SAP Best Practices

Die Schablone muss passen

05.07.2004 von Holger Eriksdotter
Vorkonfigurierte Software soll die Einführung verkürzen, die Anpassung erleichtern und weniger externe Beratung erfordern. Aber nicht immer lohnen sich die schlüsselfertigen Lösungen, wie eine Auftrags-Studie von SAP belegt.

In nur sechs Monaten hat Automobilzulieferer Oberaigner im österreichischen Nebelberg ein R/3System installiert und zum Laufen gebacht. Ein Projekt, das üblicherweise Monate länger dauert. Möglich war das, weil die vorinstallierte Branchenlösung "Automotive" im Wesentlichen die Geschäftsprozesse des Daimler-Chrysler-Systemlieferanten für Allradkomponenten abdeckte. "Ohne die Best Practices hätten wir die Einführung des ERP-Systems im vorgegebenen Zeitrahmen überhaupt nicht geschafft", sagt Hubert Springer, Leiter IT des Automobilzulieferers.

"Best Practices" sind vorkonfigurierte Lösungen zur Implementierung von SAP-Software. Damit wollen die Walldorfer vor allem Mittelständlern die Angst vor langatmigen, teuren SAP-Einführungen nehmen: Statt aufwändig das nackte SAP-Gerüst auf die Firmenbedürfnisse anzupassen, bieten Best Practices vorgefertigte Standardprozesse, die im Unternehmen nur noch einen geringen Anpassungsaufwand erfordern. So glich Springer zugleich die Unternehmensabteilungen an die in SAP angelegten Strukturen an. "Die Voraussetzungen waren optimal, weil wir mit dem Umzug in das neue Werk auch einen kompletten Neuanfang bei unserem ERP-System gemacht haben", so der IT-Leiter.

Best Practices gibt es sowohl in branchenspezifischer Ausprägung wie beispielsweise Automotive, Wholesale oder High-Tech als auch als branchenübergreifende Pakete wie BI, CRM, SCM oder PLM. Sie enthalten drei Komponenten: strukturiertes Einführungsverfahren, Dokumentation mit Konfigurationsleitfaden und vorkonfigurierte Inhalte, um "schlüsselfertige" Kernprozesse lauffähig zu machen.

Martin Selchert, Professor an der Fachhochschule Ludwigshafen, kam in einer von SAP in Auftrag gegebenen Studie zu positiven Ergebnissen: Rund 20 Prozent Kostenvorteil brachten die Best Practices im Schnitt aller ausgewerteten Projekte. Besonders deutlich fiel der Preisvorteil bei SCM/SRM (Supply Chain Management/Supplier Relations Management) mit 26 Prozent und bei ERP-Projekten mit 22 Prozent aus. Auch die Projektlaufzeit verkürzte sich im Durchschnitt um etwa 22 Prozent. Am stärksten macht sich der Untersuchung zufolge der Zeiteffekt bei ERP-Einführungen (25 Prozent) bemerkbar, am wenigsten bei PLM-IT-Asset-Management-Implementationen mit etwa zehn Prozent. Für die Studie hat Selchert weltweit alle rund 300 Unternehmen befragt, die zwischen August 2001 und August 2003 eine Best-Practice-Lösung bei SAP angefordert hatten. Davon antworteten 109 nicht oder nahmen nicht an der Auswertung teil, ein weiteres Drittel verzichtete ohne Prüfung auf den Einsatz der Best Practices.

Zu komplex und oberflächlich

Aber nicht immer machen die vorgefertigten Lösungen Sinn. "Es gibt Fälle, in denen das Einarbeiten in die Vorkonfiguration und Dokumentation sowie die Anpassung der Best-Practice-Lösung an die unternehmensspezifischen Anforderungen in Summe mehr Zeit erfordern als eine vollständige Eigenkonfiguration", sagt Selchert. Aufschluss darüber geben die Begründungen der 44 Unternehmen, die sich erst nach eingehender Prüfung gegen die Best Practices entschieden haben (siehe Grafik). Denn hier zeigt sich das grundsätzliche Dilemma: Während neun Unternehmen die Lösungen als unpassend für ihre Branche oder ihr Unternehmen einstuften und weitere acht sie als zu komplex und aufwändig betrachteten, gab es drei Unternehmen, denen die Modelle zu grob und oberflächlich erschienen. Andere verzichteten auf den Einsatz, weil sie einen nur marginalen Mehrwert erwarteten, sie technische Probleme fürchteten oder weil ihnen Berater abrieten.

So kamen zwei Teilnehmer bei der Implementierung von PLM IT Asset Management in eine seit Jahren genutzte R/3-Umgebung zu dem Schluss, dass die in den SAP Best Practices angelegte "Vollversion" ein "Schuss mit Kanonen auf Spatzen" gewesen sei. Die Lösung habe für zehn Prozent der Arbeitsplätze zu einer Änderung der Konfiguration und etablierten Abläufe auch aller anderen Arbeitsplätze geführt. In diesem Fall war die Eigenkonfiguration einfacher und schneller. Ein anderer Teilnehmer dieser Gruppe spricht von "Fluch und Segen der integrierten Systeme" und resümiert: "Die Best Practices passen auf nackte Systeme, aber nicht auf existierende Konfigurationen".

Mit weit weniger Problemen kämpfte IT-Leiter Springer von Oberaigner, obwohl das SAP-System für den 65-Mann-Betrieb zurzeit eher überdimensioniert ist. "Wir wachsen derzeit so schnell, dass wir vor allem Wert auf eine zukunftstaugliche Lösung gelegt haben", so Springer. Lediglich bei der Anpassung der voreingestellten Formulare lag der Aufwand weit höher als erwartet. Trotzdem konnte er das Projekt im geplanten Zeitrahmen abschließen. Als störend empfand der IT-Leiter allerdings, dass nach Projektende alle Berater ausgetauscht wurden: "Nachdem die Software dann lief, wurde die gesamte Projektmannschaft durch die Berater der Stammkundenbetreuung ersetzt; das war sowohl von der zwischenmenschlichen Seite als auch von der Kenntnis unserer Umgebung nicht sehr hilfreich." Trotzdem lautet sein Fazit: "Für unsere Aufgabenstellung waren die Best Practices eindeutig die beste Lösung."

Im Durchschnitt der untersuchten Projekte führten die durch SAP Best Practices verursachten Veränderungen der Projekt- wie der Einführungs- und Betriebskosten zu einer Senkung der Total Cost of Ownership (TCO) über den Zeitraum von drei Jahren um elf Prozent oder rund 245000 Euro. Neben der Zeit- und Kostenersparnis stieg auch die Projektergebnisqualität. Die Anwender verzeichneten eine verbesserte und stärkere Nutzung der Funktionalität, höhere Zufriedenheit der Projektbeteiligten und ein geringeres Projektrisiko.

Mehr als 1,7 Millionen Euro gespart

"Wenn man die gesenkten TCO zu den Durchschnittsmehrwerten zusätzlicher Prozesskostensenkung und Umsatzsteigerung addiert, dann ergibt sich ein Gesamtmehrwert durch SAP Best Practices in Höhe von 1,725 Millionen Euro", rechnet Selchert vor. Mit anderen Worten: Im Durchschnitt hat die Entscheidung für SAP Best Practices für das einsetzende Unternehmen diesen zusätzlichen Barwert geschaffen.

Die Projektkostensenkung hat daran lediglich einen Anteil von etwa 15 Prozent. "Für viele Implementierungsprojekte ist daher die ‚Reinvestition‘ der durch SAP Best Practices gewonnenen Produktivitätssteigerungen in eine erhöhte Projektergebnisqualität wertvoller als die Senkung der Projektkosten", stellt Selchert fest.

Allerdings müssen die richtigen Voraussetzungen vorliegen: "Ob sich Best Practices rechnen, kann man nur im Einzelfall entscheiden", sagt Studienleiter Selchert und rät zu gründlicher Evaluation. Denn dabei gehe es auch um die grundsätzliche Frage, ob man die Prozesse an die Software anpasst oder die Software an die Prozesse. "Ein häufiger Fehler ist es dabei, die Best Practices zu überschätzen und die vorkonfigurierten Prozesse in die Unternehmen zu prügeln", sagt Selchert. "Wenn aber die richtigen Voraussetzungen vorliegen und die Lösungen mit Augenmaß verwendet werden, senken sie Projektrisiko, -kosten, -laufzeiten und erhöhen Produktivität sowie Anwender-Zufriedenheit." Aber auch eine SAP-Implementation mit Best Practices bedürfe gründlicher Planung und sei nicht ohne Tücken: "Das ist keineswegs Plug & Play", warnt Experte Selchert.