Studie von PwC

Die Digitale Fabrik 2022 in Deutschland

30.06.2017 von Werner Kurzlechner
Unternehmen in Deutschland planen einen massiven Ausbau der digitalen Fabriken. Die PwC-Berater erwarten viele positive Auswirkungen. Probleme bleiben eine digitale Kultur in den Unternehmen und der Fachkräftemangel.
  • Insgesamt 91 Prozent der Anwender investieren in Digitalisierung
  • Die Investitionen werden sich wohl erst nach einigen Jahren rechnen
  • 81 Prozent beklagen Fachkräftemangel
  • Vernetzte Sensorik und 3D-Druck sind die wichtigsten Schlüsseltechnologien
  • Nur ein Fünftel plant Offshoring in Niedriglohnländer
Die wichtigsten Aussagen der PwC-Studie in der Übersicht.
Foto: PwC

Die Digitalisierung ist hierzulande bekanntlich auch ein Angstthema, das Sorgen um Arbeitsplatzverluste auslöst. Eine Studie von PwC zu Industrie 4.0 argumentiert demgegenüber, dass die Entwicklung für die hiesige Wirtschaft am Ende ein Segen sein dürfte. Der Trend zur digitalen Fabrik stärke den Industriestandort Deutschland, schlussfolgern die Analysten. Der Mensch stehe dabei im Zentrum.

Und überhaupt: "Die Digitalisierung ist eine riesige Chance für die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft", sagt Reinhard Geissbauer, bei PwC Leiter Industrie 4.0 EMEA und Geschäftsführer der hauseigenen Strategieberatung Strategy&. "Sie wird sich positiv auf Wohlstand und Lebensstandard auswirken und den Standort Deutschland weiter stärken."

64 Prozent wollen Kapazitäten in Deutschland erhöhen

200 deutsche Industrieunternehmen hat PwC für die Studie "Digital Factories 2020 - Shaping the future of manufacturing" befragt. Es handelt sich also trotz des englischen Studientitels um eine auf die Bundesrepublik fokussierte Untersuchung. Sie zeigt unter anderem als Stütze der positiven Kernaussage eine starke Heimatorientierung der Anwender. Nur 19 Prozent der Befragten nennen Offshoring in Niedriglohnländer als Strategie bei der Auswahl von Produktionsstandorten. 64 Prozent hingegen geben an, ihre Kapazitäten in der Heimat stärken zu wollen. Zwei Fünftel wollen die Kapazitäten in der Nähe ihrer Kunden hochfahren.

Audi Smart Factory 2016
LBRinline
Ein Leichtbauroboter (LBR) "in der Linie" gibt bei der Produktion von Audi A3 und Q2 im Werk Ingolstadt die Antwort auf die gestiegene Komplexität: Bei der Montage des Plug-In-Hybridmodells A3 Sportback e-tron etwa gibt es im Vergleich zu herkömmlichen Modellen einige Unterschiede zu beachten. Der LBR stellt sich auf das jeweilige Modell ein und erledigt die Verschraubung der Unterbodenverkleidung an den jeweiligen Aufnahmepunkten in 20 Sekunden. Den Arbeitern bleiben so "Überkopfarbeiten" erspart.
FlexShapeGripper
Die Mensch-Maschine-Kooperation könnte mit dem flexiblen Greifarm von Festo auf ein neues Level gehievt werden. Audi erprobt den FlexShapeGripper derzeit, der Objekte greifen, halten, anreichen oder montieren kann. Für Audi eröffnet der FlexShapeGripper "neue Perspektiven im breiten Feld der Mensch-Roboter-Kooperation".
motionEAP
Beim nicht-kommerziellen Forschungsprojekt motionEAP handelt es sich um einen smarten Montagetisch. Die Technik dahinter stammt von Microsoft: Ein Kinect-System überprüft den Arbeitsstand und projiziert Texte, Videos oder Fotos auf den Werktisch.
"Schlauer Klaus"
Bereits im Serieneinsatz befindet sich hingegen das von der Firma Optimum aus Karlsruhe entwickelte Montagesystem "Schlauer Klaus". Zum Einsatz kommt das System bei der Verkabelung von Türen. Damit bei dieser komplexen Aufgabe (mehrere hundert Verkabelungs-Varianten) nichts schiefgeht, überwachen zwei hochauflösende Kameras aus der Vogelperspektive, ob alle Steckverbindungen richtig sitzen.
Fernwartung
Das Audi Fernwartungsportal ist bereits seit einigen Jahren im Einsatz und soll künftig auch eine präventive Wartung von Maschinen und Anlagen aus der Ferne ermöglichen.
Smart Analytics im Presswerk
Den immer engeren Prozessfenstern im Presswerk begegnet Audi mit Messtechnologien: Sensoren und Kameras untersuchen die Bleche auf Fehler, intelligente Werkzeuge überwachen die Qualität ihrer eigenen Arbeitsschritte. Das Ziel dieses Vorgehens: jedes Blechteil lückenlos zu dokumentieren und die Daten für stabilere Prozesse und höhere Präzision zu verwerten.
Virtuelle Fügeanalyse
Um die Qualität eines fertig geplanten Automodells beurteilen zu können, nutzt Audi die virtuelle Fügeanalyse. Hierbei wird mittels eines 3D-Scanners eine exakte, virtuelle Kopie des Autos erstellt. An diesem Modell können nun beispielsweise Spaltmaße und Karosseriefugen überprüft werden.
Fahrerlose Flurförderfahrzeuge
Audi setzt seit Januar 2017 fahrerlose Flurförderfahrzeuge ein. Sie nutzen Sensorik und Algorithmen, um sich selbständig fortzubewegen und vermessen ihre Umgebung mit Laserscannern. Sämtliche Flurförderfahrzeuge sollen künftig miteinander vernetzt und über eine zentrale Steuerung ins Produktionssystem integriert werden.
Autonome Stapler
Auch Gabelstapler werden künftig autonom fahren. Die Ingolstädter planen einen ersten Test-Einsatz für die Anlieferung von Kleinteilen. 3D-Laserscanner und Sensorik soll für den gefahrlosen Einsatz der selbstfahrenden Stapler sorgen. Audi verspricht sich von ihrem Einsatz weniger Flächenverbrauch, eine effiziente Transportabwicklung und ein geringeres Unfallrisiko.

Die digitale Fabrik stehe ganz oben auf der Management-Agenda der Industrie, betont PwC. 91 Prozent der Fertigungsunternehmen in Deutschland investierten in die digitale Produktion. "Davon erhoffen sie sich vor allem Effizienzsteigerungen und eine größere Nähe zum Kunden, um flexibler auf die veränderten Anforderungen reagieren zu können", so die Analysten.

Aktueller Stand der Digitalisierung in Deutschland

Klar macht die Studie indes auch, dass der Weg zur komplett digitalen Fabrik für die meisten Unternehmen noch weit ist. Nur 6 Prozent der Befragten vermelden für sich eine komplette Digitalisierung. Immerhin 44 Prozent sagen, dass sie weithin digitale Technologie einsetzen. Diese Fabriken sind partiell integriert und verbunden. 41 Prozent nutzten digitale Technologie lediglich für Stand-Alone-Lösungen.

Die Grafik zeigt die wichtigsten Gründe dafür, in die digitale Fabrik zu investieren.
Foto: PwC

Ziele der digitalen Transformation

Die Hoffnung auf Effizienzsteigerungen durch Digitalisierung hegen nahezu alle Unternehmen. Drei Viertel betonen, dass eine digitale Fabrik vor Ort effizienter sei als ein Offshore-Standort. Relativ schwach ausgeprägt sind demgegenüber andere Erwartungen. Nur etwa die Hälfte der Befragten setzen auf Individualisierung und Personalisierung bei der Produktpalette und auf niedrigere Transport- und Logistikkosten durch Regionalisierung.

Ein schneller Erfolg dürfte die digitale Fabrik in der Regel nicht sein. 48 Prozent rechnen damit, dass sich ihre Investitionen erst in fünf Jahren amortisieren, 26 Prozent erwarten einen Return-On-Investment in drei bis vier Jahren. "Nach der anfänglichen Euphorie vor einigen Jahren ist der Realismus zurückgekehrt", sagt Geissbauer. "Unternehmen planen ihre Investitionen sorgfältig, mit gezielten Initiativen und schätzen den ROI eher konservativ ein."

Effizienzsteigerungen um 12 Prozent erwartet

Die erwarteten Gewinne schätzen die Befragten im Durchschnitt sowohl hinsichtlich verbesserter Effizienz als auch beim Ertrag auf 12 Prozent. Von keinerlei Ertragssteigerungen gehen mit 22 Prozent recht viele Unternehmen aus. Besonders ausgeprägt ist mit 37 Prozent die Erwartung einer Effizienzsteigerung um 5 bis 10 Prozent.

Fehlende digitale Kultur und Fachkräftemangel

Die größten Hürden bei der Digitalisierung gibt es offensichtlich auf der Personalseite. 49 Prozent beklagen, dass ihre Mitarbeiter dem digitalen Wandel nicht offen gegenüber stehen. 52 Prozent meinen, dass ihrem Unternehmen eine echte digitale Kultur fehle. Die schlimmste Sorge scheint der Fachkräftemangel zu sein. "81 Prozent haben Schwierigkeiten, ihren Bedarf an qualifiziertem Personal zu decken", so PwC. "Dieses Manko wollen sie vor allem mit hohen Investitionen in die Aus- und Weiterbildung ihrer Belegschaft ausgleichen." Viele Befragte fordern aber auch eine Verankerung von technischem Wissen in der schulischen Bildung.

Zehn Tipps für das perfekte Personalmanagement
Zehn Tipps für das perfekte Personalmanagement
Die Digitalisierung birgt viele Verbesserungspotenziale im Personalmanagement. Professor Dirk Lippold, dessen Lehrtätigkeit auch Personal & Organisation umfasst, nennt zehn Maßnahmen, wie Unternehmen ihr Personalwesen optimieren können.
Suche nach Universalgenies ist Zeitverschwendung
Die Personalsuche wird in sehr vielen Fällen mit einer falschen Voraussetzung begonnen, nämlich der Stellenbeschreibung. Der Grund: Angesichts der wirtschaftlichen Dynamik innovativer Märkte bleibt auf mittlere Sicht kaum eine Stelle unverändert. Viel wichtiger ist also das Anforderungsprofil, das als Sollprofil der gesuchten Qualifikation besonders auch zur bewerbergerechten Segmentierung des Arbeitsmarktes dient. Aber Vorsicht: Recruiter sollten sich trotz hoher Anforderung die Suche nach dem Universalgenie abschminken.
Kein Tunnelblick auf Noten
Noten sind natürlich von Bedeutung. Personaler neigen jedoch dazu, sie als Zulassungskriterium für Vorstellungsgespräche zu stark zu bewerten. Das ist kurzsichtig und wenig hilfreich, um die richtigen Kandidaten für den ausgeschriebenen Job zu finden.
Im Einstellungsgespräch zählt nur noch Persönlichkeit
Im Einstellungsgespräch sollte das Augenmerk vorranig auf die Persönlichkeit des Kandidaten gerichtet werden. Noch wichtiger als Sachkenntnisse sind nämlich jene Skills, die für das Unternehmen erst später sichtbar werden. Dazu zählen Einstellungen, Werte, Motivation, Verhaltensmuster, Sensibilitäten und Loyalität.
Mehr Budget für die Personalauswahl
Unternehmen sollten einen Teil der Budgetgelder von der Personalentwicklung auf die Personalauswahl umschichten.
Onboarding schafft Vertrauen und Bindung
Neuen Mitarbeitern sollten speziell in der Anfangszeit im Zuge des Onboardings ein hohes Maß an Aufmerksamkeit zuteil werden. Eine wirksame Maßnahme ist, den Neuling am ersten Tag nicht nur an seinen neuen Arbeitsplatz „zu setzen“, sondern ihn im Rahmen eines Einführungsseminars zusammen mit anderen neuen Beschäftigten willkommen zu heißen und über den Betrieb nachhaltig zu informieren. Ein solches Onboarding kann durchaus mehrere Tage umfassen und sollte von der Geschäftsleitung und dem Personalmanagement begleitet werden.
In ein gerechtes Gehaltssystem investieren
Das Gehaltssystem ist der größte Hygienefaktor eines Unternehmens. Wird es von den Mitarbeitern als ungerecht empfunden, hat das Management ein Problem, das ihm mindestens einmal im Jahr auf die Füße fällt.
Das Management braucht digitales Know-how
Digitale Transformation wird ohne die richtige Unternehmensführung nicht funktionieren. Das heißt, dass auch Manager sich weiterbilden müsssen, denn ohne digitales Know-how sind out.
Talentmanagement ist out – Talentpool ist in
In vielen Unternehmen ist das Talentmanagement darauf ausgerichtet, standardisierte Führungsklone als künftige Vorgesetzte zu produzieren. Im Hinblick auf die digitale Transformation ist es aber ratsam, Führungskräfte hinsichtlich der Eignung für den virtuellen Kontext auszuwählen beziehungsweise entsprechende Personalentwicklungsangebote (Beziehungstraining) anzubieten.
Weibliche Führungsnachwuchskräfte aufbauen
Die High Potentials unter den weiblichen Arbeitnehmern werden immer wichtiger für alle Unternehmen. Um Frauen an den Betrieb zu binden und besser zu integrieren, ist neben einer familienfreundlichen Gestaltung der Arbeitszeiten gezielt auf die Förderung der Karriere von weiblichen Arbeitnehmern zu achten.
Entlassungsgespräche nicht ans Personalmanagement delegieren
Viele Vorgesetzte sind der Meinung, Entlassungen seien Aufgabe der Personalabteilung. Doch das ist ein Irrtum! Die Führungskraft – und niemand sonst – muss hier Flagge zeigen und Verantwortung übernehmen.

Von konstanter oder sogar wachsender Belegschaft gehen 56 Prozent der Befragten aus. Erwartungsgemäß steigen dürfte auf Sicht das Qualifikationsniveau in den Betrieben. In den kommenden fünf Jahren steigt laut Studie der Anteil an Mitarbeitern mit Hochschulabschluss in den befragten Unternehmen von 19 auf 24 Prozent, während jener von Mitarbeitern ohne berufliche Qualifikation im gleichen Zeitraum von 21 auf 17 Prozent sinkt.

"Es wäre ein großer Fehler, die Bedeutung des Menschen in der digitalen Fabrik zu unterschätzen", sagt Analyst Geissbauer. "Bei diesem Prozess müssen die Firmen ihre Mitarbeiter eng einbinden und mitnehmen."

Prozesse, Ressourcen und Produkte optimieren mit Data Analytics

Der PwC-Experte betont ferner die Bedeutung von Daten als Treiber der digitalen Fabrik. "Viele Unternehmen setzen Data Analytics bereits ein, um ihre Ressourcen und Prozesse zu optimieren", so Geissbauer. "Die verschiedenen Punkte innerhalb der Fabrik und im gesamten Ökosystem zu verbinden und Informationen intelligent zu nutzen, wird für Unternehmen elementar wichtig, um wettbewerbsfähig zu bleiben." 30 Prozent der Befragten nutzen schon heute Datenanalysen, um ihre Prozesse und Produktqualität zu optimieren. 2022 soll der Anteil bei 65 Prozent liegen.

Der technologische Blick auf die digitale Fabrik findet deshalb nur mühsam halt, weil unter dem Begriff eine ganze Reihe an Einzeltechnologien zu subsummieren ist. "Bei den Konzepten steht Predictive Maintenance an erster Stelle", fasst PwC zusammen. 28 Prozent der Befragten planten ihre Wartung bereits heute vorausschauend. In fünf Jahren werde dieser Anteil bei zwei Dritteln liegen. "Bei den digitalen Technologien setzen die Unternehmen vor allem auf vernetzte Sensorik, 3D-Druck, Virtual/Augmented Reality, humanoide Roboter und Künstliche Intelligenz", so die Analysten weiter.

Bei Big Data und Konnektivitätstechnologien ist in den kommenden fünf Jahren ein großer Sprung zu erwarten.
Foto: PwC

Mit Zahlen unterfüttert bedeutet das für die Schlüsseltechnologien, dass die Nutzungsrate bei vernetzter Sensorik in den kommenden fünf Jahren von 39 auf 64 Prozent steigt. Beim 3-D-Druck geht es von 18 auf 37 Prozent hoch, bei Virtual/Augmented Reality von 13 auf 33 Prozent. Deutlich geringer ist das Niveau bei humanoiden Robotern (von 12 auf 22 Prozent) und bei Künstlicher Intelligenz (von 9 auf 20 Prozent). Nahezu gar keine Rolle spielen für die befragten Anwender Drohnen - und daran sollte sich 2022 kaum etwas geändert haben.

2022 haben 60 Prozent eine digitale Fabrik

Bei Konnektivitätstechnologien und Big Data Analytics gibt es insgesamt einen enormen Verbreitungsanstieg - nicht nur bei der vorausschauenden Wartung. Einen ganz ähnlichen Sprung sieht die Studie bei Big Data-getriebenen Prozessen und der Qualitätsoptimierung. Die durch Daten ermöglichte Ressourcenoptimierung wird bereits heute von 52 Prozent der Befragten genutzt. 2022 sind es voraussichtlich 77 Prozent.

Eine vernetzte Fabrik und integrierte Planung haben heute jeweils rund 30 Prozent der Befragten, in fünf Jahren wird der Anteil um die 60 Prozent liegen. Mehr als zwei Fünftel werden 2022 digitale Zwillinge der ganzen Fabrik und ihrer Produkte nutzen - eine Verdopplung gegenüber dem heutigen Stand.

"Ziel der digitalen Fabrik ist die Fertigung von 'Losgröße 1'"

"Das Ziel der digitalen Fabrik ist die Fertigung von 'Losgröße 1' - das für jeden Kunden zu möglichst niedrigen Kosten maßgeschneiderte Produkt", lautet Geissbauers Fazit. "Dabei bekennen sich die Unternehmen klar zum Standort Deutschland und zur Produktion im Herzen von Europa - denn 93 Prozent der Befragten, die Ausbaupläne für ihre digitalen Fabriken haben, wollen diese Investitionen in den kommenden fünf Jahren zumindest teilweise in Deutschland tätigen."