Prognosen von CIOs und Marktforschern

Gute Aussichten

02.02.2004 von Johannes Klostermeier
So wenig Geld wie möglich für die IT zu spendieren lag in den vergangenen Jahren im Trend. Konservatives Handeln ist auch weiterhin gefragt. Doch das Jahr 2004 soll die Wende bringen. Es könnte das Jahr werden, in dem CIOs trotz unvermindert niedriger Budgets wieder mehr strategische Entscheidungen treffen.

"Das absolute Thema Nummer eins bleibt auch 2004 das Sparen und alles, was damit zusammenhängt", sagt Peter Sany. "Der Trend zur Kostenreduktion ist ungebrochen - und es bleibt auch die Frage, was IT wert ist", meint der ehemalige CIO des Pharmaunternehmens Novartis Sany (siehe auch S. 68). Im Dezember 2003 hatte die CIO-Schwesterpublikation "Computerwoche" den IT-Manager zum "Chief Information Officer 2003" gekürt. Für 2004 sieht Sany keine Erholung des IT-Markts: "Bei einem Meeting mit 20 CIOs von Firmen der gleichen Größenordnung hat nur ein Teilnehmer Steigerungen vermeldet, bei acht stagnierten die Budgets, bei den anderen lagen sie zum Teil signifikant unter dem Vorjahr."

Kosten - gerechnet wird weiter, gespart immer weniger

Die führenden Beratungshäuser sehen für dieses Jahr eine leichte Besserung: Gartner geht davon aus, dass die IT-Budgets in Europa um durchschnittlich 2,5 Prozent wachsen werden. Der "IT-Trend-Studie" von Cap Gemini Ernst & Young (CGEY ) zufolge rechnete Ende 2003 ein Drittel der befragten 60 deutschen IT-Manager mit höheren Budgets als im Vorjahr. Aber: "Das Cost Cutting wird fortgeschrieben", so Jörg Jeschke von CGEY.

Torsten Niemietz, IT-Manager bei der Braunschweiger Nordzucker, kann das nur bestätigen: "Die IT-Budgets stehen weiterhin unter Druck. Wir CIOs sind nach wie vor gefordert, den Euro zweimal umzudrehen beziehungsweise einen Business Case zu rechnen." Allerdings sieht es in seiner Branche noch ein wenig besser aus. Der Nordzucker-CIO hat gerade zwei IT-Projekte mit einem deutlich siebenstelligen Investitionsvolumen verabschiedet. "Somit bin ich sicherlich in einer glücklicheren Lage als viele meiner Kollegen", freut er sich.

Bei Jan Wedekind, Leiter Technik der FAZ Electronic Media in Frankfurt am Main, herrscht verhaltener Optimismus. "In den Kernbereichen wird zurzeit wieder investiert - auch in der IT", berichtet er. "Dies gilt sowohl für bestehende Applikationen, weil ein IT-weites Upgrade der vorhandenen Client-Systeme in den vergangenen Jahren verzögert wurde, als auch für neue Projekte, denen man sich nun wieder intensiv zuwendet."

"Unveränderte Budgets - mit dem Ziel, möglichst wenig im Bereich Betrieb auszugeben", das prophezeit Christoph Rauscher, IT-Leiter bei der Rückversicherung GE Frankona Re in München. Der Einsatz der Mittel werde in diesem Jahr noch stärker unter "Business-Benefit"- und RoI-Gesichtspunkten erfolgen. Jede Investition - rechtliche Anforderungen ausgenommen - müsse sich eben für das Geschäft lohnen.

"Wir haben, beginnend in 2002 und fortgesetzt in 2003, zahlreiche Maßnahmen durchgeführt, die die IT effizienter machen sollen", so Carsten Stockmann, CIO beim Heidelberger Finanzdienstleister MLP. "In diesem Jahr profitieren wir von diesen Effekten - ein zweistelliger Millionenbetrag. Unser oberstes Ziel lautet: Die Einsparungen dürfen sich nicht wieder in Luft auflösen."

Konsolidierung - Wildwuchs wird gelichtet

"Viele IT-Abteilungen stöhnen unter hohen Maintenance-Kosten, weil sie in den Boomjahren 1999 und 2000 Systeme eingekauft haben und jetzt auf hohen Wartungs- und Pflegekosten sitzen", sagt Eckhard Hübner, Head of IT beim Online-Portal jobpilot.com. "Da für eine Konsolidierung bzw. Migration in den letzten beiden Jahren aufgrund schrumpfender Budgets das Geld nicht da war, mussten die CIOs die Systeme zähneknirschend weiterlaufen lassen - obwohl sie sich dadurch quasi selbst den Handlungsspielraum nahmen." Philippe de Geyter, CIO der Deutschen Leasing in Bad Homburg, beschreibt das Problem so: "Die Softwarefirmen sehen jetzt einen verebbenden Zuwachs an Lizenzabschlüssen. Deshalb konzentrieren sie sich verstärkt auf Wartung. Unternehmen unter Kostendruck versuchen, mit Linux und Open-Source-Software auszuweichen". Dennoch hofft de Geyter auf die Wende in 2004: "Wir sind durch drei harte Jahre gegangen, jetzt kommen drei positive."

Im Zeichen leicht steigender Budgets werden nun vielerorts Konsolidierungsprojekte angegangen, um den Wildwuchs in den IT-Abteilungen einzudämmen, damit 2005 wieder neue Projekte gestartet werden können. "2004 wird ein Jahr des Aufräumens", vermutet Stefan Weiss, Senior Manager bei Deloitte & Touche.

Der "Lasst-uns-mal-standardisieren-dann-haben-wir-die-Kontrolle"-Zug

"Wir haben in den letzten Jahren sehr stark auf das Thema Standardisierung gesetzt. Diese Strategie werden wir weiter vorantreiben", berichtet Stockmann von MLP. Die Heidelberger gelten seit Jahren als konsequente Out- sourcer im Finanz-Business, besonders im Rechenzentrumsbereich. "Outsourcing muss mit Standardisierung Hand in Hand gehen, sonst ist man nicht flexibel genug, um sich gegen andere benchmarken oder einen Anbieterwechsel in Erwägung ziehen zu können."

Ganz oben auf der Prioritätenliste steht auch bei Peter Möller, CIO von Üstra, der Verkehrsbetriebe Hannovers, die Optimierung der IT-Kosten durch Prozess- und Organisationsverbesserungen in allen Bereichen. Obwohl: Bei ihm erhöht sich das IT-Budget. Möllers Agenda: Konsolidierung der Rechenzentren, der Server- und Storage-Farm, der Netzwerke und der Anwendungsintegration.

Um die personellen Ressourcen der IT-Abteilungen effizient einzusetzen, müssten die Leistungsprozesse optimiert und standardisiert werden, so ebenfalls Helmut Schlegel, Leiter der Informationsverarbeitung am Klinikum Nürnberg (2450 Betten, 5500 Mitarbeiter, 4200 SAP-User, 2350 Clients). In diesem Umfeld werde IT Infrastructure Library (ITIL) umfassende Bedeutung erlangen. "Wir müssen den Anwendungszoo reduzieren", meint auch Henning Stams, IT-Leiter der Hamburger Beratungsfirma Mummert Consulting.

Ex-CIO Sany warnt vor falschen Weichenstellungen: "Viele versuchen, jetzt auf einen "Lasst-uns-mal-standardisieren-dann-haben-wir-die-Kontrolle"-Zug aufzuspringen. Niemand überlegt sich aber wirklich, welchen Business-Zweck das erfüllt." Sany fürchtet, dass sich im Gefolge ein ähnlicher Graben zwischen Business und IT auftun wird wie beim E-Business-Hype, "wo selbst ernannte E-Business-Leute das reale Geschäft übernommen haben". Sany: "Da schwingt das Pendel jetzt zu stark auf die andere Seite." Gartners Chief of Research Steve Prentice warnt gleichfalls davor, den strategischen Fokus aus dem Auge zu verlieren. "Die CIOs müssen aufpassen, denn nach den vergangenen drei bis vier Jahren sind sie nur noch gewohnt, Kosten zu sparen."

Offshore - ein Hype-Thema am Anfangseiner Karriere

Offshore-Entwicklung ist derzeit das große Thema in den IT-Abteilungen. "Egal, welches Problem man hat, die aus vielen Kreisen kommende Antwort lautet derzeit immer in irgendeiner Form Offshoring", bemerkt Sany ironisch. "Offshoring - was auch immer - scheint en vogue zu sein. Das ist eine Lösung, die nach einem Problem schreit. Aber man hat kein Problem, das man analytisch angehen will, und schaut, was die beste Lösung dafür ist." Bislang hätten aber nur wenige Firmen wirklich Erfahrungen mit Offshore-Projekten gemacht, so CGEY. Andreas Achner, Vorstand bei Mummert Consulting, ergänzt: "30 000 Arbeitsplätze nach Indien? Das wird nicht passieren. Es ist ein unheimliches Hype-Thema."

Ein ganz reales Problem hingegen ist die Sicherheit im Unternehmen. Die Spirale der Attacken und Patches dreht sich immer schneller. Sany: "Die Gefahr von Viren und Würmern steigt exponentiell. Denken Sie nur an die großen 'Übungen' im vorigen Jahr wegen Microsoft." Vor falschen Lösungsansätzen der Berater warnt er auch hier: "Da pusht die gesamte Industrie extern getrieben in die falsche Richtung: Man versucht, all diese möglichen Gefahren anzupacken, anstatt das Risiko zu managen. Das wäre einfacher und billiger."

De Geyter von der Deutschen Leasing hat gerade seine Infrastruktur einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen. "Das hat bei uns eine höhere Priorität bekommen, weil ich mir um diesen Bereich Sorgen mache. Unsere neuen Anwendungen und die neue Infrastruktur beruhen auf webbasierter Open-Architektur. Wir haben aber nicht die Sicherheitsinfrastruktur, um das abzudecken." Wegen des steigenden Bedrohungspotenzials plant auch Jürgen Renfer, Leiter EDV beim Bayerischen Gemeinde-Unfallversicherungsverband, in eine Neukonzeption der Firewall sowie in Virenscanner zu investieren.

Transparenz - KonTraG und Sarbanes Oxley

Aber auch auf andere äußere Einflüsse wie neue Gesetze müssen sich CIOs in 2004 einstellen. Die Gesetzgebung zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) werde immer mehr die IT erreichen, warnt Klinikums-IT-Leiter Helmut Schlegel. Da in vielen Firmen ohne eine funktionierende Unterstützung der Prozessabläufe die unternehmerische Aufgabe nicht mehr erfüllbar sei, sollten IT-Chefs ein Risikomanagement sowohl für den Betrieb des Dienstleisters IT als auch für die unternehmenskritischen Projekte mit IT-Anteil einrichten. Schlegel: "Damit werden auch Sicherheitszertifizierungen immer wichtiger, das BSI-Grundschutzhandbuch wird von vielen Unternehmen eingesetzt werden. Kein CIO wird es sich mehr leisten können, ein defektes Dach erst dann zu reparieren, wenn es bereits regnet."

Komplex wird die Umsetzung des Sarbanes Oxley Act of 2002, des US-Gesetzes gegen Bilanzmanipulation. Demnach müssen nicht nur US-Konzerne künftig die Richtigkeit ihrer Bilanzen und Prozesse beeiden, sondern auch ausländische, die an der Wall Street notiert sind. Sany: "Unternehmen, die etwas mit Amerika zu tun haben, unterstehen dem Gesetz erst 2005, aber große Firmen müssen sich jetzt schon strecken. Sarbanes Oxley wird ein Problem, das für internationale Konzerne dieses Jahr anfängt und 2005 in einem Crescendo endet."

Immer mehr Flexibilität ist gefragt, kürzere Reaktionszeiten sind für CIOs heute ein Muss. Deshalb wird Mobile Computing immer wichtiger, meint Peter Meyerhans, Leiter IT der Drees & Sommer AG. "Die Leute merken, dass das Thema nicht mit dem Herumtragen eines PDAs oder Notebooks zu Ende ist. Da steckt noch mächtig Potenzial drin." 2007 werde es kein Gerät ohne drahtlose Technologie mehr geben, so Prentice von Gartner.

Mobile Computing - der Treiber ist der RoI

LAN-Technologien können mittlerweile sogar im Krankenhaus punkten: Nachdem bei ersten Projekten im klinischen Bereich negative Auswirkungen auf die Medizintechnik durch zertifizierte Produkte ausgeschlossen werden konnten, werde WLAN große Bedeutung gewinnen, prophezeit der IT-Leiter des Nürnberger Klinikums Schlegel. Vielerorts können redundante Datenerfassungen auf Belegen direkt durch die Eingaben in operative DV-Anwendungen eingespart werden. Weniger öffentliche Hotspots als vielmehr die breite Verfügbarkeit in Endgeräten mit Centrino-Technologie würden die Unternehmen animieren, so Schlegel. Der wichtigste Treiber bliebe aber die zu erwartende Kosteneinsparung (ROI).

"Es gibt auf User-Seite schon seit einiger Zeit nette Spielsachen, die wohl billiger werden, aber mir konnte noch niemand den harten Business-Benefit zeigen", stellt Rauscher von der GE Frankona Re fest. Bei den Endgeräten sei ein Ende des Sparens abzusehen, meint de Geyter. Es habe in den letzten Jahren überhaupt kein Geld für Neuinvestitionen gegeben. Nach den Ausgaben zum Ende des Jahres 1999 (wegen Y2K) müsse die Hardware jetzt gewechselt werden. "Die neueste Technik im PC, die Bus-Technologie, die es schon seit zwei Jahren gibt, wird erst jetzt implementiert." Der neue PC-Trend werde enormen Einfluss auf die Distributed-Processing-Welt haben und neue Business-Architekturen hervorbringen. Für eine Erneuerung des Desktop in 2004 spricht auch der günstige Dollarkurs, ergänzt Prentice von Gartner.

Rauscher setzt verstärkt auf Virtual Private Networks (VPN). Nachdem kleinere Piloten gut geklappt hätten, stelle sich die Frage, ob man nicht auch das Firmen-Backbone migrieren sollte. MLP-CIO Stockmann will 2004 mit einem VPN die Leitungsnetze zu den Filialen und Außendienstmitarbeitern flexibilisieren: "Wir wollen so zu mehr Bandbreite bei geringeren Kosten kommen".

Software - Siegeszug von SAP

Nach dem Ramp-up des SAP-Portals 6.0 werde es eine verstärkte Nachfrage nach Portaltechnologien geben, sagt Niemietz von Nordzucker voraus. "Auch wir werden in das Portal 6.0 investieren." Auf Citrix Metaframe setzt Wedekind von FAZ Electronic Media, "weil ein IT-weites Upgrade auf neue Clients hierdurch kostenbewusst verzögert, wenn nicht sogar verhindert werden kann". SAN und NAS entwachsen den Kinderschuhen und werden somit für die breite Masse einsetzbar, meint Meyerhans von Drees & Sommer. Einen starken Trend, bei Software auf die Big Player zu setzen, hat Mummert-Vorstand Achner festgestellt, der für 2004 auch mit einer weiteren Erfolgsstory von SAP rechnet.

Und der nächste Hype? Es werde sich bis 2006 entscheiden, ob EAI als solcher in die IT-Geschichte eingeht, sagt Schlegel. Die Umsetzung der Vision einer interoperativen Verknüpfung von Legacy-Anwendungen könne zur Ausgangsbasis des Siegeszugs von EAI-Lösungen werden. "Ich wünsche der Industrie und allen Anwendern, dass aus den vollmundigen Versprechungen der Marketingabteilungen zumindest ein Teil umsetzbar ist." "Kein Thema" seien die momentan propagierten Services on Demand für "den Endverbraucher-CIO", betont Mummert-CIO Stams. Das werde in Zukunft Sache des Dienstleisters sein, der die CPUs und die Speichersysteme betreibt, stimmt Rauscher von GE Frankona Re zu.

Hypes - niemand will mehr Erster sein

Von Grid Computing ist Ex-CIO Sany nach wie vor überzeugt. Zur Unterstützung der Novartis-Forscher hat er den Bau des weltweit größten Grid Computers mit bis zu 25 000 Rechnern auf den Weg gebracht. "Richtig gemacht, funktioniert Grid Computing. Dagegen wird mit Utility Computing, Computing on Demand und so weiter, von Herstellern und Serviceprovidern getrieben, viel zu viel Hype gemacht - das ist in der Realität viel schwerer umzusetzen. Da haben CIOs eine gewisse Gefahr, auf die Nase zu fallen wie mit Y2K und der Dotcom-Geschichte."

"Viel Erfolg beim Voraussagen des nächsten Hype" wünscht Rückversicherungs-IT-Leiter Rauscher seinen Kollegen. Denn: "Wer als CIO 2004 noch immer auf einen Hype reinfällt, hat seinen Beruf verfehlt. Die meisten Hypes haben davon profitiert, dass CIOs nicht viel von Technologie verstehen und daher anfällig für Marketingattacken sind." Sein Fazit: "Bei uns steht weder "Grid Computing" noch "On Demand" auf der Wunschliste, weil die Grundfrage nicht beantwortet ist: 'Was bringt es uns wirklich?' Eines habe er gelernt: "Es ist, im Gegensatz zu vielen Behauptungen, nicht entscheidend, immer der Erste zu sein."