Digitalisierung in der Energiebranche

Enel-CIO hievt die IT in die Amazon-Cloud

25.11.2016 von Wolfgang Herrmann
Der italienische Energiekonzern Enel steckt mitten in der digitalen Transformation. Weil die IT dafür flexibler und effizienter werden muss, migriert CIO Carlo Bozzoli 9500 Server und 1700 Applikationen in die Public Cloud von Amazon Web Services.

"Die Migration unserer Infrastruktur in die Cloud passt perfekt zu Enels Digital-Transformation-Strategie", sagt Carlo Bozzoli, Global CIO des größten italienischen Stromversorgers. "Sie macht das Unternehmen agiler und erlaubt es, proaktiv mit Marktveränderungen umzugehen."

Bemerkenswert am Cloud-Projekt ist vor allem dessen Umfang. Es betrifft Standorte in 30 Ländern und mehr als 9500 Server. Bozzoli schiebt dabei rund sechs Petabyte Daten auf Storage-Systeme in der Amazon Cloud. Komplex geriet das Vorhaben auch durch die rund 1700 Applikationen, die der Konzern-CIO schrittweise in die Wolke verlagert. "Enel ist der erste unter den weltgrößten Energieversorgern, der für seine Infrastruktur in vollem Umfang auf die Cloud setzt", kommentiert IDC-Analystin Roberta Bigliani. In der Regel verlagerten Unternehmen lediglich das Testing oder Entwicklungsarbeiten in die Cloud.

Enel-CIO Bozzoli: Die Cloud-Migration macht den Konzern agiler.
Foto: Enel

Cloud als Enabling-Technik für die digitale Transformation

Den Rahmen für das Großprojekt schafft die Konzernstrategie für die Jahre 2015 bis 2019. Der Energieversorger mit rund 61 Millionen Kunden will sich neue digitale Geschäftsmodelle erschließen und zugleich das existierende Business mithilfe neuer Technologien digitalisieren, sprich: Prozesse verbessern und die Effizienz steigern. Der Konzernumsatz soll um 14 Prozent zulegen, die Kosten um acht Prozent sinken. CIO Bozzoli entwickelte dazu eine IT-Strategie, die unter anderem eine komplette Umgestaltung der IT-Organisation vorsieht. Als Enabling-Technik spielt Cloud Computing dabei eine tragende Rolle.

Wie die meisten Energieversorger betreibt Enel mächtige Rechenzentren, um die benötigten IT-Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Eines der größten Data Center steht in Italien; ein weiteres RZ in Spanien nutzte der Konzern im Rahmen eines Outsourcing-Abkommens. Nach einer aufwändigen Analyse der Sourcing-Optionen entschied die Konzernleitung im Frühjahr 2015, IT-Infrastruktur künftig in Form von Cloud-Diensten zu beschaffen.

Ausschlaggebend waren laut den Enel-Verantwortlichen die Aspekte Zuverlässigkeit, Flexibilität und Skalierbarkeit, aber auch die fortgeschrittenen Automatisierungsfeatures moderner Cloud-Plattformen. Unterm Strich sprachen die Argumente klar gegen einen Eigenbetrieb und auch gegen klassische Outsourcing-Alternativen. "Cloud first" lautet die Marschrichtung in der Firmenzentrale in Rom seither, wenn es um IT-Infrastruktur geht.

Von Oktober 2014 bis März 2015 entwickelte das Team um Bozzoli ein Transformationsprogramm für die Data Center und bewertete die Angebote diverser Cloud-Provider. Aus Compliance-Gründen präferierten die Projektverantwortlichen einen Anbieter, der Rechenzentren in Kontinentaleuropa unterhält. Dass die Entscheidung im April 2015 zugunsten von Amazon Web Services (AWS) fiel, lag deshalb auch an der physischen Präsenz des US-Anbieters im Raum Frankfurt. Der Cloud-Riese punktete den Angaben zufolge aber auch mit seinem breiten Angebot an Infrastrukturdiensten sowie mit "wettbewerbsfähigen" Preisen.

Enel-Kohlekraftwerk in Genua: Der Energiekonzern steckt mitten in der digitalen Transformation.
Foto: Riccardo Arata - shutterstock.com

Wie die Applikationen in die Cloud kommen

Für die Migration der Infrastruktur verfolgt Enel eine mehrstufige Strategie. Im ersten Schritt etwa ging es darum, im Rahmen der "Cloud-first"-Policy sämtliche neuen Systeme "cloud-native" zu entwickeln. Die größte Herausforderung aber lag darin, vorhandene Lösungen in die Cloud zu transferieren, zumal Bozzoli parallel ein Programm zur Standardisierung und Optimierung des Anwendungsportfolios aufgesetzt hatte. In diesem Kontext sollten auch einige Altanwendungen durch Cloud-native-Systeme ersetzt werden.

Um den komplexe Migrationsprozess in den Griff zu bekommen, unterteilten die Italiener die rund 1700 Applikationen in die drei Kategorien "SAP-related", "Big Elephants" und "Others". Betrachtet man nur die Anzahl der Anwendungen, repräsentierte die letztgenannte Gruppe 80 Prozent des Bestands, beanspruchte allerdings lediglich 35 Prozent der IT-Ressourcen. Die Elefanten hingegen fraßen rund die Hälfte der verfügbaren Leistungen.

Alle SAP-bezogenen Anwendungen isolierte Enel von der AWS-Migration und verlagerten sie in die SAP-Cloud. In diesem Kontext entschied sich das Management auch für den Einsatz von SAP HANA. Der Migrationsprozess startete mit der Others-Gruppe, die weniger kritische Anwendungen umfasst und deshalb auch als eine Art Probelauf für die "Big Elephants" galt.

Letztere nahm Enel Anfang 2016 in Angriff. Zum großen Teil handelte es sich dabei um eigenentwickelte Anwendungen, die im spanischen RZ gehostet wurden, aber auch um komplexe Fachanwendungen etwa zur Steuerung der Energieverteilung am Standort Italien. Aus technischer Sicht war vor allem die Größe dieser Anwendungen ein Thema. In vielen Fällen beanspruchten sie mehr als 40 TB Speicherplatz. Innerhalb von neun Monaten gelang es dem Projektteam, rund 5500 Server samt Anwendungen in die AWS-Cloud zu transferieren. Weitere 4000 Rechner wurden temporär in das italienische Data Center überführt und sollen in einer zweiten Phase in die Wolke wandern.

Cloud Benefits: Flexibilität, Kosten, Geschwindigkeit

Zu den wichtigsten Vorteilen der Cloud-Migration zählen die Enel-Verantwortlichen die Flexibilität beim Bereitstellen von IT-Ressourcen. Diese lassen sich in der Cloud wesentlich einfacher nach oben oder unten skalieren. Damit sinkt auch das Risiko, Infrastrukturanforderungen für neue Initiativen falsch einzuschätzen. Enel ging mit relativ großen Amazon EC2-Instanzen (Amazons Elastic Compute Cloud) an den Start und reduzierte diese nach einer Optimierungsphase. Um den Provisionierungsprozess zu standardisieren, entwickelte die IT zudem einen internen Service-Katalog.

Diese Maßnahmen wirkten sich auch auf die Geschwindigkeit aus, mit der Ressourcen bereitgestellt werden können. Benötigte Enel in der Vergangenheit drei bis vier Wochen für eine komplette Provisionierung, soll sich die Zeitspanne in der Cloud auf nur noch zwei Tage verkürzt haben. DevOps-Teams etwa seien nun in der Lage, sich über den Servicekatalog in Eigenregie mit den benötigten Compute- und Storage-Diensten zu versorgen. Mit der Systemarchitektur auf Basis der Cloud-Services von AWS könne man zudem eine Verfügbarkeit von 99,9 Prozent gewährleisten.

Last, but not least bringt die Cloud-Strategie den Italienern auch handfeste Kostenvorteile. Bis dato hätten sich etwa die Storage-Aufwendungen um 60 Prozent reduziert, die Kosten für benötigte Rechenleistung seien um 20 Prozent gesunken. Ein weiterer Vorteil aus Sicht der IT-Verantwortlichen: Die tatsächliche Auslastung der Infrastruktur sei nun jederzeit nachvollziehbar, Kosten für nicht genutzte Ressourcen entfielen.

Amazon dominiert die Public Cloud

Für Amazon Web Services ist das Enel-Projekt ein wichtiger Meilenstein, um seine führende Position im Public-Cloud-Segment zu festigen. Nach Erhebungen von Synergy Research für das dritte Quartal 2016 hält AWS im weltweiten Markt für Public-Cloud-Services einen Anteil von 45 Prozent. Zwar weisen Microsoft und Google deutlich höhere Zuwachsraten aus. Doch Amazons Marktanteil ist noch immer mehr als doppelt so groß wie der der Verfolger Microsoft, Google und IBM zusammen. Im PaaS-Segment (Platform-as-a-Service) ist die Konkurrenz härter. Dennoch hält AWS auch hier einen deutlichen Vorsprung gegenüber Salesforce, Microsoft und IBM (siehe Grafik).

Die Konkurrenz wächst schneller. Doch der Vorsprung von Amazon Web Services im Public-Cloud-Markt ist noch immer immens.
Foto: Synergy Research Group