur anschauen können; die Daten will Kautex nicht ins PLM kopieren und dort speichern. Denn dann lägen die Daten doppelt vor: im ERP und im PLM. Wieder wüsste dann kein Anwender genau, ob er mit aktuellen Informationen arbeitet. Ein Zustand, zu dem Kautex nicht mehr zurück will.