Managementtechnik: OKR statt MBO?

Bessere Zielvereinbarungen durch agile Führung

17.09.2020 von Ivan Kovynyov
Unternehmen setzten bei Zielvereinbarungen auf Management by Objectives (MBO) als Führungsinstrument. Doch dieser Ansatz erscheint im Zeitalter der agilen Führung nicht mehr zeitgemäß. Eine Alternative tut sich mit dem Managementansatz Objectives and Key Results (OKR) auf.
  • Die Anwendung des MBO-Ansatzes bei Zielvereinbarungen bietet im digitalen Zeitalter nicht mehr genügend Flexibilität.
  • Die Implementierung von OKR zur Zielfindung kann sich am Framework von Scrum oder Kanban orientieren.
  • Die OKR-Einführung sollte in Teams starten, die schon mit agilen Methoden arbeitet und deren Führungskräfte über das Mindset verfügen.

Jahresziele sind wie die guten Vorsätze für das neue Jahr: Alle setzen sie sich, aber keiner glaubt so recht, dass sie je erreicht werden. Die Praxis zeigt auch, dass viele Unternehmen auf folgende Probleme in der Anwendung des traditionellen Ansatzes Management by Objectives stoßen:

Beim Managementansatz OKR werden im Gegensatz zu MBO die Ziele quartalsweise gesetzt und überprüft. Daher wird OKR oft als Framework für Zielvereinbarung im agilen Umfeld bezeichnet.
Foto: Robert Kneschke - shutterstock.com

• Es fehlt an Agilität: Das Marktumfeld ist heutzutage sehr dynamisch. Zielvereinbarungen erfolgen jedoch meistens jährlich und müssen daher ständig nachgezogen werden. Dies führt dazu, dass die Ziele auf den Ebenen Bereich, Abteilung, Gruppe und Mitarbeiter nie aktuell sind. Außerdem ziehen sich Zielvereinbarungen oft über Monate hin und machen das System träge. Noch frappanter ist die Situation in Großunternehmen, wo aufgrund eines hohen Abstimmungsbedarfs unterjährige Anpassungen von Zielvereinbarungen schlicht nicht mehr möglich sind.

• Nur vordergründig agil: Zahlreiche Beratungsunternehmen monieren, dass agile Methoden nur taktisch genutzt werden, während die strategische Planung und Zielsetzung immer noch nach dem Prinzip Wasserfall organisiert sind. Wie kann ich mit Scrum und Minimal Viable Products (MVP) arbeiten und auf der anderen Seite das Projektbudget für das ganze Jahr im Voraus an das Portfolio-Management melden? Wie kann ein Projektleiter sein agiles Projekt erfolgreich durchführen, wenn übergeordnete Steuerungsgremien nicht agil denken?

• Opportunistisches Verhalten: Mitarbeiter verfolgen nur die Ziele, die unmittelbar an ihre Zielerreichung und Boni gekoppelt sind. Wo das Individualziel herrscht, muss oft das Kooperationsziel leiden. Aber wie passt dieser Ansatz zu selbstorganisierten Teams? Wie können Mitarbeitende beispielsweise in einem crossfunktionalen Kanban-Team erfolgreich arbeiten, wenn sie von ihrem disziplinarischen Vorgesetzten andere Ziele vorgegeben bekommen als jene aus dem Kanban-Team?

• Asymmetrische Information: Der einzelne Mitarbeitende versteht nicht unbedingt das Gesamtziel, da dieses durch Führungskräfte auf individuelle Ziele heruntergebrochen wurde. Wie kann man unter diesen Umständen unternehmerisches Handeln und Selbstorganisation von den Mitarbeitenden einfordern?

• Keine Selbstbestimmung: Ziele werden oft nicht "vereinbart"", sondern vorgegeben. Der Grund: Die Führungskraft muss eigene Ziele irgendwie bei den Mitarbeitenden unterkriegen.

Nun ist MBO - Führen mit Zielen - eine sehr verbreitete Managementtechnik. Unternehmen verwenden MBO-basierende Zielsysteme, und kaum jemand stellt den Sinn dieser Systeme infrage. Die Probleme, die in der Praxis entstehen, werden nicht immer adressiert. Somit wird Führen mit Zielen unweigerlich zu einem Führen ohne Ziele. Dazu ein passender Vergleich aus dem Buch von Rolf Dobelli "Die Kunst des klaren Denkens": Menschen würden lieber mit einem falschen Stadtplan herumlaufen als mit gar keinem (Availability Bias). Und wie ist es mit MBO? Wird diese Managementmethode nur mangels Alternativen so breit genutzt? Der nachfolgende Ansatz stellt eine Alternative zum traditionellen MBO-Prinzip dar und wirft eine andere Perspektive auf die Führung durch Zielvorgaben.

Neue Führungspraxis für die digitale Welt
Der Sportdirektor eines Vereins
Der Sportdirektor eines Vereins stellt den Kader zusammen und gestaltet die Spiel- und Terminpläne für Wettkämpfe und Trainings. Er instruiert Talentscouts, kauft Spieler ein und stellt Bewegungsfreiheit für erforderliche Transfers sicher. Sein Ziel: Menschen zu finden und zu binden, die die Weiterentwicklung des Unternehmens konstant antreiben. Er erweitert die Suchkriterien für die Rekrutierung, stellt Mitarbeiter mit verschiedensten Hintergründen ein und ermöglicht Familien- und altersgerechte Arbeitszeitmodelle.
Führung in der Digitalisierung
Die Studie "Die Haltung entscheidet. Neue Führungspraxis für die digitale Welt" stammt von LEAD (Mercator Capacity Building Center for Leadership & Advocacy) in Kooperation mit der Unternehmensberatung Company Companions sowie der School of Public Policy (Central European University, Budapest) und dem Center for Leadership and Values in Society (Universität St. Gallen). Die Autoren empfehlen acht Rollen als Orientierungshilfen.
Die Landschaftsgärtnerin
Die Landschaftsgärtnerin gestaltet und pflegt Grünanlagen. Sie versteht das gesamte Ökosystem und weiß, wann welche Pflanzen im Jahreszeitenwechsel an welcher Stelle ihre Wirkung entfalten und wie alles zusammenspielt. Ihr Ziel: Das Unternehmen langfristig auf zustellen, wenn Krise und Veränderung zum Normalfall geworden sind. Sie ermöglicht schnelles „Prototyping“, geht unkonventionelle Partnerschaften ein und bricht Silos mittels heterogener, cross-funktionaler Teams auf.
Die Seismologin
Die Seismologin muss wissen, wo die Erde beben könnte. Dafür analysiert sie Daten, registriert feinste Erschütterungen und erkennt Spannungen frühzeitig. Sie erliegt aber nicht der Illusion, die Zukunft genau vorhersagen zu können. Ihr Ziel: Grundlagen für gute Entscheidungen in einer unübersichtlichen Welt zu schaffen. Sie etabliert „Situation Rooms“ zur Entwicklung von Handlungsstrategien, greift über digitale Plattformen auf verborgenes Wissen zu und schult ihre Intuition als zusätzliche "Datenquelle".
Der Zen-Schüler
Der Zen-Schüler ist in Ausbildung und Vorbereitung. Er lernt, reflektiert und prüft sich selbst. Achtsamkeit, Mitgefühl und Offenheit sind seine Tugenden, er pflegt eine disziplinierte (spirituelle) Praxis. Sein Ziel: Das finden, woran er sich festhalten kann, wenn sich alle an ihm festhalten. Er nutzt Coaching- und Mentoring-Programme, schafft physische Räume für den Ausgleich und richtet den Blick nach innen.
Der DJ
Der Discjockey bringt mit seiner Musik die Menschen zum Tanzen. Er setzt einen Rahmen, der motiviert, anregt und gemeinsame Energie erzeugt. Zugleich hat er ein offenes Ohr für Anregungen und sensible Antennen für das richtige Stück im richtigen Moment. Sein Ziel: Eine Kultur der Zugewandtheit zu schaffen – aber mit dem Fokus auf Ergebnisorientierung. Dafür baut er Empathie als Führungskompetenz auf, schafft Räume, in denen Menschen gerne arbeiten, und agiert als Vorbild für Zugewandtheit und Leistungsorientierung.
Die Intendantin eines Theaters
Die Intendantin eines Theaters wählt die Stücke für die Aufführung aus. Sie entwickelt den roten Faden und prägt die gesellschaftliche Wirkungskraft ihres Hauses. Die Künstler und deren Expertise bindet sie dabei ein. Ihr Ziel: in Zeiten großer Unsicherheit und Unplanbarkeit Orientierung zu geben. Über ein „Strategy Board“ schafft sie die Voraussetzung für Richtungsentscheidungen schaffen, erhöht mittels interaktiver Beteiligungsformen die Einigkeit über die Richtung – und hat den Mut zu klaren Ansage in der Krise.
Die Trainerin
Die Trainerin leitet eine Mannschaft taktisch, technisch und konditionell an. Sie bestimmt Trainingsablauf, Mannschaftsaufstellung und Strategie. Sie muss für Misserfolge geradestehen, Erfolge lässt sie ihrem Team. Ihr Ziel: Die Mitarbeiter zu mehr Verantwortungsübernahme zu befähigen. Dafür entwickelt sie über zeitgemäße Lernformate Kompetenzen entwickeln, baut gegenseitiges Vertrauen auf und führt Anreize zur Übernahme von Verantwortung ein.
Der Blogger
Der Blogger kommentiert Geschehnisse – zugespitzt, aufrüttelnd und meist aus einer persönlichen Sichtweise. Er will die Welt verstehen, erklären und übersetzen. Er lebt vom direkten Feedback der Leser. Sein Ziel: Veränderungsbereitschaft in die DNA des Unternehmens zu schreiben. Er kaskadiert die Geschichte der Veränderung in die Firma, moderiert gemeinsame Lernprozesse und gibt sichtbare Veränderungsanstöße.

OKR als Modernisierung von MBO

Objectives and Key Results (OKR) ist eine MBO-Variante, die im Technologiesektor (zum Beispiel bei Google und Intel) und in der Startup-Szene (Airbnb, mymuesli) besonders beliebt ist. Beim OKR-Ansatz werden Objectives (Ziele) mit Key Results (Ergebniskennzahlen) unterlegt, welche die Zielerreichung konkretisieren und messen. Objectives sind motivierend, herausfordernd und helfen dem einzelnen Mitarbeitenden, das Gesamtbild zu verstehen. Key Results beschreiben hingegen konkrete Ergebnisse auf dem Weg zur Zielerreichung. Sie sind konkret, messbar und legen im Endeffekt die Resultate fest, anhand deren die Zielerreichung festgehalten wird.

Fakten zum OKR-Ansatz

• Im Gegensatz zu MBO plant OKR in kürzeren Zeiträumen: die Ziele werden quartalsweise gesetzt und überprüft. Daher wird OKR oft als Framework für Zielvereinbarung im agilen Umfeld bezeichnet.

• Während MBO eine vollständige Zielerreichung (100 Prozent) anstrebt, werden OKR-Ziele so definiert, dass eine Zielerreichung von 60 bis 70 Prozent völlig ausreichend ist. Die Ziele können individuell, aber auch pro Gruppe gesetzt werden. Üblicherweise werden nicht mehr als fünf Objectives formuliert, sonst wird die Fokussierung zu schwer.

• Quartals-OKRs von jeder Person sind öffentlich, jeder kann sie einsehen. Die OKRs schaffen daher Klarheit darüber, woran eine Person arbeitet und vor allem woran sie nicht arbeitet.

• Die Summe aller OKRs ist die Priorität eines Unternehmens, nicht die OKRs einer einzelnen Person.

• Es gibt Aussagen darüber, dass bei einigen amerikanischen Unternehmen, wie Google, mehr als die Hälfte der Unternehmensziele Bottom-up formuliert wird. Denken Sie an dieser Stelle an eine hierarchisch-geführte große Versicherung. Wie hoch mag dieser Anteil dort ausfallen?

• OKR ist kein Performance-Review-System. Individuelle Leistungsbeurteilung läuft separat. Konsequenterweise ist die Zielerreichung nach OKR nicht mit dem persönlichen Bonus, einer Beförderung oder einer Gehaltserhöhung verknüpft.

Wie lässt sich nun OKR implementieren?

Es gibt mehrere Wege, wie sich OKR in einem Unternehmen implementieren lässt. Das nachfolgende Framework stellt eine mögliche Implementierung dar und basiert auf agilen Werten und Prinzipien. Das Framework lehnt sich an Scrum an und besteht im Wesentlichen aus einer OKR-Liste, den zugehörigen Meetings und Rollen.

Die OKR-Liste ist das zentrale Arbeitsmittel von OKR. Sie ist eine Zusammenfassung aller individuellen, gruppen- oder firmenweiten Ziele (Objectives) und zu erwartender Ergebnisse für die Zielerreichung (Key Results). Die OKR-Liste ist für alle Mitarbeitenden zugänglich.

Üblicherweise hat ein Unternehmen im Verlauf des Jahres vier OKR-Zyklen und ein paar übergreifende Meetings. Es werden folgende Meetings empfohlen:

• Das Mission Statement Meeting findet zum Jahresbeginn statt. In diesem Meeting wird das Leitbild für das kommende Jahr erstellt. Die Führungskräfte sind im Driver Seat und geben grob die Richtung vor, in die sich das Unternehmen bewegen soll. Das Leitbild ist der erste Eintrag in der OKR-Liste und wird dadurch für alle Mitarbeitenden transparent gemacht.

• Das Mission Alignment Meeting findet zu Beginn der zweiten Jahreshälfte statt. In diesem Meeting überprüfen die Führungskräfte das Leitbild auf Aktualität und Relevanz. Bei Bedarf werden die Einträge in der OKR-Liste aktualisiert.

• Das OKR Planning findet zu Beginn eines OKR-Zyklus (jeweils zum Quartalsbeginn) statt. Das Leitbild wird auf die konkreten Ziele (Objectives) heruntergebrochen. Federführend sind die Führungskräfte. Am Ende des OKR Plannings steht eine gefüllte OKR-Liste mit Objectives und Key Results, welche in direkter Zusammenarbeit mit den Mitarbeitenden entstanden ist.

• Das Constant OKR ist ein kurzes Meeting und bietet den Mitarbeitenden eine Plattform, sich über die Ziele zu unterhalten. Mitarbeitende schauen sich ihre eigenen OKRs und die OKRs ihrer Kolleginnen und Kollegen in der OKR-Liste an und diskutieren darüber, ob die Ziele noch aktuell und relevant sind und wie sie sich gegenseitig bei der Zielerreichung helfen können. Das Meeting kann 14-tägig oder monatlich stattfinden. Teilnehmend sind in erster Linie die Teammitglieder. Führungskräfte sind optional (in passiver Rolle).

• Das OKR Review Meeting findet am Ende eines OKR-Zyklus (zum Quartalsende) statt. In diesem Meeting wird die Zielerreichung vorgestellt. Es wird die OKR-Liste durchgegangen und diskutiert, welche Ziele erreicht wurden und welche nicht. Was hat die Beteiligten daran gehindert, die gesetzten Ziele zu erreichen (Impediments)? Teilnehmer sind die Führungskraft und die Teammitglieder.

• Die OKR-Retrospektive findet ebenfalls am Ende des OKR-Zyklus (zu Quartalsende) statt. Die Retrospektive hat kontinuierliche Verbesserung des Prozesses im Fokus und bewertet den OKR-Zyklus aus methodischer Sicht. Ergebnisse sind üblicherweise die Erkenntnisse über den Prozess (was lief gut oder schlecht) und daraus resultierende Verbesserungsmaßnahmen für den nächsten OKR-Zyklus. Teilnehmer sind die Führungskraft und sein Team sowie der OKR-Master (falls vorhanden).

Der OKR-Master ist eine neue Rolle und wird im Wesentlichen aus der Rolle des Scrum-Masters abgeleitet. Er überwacht den Prozess, initiiert und realisiert methodische Verbesserungen und beantwortet Fragen bezüglich der Anwendung des Frameworks. Der OKR-Master ist ein Coach und hat keine Ergebnisverantwortung.

Eine mögliche Implementierung des OKR-Frameworks
Foto: kobaltblau

Zum Schluss drei Tipps für einfache und wirkungsvolle Einführung von OKR:

1. Fangen Sie klein an: Pilotieren Sie das OKR-Framework zunächst in einer geografischen Einheit, einem Bereich oder einer Abteilung.

2. Management von Zielen ist ein sensibles Thema und erfordert viel Fingerspitzengefühl. Engagieren Sie daher einen Coach mit einschlägiger Erfahrung und genügend Abstand zum Unternehmen.

3. Fangen Sie dort an, wo das Team ohnehin mit agilen Methoden wie Scrum oder Kanban arbeitet und die zugehörigen Führungskräfte über das entsprechende Mindset verfügen.