Bundeswehr-IT

Herkules taucht wieder auf

23.10.2007 von Johannes Klostermeier
Nach vielen Verzögerungen haben sich Siemens, IBM und die Bundeswehr zusammen getan, um die veraltete IT der Streitkräfte zu modernisieren. Das Riesenprojekt "Herkules" ist Prüfstein für künftige Public Private Partnerships.
Wilfried Erber Geschäftsführer, Bearing Point "IT-Mitarbeiter sprechen überall die gleiche Sprache und teilen die gleiche Begeisterung für Technologie."

Ein „Erfolgsmodell für Europa“ sieht Jürgen Frischmuth, Mitglied des Siemens-Bereichsvorstands, bereits im IT-Projekt "Herkules" der Bundeswehr. Auf einem Presse-Workshop von Siemens IT-Solutions and Services und IBM in Bad Neuenahr feierten die Firmen "das größte Public Private Partnership Europas“ (PPP) - dem möglichst viele weitere Abschlüsse mit der öffentlichen Hand folgen sollen. Doch Herkules ist gerade erst gestartet - und Beobachter erinnern sich, wie schwierig es war, für die auf zehn Jahre angelegte, dringend nötige Komplettmodernisierung und den Betrieb von Rechenzentren, Software und Anwendungen, PCs Telefonen, Sprach- und Datennetzen der Bundeswehr verlässliche Partner zum Preis von inzwischen 7,1 Milliarden Euro zu finden.

PPP - Pleiten, Pech und Pannen

Das Bundesverteidigungsministerium gilt in Deutschland als Vorreiter für Public Private Partnerships. Bereits seit 2000 wurden im Rahmen der Bundeswehrreform verschiedene Projekte verwirklicht. So organisiert die LH Bundeswehr Bekleidungsgesellschaft GmbH die Organisation der Kleiderkammern, die BwFuhrpark-Service GmbH ist für die Bereitstellung von Fahrzeugen zuständig. Bei beiden Unternehmen ist der Bund nur Minderheitsgesellschafter.

Während der Modernisierungsbedarf groß ist, sind die Gelder bei Bund, Ländern und Kommunen knapp. PPPs bieten einen Ausweg aus diesem Dilemma, indem sie die dringend benötigten Investitionen garantieren. "Privatunternehmen nehmen der öffentlichen Hand unternehmerische Risiken ab und entlasten durch anteilige oder Vorfinanzierungen die öffentlichen Haushalte“, sagt Wilfried Erber, Geschäftsführungsmitglied bei Bearing Point. Gleichzeitig profitiert die bürokratisch agierende öffentliche Verwaltung vom Know-How und den an der Privatwirtschaft orientierten Methoden und Abläufen. Harald Lemke, Staatssekretär im hessischen Ministerium der Finanzen sowie Bevollmächtigter für E-Government und Informationstechnik, glaubt ebenfalls an den Erfolg von PPP im IT-Bereich. Statt "Pleiten, Pech und Pannen", wie Kritiker unken, buchstabiert er "progressiv, professionell und profitabel".

Chronologie: Das Projekt Herkules.

Bereits 1999 hat die Bundeswehr das Herkules-Projekt aus der Taufe gehoben, doch es erwies sich wie das PPP-Projekt Toll Collect zunächst als zu groß für die Beteiligten. Mit dem Konsortium Isic 21 aus CSC, EADS und Mobilcom konnte sich das Ministerium 2004 nicht über Leistungen und Preis (damals noch 6,5 Milliarden) einigen, sodass dann die Unterlegenen - ohne T-Systems - wieder zum Zuge kamen. "Herkules ist das größte Einzelprojekt in der Geschichte der Siemens AG", freut sich Jürgen Frischmuth, Bereichsvorstand von Siemens IT-Solutions and Services. Auch der Mittelstand soll profitieren. Rund 30 Prozent der Unteraufträge sollen kleine und mittlere konzernunabhängige Firmen bekommen.

Erschreckende Unkenntnis

Von einer "guten Zusammenarbeit" zwischen Siemens, IBM und Bundeswehr sowie guten Projektfortschritten berichten die Beteiligten. Angesichts der Komplexität und der Herausforderungen, um die es hier gehe, sei man bisher sehr zufrieden, beurteilt ein Sprecher des Verteidigungsministerium die Migrationsphase. Zunächst wurde Ende März die zivile IT-Infrastruktur "reibungslos übernommen". Weitere Meilensteine waren der "insgesamt störungsfreie Betrieb" und die "termingerechte Integration" der Bundeswehrmitarbeiter in die Ende Dezember 2006 neu gegründete, gemeinsame Firma BWI Informationstechnik GmbH (BWI).

Risiken: Die größten Gefahren für Herkules.

Die kulturellen Unterschiede zwischen den öffentlichen und privaten Partnern sind oft Reibungspunkte bei PPP - ähnlich wie bei Fusionen in der Privatwirtschaft, wo der Clash der Kulturen zu Verwerfungen führen kann, die die erhofften Synergieeffekte über den Haufen werfen. "In der Wirtschaft gibt es eine erschreckende Unkenntnis über die rechtlichen Rahmenbedingungen der Verwaltungsinformatik", sagt Lemke. Dagegen urteilt Erber positiv: "IT-Mitarbeiter sprechen überall die gleiche Sprache und teilen die gleiche Begeisterung für Technologie."

Die rechtlichen Fragen bei der Übernahme ("Gestellung") der IT-Bundeswehrmitarbeiter in die neu gegründete IT-Gesellschaft galten als knifflig. Die BWI, das sind heute der Bundeswehr-Gründungsstab GIG, 2.400 "gestellte" Bundeswehrmitarbeiter und rund 350 Kräfte von Siemens und IBM. 800 der Bundeswehrangestellten sollen nach einem Jahr wieder zu den Streitkräften zurückkehren. "Mit einem Cultural-Change-Programm unternehmen wir große Anstrengungen, eine gemeinsame Kultur aufzubauen", sagt BWI- Geschäftsführer Klaus Hahnenfeld. Dafür gibt es ein eigenes Team und Workshops mit der Führungsspitze. "Die Stimmung ist großartig, das Projekt überaus spannend", sagt Johannes Nagel, Chef von BWI Systeme.

Tricksen stört massiv

Aufgaben: Die BWI Services GmbH.

Siemens und IBM halten an der IT-Gesellschaft mit 50,1 Prozent die Mehrheit, Siemens besitzt 50,05 Prozent, IBM 0,05 Prozent. "Beide sind aber gleichberechtige Partner", betont IBM-Mann Nagel. Der Bund ist mit 49,9 Prozent Minderheitsgesellschafter. Darunter hängen die Siemens-Tochter BWI Services GmbH und die IBM-Tochter BWI Systeme GmbH. Vorsitzender der Geschäftsführung von BWI sowie Chef der BWI Services GmbH ist Peter Blaschke von Siemens. Ende des Jahres zieht man vom Kölner Technologiepark nach Meckenheim bei Bonn.

Eine "umfangreiche Kommunikation zwischen allen Beteiligten" und eine "gute Koordination aller Parteien" hält Erber für sehr wichtig für das Gelingen. Daher warnt der Vorstandsvorsitzende Matthias Kammer von Dataport, IT-Dienstleister für die öffentliche Verwaltung in Schleswig-Holstein, Hamburg sowie Bremen und Mecklenburg-Vorpommern: "Die Grundlage sind faire vertragliche Regelungen, die die Rechte und Pflichten eindeutig beschreiben. Dabei sollten alle Eventualitäten und Worst-Case-Szenarien berücksichtigt werden. Tricksen am Anfang wird zu massiven Störungen im Projektverlauf führen."

7.000 Server und 140.000 PCs

Matthias Kammer, Vorstandsvorsitzdender Dataport: "Grundlage sind Regelungen, die Rechte und Pflichten eindeutig beschreiben, Tricksen am Anfang wird zu massiven Störungen im Projekt verlauf führen."

Siemens und IBM haben sich die Aufgaben untereinander aufgeteilt: Siemens kümmert sich um den Betrieb und die Modernisierung der dezentralen zivilen Bundeswehrsysteme. Dazu gehören rund 140.000 PCs, 7.000 Server, 300.000 Festnetztelefone, 15.000 Mobiltelefone sowie das Management der lokalen und überregionalen Daten- und Sprachnetze. IBM ist unter anderem verantwortlich für die Modernisierung des Betriebs der Rechenzentren und der Anwendungen. Hier werden Individual- und Standard-Software, Web-basierte Anwendungen des Intranets der Bundeswehr sowie Kommunikationsprogramme wie Lotus Notes gepflegt. Hinzu kommt eine Public Key Infrastructure, um elektronisch versandte Dokumente verbindlich unterzeichnen oder verschlüsseln zu können.

An 1.500 Standorten müssen die 2.750 Mitarbeiter des "Leistungsverbunds" genannten Dreier-Konstrukts tätig werden. Die IT- und Kommunikationsdienste sollen von Bonn/Rheinbach und München in zwei Betriebskompetenzzentren (BKZ) zentral gesteuert werden. Die Betreuung findet jedoch vor Ort statt und wird in 21 auf fünf Regionen aufgeteilte Servicecenter und drei weiteren Technikerstandorten abgewickelt. User Help Desks gibt es in Meckenheim, München, Berlin und Hannover. "Die drei großen Rechenzentren in Strausberg, Wilhelmshaven und Bonn werden wir logisch wie eines führen und die Aufgaben aufteilen", sagt Hahnenfeld.

Über 1.000 Altsysteme umstellen

Rudolf Bauer, Geschäftsführer Public Private Partnerships bei IBM: "Wir werden die Anzahl der rund 7.000 Server drastisch reduzieren. Das gilt auch für die Speichersysteme, die wir durch Storage Area Networks vereinheitlichen." Zentralisieren und Standardisieren heißen die Kernthemen, Individuelles soll eine Standardplattform ablösen. Die über 1.000 Altsysteme werden auf SASPF (Standard-Anwendungs-Software-Produktfamilien), Standard-Software von SAP und komplementäre Produkte umgestellt. "Das ist eine sehr umfassende, ganzheitliche Lösung für die gesamte Bundeswehr", sagt Werner Dilzer, Global Account Director bei SAP. Design und Entwicklung liegen bei der Bundeswehr, die bereits seit 1998 damit beschäftigt ist. Bisherige Roll-out-Termine hat sie schon mehrmals verschoben, jetzt soll es 2013 flächendeckend so weit sein. Die BWI übernimmt Roll-out, Betrieb und Schulungen. SASPF und Herkules sind zwar formal getrennte, aber voneinander abhängige Projekte. "Ohne die Herkules-Basis aus Netzen und Desktops macht der Roll-out von SASPF keinen Sinn. Und die modernste, durch Herkules bereitgestellte IT-Infrastruktur würde dem Nutzer wenig helfen, wenn die wichtigste Software SASPF nicht installiert werden kann", sagt Hahnenfeld.

Harald Lemke CIO und Staatssekretär, Bundesland Hessen "Das größte Risiko ist und bleibt immer die Komplexität userer Projekte - und nicht die Rechtsform."

Derzeit erfasst die BWI noch die IT-Infrastruktur und Lizenzen der Bundeswehr. 1.784 Liegenschaften in 542 Orten werden von 60 Übernahmeteams besucht. Damit weiter alles nach Plan geht, hat sich auch das Verteidigungsministerium umorganisiert. Seit Mai 2006 gibt es dort die Abteilung Modernisierung, in der alle Zuständigkeiten unterhalb der Ebene der Staatssekretäre gebündelt wurden. Mit Alfred Hummel arbeitet dort jetzt ein "Abteilungsleiter Modernisierung", der zusammen mit dem IT-Amt der Bundeswehr und den Aufsichtsgremien der BWI die Arbeit überwacht.

Scheitern an der Komplexität

Denn nur wenn die Leuchtturmprojekte erfolgreich sind, erfüllt sich die Hoffung der Industrie auf Anschlussprojekte. Christophe Chalons von PAC rechnete in Bad Neuenahr vor: "IT-PPS machen 2007 in Großbritannien einen Markt von 3,5 Milliarden Euro aus, in Deutschland sind es rund 500 Millionen." In Großbritannien wurden auch Passerstellung, Pensionsverwaltung und Arbeitsvermittlung privatisiert, sagt Erber von Bearing Point. "Es wäre erfreulich, wenn die öffentliche Hand auch ohne privatwirtschaftliche Beteiligung leistungsfähigere Strukturen schaffen würde."

Öffentliche Hand und Privatwirtschaft müssen sich zunächst auf PPPs einstellen, meint Kammer von Dataport. "Bis dahin wird es weiter Tops und Flops geben, wie bei allen neuen Projektformen auch." Und Lemke kennt die Risiken: unrealistische Erwartungen hinsichtlich Zeit, Kosten und Profit sowie die Unterschätzung der organisatorischen, fachlichen und rechtlichen Vielschichtigkeit. "Das größte Risiko ist und bleibt aber die Komplexität unserer Projekte - und nicht die Rechtsform."