Studie zeigt Schwachstellen

Digitalisierung leider keine Chefsache

17.02.2016 von Christoph Lixenfeld
Das Thema Digitalisierung ist noch nicht ausreichend in den Führungsetagen angekommen, so das zentrale Ergebnis der Lünendonk-Studie "Digitalisieren Sie schon?"
  • Lünendonk hat vor allem drei Baustellen ausgemacht: Kooperation, Wahrnehmung durch den Vorstand, Nutzung von Analytics zur Datenauswertung.

Um herauszufinden, wie weit Deutschland in diesem Bereich ist, hatten die Analysten von Lünendonk Verantwortliche aus 103 Großunternehmen zu ihrem Umgang mit Digitalisierung befragt. 28 Prozent davon stammten aus der Automotive-, 35 Prozent aus der Maschinenbau- und 37 Prozent aus der Logistikbranche.

Die Bedeutung der Digitalisierung im Branchenvergleich.
Foto: Lünendonk

Drei Viertel der Befragten waren CIOs und andere IT-Manager, lediglich neun Prozent Geschäftsführer oder Vorstände. Schon diese Verteilung beleuchtet ein zentrales Problem, mit dem sich Digitalisierung und alle, die sie vorantreiben wollen, in Deutschland herumschlagen: Chefs überlassen den Bereich gerne der direkt unter ihnen angesiedelten Ebene, sie kümmern sich nicht, sie lassen kümmern.

Der CEO gehört mit ins Boot

Nach Ansicht von Peter Buxmann ist das der falsche Weg. Der Professor für Wirtschaftsinformatik an der TU Darmstadt hatte die Lünendonk-Studie wissenschaftlich begleitet. "Dass die digitale Agenda Chefsache sein sollte, ist auch eines der Ergebnisse der Befragung von 40 Führungskräften, die ich im Sommer (des Jahres 2015) durchgeführt habe", schreibt Buxmann in seinem Vorwort zur im Aufrag von Lufthansa Industry Solutions erstellten Lünendonk-Untersuchung.

Natürlich könne ein CEO die Aufgabe nicht alleine stemmen, digitale Transformation solle idealerweise in einem Team aus Vorstand, CIO und Fachabteilungen umgesetzt werden.

Rolle von Digitalisierung nicht verstanden

Fast alle Unternehmen haben eine zentrale Digitalisierungseinheit.
Foto: Lünendonk

Voraussetzen für das Bilden solcher Teams ist es allerdings, dass alle Beteiligten der Digitalisierung dieselbe Bedeutung beimessen. Hier ist zwar noch Luft nach oben, so die Forscher von Lünendonk, aber insgesamt klettere das Thema auf den Prioritätenlisten sichtbar nach oben. Für 20 Prozent der analysierten Unternehmen habe die Digitalisierung bereits heute eine "sehr hohe Bedeutung".

Zählt man die eigene Zukunftsprognose der Befragten dazu, dann wird sich dieser Wert in den kommenden beiden Jahren auf 46 Prozent steigern. Je größer das Unternehmen, so eine weitere Feststellung der Studie, desto höhere Bedeutung misst es dem Thema zu.

CIOs treiben die Digitalisierung voran

Antreiber ist dabei im Wesentlichen der CIO: In 84 Prozent der befragten Unternehmen ist er derjenige, der entsprechende Strategien "immer" beziehungsweise "oft" vorantreibt. In der Automotive-Branche liegt dieser Anteil sogar bei 97 Prozent. Immerhin: In 62 Prozent der Fälle forciert das Topmanagement "oft" die Digitalisierungsstrategie.

Das andere Extrem: In der Logistikbranche sind die Vorstände in lediglich acht Prozent der Fälle "immer" der Treiber.

Bezüglich der Zusammenarbeit zwischen IT und Business offenbart die Studie noch Verständigungsprobleme. Bei der Hälfte der Unternehmen arbeiten Business und IT bereits sehr eng zusammen, wenn es um Digitalisierung und die dazu notwendigen Budgets geht.

Einbindung der IT viel zu gering

Etwas besorgniserregend ist, dass in nur 30 Prozent der Fälle die IT frühzeitig in Digitalisierungsprojekte von Fachbereichen eingebunden wird. Außerdem berücksichtigen nur 27 Prozent frühzeitig auch Aspekte der Datensicherheit und der Integrationsfähigkeit, wenn sie solche Projekte planen.

CIOs sehen sich fast immer als Treiber von Digitalisierungsprojekten.
Foto: Lünendonk

Interessanterweise deckt sich dieses Ergebnis mit einer aktuellen Studie von A.T. Kearney, die das europäische Marktpotenzial des Internets der Dinge (Internet of Things - IoT) analysiert. Wobei Digitalisierung im Allgemeinen und IoT im Speziellen zwar nicht synonym zu verstehen sind; aber ein Gutteil der Vorhaben gerade in den von Lünendonk untersuchten Branchen Maschinenbau-, Automotive und Logistik beschäftigt sich mit Robotik und Maschine-zu-Maschine-Kommunikation, und darum dreht sich ja auch das Internet der Dinge.

A.T. Kearney fragt in seiner Studie, ob Europa gerade dabei ist, die Milliarden-Euro-Chancen des IoTs zu verspielen, weil sowohl die Politik als auch die Unternehmen ihre Hausaufgaben nicht erledigen.

Nach Ansicht von Sebastian Schömann, Principal und IoT-Experte bei A.T. Kearney, müsse in diesem Umfeld insgesamt deutlich mehr als bisher für Datenschutz und für den Schutz der Privatsphäre insgesamt getan werden.

Die wenigsten sind schon Digital Leader

Ein Grund dafür, dass auf diesem Gebiet noch nicht mehr geschieht, könnte sein, dass der "Digitalisierungsreifegrad" in Deutschlands Unternehmen - auch nach mehr als 20 Jahren Diskussion darüber - laut Lünendonk noch immer zuzureichend ist. Lediglich fünf Prozent der 103 befragten Unternehmen fallen in die Kategorie "Digital Leader", haben sich also bereits konsequent und vom Management befeuert einer konsequenten Digitalisierung verschrieben.

Was konkrete Anwendungsfelder von Digitalisierung angeht, so ist die Durchdringung in den Unternehmen höchst unterschiedlich, so Lünendonk. Eine Mobile-Business-Strategie verfolgen fast alle der untersuchten Firmen. Im Bereich Big Data und Analytics wollen sie in den kommenden Jahren ihre Fähigkeiten massiv ausbauen, wobei es vor allem darum geht, Kundendaten konsequent zu sammeln und zu analysieren.

Bei der Nutzung digitaler Tools zur besseren Zusammenarbeit stellen aktuell 52 Prozent ihren Mitarbeitern entsprechende Möglichkeiten zur Verfügung, bis in zwei Jahren wollen dies 86 Prozent tun.

Industrie 4.0 gewinnt stark an Bedeutung

Auch Industrie 4.0 - Stichwort Internet der Dinge - wird bei den Befragten in den kommenden zwei Jahren stark an Bedeutung gewinnen. In zwei Jahren wollen 75 Prozent der Unternehmen - aktuell sind es 50 - Produkt- und Produktionsdaten systematisch mit Hilfe von Sensoren erheben.

Viel zu viel Altsoftware

Ersatzbedarf: Erschreckenderweise arbeiten nach eigenen Angaben 22 Prozent der Befragten Unternehmen mit einer IT-Landschaft, die "überwiegend Altsoftware" aufweist. Besonders in der Automotive-Branche ist dieser Anteil besonders hoch.

Lünendonk hat auch danach gefragt, wofür Unternehmen im Zusammenhang mit Digitalisierung Geld ausgeben und in Zukunft ausgeben wollen. Ergebnis: 44 der Befragten aus der Logistikbranche gaben an, "sehr hohe" Investitionen in Cloud Services zu planen. Außerdem wollen sie sich intensiv mit Analytics beschäftigen, um die Steuerung ihrer Supply-Chains weiter zu verbessern. Für die Automotive-Branche dagegen steht im Vordergrund, ihre veraltete Softwarelandschaft zu modernisieren.

Industrie: CIOs sind häufig die Chief Digital Officer und treiben Innovationen voran.
Foto: Lünendonk

Es geht um drei große Herausforderungen

Zusammenfassend offenbart die Lünendonk-Befragung drei Herausforderungen, denen sich Unternehmen beim Thema Digitalisierung stellen müssen.

Erstens ist die Zusammenarbeit zwischen IT-Abteilungen und Fachabteilungen verbesserungsfähig: Nur knapp 30 Prozent der Befragten gaben an, dass Fachbereiche die IT frühzeitig in Digitalisierungsprojekte einbinden. Eine Folge ist, dass IT-Sicherheit und Integration in die bestehende Struktur zu wenig Berücksichtigung finden.

Zweitens ist das Thema Digitalisierung vielfach noch nicht im Top-Management angekommen: In nur 40 Prozent der analysierten Firmen werden digitale Innovationen "from the Top" vorangetrieben.

Drittens haben bei der systematischen Nutzung von Daten im Zusammenhang mit Industrie 4.0 zwar viele Unternehmen ehrgeizige Pläne, sind aber aktuell von ihren Zielen noch recht weit entfernt.

Die Studie ist hier kostenfrei zum Download erhältlich.