Fachabteilungen werden zur verlängerten Werkbank der IT

Das Business muss die IT nicht verstehen

05.12.2008 von Christiane Pütter
Wer Regeln von Prozessen trennt und separat managt, ermöglicht Fachabteilungen, das Anwendungs-Management selbst zu übernehmen. Das behauptet zumindest Analyst Wolfgang Martin. Nicht umsonst haben Player wie IBM, SAP und Oracle Spezialisten aus dem Segment Rules Management eingekauft.

"Das Unverständnis zwischen IT und Business ist doch überhaupt kein Problem", verkündet Wolfgang Martin, SOA-Experte und Inhaber des gleichnamigen Beratungsunternehmens. "Rules Management umgeht diese Lücke." Konkret: Der Nutzer wird in die Erstellung der Anwendung einbezogen. Dadurch soll die IT eine Plattform schaffen, auf der das Business das Komponieren und Managen von Prozessen und Services selbst durchführen kann.

Rules Management
Analyst Wolfgang Martin
Die Bedeutung von Regeln.
Rules Management: Die Markteinschätzung nach Forrester.
Rules Management: Eine Marktübersiche nach IDC.
Grafische Darstellung von Rules Management.

?eispiel Kundenbindungs-Management: Eine Regel ist ein Rabatt, den das Unternehmen zum Geburtstag, bei langjähriger Kundentreue oder anderen Anlässen gewährt. Es handelt sich um eine schlichte Wenn-dann-Bestimmung. Geht es nach Wolfgang Martin, setzt sich der IT-ler mit dem Sachbearbeiter zusammen und formuliert alle relevanten Regeln.

Diese Rules müssen von den Prozessen getrennt betrachtet werden, denn ein Prozess hat viele Regeln, aber eine Regel kann zu vielen Prozessen gehören. Wolfgang Martin: "Das ist häufig vermischt worden, so dass Fehler entstanden sind." Seine Erfahrung: Wer Rules separat managt, dampft die Prozess-Tapete "von zehn auf ein Meter" ein.

Als Vorreiter im Rules Management sieht sich Thomas Cotic, Gründer der Firma Innovations, Immenstaad. Er hat eine Software entwickelt, die Business Rules grafisch darstellt und damit für Sachbearbeiter wie Anwendungs-Entwickler leicht nachvollziehbar machen soll.

Ziel ist es, über Regeln Applikationen zu beschreiben. Glaubt man Cotic, ist das für keinen Sachbearbeiter ein Problem: "Jeder, der Excel beherrscht, kann Regeln modellieren", sagt er. Die Fachabteilungen werden quasi in die Lage versetzt, das Anwendungs-Management selbst zu übernehmen.

Für Wolfgang Martin ist das die Antwort auf die Frage, wie es nach SOA (Service-orientierte Architektur) weitergeht. Rules Management sei ein Schritt in Richtung Industrialisierung der Software-Entwicklung. Wie etwa in der Herstellung von Autos können Business Services anhand vorgefertigter Komponenten mittels einer Service Delivery Platform aggregiert und konfiguriert werden. "Die Mitarbeiter in den Fachabteilungen werden zu Prozess- und Service-Managern, die IT nicht nur konsumieren, sondern IT-Produkte selbständig produzieren", sagt er.

Das scheint auch nötig - laut Martin gehen vier Fünftel der Kapazität einer durchschnittlichen IT-Abteilung für Wartung und Pflege der Systeme drauf. Wer da noch als Business Enabler fungieren will, muss innovative Potenziale nutzen.

In drei Jahren hat Rules Management den Durchbruch geschafft

Der Berater glaubt, dass die Dickschiffe der Branche bereits auf den Zug aufgesprungen sind. Schließlich hat IBM den Spezialisten ILOG gekauft, Oracle hat Haley eingesackt - beides Unternehmen, die die Analysten von Forrester als Leader im Segment Business Rules Platforms identifiziert haben. SAP hat außerdem die indische Yasu Technologies übernommen. In spätestens drei Jahren, so Wolfgang Martins Prognose, hat Rules Management den Durchbruch geschafft.

Innovations-Gründer Thomas Cotic hatte keine Lust, sich von einem der Riesen schlucken zu lassen. Sein Unternehmen gehört seit September zur Bosch-Group. Der Mann vom Bodensee gibt offen zu, dass ihm ein schwäbisches Markenunternehmen lieber war als ein internationaler Player, der die Marke Innovations - die es nach wie vor gibt - verschwinden lässt.

Bisher stellt sich die weltweite Anbieterlandschaft für Rules Management-Systeme übersichtlich dar. Nach den Zahlen des Marktforschers IDC haben im vergangenen Jahr ILOG mit 23 Prozent Marktanteil und Fair Isaac mit 21 Prozent den Löwenanteil unter sich aufgeteilt. Die Nummer drei, CA, erreicht dreizehn Prozent.

Zusammengenommen kommen alle Anbieter auf einen Umsatz von rund 260 Millionen US-Dollar, laut IDC noch keine kritische Masse. Mehr als die Hälfte davon (51 Prozent) wird mit Kunden aus Amerika erwirtschaftet. Europa hält 35 Prozent und der Raum Asia/Pazifik 14 Prozent. IDC erwartet, dass die Nachfrage innerhalb der kommenden fünf Jahre steigt. Als Ursachen nennen die Analysten einerseits den Bedarf an flexibler IT-Architektur, andererseits das wachsende Bewusstsein für Governance, Risk und Compliance.

Auch Berater Martin und Unternehmer Cotic gehen davon aus, dass der Bedarf an Rules Management vor dem Hintergrund steigender Compliance wächst. Wolfgang Martin: "Durch die hohe Transparenz, die solche Lösungen ermöglichen, wäre die Finanzkrise vermeidbar gewesen."