Komplexe Technik managen

Fehlerhafte Teile verfolgen

16.06.2006 von Christoph Lixenfeld
In unseren Autos kommt immer mehr Elektronik zum Einsatz. Gefordert sind dadurch nicht nur die IT-Abteilungen der Hersteller, sondern auch die der Zulieferer.

Die Schlagzeilen der Autobranche lesen sich schlecht: Volkswagen hat Probleme, weil die Marke VW zu teuer produziert und sich die mobilen Emotionen von Seat schlecht verkaufen.Mercedes kämpft mit Qualitäts- und Imageproblemen und die Schwestermarke Chrysler gegen die Rabattsucht der US-Kundschaft. Opel büßt dafür, zu lange vor strukturellen Problemen die Augen verschlossen zu haben. Doch abseits dieser Schlagzeilen ist von Krise nichts zu spüren: BMW und MAN geht es gut, Porsche sowieso, und auch Audi jagt von einer Erfolgsmeldung zur nächsten. Die Branche feiert bis heute Produktivitätsfortschritte: Neue Modelle werden mit 20 Prozent weniger Arbeitsstunden hergestellt als ihre Vorgänger. Außerdem sinkt die Fertigungstiefe. Porsche zum Beispiel produziert nur noch 20 Prozent eines jeden Fahrzeugs selbst.

Der Rest kommt von Zulieferern. Die können allerdings die Arbeitsplatzverluste der großen Hersteller nicht kompensieren, da sie unter hohem Kostendruck stehen. Gleichzeitig muss jeder einzelne Zulieferer immer mehr Systemverantwortung übernehmen. Continental zum Beispiel lieferte einstmals lediglich Reifen an die Fließbänder, heute produziert das Unternehmen ganze Achsen einschließlich der Bremssysteme.

Solche komplexen Bauteile ins Fahrzeug zu integrieren ist schwieriger denn je, und das liegt an der vielen Elektronik. „Etwa 100 Jahre lang wurden alle Teile eines Autos unabhängig voneinander entwickelt und eingesetzt“, so Manfred Broy, Professor für Software und Systems Engineering an der Technischen Universität München.„Heute dagegen gibt es über die Software unzählige Abhängigkeiten zwischen Automobilteilen und -funktionen.“ Broy geht davon aus, dass der Einsatz von Software im Auto noch mindestens 15 bis 20 Jahre lang im heutigen Tempo zunehmen wird.

Entsprechend softwarelastig und ganzheitlich sind auch die Entwicklungsprozesse geworden mit der Folge, dass die Integration der vielen Zulieferer von den Herstellern immer größere Anstrengungen verlangt. „Das Zauberwort heißt heute Funktionsorientierung. Das bedeutet, dass ein Zulieferer die Gesamtverantwortung für eine vom Kunden wahrnehmbare Funktion bekommt. Vereinfacht und akzentuiert ausgedrückt könnte BMW zu Continental sagen: Ich kaufe bei dir 35 Meter Bremsweg“, erläutert Alexander Suhm, Geschäftsführer von Nexolab. Die BMW-Tochter kümmert sich als Strategie- und Prozessberatung um die Umsetzung solcher Prozesse in der Automobil- und Fertigungsindustrie.

Eine reibungslose Zusammenarbeit der Komponentenhersteller soll vor allem verhindern, dass es an irgendeiner Schnittstelle zu Problemen und vielleicht sogar zu einem der imageschädigenden und teuren Rückrufe kommt. Ein großes Thema ist in der Branche deshalb PLM, das Product-Lifecycle-Management. „An diesem Punkt haben wir noch ein großes Stück des Weges vor uns“, räumt Alexander Suhm von Nexolab ein. „Es gibt bisher noch sehr viele unterschiedliche Systeme und viele Medienbrüche, insbesondere in der Durchgängigkeit von der Entwicklung bis zum Service.“

Konsortium für die Lieferkette

Um hier schneller und effizienter zu werden, gründete zu Beginn des Jahres ein Konsortium aus Autoherstellern, Zulieferern und IT-Anbietern: „Laendmarks“. Mit im Boot sitzen die IBS AG, Hersteller von Qualitäts-Management-Software, der RFID-Spezialist TBN und IBM Business Consulting Services. Die Initiative will ein durchgängiges System schaffen, mit dessen Hilfe sich bei Qualitätsproblemen jede Komponente in der Lieferkette bis zum ursprünglichen Hersteller zurückverfolgen lässt.

Ein weiteres IT-Thema der Branche ist auch im laufenden Jahr die gesamte Beschaffung und Logistik, obwohl man hier in der Vergangenheit bereits ein gutes Stück vorangekommen ist. Die Beschaffungsplattform Supply-On setzt sich immer mehr durch, bei einigen Anbietern bietet das Portal sogar die technische Basis für individuelle Lösungen, die sie unter der eigenen Marke anbieten. Für eine effiziente Logistik werden RFID-Tags immer wichtiger: BMW setzt die kleinen Funkchips ein, um unter 3000 auf unterschiedlichen Parkplätzen abgestellten Neufahrzeugen ein bestimmtes schnell wiederzufinden,VW nutzt die Technik, um die weltweite Versorgung mit Behältern für Montagefertigteile sicherzustellen. Und auch bei den Laendmarks-Plänen spielt RFID eine wichtige Rolle.

Intensive Gedanken macht sich die Branche aktuelle auch über das Thema CRM. „Die Hersteller müssen dafür sorgen, dass die Kunden mit Hilfe ihrer Autos einzigartige, positive Erfahrungen machen können“, so Thilo Koslowski, oberster Auto-Analyst beim Marktforschungsunternehmen Gartner. Einzigartig kann das Auto aber heute nur noch mit Hilfe der Elektronik werden. Softwarelösungen, die für eine Vernetzung des Autos mit Büro- oder Heimanwendungen seines Besitzers sorgen, haben alle Hersteller in der Pipeline. Solche Lösungen stellen die Macher vor ganz neue Herausforderungen. „Die Business-IT kommt über die Car-IT plötzlich direkt mit dem Kunden in Berührung, und bisher war sie häufig abgekoppelt von dem, was im Feld passiert“, so Alexander Suhm von Nexolab. Nach Ansicht von Gartner-Analyst Koslowski wird der Erfolg von Automobilherstellern vor allem davon abhängen, ob sie die Agilität haben, schnell auf Veränderungen zu reagieren.„Und der IT wird dabei die spielentscheidende Rolle zufallen, jene Infrastruktur und Werkzeuge zur Verfügung zu stellen, die diese Agilität sicherstellen.“

Fragt sich nur noch, welche Teile der IT die Unternehmen selber managen und welche sie anderen überlassen sollten, um diese Ziele am besten und am kostengünstigsten zu erreichen. Die beiden Antworten, die die Autobranche darauf gibt, sind typisch für einen Trend, der sich in der Industrie generell abzeichnet. Erstens: IT wird immer wichtiger für den Geschäftserfolg, deshalb will man selber das Steuer in der Hand behalten. Zweitens: Man unterscheidet ganz klar zwischen Commodity-Dienstleistungen und jenen Teilen der IT, die helfen, sich von der Konkurrenz abzugrenzen. Zu Ersteren zählen ERP-Anwendungen – SAP hat in der Branche eine flächendeckende Verbreitung – Netzwerke oder Desktop-Services. In die zweite Kategorie gehört vor allem die gesamte Produktionssteuerung.

Shared Services für Standard-IT

Wie das Ganze effizient voneinander zu trennen ist, demonstriert MAN. Das Unternehmen gründete ein Shared-Service-Center, das sämtliche Standarddienstleistungen anbietet. Nicht zuständig ist die Servicetochter dagegen für Anwendungen zur Produktionssteuerung und Produktentwicklung. „Diese Kompetenzen müssen in den betreffenden Teilkonzernen und Abteilungen bleiben,“ so MAN-CIO Wolfgang Brunn. „Nur so sind die geschäftskritischen Teile der IT in der Lage, unsere strategischen Ziele optimal zu unterstützen.“

Porsche geht einen sehr ähnlichen Weg: Die Mehrheitsbeteiligung MHP fungiert als Prozess- und IT-Berater, die 100-Prozent-Tochter PIKS liefert die Infrastruktur. Um Strategie, Portfolio, Projektmanagement und IT-Architekturen kümmert sich dagegen nach wie vor die interne IT. Nicht anders läuft es bei VW: Der Riesenkonzern, einer der größten SAP-Anwender Europas, hat seine IT-Tochter Gedas zwar gerade an T-Systems verkauft, behält aber den geschäftskritischen Teil der IT im Haus.Die Abteilung heißt in Zukunft „IT Process and Organisation“ und soll die wichtigsten Anwendungen stärker mit dem Business verzahnen. „Wir gestalten unsere Prozesse jetzt auf Basis der Kunden und Unternehmensanforderungen“, so Klaus-Hardy Mühleck.

Insgesamt erwarten Experten, dass die IT-Ausgaben der Branche steigen, wenn auch nur moderat. Denn dem Investment in die geschäftskritischen Bereiche steht wachsender Spardruck bei Standard-Dienstleistungen gegenüber. Jobmotor der Branche wird in jedem Fall die Fahrzeugelektronik sein: Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) geht hier bis 2015 von europaweit 600000 neuen Jobs aus.