Angst vor Boykott der Vertriebspartner

Anbieter mögen SaaS nicht wirklich

25.05.2009 von Christoph Lixenfeld
Hersteller schmücken sich mit Software-as-a-Service, wollen aber gar keine Leistung über Kabel ausliefern. Lieber verkaufen sie Programme aus der Schachtel, um sich nicht selbst das Wasser abzugraben - und um die Vertriebspartner nicht zu verprellen.
Rüdiger Spies, Analyst beim Marktforschungshaus IDC: "Anbieter werben oft offiziell mit SaaS, und dann stellt der Vertrieb im Gespräch das On-Premise-Produkt in den Vordergrund."

SaaS: Jeder will es, jeder kann es, jeder hat was Passendes im Sortiment. Fast alle Pressemeldungen von Software-Herstellern vor der CeBIT 2009 trugen in der Überschrift oder im Vorspann irgendwo das schmissige Kürzel. Doch bei Weitem nicht überall, wo Software-as-a-Service draufsteht, ist es auch drin. Beispiel Docuware: Der Hersteller von Dokumenten-Management verkauft als SaaS eine Lösung, die Mieten und Kaufen verbindet. Ein Teil der Anwendung läuft übers Netz, ein anderer lokal auf dem PC des Kunden. Der durchschlagende Vorteil von Service-Lösungen, nämlich nichts mehr selbst installieren zu müssen, ist damit perdu.

"Wir wollen unsere Vertriebspartner langsam an die Technik heranführen", begründet Docuware-Vorstand Jürgen Biffar die Kombinationsstrategie. Anders gesagt: Er will verhindern, dass die Verkäufer vor Ort das Mietmodell boykottieren. Schließlich verdienen die Vertriebspartner - in der Regel Systemhäuser - ihr Geld mit der Installation und individuellen Anpassung von Programmen. An Software aus der Leitung ist aber nichts anzupassen. Also dürfte sich das Interesse der Systemhäuser an Mietsoftware in Grenzen halten.

Weltweiter SaaS-Markt.

"Der Begriff SaaS dient häufig zur Marktöffnung", sagt Rüdiger Spies, Analyst des Marktforschungsunternehmens IDC. "Die Anbieter werben oft offiziell mit SaaS, und dann stellt der Vertrieb im Gespräch das On-Premise-Produkt in den Vordergrund und sagt: Wenn ihr das optimale Produkt wollt, dann kauft lieber eine konventionelle Lizenz. Denn natürlich befürchten viele Anbieter, sich mit SaaS selber das Wasser abzugraben."

Damit es nicht so weit kommt, das Unternehmen aber trotzdem nicht als Service-Muffel dasteht, hat sich auch Microsoft eine schlaue Marketing-Kampagne ausgedacht. Das Ganze heißt "Software plus Service" und will die Welt glauben machen, eine Kombination aus lokal installierter und leitungsbezogener Software-Lösung sei das Nonplusultra. Wolfgang Brehm, Direktor Partnerstrategie bei Microsoft: "Wir glauben, dass der Benutzer weiterhin seinen eigenen Client haben will. Denn damit ist er nicht auf die ständige Verfügbarkeit einer Datenleitung angewiesen. Im Falle von Outlook zum Beispiel kann er die vorhandenen Mails auch dann bearbeiten, wenn er offline ist."

"Die Kunden wollen das nicht"

Wolfgang Brehm, Direktor Partnerstrategie bei Microsoft: "Wir glauben, dass der Benutzer weiterhin seinen eigenen Client haben will."

"Die Kunden wollen das im Grunde nicht", ist ein häufig benutztes Argument gegen SaaS in Reinform, also gegen Lösungen, die - wie die Bestellseite von Amazon - übers Web allen in gleicher (oder fast gleicher) Form zur Verfügung gestellt werden. Allerdings spielt dieses Argument sogar bei Microsoft dort keine Rolle, wo der Wettbewerb den Software-Riesen zum konsequenten Handeln zwingt. Beispiel Office Web Applications: Weil Google mit seiner Bürosoftware via Web vorgeprescht ist, muss Microsoft nachziehen.

Die Rolle der vielen Vertriebspartner bei der Sache ist noch nicht klar. Ende 2008 sagte Microsoft-Produkt-Manager Günther Igl, man werde "zu allen neuen Produkten konkrete Partner-Opportunities entwickeln". Das Problem an der Sache: Um One-fits-all-Software übers Netz zu vertreiben und anzubieten, braucht niemand Vertriebspartner. Salesforce.com zum Beispiel, US-Pionier in Sachen SaaS-CRM, verzichtet fast völlig auf einen Partnervertrieb üblicher Prägung.

Und SAP? Die Walldorfer sind auf dem besten Weg, beim Thema Software-as-a-Service zur Lachnummer zu werden. "Business by Design", so der Name des entsprechenden Produkts, wurde geplant, angekündigt, verschoben, verbessert - und kommt noch immer nicht in die Gänge. Im Februar schrieb das "Handelsblatt", das Projekt stehe vor dem Aus. SAP dementierte prompt, die "kontrollierte Markteinführung" gehe wie geplant weiter. Was immer genau damit gemeint ist …

Skeptiker und Anwender im US-Markt.

Gründe, beim Thema SaaS eher zu bremsen, als Gas zu geben, hätte auch SAP genug. Abhängig von Implementierungspartnern wie kaum ein Zweiter, kann es sich das Unternehmen mit diesen keinesfalls verscherzen. Das gilt vor allem in Zeiten, in denen es die Softwareanpasser ohnehin schwer haben. Bei Accenture, einem der größten Integratoren, ging der Umsatz zuletzt deutlich zurück. Die Kunden seien weniger denn je bereit, in fünf Jahre laufende SAP-Projekte zu investieren, bekennt Accenture-CEO William D. Green freimütig.

Die Begeisterung für Software, die preiswert und schlank aus der Leitung kommt, ohne dass ein Techniker für horrende Stundensätze daran herumschrauben muss, fördert das alles nicht. Ebenfalls nicht hilfreich ist der Umstand, dass es für - jedenfalls kleinere - Kunden nicht ganz leicht zu durchblicken ist, was eine echte SaaS-Lösung ist und was vielleicht nur eine gute alte ASP-Anwendung (Application Service Providing), also eine individualisierte Lösung, die lediglich extern gehostet wird.

Die Seiwert GmbH zum Beispiel, ein Spezialist für mittelständische E-Business-Lösungen, lancierte zur CeBIT eine Pressemitteilung mit der Überschrift: "Seiwert zeigt .NET basierte SaaS-Lösung für den Mittelstand". Es geht um das Programm Myfactory.BusinessWorld. Wer sich dann auf der Website des Unternehmens über die Lösung informiert, findet erst ganz am Ende den Hinweis: "Myfactory BusinessWorld … ist optional auch als ASP-Lösung (Application Service Providing) verfügbar."

Den Trend zu standardisierten Programmen aus der Leitung werden sie auf Dauer nicht aufhalten, die Bremser und Umetikettierer. Und für die großen Vertriebsorganisationen muss das keineswegs eine Katastrophe sein, glaubt Michael Guschlbauer, Vorstand der Bechtle AG: "Mit dem Einsatz von SaaS bei Kunden verändert sich das Systemhausgeschäft. Themen wie Security und Virtualisierung rücken in den Vordergrund, während das Geschäft mit der Software-Implementierung zwangsläufig weniger wird.“

Christian von Stengel, Senior Director Vertrieb bei Oracle: "One to many führt dazu, dass alle Kunden ständig und automatisch dazu beitragen, das System insgesamt zu verbessern."

Eine weitere Hoffnung der Branche liegt darin, dass die SaaS-Idee beispielsweise CRM-Lösungen für Kleinfirmen erschwinglich macht. Die CAS Software AG geht diesen Weg: Genesis World heißt die - konventionelle - CRM-Suite für den Mittelstand, CAS Pia die abgespeckte SaaS-Version. Vorteil dieser Zweiteilung ist, daraus macht Andreas Zipser, Mitglied der Geschäftsleitung bei CAS, keinen Hehl, dass den Partnern nichts verloren geht. Schließlich adressiere CAS Pia neue Kunden, für die Genesis World ohnehin zu groß wäre: "Auch wir möchten unsere Partner nicht verärgern."

SaaS ist nur was für die Kleinen? Von diesem Hoffnungsschimmer muss sich die Branche allerdings verabschieden: Oracle, bisher nicht als Service-Pionier bekannt, hat eine CRM-Software als echte SaaS-Lösung gerade an keinen Geringeren verkauft als an Siemens. Auf edle Individualität muss der Konzern dabei fast vollständig verzichten, sich mit jenen Funktionen begnügen, die auch anderen Kunden zur Verfügung stehen. Christian von Stengel, Senior Director Vertrieb bei Oracle, sieht darin keinen Nachteil, im Gegenteil: "One to many führt dazu, dass alle Kunden ständig und automatisch dazu beitragen, das System insgesamt zu verbessern."