Zwei Milliarden Euro will die Deutsche Post DHL Group bis 2025 in die Digitalisierung ihrer Geschäftsbereiche investieren. Davon profitiert auch Markus Voss, seit 2015 Global CIO und COO von DHL Supply Chain. Als einer der größten Anbieter in der Kontraktlogistik beschäftigt der Unternehmensbereich fast 160.000 Mitarbeiter an mehr als 2.000 Standorten weltweit. Unter dem DHL-Konzerndach agieren neben der Kontraktlogistiksparte DHL Supply Chain auch die Unternehmensbereiche Post & Paket Deutschland, Global Forwarding Freight (Luft-, See- und Landfracht), Express (Expresslieferungen) und E-Commerce Solutions.
Um die digitale Transformation voranzutreiben, hat Voss mit seinem Team die "Accelerated Digitalisation Strategy" entwickelt. "Es geht darum, technische Innovationen schneller massentauglich zu machen", sagt der promovierte Chemiker. Die zentrale Frage laute für ihn: "Wie können wir den Einsatz neuer Technologien unternehmensweit skalieren?" In der Vergangenheit habe es viele Pilotprojekte in Sachen Digitalisierung und Innovationen gegeben. "Doch es fehlte ein strukturierter Ansatz, um Technologien für alle Mitarbeiter und Kunden nutzbar zu machen."
Der CIO orientiert sich dabei unter anderem am technischen Reifegrad. Zwölf "Fokustechnologien" sollen den Konzern in Sachen Digitalisierung voranbringen. Dazu gehören vor allem Automatisierungs- und Robotiktechniken, die dabei helfen, Prozesse in den Lagern zu standardisieren und die Effizienz der vielfach noch manuellen Tätigkeiten zu erhöhen.
Bereits im Einsatz sind etwa kollaborative Roboter in den Lagerhallen von DHL Supply Chain, die Waren oder sogar ganze Regale zu den Mitarbeitern transportieren. Großes Potenzial sieht Voss auch bei den Wearable Devices. Den ein Kilogramm schweren Barcodescanner der Lageristen ersetzte er durch eine schlanke Kombination aus Scanner am Ringfinger und einem smartphoneartigen Display am Handgelenk. Voss: "Die dicken Knochen haben wir abgeschafft." Die Mitarbeiter haben jetzt beide Hände frei und sparen sich mehrere Handgriffe beim Registrieren der Bestände. Darüber hinaus helfen Wearables auch in anderen DHL-Bereichen wie bei der Auslieferung von Paketen, indem sie die Übergabe an die Kunden vereinfachen.
Digital Transformation Officer
Beim Umsetzen seiner Strategie hilft dem CIO Thierry Driesens, der als Digital Transformation Officer eben diese Umsetzung weltweit für den Bereich DHL Supply Chain betreut. "Driesens sitzt nicht irgendwo isoliert im Elfenbeinturm, sondern ist stark in der Organisation verankert", betont der IT- und Operations-Chef. Direkt zugeordnet sei dem Digitalmanager nur eine kleine Gruppe an Experten, hinzu kämen aber viele Ansprechpartner in den Fachabteilungen und den mehr als 60 Ländern, in denen DHL Supply Chain vertreten ist. Voss: "Die enge Verzahnung mit bestehenden Strukturen ist dabei erfolgsentscheidend."
Neben dem Digitalverantwortlichen berichten auch die regionalen CIOs von DHL Supply Chain an Voss. Er selbst hat in seiner Rolle einen direkten Draht zu Frank Appel, dem Vorstandschef der Deutsche Post DHL Group. Wichtige strategische Entscheidungen trifft das IT-Board des Bonner Konzerns. Hier sitzen neben Voss und Appel auch die CIOs der anderen DHL-Divisionen Express, Global Forwarding Freight und E-Commerce Solutions sowie der IT-Chef der Brief- und Paketsparte, ferner der Einkaufschef und der Leiter des internen IT-Dienstleisters DHL IT-Services.
Innovation Center international
Innovationen entstünden bei DHL Supply Chain häufig dezentral an den Standorten, so der CIO. Darüber hinaus unterhält der Konzern gleich drei Innovation Center, je eines in Singapur und Chicago, aber auch im nordrhein-westfälischen Troisdorf: "Hier geht es darum, neue Technologien auszuprobieren." Regelmäßig veröffentlicht DHL zudem einen Trendradar und beschäftigt ein eigenes Trend-Research-Team. Voss: "Diese Mitarbeiter gehen mit den Kunden deren Logistikprozesse durch, identifizieren Verbesserungspotenziale und bieten innovative Lösungen an."
Zu den Kunden gehören Unternehmen aus unterschiedlichsten Branchen. DHL Supply Chain versorgt sie mit individuellen Logistik- und Branchenlösungen. Dazu gehören etwa Logistikdienste in den Bereichen Planung, Beschaffung, Produktion, Lagerung sowie Auslieferung und Retouren. Die Kunden kommen aus Sektoren wie Automobil, Konsumgüter, Einzelhandel, Life Sciences und Healthcare sowie Technologie.
"Unsere Kunden wollen einfach, dass ihre Logistik zuverlässig funktioniert", erläutert Voss. "Und hier sind wir der richtige Partner." Geht es um konkrete Kundennamen, gibt sich DHL in diesem Segment zurückhaltend. Ein prominentes Beispiel aus dem Automotive-Bereich ist der britische Autobauer Jaguar Land Rover. Daneben arbeite man mit fast allen bekannten Marken aus den jeweiligen Segmenten zusammen, so Voss.
Data Management und Analytics
Neben technischen Innovationen kümmert sich Voss auch um klassische IT-Aufgaben. Dazu gehört insbesondere der Bereich Data Management und Analytics. "Seit meinem Amtsantritt 2015 als CIO habe ich viel am Thema Standardisierung gearbeitet", berichtet der IT-Chef. Dabei sei es sowohl um Kernanwendungen als auch um das Stammdaten-Management gegangen.
Die Standardisierung in der Backend-IT bildet die Grundlage für übergreifende Datenanalysen, in denen Voss ein großes Potenzial sieht: "Gerade in der Logistik gibt es viele Ineffizienzen, die sich damit adressieren lassen." Die Deutsche Post DHL hat dafür unter anderem einen gruppenweiten Data Lake implementiert. Für die Entwicklung von Analytics-Anwendungen hat das Team von Markus Voss eine Referenzarchitektur definiert, die unternehmensweit nutzbar ist.
Auf der Basis eines übergreifenden Master Data Managements werden Daten aus den Kernanwendungen in den Data Lake überführt und stehen den Data Scientists über definierbare Data Marts zur Verfügung. Besonders wichtig ist dem CIO, dass dabei keine neuen Silos entstehen: "Die Daten gehören der Gruppe, nicht den Application Ownern", betont er.
Data-Analytics-Anwendungen und Machine-Learning-Algorithmen helfen dem Logistikunternehmen etwa dabei, Transportvolumina vorherzusagen. "Die Genauigkeit der Prognosen hat sich mit unserem Volume-Prediction-System um 20 bis 30 Prozent verbessert", sagt Voss. Aber auch in der Personaleinsatzplanung kommen einschlägige Systeme zum Einsatz, beispielsweise um eine intelligente Schichtplanung für die Mitarbeiter zu erstellen. Ein weiteres Einsatzfeld ist die Routenoptimierung im Lieferprozess. Voss: "Viele LKWs fahren nach der Zustellung noch immer leer zurück. Das Verbesserungspotenzial ist an der Stelle noch immens."
Besonders lohnend ist der Einsatz von Analytics und Machine Learning in den klassischen Lagerprozessen. Hier geht es häufig um Optimierungsaufgaben, die sich in der Vergangenheit nur mit großem manuellem Aufwand bewältigen ließen: Welche Bestellung muss zuerst das Lager verlassen? Wann steht der LKW an der Laderampe? Wann startet das Frachtflugzeug? Im Bereich der Nachbestellungen (Replenishment) etwa habe man den Aufwand um ein Viertel reduziert, berichtet Voss. Insgesamt sei die Produktivität in den Lagerprozessen durch den Einsatz von Machine Learning um 13 Prozent gestiegen.
Robotic Process Automation
Ein Kernthema für Voss ist Robotic Process Automation: "Wir können damit große Potenziale in relativ kurzer Zeit heben." Allein im Bereich DHL Supply Chain habe man rund 400 "Opportunities" identifiziert, etwa 130 RPA-Projekte seien bereits abgeschlossen. Das Einsatzgebiet ist breit. "Im Prinzip eignet sich RPA überall, wo es wiederkehrende Prozesse gibt", urteilt der IT-Manager. Das Spektrum reiche über die gesamte Lieferkette: Von Tracking- und Tracing-Prozessen über klassische Datenein- und ausgaben bis hin zur automatisierten Bestellung von Mitarbeiter-Handys. Voss hat dafür ein eigenes Center of Excellence auf die Beine gestellt, das RPA-Lösungen als Dienstleistung anbietet.
Entlastung im IT-Betrieb erhofft sich Voss von einer hybriden Cloud-Strategie. Für neue Services oder Optimierungen gelte grundsätzlich die Devise "Cloud First". Man prüfe generell zuerst, ob sich eine Anwendung auch über ein SaaS-Modell (Software-as-a-Service) nutzen lasse.
Anders verhält es sich mit Eigenentwicklungen, die die Kernprozesse von DHL Supply Chain steuern. Hier greift der CIO auf eine Private-Cloud-Infrastruktur zurück, die der interne Dienstleister DHL IT-Services über drei eigene Rechenzentren in Europa, Asien und Nordamerika bereitstellt. Voss: "Je näher eine Anwendung an unserem Kerngeschäft ist, desto eher betreiben wir sie in der Private Cloud." Dafür gebe es unter anderem Datenschutzgründe.
Blockchain in der Logistik
Auf dem Trendradar der DHL-Auguren poppt auch das Thema Blockchain auf. "Uns geht es dabei zunächst um ein paar grundsätzliche Fragen", erläutert der CIO: "Was kann die Technik leisten? Was können wir davon lernen, und was lässt sich schon konkret in der Logistik und bei unseren Kunden einsetzen?" Erste Schritte sind die Bonner gegangen. Im DHL Blockchain Center of Excellence entstand die Blockchain-Plattform BLESS (Baseline Eco-System Services). Sie soll unter anderem die vielen papierbasierten Prozesse im See- und Luftfracht-Geschäft automatisieren und effizienter abwickeln.
Für den erfolgreichen Einsatz der Distributed Ledger-Technik sieht Voss drei Voraussetzungen: Die Plattform müsse auf offenen Standards basieren, unabhängig von bereits bestehenden IT-Systemen arbeiten können und insbesondere stark fragmentierte Prozesse abwickeln, um den größtmöglichen Nutzen zu erzeugen. BLESS etwa basiere auf Open-Source-Software und sei auf die besonders kleinteiligen Abläufe im Frachtgeschäft zugeschnitten.
Agilität im Kerngeschäft
Mit agilen Methoden und dem Konzept einer IT der zwei Geschwindigkeiten (Bimodal IT) setzt sich Voss schon seit längerem auseinander. Der oft kontrovers geführten Diskussion um die Vor- und Nachteile kann er wenig abgewinnen: "Natürlich ist Zero Downtime und Stabilität unverzichtbar für unser Kerngeschäft. Gleichzeitig können wir aber auch hier nicht auf agile Methoden verzichten". Am Ende gehe es darum, auch die Kernsysteme agiler zu machen und Veränderungen schneller umzusetzen.
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Nach seinem Amtsantritt sei es ihm auch darum gegangen, die Rolle des CIO neu zu interpretieren, blickt Voss zurück: "Weg vom klassischen IT-Dienstleister und hin zur einer zentralen Business-Funktion." Dass er in Personalunion auch als Chief Operating Officer (COO) agiert, habe ihm geholfen.
Zu seinen Aufgaben gehöre es auch, die Mitarbeiter in Sachen digitale Transformation mitzunehmen: "Wir brauchen eine digitale Kultur im Unternehmen. Jeder Kollege, gerade auch in den operativen Bereichen, muss Digitalisierung spüren und erleben können." Er selbst sieht sich dabei in der Pflicht und tritt beispielsweise regelmäßig in Webcasts und Video-Blogs für die Belegschaft auf. Zehn Prozent seiner Arbeitszeit verwende er mittlerweile auf Kommunikationsaufgaben, sagt Voss, und: "Wir sehen eine eindeutige Korrelation zwischen dem Einsatz neuer Technologien und der Mitarbeiterzufriedenheit."