Lessons Learned

CIOs berichten über ihre Industrie-4.0-Projekte

11.02.2016 von Rolf Roewekamp
Unternehmen legen gerade die Basis für Industrie 4.0. Die Preisträger vom "CIO des Jahres" berichten über Projekte, Hindernisse und Erfahrungen.
  • Teilnehmer beim Roundtable waren CIO Francine Zimmermann von der Häfen und Güterverkehr Köln AG und CIO Uta Knöchel vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
  • ... sowie CIO Kurt Kruber vom Klinikum der Universität München und CIO Christian Niederhagemann vom Dortmunder Abfüllanlagenhersteller KHS
  • Der Hamburger Hafen betritt mit seinem Digitalisierungsprojekt weltweit Neuland
  • Beim Anlagenhersteller KHS gibt es keine Entwickler und keine Nerds mehr

Der Hamburger Hafen wächst. Laut einer eigenen Prognose erwartet die Hamburg Port Authority (HPA) im Jahr 2020 einen Umschlag von 11,7 Millionen Standardcontainern. Bis 2025 soll die Zahl auf 14,5 Millionen und bis 2030 auf 18,1 Millionen Container steigen. Ein Standardcontainer oder ein TEU (Twenty-foot Equivalent Unit) misst 20 mal 8 mal 8 Fuß oder 6,1 mal 2,44 mal 2,44 Meter. Zum Vergleich: Für das Jahr 2015 rechnet der Hafen mit einem Umschlag von 8,8 Millionen Standardcontainern, nach 9,7 Millionen im vergangenen Jahr.

"Der Hamburger Hafen wächst, aber auf dem begrenzten Hafenareal können und wollen wir Straßen, Schienen und Wasserwege nicht unbegrenzt ausbauen", sagt Sebastian Saxe, CIO und Chief Digital Officer (CDO) bei der HPA. "Um die Verkehrswege zu optimieren, setzen wir deshalb bereits seit geraumer Zeit auf neueste IT-Lösungen."

"Unternehmen dürfen hier nicht stillstehen", warnt Sebastian Saxe, CIO und Chief Digital Officer bei der Hamburg Port Authority. "Die große Gefahr besteht darin, dass der sogenannte Kodak-Effekt ganze mittelständische Industrien betreffen kann."
Foto: Joachim Wendler

Der Kodak-Effekt

Für Sebastian Saxe gibt es keine Alternative dazu, Megatrends wie Digitalisierung, Big Data oder Analytics, Mobile-IT oder Internet of Things für die eigene IT zu nutzen, mit ihnen die Geschäftsprozesse zu unterstützen oder sogar neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. "Unternehmen dürfen hier nicht stillstehen", warnt Saxe: "Die große Gefahr besteht darin, dass der sogenannte Kodak-Effekt ganze mittelständische Industrien betreffen kann."

Kodak, einst führender Anbieter der Fotoindustrie, hatte die Ausrichtung auf den Zukunftsmarkt der Digitalfotografie verpasst und musste schließlich das Geschäft mit fotografischen Ausrüstungen aufgeben. Ähnlich erging es dem Konkurrenten Agfa.

Um sich zukunftsfähig aufzustellen, startete Sebastian Saxe gemeinsam mit einem Team das Projekt "smartPORT logistics", für das er Ende 2015 als "CIO des Jahres 2015" in der Kategorie Mittelstand ausgezeichnet wurde. Unter dem Projektnamen bündelt die HPA verschiedene Infrastrukturvorhaben, mit denen sie das Verkehrs- und Infrastrukturmanagement auf dem Hafengelände verbessern will.

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Ein Projekt beschäftigt sich mit der Lkw-Logistik. Lkw, die Container im Hafen abholen wollen, werden so gesteuert, dass sie just in time am Terminal eintreffen. Bei Verkehrsstörungen können die Fahrer frühzeitig informiert werden und entscheiden, ob sie eine Pause auf einem freien Parkplatz einlegen oder eine Alternativroute wählen. So trägt die HPA dazu bei, die viel frequentierten Hafenstraßen zu entlasten.

"Wir betreten Neuland, das macht noch kaum jemand"

Um die Informationen bereitzustellen, nutzt die HPA modernste Technologien und hat bereits 2010 an den wichtigsten Verkehrsknotenpunkten im Hamburger Hafengebiet Messstellen installiert. Induktionsschleifen und Detektoren ermitteln präzise das Verkehrsaufkommen, die Art der Fahrzeuge und ihre Geschwindigkeit. Hinzu kommen noch Echtzeitdaten von Tagesbaustellen. "Damit betreten wir Neuland, das macht noch kaum jemand", berichtet Saxe anlässlich einer Round-Table-Diskussion am Tag nach der CIO-des-Jahres-Gala im Bayerischen Hof in München.

"Es ist ein Geben und Nehmen. Wir wissen, dass wir nicht alles alleine machen können. Deswegen müssen wir offen sein und uns bei der Digitalisierung austauschen", sagt Francine Zimmermann, CIO bei der Häfen und Güterverkehr Köln AG.
Foto: Joachim Wendler

"Wir müssen erst einmal unsere Hausaufgaben machen"

Dass der Sprung in die digitale Zukunft gut vorbereitet sein will, unterstrichen auch die anderen Diskussionsteilnehmer: CIO Francine Zimmermann von der Häfen und Güterverkehr Köln AG (HGK), CIO Uta Knöchel vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) sowie CIO Kurt Kruber vom Klinikum der Universität München und CIO Christian Niederhagemann vom Dortmunder Abfüllanlagenhersteller KHS. "Wir müssen erst einmal unsere Hausaufgaben machen, und im nächsten Schritt zu digitalisieren. Sonst funktioniert das nicht", sagte Francine Zimmermann.

Dabei besteht die Aufgabe nicht nur darin, die eigene IT vorzubereiten, sondern auch den Gedanken und die Folgen der Digitalisierung zu verdeutlichen. "Wir müssen das Umdenken anstoßen und ein Gefühl dafür vermitteln: Wenn wir zukünftig wettbewerbsfähig bleiben wollen, dann müssen wir uns im Bereich Digitalisierung weiter nach vorne bewegen", sagte Zimmermann.

Über die drastischen Folgen der Digitalisierung aufklären

In dieselbe Kerbe schlug Saxe. "Wir müssen darüber aufklären, wie sich Digitalisierung in der Praxis auswirkt. Dafür brauchen wir anschauliche Beispiele wie Uber und MyTaxi für das Taxigewerbe, Airbnb für das Hotelgewerbe oder die Musik- und Medienbranche. Damit kann jeder auf die Idee kommen, dass es auch die eigene Branche und das eigene Unternehmen treffen kann."

Laut Saxe sind inzwischen auch die internationalen Häfen betroffen, das habe die Welthafenkonferenz gezeigt, die im Juni 2015 in Hamburg stattfand. "Die Diskussion geht jetzt bei den Häfen los, weltweit stehen sie vor den gleichen Herausforderungen", berichtete Saxe.

Technisch schon viel möglich - rechtlich oft wenig

Vor großen Umwälzungen stehen auch die Krankenhäuser. "Technisch ist schon unheimlich viel möglich", betonte Uta Knöchel vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. Das Problem liege vor allem auch in rechtlichen Schranken. So darf beispielsweise ein Arzt seine Patienten in Videokonferenzen nur informieren, aber nicht beraten und das Gespräch abrechnen. Damit fehlt bisher die rechtliche Grundlage beispielsweise für eine Fernbehandlung in ländlichen Regionen.

"Uns macht nicht die Zusammenarbeit zu schaffen, sondern die proprietären Formate der Geräte", brachte CIO Uta Knöchel vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein ein Kernproblem auf den Punkt.
Foto: Joachim Wendler

Mahnendes Beispiel elektronische Gesundheitskarte

Ähnlich verhält es sich mit der elektronischen Gesundheitskarte, die schon 2006 an den Start gehen sollte. Bis heute befinden sich nur rudimentäre Daten auf dem Chip, von Online-Funktionen nicht zu reden. "Selbst Notfalldaten oder Medikationsdaten stehen noch nicht mit Hilfe der Karte im Zugriff. Wir diskutieren immer noch über den Datenschutz und hoffen auf den Durchgriff des eHealth-Gesetzes", sagt Uta Knöchel. Solange die deutschlandweite Telematikinfrastruktur und der sichere Austausch von Daten mit Hilfe der elektronischen Gesundheitskarte noch nicht gegeben sind, fällt sie auch als Basis für weitere Projekte wie den signierten elektronischen Arztbrief, als Schlüssel für die elektronische Patientenakte oder das elektronische Rezept aus.

Beim CIO des Jahres gelang Uta Knöchel der Sprung unter die Top 10 in der Kategorie Großunternehmen mit dem 3-Jahres-Projekt "Zentralisierung der IT-Applikationen und IT-Services". Einen Platz unter die Top 10 errang auch ihr CIO-Kollege Kurt Kruber vom Klinikum der Universität München. Wie Knöchels Team betreut auch seine IT rund 10.000 IT-Anwender. Bei seinem Drei-Jahres-Projekt "Unified Communication - IP-Fest-Netz-Telefonie und Mobile Kommunikation im Klinikum" stellte der Leiter Medizintechnik und IT die Festnetzkommunikation auf Voice over IP um und bereitete den Ersatz der Krankenhauspiepser durch Mobiltelefone vor.

Mobile Patienten-Überwachung mit dem Smartphone

Außerdem hat das Klinikum eine zukunftsweisende App für die Patientenüberwachung auf einer Intensivstation eingeführt. Damit lassen sich beispielsweise Vitaldaten von Intensivpatienten auf das Smartphone des behandelnden Arztes und der Pflegekräfte übertragen. Sie erhalten sofort eine Nachricht, wenn sich bestimmte Parameter verschlechtern. Für das Klinikum liegt der Effizienzgewinn darin, dass sich weder Krankenpfleger noch Arzt immer in unmittelbarer Nähe des Patienten aufhalten müssen. "Damit haben wir als weltweit erstes Krankenhaus eine mobile Überwachung auf einem Smartphone realisiert", sagt Kruber.

"Von den 33 Unikliniken in Deutschland sind wir eine der wenigen, die IT und Medizintechnik aufgrund ihrer starken Vernetzung zusammengefasst haben", sagte Kurt Kruber, Leiter Medizintechnik und IT am Klinikum der Universität München (LMU)
Foto: Joachim Wendler

Handyverbot im Krankenhaus abgeschafft

Smartphones im Krankenhaus? Eigentlich sind die nicht erlaubt, weil sie medizinische Geräte stören könnten. "Wir haben als eine der ersten Kliniken das Handyverbot im Krankenhaus aufgehoben", fährt Kruber fort. Bisher musste es immer einen Mindestabstand von 3,3 Metern zwischen Handy und einem medizinischen Gerät geben. Doch wenn der Handybetrieb in kürzerer Entfernung wirklich so gefährlich wäre, dann hätte es tausende von Todesfällen geben müssen, da immer wieder Patienten und Besucher heimlich in der Hosentasche ein Mobiltelefon eingeschaltet haben.

"In einer Studie mit abschließendem Gutachten haben wir widerlegt, das Smartphones eine solche Gefahr darstellen, dass sie in der Entfernung Medizingeräte stören", sagt Kruber. Damit hatte die IT die Basis dafür gelegt, Projekte mit mobilen Geräten im Krankenhaus zu starten. Nur im OP-Saal und bei wenigen einzelnen Geräten dürfen im Umkreis von 1,5 Metern keine Smartphones angeschaltet sein.

Ein Drittel der weltweiten Daten werden Gesundheitsdaten sein

Das Thema Bring-Your-Own-Device stellt für Kliniken heute generell eine untergeordnete Fragestellung dar. Mehr Sorgen bereiten die großen Datenmengen wie sie ein Gen-Analyzer oder durch HD-Videos aus dem OP-Bereich produziert werden. Mit rund 300 klinischen Spezialsystemen aus Krankenversorgung, Medizintechnik, Forschung und Lehre hat es CIO Uta Knöchel zu tun. "Es wird erwartet, dass ein Drittel der weltweit erhobenen Daten Gesundheitsdaten sein werden. Diese Datenmassen müssen wir quantitativ und qualitativ erfassen, analysieren und bewerten. Darin liegt für uns die Herausforderung, das ist für uns Big Data."

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IT- und Medizintechnik-Abteilungen rücken in Krankenhäusern also immer enger zusammen, denn letztlich müssen alle Geräte vernetzt werden. Zwar verantwortet Knöchel nicht zusätzlich auch noch die Medizintechnik, doch mit ihr arbeitet sie eng zusammen. "Uns macht nicht die Zusammenarbeit zu schaffen, sondern die proprietären Formate der Geräte", brachte Knöchel das Kernproblem auf den Punkt.

Auf gut 37.000 Medizingeräte, vom Blutdruckmessgerät bis zum MRT, bringt es das Klinikum der Universität München, wie CIO Kruber erzählt. Das Besondere: Die MIT betreut hier auch die Geräte. "Von den 33 Unikliniken in Deutschland sind wir eine der wenigen, die IT und Medizintechnik aufgrund ihrer starken Vernetzung zusammengefasst haben", sagt der Leiter Medizintechnik und IT (MIT).

KHS führt Betriebs-IT und Corporate-IT zusammen

Dass Industrie 4.0 und Digitalisierung neue Organisationsformen brauchen, bestätigt auch CIO Christian Niederhagemann vom Abfüllanlagenhersteller KHS. "Wir führen gerade Teile der Betriebs-IT und der Corporate-IT zusammen. Bislang arbeiten sie noch getrennt", berichtet er. Dafür gründete er ein Team mit jeweils zwei Vertretern aus den Bereichen Engineering, Vertrieb und IT.

"Wir haben sehr viele Mitarbeiter weiterqualifiziert. Jetzt arbeiten hier Sourcing-Manager und Prozessberater. Und wir haben Branchenwissen. Entwickler gibt es nicht mehr im Haus", berichtete CIO Christian Niederhagemann von der KHS GmbH.
Foto: Joachim Wendler

Inzwischen sind die Mitarbeiter auch räumlich zusammengezogen. Bis dahin war nicht selbstverständlich, dass Projekte interdisziplinär und ohne Hierarchiegrenzen ablaufen können. "Es war eine Initiative aus der IT heraus", betont Niederhagemann. Es sei allerdings nicht ganz trivial gewesen, das hinzubekommen. "Wir von der IT hatten schon längere Zeit versucht, dafür Aufmerksamkeit im Unternehmen zu schaffen, bis hin ins Top-Management."

Es gibt keine Entwickler mehr im Haus

Aber auch im Team der IT musste sich einiges ändern, wollte man mit den Fachbereichen auf Augenhöhe zusammenarbeiten. So sucht man bei der KHS reine Techies inzwischen fast vergebens unter den IT-Mitarbeitern. "Wir haben sehr viele Mitarbeiter weiterqualifiziert. Jetzt arbeiten hier Sourcing-Manager und Prozessberater. Und wir haben Branchenwissen. Entwickler gibt es nicht mehr im Haus", sagt Niederhagemann.

Ein Ergebnis dieser neuen Zusammenarbeit ist das Projekt ECOS (Extended Customer and Offer Solution), mit dem es Niederhagemann beim CIO des Jahres ebenfalls unter die Top 10 in der Kategorie Großunternehmen schaffte. Mit der neuen Vertriebsplattform und den angepassten Prozessen kann KHS nun ein Angebot für eine neue Abfüllanlage innerhalb von wenigen Tagen erstellen. Zuvor hatte das noch mehrere Monate gedauert. Die neue Plattform deckt jetzt den gesamten Prozess von der ersten Datenaufnahme beim Kunden bis zum Angebot ab.

"Die Branche wandelt sich drastisch"

Starten konnte das CRM-Projekt bei KHS aber erst, nachdem die IT den Vorstand und das Sales Management überzeugt hatte und damit seine Unterstützung bekam. Ohne diese übergreifende Zusammenarbeit im Unternehmen werde es nicht mehr gehen. "Die Welt ist gerade extrem spannend, die Branche wandelt sich drastisch", sagt Niederhagemann. "Kunden und Lieferanten müssen enger eingebunden werden, Kundenanforderungen steigen massiv und die Geschwindigkeit nimmt immens zu."

CIO des Jahres 2015 - Großunternehmen: Bilder von der Preisverleihung
















































































































Umso wichtiger sei, sich in anderen Branchen und Unternehmen umzuschauen, wie CIO Saxe anmerkte. Der Hafen lerne gerade viel von der chemischen Industrie und deren Anlagen, weil auch sie an der Anbindung der Verkehrswege arbeite. Zudem hole sich Saxe natürlich auch Anregungen bei Logistikern wie Flughäfen. Denn ein Kreuzfahrterminal arbeite bei der Passagierabfertigung ähnlich wie ein Flughafen.

Gerade in dieser Phase, in der Industrie 4.0 und die Digitalisierung in den meisten Unternehmen noch ganz am Anfang stehen, kommt dem Netzwerken deshalb eine besonders große Rolle zu, meinte auch Francine Zimmermann von der Häfen und Güterverkehr Köln AG. "Es ist ein Geben und Nehmen. Wir wissen, dass wir nicht alles alleine machen können. Deswegen müssen wir offen sein und uns bei der Digitalisierung austauschen".

CIO des Jahres 2015 - Mittelstand: Bilder von der Preisverleihung





































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