Datenvirtualisierung

Banking 4.0: Wege aus dem Datendschungel

11.10.2018 von Oliver Laitenberger und Daniel Piecha  
Für Banken, die aufgrund der aktuellen Digitalisierungswelle an ihrer Prozessoptimierung arbeiten, kann auch die Datenvirtualisierung ein Thema sein. Lesen Sie in diesem Artikel die Hintergründe.
Ein Banker mit VR-Brille per Hoverboard auf dem Weg zur Arbeit - Gegenwart oder Vision?
Foto: Pressmaster - shutterstock.com

Der Bankensektor befindet sich in einer massiven Umbruchphase. Die flache Zinskurve sorgt für geringe Margen. Kryptowährungen und Blockchain gefährden Banken als Intermediäre für den Zahlungsverkehr. Fintechs buhlen um Kunden und sorgen für verstärkte Konkurrenz in angestammten Gebieten von Banken. Und last but not least stellen die technologischen Möglichkeiten der Digitalisierung die Banken mit hoher Geschwindigkeit vor immer neue Herausforderungen.

Aufgrund des immateriellen Charakters dreht sich die Bankenwelt seit jeher um Daten. Digitale Technologien ermöglichen die Vernetzung strukturierter Bankdaten mit unstrukturierten Daten aus externen Quellen. Im Ergebnisse entstehen komplexe Daten-Ökosysteme, welche auch neue Möglichkeiten in den "klassischen" Themenfelder der Finanzinstute eröffnen.

Datendschungel in 10 Themenfeldern

Die derzeitigen Entwicklungen und Veränderungen sind vergleichbar mit dem Meteoritenschlag im Zeitalter der Dinosaurier. Der hat bekanntlich für das Aussterben der Saurier gesorgt. Die gute Nachricht: Ganz so drastisch werden die Konsequenzen wohl nicht ausfallen. Allerdings steigt der Veränderungsdruck in den Banken in Anbetracht der Herausforderungen permanent an.

Grund genug, wesentliche Themenfelder der Finanzinstitute genauer unter die Lupe zu nehmen:

  1. Risikoanalyse, -controlling und -berichterstattung

  2. Kundenbeziehungsmanagement (CRM)

  3. Kanalintegration/Omni-Channel-Management

  4. Social-Media

  5. Personalisiertes Marketing

  6. Personalisierte Preise

  7. Liquiditätsmanagement

  8. Betrugserkennung

  9. Prozessoptimierung

  10. Fusionen, Migration, Konsolidierung und Modernisierung

Auf den ersten Blick sind die Themenfelder sehr unterschiedlich. Eines eint sie trotzdem: Sie basieren alle auf "Daten". Hand aufs Herz. Intelligentes Datenmanagement gehört nicht gerade zu den Stärken vieler Finanzinstitute. In vielen Banken finden sich unter dem Begriff "Individuelle Datenverarbeitung" viele selbstgestrickte Lösungen, in denen lokal Daten gehalten werden.

Auf der anderen Seite stehen große Datawarehouse-Lösungen, die inzwischen selbst zum Dinosaurier mutiert sind und jeden Ansatz von Flexibilität, Agilität und Geschwindigkeit im Keim ersticken.

Auswege aus dem Datendschungel
Foto: Oliver Laitenberger

Doch auch auf diesem Gebiet gibt es Fortschritte zu berichten: "Datenvirtualisierung" ist hier das Stichwort. Was zunächst seltsam anmutet ist schnell erklärt. Datenvirtualisierung bezeichnet die Herstellung einer Zugriffsmöglichkeit auf die Daten unabhängig von deren Quelle. Daten-
virtualisierung lässt die Daten damit dort, wo sie hingehören - in den Quellsystemen.

Damit spielt es plötzlich keine Rolle mehr, ob eine Bank eine historisch gewachsene, heterogene Legacy-Welt hat oder über moderne micro-servicebasierte Architekturen verfügt. Hohe Kosten für den Umzug und die Unterbringung der Daten sowie Aufwendungen für die Datenintegration fallen von heute auf morgen weg.

Da die Datenvirtualisierung die vorhandene Infrastruktur im bestehenden Zustand aufnimmt, ist sie im Vergleich zu anderen Lösungen relativ einfach zu implementieren. Und da es Daten in Echtzeit aus einer Vielzahl von Systemen bereitstellt, die normalerweise sehr zeitaufwändig zu integrieren sind, wie zum Beispiel Transaktionsverarbeitungssysteme und Cloud-basierte Speichersysteme, kann es eine Vielzahl von Anwendungen unterstützen.

Datenvirtualisierung ermöglicht Datenkonsolidierung und -integration über die bisher bekannten Grenzen hinweg - sie durchbricht sozusagen die Schallmauer. Grund genug, wesentliche Themenfelder der Finanzinstitute bezüglich der Möglichkeiten genauer unter die Lupe zu nehmen.

1. Risikoanalyse, -controlling und -berichterstattung

Wer kennt sie nicht: Projekte wie FinRep oder AnaCredit dauern schon Jahre und haben Millionen verschlungen. Für das aufsichtsrechtliche Meldewesen, einschließlich der Meldung von Risiko- und Performancezahlen, haben Banken oft Schwierigkeiten, unterschiedliche Quellen zu integrieren. Meist geht es nur um eine einheitliche Sicht auf die Risikodaten - eine Sicht, die eventuelle Unterschiede ausgleicht.

Die wesentliche Herausforderung in diesem Kampf ist die Zeit, die für die Erstellung solcher Berichte benötigt wird, multipliziert mit den für die Bank relevanten Risikobereichen wie Markt-, Kredit-, Kontrahenten- oder operationelle Risiken. Ebenso werden Banken häufig aufgefordert, die Anforderungen von Basel X.X zu erfüllen, was bei Fusionen und Konsolidierungen von Banken eine besondere Herausforderung darstellen kann.

Für regulatorische Projekte ist die Datenvirtualisierung ein Segen. Daten können in Echtzeit über unzählige heterogene Quellen hinweg konsolidiert werden, um die Anforderungen eines jeden Berichts zu erfüllen. Mit der Datenvirtualisierung sind die Daten somit nicht mehr der Flaschenhals. Die Beteiligten können detaillierte, zuverlässige und integrierte Berichte erstellen, und zwar so, als ob alle Daten auf ihren eigenen Laptops gespeichert wären. Darüber hinaus lassen sich mit Datenvirtualisierung auch Datenqualitätsprüfungen durchführen, um sie mit hoher Qualität zur Verfügung zu stellen.

2. Kundenbeziehungsmanagement (CRM)

In Anbetracht der disruptiven Gefahren gehört das Kundenbeziehungsmanagement zu den wichtigsten Themenfeldern für Banken. Banken müssen jede Kundenbeziehung sorgfältig managen und parallel die Daten des Kunden schützen. Gewinnung und Sicherstellung der Loyalität sind hier wesentliche Kriterien. Parallel benötigen Markt- und Vertriebseinheiten in Echtzeit und kanalübergreifend Informationen über ihre Kunden.

Digitale Banken - 5 Tipps für optimale Kundenerlebnisse
1. Prozesse neu denken
Alle Prozesse, die für den Kunden relevant sind, sollten von außen nach innen gedacht werden, also das optimale Kundenerlebnis zum Ausgangspunkt nehmen. Das erfordert ein Umdenken, das zum einen den Kunden in seiner Onlinewelt schon bei der Produkt- und Servicegestaltung in den Mittelpunkt stellt und sich zum anderen auf Datendurchgängigkeit und einheitliche CRM-Systeme fokussiert.
2. Einheitlichkeit schaffen
Im Rahmen des Umdenkens gilt es auch, die Kundenkontaktpunkte zu vereinheitlichen - und zwar alle, online wie offline, über Texte, Grafiken, Tonalität, Kontaktpersonen und Services hinweg. Diese Einheitlichkeit sollte jeden Prozessschritt für den Kunden einfach und verständlich machen. Dazu gehört auch, eine durchgehend persönliche Ansprache mit einem Berater als Absender oder zumindest einer gleichbleibenden Servicestelle.
3. Kontinuierlich optimieren
Wer den Kunden besser verstehen will, muss die bestehenden Prozess aus seiner Perspektive analysieren. Dazu gehören sowohl Stärken als auch Schwächen. Anschließend sind messbare Verbesserungen zu definieren, die dann kontinuierlich korrigiert werden sollten. Eine große Rolle spielt hier die Einbindung der relevanten Abteilungen, zum Beispiel Produktmanagement, Call Center, Sales und Marketing.
4. einen Verantwortlichen bestimmen
Um alle an einen Tisch zu bringen, braucht es eine zentrale Verantwortlichkeit für den Kundenprozess. So kann an einer zentralen Stelle auch objektiv gemessen werden, wie und wodurch der Kundenprozess verbessert wurde. Dieser Person obliegt die Planung und Durchführung der Maßnahmen zum Online-Erlebnis als ein Aktionsstrang der gesamten Digitalisierungs-Roadmap.
5. Durchgängigkeit gewährleisten
Prozessbrüche und Prozesswechsel sind zu vermeiden. Zum Beispiel der Bruch zwischen Online-Formular und anschließendem Filialbesuch. Es lohnt sich, aus Kundensicht zu prüfen, ob tatsächlich die Notwendigkeit traditioneller Kommunikationskanäle wie Briefsendungen besteht. Hier hilft die Frage: Wie können interne Hindernisse zugunsten einer durchgängigen Online-Customer-Experience verringert oder beseitigt werden?

Datenvirtualisierung ermöglicht hierfür "Data-as-a-Service", einen Service, der von Anwendungen, internen Experten oder externen Kunden in Eigenregie genutzt werden kann. Dies ermöglicht eine Vielzahl sinnvoller Customer Journeys, wie z.B. eine aggregierte Sicht auf Veranstaltungen und Konferenzen, für einen interaktiven Broker oder die Möglichkeit, hypothetische Beträge zu investieren, um die Performance verschiedener Instrumente zu vergleichen

3. Kanalintegration/Omni-Channel-Management

Banken müssen besser verstehen, was ihre Kunden wollen oder wie sie mit ihnen zusammenarbeiten. Im heutigen kundenorientierten Marktumfeld bedeutet dies, dass die Mitarbeiter am Point of Sale mit dem richtigen Kundenprofil und den aktuellsten Informationen und Angeboten ausgestattet sein müssen. Kunden interagieren mit ihren Banken online, persönlich, am Telefon und zunehmend auch in anderen Kanälen wie Text und sogar Social Media. Banken stellt dies oft vor enorme Herausforderungen. Um eine nahtlose Erfahrung zu ermöglichen, müssen die Banken eine bessere Integration zwischen den Kanälen bieten. Die Zeiten sind vobei, in denen Kunden schlecht informierte Mitarbeiter tolerieren.

Um das zu unterstützen, bietet die Datenvirtualisierung einen Echtzeit-Blick auf alle Kundenaktivtäten über alle Kommunikationskanäle hinweg. Daraus lässt sich ein Verständnis generieren, was der Kunde wirklich benötigt.

4. Social-Media

Banken sind zunehmend daran interessiert, ihr Kundenverständnis um zusätzliche Daten aus den Interaktionen und Beziehungen ihrer Kunden auf Social Media Plattformen zu erweitern. Dies ist nicht nur für die eigene Marke relevant ("Social VIPs") sondern auch für die Identifikation von Möglichkeiten. Um Social-Media-Daten effektiv nutzen zu können, müssen Banken interne und externe Datenquellen schnell verbinden können. Der Angang ist "explorativ". Dies bedeutet, dass das Analyseergebnis zunächst offen ist.

Die Datenvirtualisierung bildet hierfür die Brücke, die interne und externe Datenquellen nahtlos miteinander verbindet und die integrierten Daten sofort für die erforderlichen Analysen zur Verfügung stellt.

5. Personalisiertes Marketing

Ein wichtiger Aspekt der Kundenbetreuung ist die proaktive Ausrichtung auf bestimmte Kundensegmente mit spezifischen Produkten. Um dies zu erreichen, müssen Banken häufig Daten von Drittanbietern mit Blick auf das Ausgabeverhalten bestimmter Kundensegmente integrieren, die aus Aufzeichnungen von Kundentransaktionen gewonnen sind. Beispielsweise können Banken Benutzern eines bestimmten Telefons oder bevorzugten Mitgliedern eines bestimmten "Rewards-Clubs" eine Werbeaktion anbieten.

Wieder einmal kann die Datenvirtualisierung solchen Kampagnen unterstützen, indem sie die Datenintegration und Verbindungen zu Drittanbietern einfach und schnell erlaubt.

6. Personalisiertes Pricing

Bei der Preisgestaltung wollen alle Kunden eine Vorzugsbehandlung. Die Kundenerwartung im digitalen Zeitalter stellt sich so dar, dass aus Sicht des Kunden jedes Produkt ein individualisiertes Produkt ist. Eine personalisierte Preisgestaltung erfordert jedoch eine 360°-Ansicht des Kunden in Echtzeit, einschließlich der Nutzung und Empfehlungen, sowie einen Einblick in alle seine Interaktionen.

Die Datenvirtualisierung ermöglicht diese Sichtweise und stellt sie den Vertretern in Echtzeit zur Verfügung. Für jeden Kunden wird ein detailliertes Profil erstellt, das die Präferenzen des Kunden, Empfehlungen und andere Informationen berücksichtigt. Darauf aufbauend kann mit den passenden Algorithmen eine bessere und fundiertere Preisentscheidung ermöglicht werden. Zusätzlich lassen sich viele Funktionen der personalisierten Preisgestaltung automatisieren.

7. Liquiditätsmanagement

Um die Liquidität in den verschiedenen Abteilungen und Beständen einer Bank effektiver verwalten zu können, benötigen Banken Zugang zu aggregierten Liquiditätspositionen, die zum Beispiel. auf Währung, Geografie oder Produkten beruhen. Diese Zahlen müssen dann zeitnah mit Standardkennzahlen wie dem Net Stable Funding Ratio (NSFR) und dem Liquidity Coverage Ratio (LCR) verglichen werden, um einen granularen, dynamischen Einblick in die Liquidität der Organisation zu erhalten.

Um diese Bemühungen zu erleichtern, kann die Datenvirtualisierung die Ansichten der Bestände der einzelnen Abteilungen vereinheitlichen, um eine echte aggregierte Sicht auf das Risiko zu erhalten und hochgranulare Entwicklungen zu erfassen. Damit lassen sich wöchentliche oder monatliche Berichte unterstützen, die durch Änderungen in Echtzeit ergänzt werden. Auch Informationen aus anderen Quellen wie zum Beispiel externe Quellen für Marktinformationen lassen sich hier einfach integrieren, um beispielsweise den Bargeldbedarf des Unternehmens besser vorherzusagen.

8. Betrugserkennung

Um betrügerische Aktivitäten besser aufzudecken und Vorschriften wie die Anti-Geldwäsche (AML) im Zusammenhang mit dem Bankgeheimnisgesetz einzuhalten, müssen Banken in der Lage sein, "normale" Aktivitäten von "betrügerischen" Aktivitäten zu unterscheiden.

Die Datenvirtualisierung kann die Betrugserkennung auf drei Arten unterstützen:

9. Prozessoptimierung

In Anbetracht der digitalen Herausforderungen müssen Banken mehr denn je an der Optimierung ihrer Prozesse arbeiten. Anders als die klassischen Optimierungsansätze der Vergangenheit, wie z.B. Six Sigma, basieren innovative Verbesserungsansätze auf dem Mining von Daten. Das Schürfen in den Big-Data-Welten ermöglicht bisher nicht mögliche Einblicke in die tatsächlichen Prozessabläufe - jenseits subjektiver und isolierter Expertensicht.

Datenvirtualisierung schafft die Möglichkeiten der Integration heterogener Datenbanken und schafft so die Voraussetzungen einer End-to-End-Sicht auf die Prozesslandschaften. Neben Prozessdaten aus den Systemen lassen sich auch lokale Datenpools an den Arbeitsplätzen von Sachbearbeitern anbinden.

10. Fusionen, Migration, Konsolidierung und Modernisierung

Diese letzte Gruppe ist nicht auf Banken beschränkt. Bei jeder Änderung der IT-Infrastruktur wird die Integration von Daten schwieriger und dauert länger. Das wirkt sich negativ auf die Fähigkeit der Beteiligten aus, die Daten für fundierte und profitable Entscheidungen zu nutzen.

Der Vorteil der Datenvirtualisierung besteht in diesem Zusammenhang darin, dass die Nutzer der Daten oft nicht einmal merken, dass eine Veränderung stattfindet oder stattgefunden hat. Nutzer haben den Eindruck, dass sich die Daten an einem einzigen Ort befinden. Hinter den Kulissen wird auf eine Vielzahl von Quellen zugegriffen. Nutzer müssen sich nicht um Details kümmern. Während einer Systemmigration können Nutzer gleichzeitig auf die alten und neuen Quellen zugreifen. So kann schrittweise auf neue Systeme umgestellt werden.

Funktion und Nutzen von Datenvirtualisierung
Foto: Euvic GmbH

Datenvirtualisierung - zu schön um wahr zu sein?

Die obigen Beschreibungen stammen nicht aus Episoden von "Captain Future": Datenvirtualisierungslösungen sind heute schon Realität. Ein detaillierter 360-Grad-Blick auf die sich ändernden Bedürfnisse und Verhaltensweisen der Kunden? Gestern noch ein 5-Jahresprojekt im dreistelligen Millionbereich - heute viel schneller und deutlich kostengünstiger. Die Möglichkeiten, welche durch neue Technologien geschaffen, schaffen bereits wieder Zweifel an der Einfachheit. Abhilfe schaffen hier nur "Trial & Error"-Ansätze. In Anbetracht der Millioneninvestitionen in die digitale Transformation kann eine Verprobung der Datenvirtualisierung doch nicht ins Gewicht fallen, oder?