Zeitdruck, Überstunden, Burnout

IT-Projekte machen krank

12.12.2015 von Bettina Dobe
Immer mehr IT-Projekte laufen aus dem Ruder. Für Projektleiter und Projektarbeiter bedeutet das Stress. Zwischen 20 und 40 Prozent der IT-Spezialisten weisen Anzeichen von psychischer Erschöpfung auf, fand Psychologin Anja Gerlmaier in einer Studie heraus.

Unklare Anforderungen an die Anwendung, Zeit- und Kostendruck, Zusammenarbeit mit Freiberuflern, Herstellern und IT-Dienstleistern, die Auslagerung der Entwicklertätigkeiten nach Russland oder China, Probleme mit Hard- oder Software, sich ändernde Kundenwünsche - die Liste der Unwägbarkeiten, die heute ein IT-Projekt mit sich bringt, ist lang.

Die Folge: Es sammlen sich zahllose Überstunden an, die Stressbelastung aller Teammitglieder und insbesondere der Teamleiter steigt. Anja Gerlmaier vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen untersucht seit Jahren die Projektarbeit in der IT-Branche und spricht von "Katastrophenprojekten". Vor 20 Jahren noch die Ausnahme, gehören sie heute zum Alltag. Früher folgten solch schwierigen Projekten "stabile Kunden oder ein gutes Budget, so dass gute Planung möglich war. Doch solche Vorhaben werden immer seltener", beobachtet die Psychologin. Projektarbeiter können sich von einem furchtbaren Projekt kaum noch erholen, denn das nächste steht schon vor der Tür.

Anja Gerlmaier vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ).
Foto: Privat

Da immer mehr Projekte unverhersehbarer werden, steigt der Stress für die Beteiligten. "Aufgrund der langen Arbeitszeiten haben die Leute einen erhöhten Energieaufwand, können aber gleichzeitig ihre Ressourcen nicht wieder aufbauen. Die Projektmitarbeiter entleeren sich bis zur psychischen Erschöpfung", erklärt Gerlmaier. Das Ergebnis: "Jeder dritte Mitarbeiter in Projekten ist Burnout-gefährdet."

Noch stärker leiden die Teamleiter in der Sandwich-Position darunter. "Mir erzählen Teamleiter oft, dass 80 Prozent ihrer Zeit in Koordinationsaufgaben besteht." Ist Not am Mann, übernehmen sie zusätzliche Aufgaben, um ihre Teammitglieder zu entlasten. Daher wiesen zwischen 60 und 80 Prozent der Teamleiter überdurchschnittliche Burnout- und Stresswerte auf.

Spielregeln für das Projekt-Team -
Spielregeln für das Projekt-Team
Diese Spielregeln sorgen für eine offene Kommunikation und bieten auch im Konfliktfall eine Orientierung.
Tipp 2
Eine offene Kommunikation einhalten.
Tipp 3
Eine konstruktive Zusammenarbeit umsetzen.
Tipp 4
Zu Problemen grundsätzlich Lösungsvorschläge anbieten.
Tipp 6
Keine Arbeitspakete ohne Termin und Verantwortlichen definieren.
Tipp 7
Delegieren von Arbeitspaketen vermeiden.
Tipp 8
Lieber miteinander reden anstatt E-Mail-Ping-Pong zu spielen.
Tipp 9
Keine politischen Spielchen treiben.
Tipp 11
Dynamik entwickeln und auf das gesamte Projektteam sowie alle Anwender übertragen.

Drei Stunden ohne Telefon oder Meeting

Doch es gibt viele Möglichkeiten, gegen die Überlastung vorzugehen. Zum einen gilt es, die Ressourcen der eigenen Mitarbeiter besser zu nutzen. Um Arbeitsunterbrechungen zu verhindern, rät Gerlmaier zu Blockzeiten: "In diesen kann jeder im Team drei bis vier Stunden in Ruhe arbeiten, ohne ans Telefon oder in Meetings gehen zu müssen. Ein Team kann vereinbaren, Meetings nur nach dem Essen abzuhalten." Oder zwei Kollegen stellen wechselseitig das Telefon aufeinander um, damit jeder mal ruhig und konzentriert arbeiten kann.

Über die Arbeitsbelastung im Team sollte regelmäßig gesprochen werden, so der Rat der Psychologin: " Einmal in der Woche sollte jeder Mitarbeiter ein Update geben, wie hoch die jeweilige Arbeitsbelastung ist und ob er Hilfe braucht. Das erfordert Vertrauen zwischen Teamleiter und Kollegen. Es gibt auch Teams, in denen diese Kommunikation nicht klappt."

Pausen müssen sein

Fehlende Pausen verschärfen den Stress überdies. Eigentlich wären alle eineinhalb Stunden fünf Minuten Pausen angesagt. "Um das zu forcieren, hilft es, Pausenrituale einzuführen", schlägt Gerlmaier vor. So könne ein Kollege durch den Gang laufen und alle zu einer Kaffeepause animieren. "In Unternehmen, in denen wir das eingeführt haben, gibt es solche Pausenrituale teilweise immer noch", erzählt Gerlmaier. Selbst skeptische Führungskräfte seien irgendwann selbst mit Keksen zur Kaffeepause dazugekommen. Das bringe enorm viel für die Motivation und Psyche der Mitarbeiter.

Um Projektarbeit stressfreier zu gestalten, sollten sich die Verantwortungsbereiche der Mitarbeiter überlappen. "Überlappende Verantwortung und das Arbeiten im Tandem kostet die Betriebe nichts", ist die Arbeitswissenschaftlerin überzeugt. Konzentriert sich dagegen alles auf einen einzigen Experten und wird dieser in unterschiedlichen Projekten gebraucht, kann dieser schnell überbansprucht werden. Auch für das Unternehmen könne das gefährlich werden, zeigt Gerlmaier an einem Beispiel: "In einem Unternehmen ist nur ein Kollege dafür zuständig, die PCs zu bestellen. Ein Kunde hat eine Million Computer bestellt - und dann fällt der Kollege wegen Krankheit drei Wochen aus."

Wie Sie Ihre Mitarbeiter vor Burnout schützen -
Zielsicher in die Katastrophe
Viele Menschen steuern - bewusst oder weniger bewußt - über Jahre hinweg zielsicher auf den Burnout zu. Werden konsequent die häufigsten 13 Fehler gemacht, ist früher oder später der Burnout garantiert!
Allzeit bereit!
Bei Ihrem Job werden "flexible" Arbeitszeiten und Überstunden als selbstverständlich erwartet, auch Reisetätigkeiten, wechselnde Arbeitsplätze, internationale Zusammenarbeit über mehrere Zeitzonen hinweg und Erreichbarkeit 24 Stunden an sieben Tagen per Blackberry, Handy & Co.
Brennen für den Job
Ihre Tätigkeit begeistert Sie, Überstunden stören Sie nicht. Sie stehen für Flexibilität, Schnelligkeit und höchste Qualitätsansprüche. Das Team, der Chef, der Auftraggeber und alle anderen können sich stets auf Sie verlassen. Sie sind ehrgeizig, der nächste Schritt zum Projekt-Manager, Team- oder Abteilungsleiter winkt und fordert vollen Einsatz auf gleichbleibend hohem Niveau. Brennen Sie für Ihre Aufgaben, das Projekt, Ihr Team, Ihr Unternehmen - bis Sie ausgebrannt sind.
Entspannen? Was ist das?
Signale wie anhaltende Müdigkeit, Unkonzentriertheit, Leistungsabfall, Schlafstörungen sowie die Unfähigkeit abzuschalten und aufzutanken, ignorieren Sie. Bedienen Sie sich bei auftretenden Zipperlein großzügig an Produkten der Pharmaindustrie.
Nur nicht wütend werden
Kümmern Sie sich auf keinen Fall um Ihre Gefühle. Wut, Ärger, Ängste, das Gefühl von Überforderung oder ständiger Gehetztheit ignorieren Sie, ebenso wie das Schwinden Ihrer Lebensfreude, zunehmende Teilnahmslosigkeit, Sinn- und Lustlosigkeit und Depressionen. Bei zunehmendem Leeregefühl lösen Sie sich von der Idee, dass Arbeit Sie innerlich erfüllen könnte.
Immer schön fleißig sein!
Ineffektiv verbrachte Arbeitszeit kompensieren Sie mit Mehrarbeit. Das vertreibt auch die Langeweile am Wochenende und im Urlaub. Sind Sie Freiberufler, verzichten Sie ganz auf Urlaub. Sie müssen die Aufträge abarbeiten, oder das Geld reicht nicht. Machen Sie möglichst mehrere Dinge gleichzeitig, um Zeit zu sparen. Sagen Sie "Ja" zu jeder neuen Aufgabe.
Verzweifelt? Sie doch nicht!
Machen Sie sich unentbehrlich. Auch wenn es unmöglich ist und Sie der Verzweiflung nah sind, versuchen Sie, möglichst alle Erwartungen von Teamkollegen, Auftraggebern, internen und externen Projektmitarbeitern, Vorgesetzten und Ihrer Familie und Freunde zu erfüllen. Am besten übertreffen Sie noch deren Erwartungen.
Warnsignale?
Verwerfen Sie sämtliche Warnungen, Vorhaltungen, Vorwürfe, Bitten und Sorgen von Ihrer/m Partner/in, Angehörigen oder Kollegen. Ihre Ausreden sollten wasserdicht sein: "Nach diesem Projekt wird alles besser" oder "nur noch dieser Fall". Oder: "Die Umstände/der Vorgesetzte/der Auftraggeber zwingen mich dazu, ich habe keine Wahl."
Im Hamsterrad
Hämmern Sie sich und anderen ein, es geht nicht anders, in Ihrem Job jedenfalls nicht. Wenden Sie sich dennoch auf Drängen anderer an eine professionelle Beratung, werden Sie es sicher verstehen, die Sinnlosigkeit dieser Maßnahme unter Beweis zu stellen.
Nur nicht drüber reden!
Gehen Sie auf Distanz zu Menschen, zu denen erstaunlicherweise noch Kontakt besteht. Als Eigenbrötler können Sie leichter die Fassade wahren. Sagen Sie niemandem, wie es Ihnen geht. Gemeinsame Mittags- und Kaffeepausen mit Kollegen sind zeitlich unmöglich, die Zeit mit der Familie wird immer knapper.
Jede Minute zählt - zum Arbeiten.
Streichen Sie sämtliche Hobbys einschließlich sportlicher Betätigungen. Falls Sie doch noch ein Privatleben haben, gestalten Sie die Terminplanung zwischen ihm und dem Job noch engmaschiger, nutzen Sie jede freie Minute.
Gesund leben? Maßlos überschätzt!
Gesundes Essen wird als Zeitkiller abgeschafft zugunsten von Fast Food und belegten Semmeln. Damit Sie überhaupt entspannen und von Ängsten und anderen unangenehmen Gefühlen abschalten können, gönnen Sie sich regelmäßig abends etwas Alkoholisches.
Perfektion, Perfektion, Perfektion
Seien Sie nie zufrieden mit Ihren Ergebnissen, auch wenn andere begeistert sind. Sie sind Ihr strengster Kritiker. Weniger als perfekt kommt für Sie nicht in Frage. Stecken Sie sich zusätzliche Ziele. Erlernen Sie eine Fremdsprache, machen Sie eine berufsbegleitende Ausbildung und laufen Sie Marathon.
Probleme? Ach was!
Lösen Sie keine Konflikte und Probleme grundlegend. Schieben Sie alles vor sich her, damit der Berg von Unerledigtem immer höher wird.
Ein Ausstieg ist möglich!
Falls Sie sich in unserem Text zu stark wiedererkennen, steiegen Sie aus! Je früher, desto besser. Gehen Sie zum Arzt, ändern Sie Ihre Lebensweise, solange es noch früh genug ist. Das raten Ihnen Ruth Hellmich, Rechtsanwältin und Geschäftsführerin von CoachingTraining.

Chefs müssen eingreifen

Führungskräfte können helfen, ihre Mitarbeiter vor Überarbeitung und Burnout zu bewahren. Bemerken sie eine Veränderung im Verhalten, sollen sie mit ihnen sprechen. Oft erzählten Gerlmaier Projektmitarbeiter, dass Kollegen und Vorgesetzte gesehen hätten, dass sie in den Burnout hineinfielen, aber keiner habe geholfen. "Führungskräfte können Aufgaben priorisieren und Tätigkeiten zu verlagern, das entlastet die Mitarbeiter unheimlich", appelliert sie.

Doch etliche Chefs tun sich schwer mit solchen Maßnahmen, weiß die Pschychologin: "Viele Führungskräfte haben es nicht gelernt, Mitarbeiter vor Stress zu bewahren. Oft finden irrationale Machtkämpfe statt, anstatt dass den Mitarbeitern die Möglichkeit gegeben wird, die Ressourcen wieder aufzubauen." So sei das Thema Home Office schwer umstritten. In etlichen Firmen dürfen nur wenige Mitarbeitern teilweise von zuhause aus arbeiten, obwohl das zur Stressreduktion maßgeblich beitragen kann. Damit die Chefs intervenieren können, müssen sie geschult sein, solche Gespräche zu führen oder den Zeitpunkt zu erkennen, wann sie einen Psychologen einschalten sollten.

12 goldene Regeln fürs Home Office

Viele IT-Manager fürchten die Heimarbeit als Produktivitätskiller. Damit Telearbeit nicht ins Desaster führt, müssen klare Regeln gelten – für Homeworker und für ihre Teams.
Regeln für Telearbeiter: 1. Routinen einhalten
Heimarbeit braucht feste Zeiten, um nicht in den Freizeitpark zu führen. Überlegen Sie, zu welchen Zeiten Sie für das Unternehmen erreichbar sein müssen, und legen Sie drum herum Ihre Arbeitszeiten je nach Biorhythmus.
2. Arbeitsplatz einrichten
Heute hier, morgen dort arbeiten? Bloß nicht. Das Gehirn braucht einen festen Anker. Sobald es dann den Schreibtisch sieht, switcht es automatisch in den Arbeitsmodus.
3. IT-Support sichern
Die technische Erreichbarkeit ist Grundvoraussetzung für den Heimarbeitsplatz. Daher unbedingt mit dem Arbeitgeber klären, wer bei auftretenden Problemen hilft.
4. Nanny anstellen
Störende Kinder bei der Arbeit sind ein No-Go – im Büro genau wie im Home Office. Also für Betreuung sorgen, wenn es möglich ist.
5. Grenzen ziehen
Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps. Soll heißen: Im Job arbeitet man diszipliniert und vorbildlich wie in der Firma. Nach Feierabend aber schaltet man genauso vorbildlich ab. Und lässt das Bürotelefon im Arbeitszimmer läuten, bis es schwarz wird.
6. Flurfunk empfangen
Wer zu Hause arbeitet, bekommt weniger von den Schwingungen im Unternehmen mit. Dort stehen Homeworker in der Holschuld. Denkbar sind etwa regelmäßige Update-Telefonate mit einem Kollegen oder das tägliche Einloggen ins firmeneigene soziale Netzwerk.
Regeln fürs Team: 7. Leitplanken setzen
Ohne Vertrauen geht nichts. Der Chef sollte seiner Mannschaft feste Leitplanken setzen, innerhalb derer sie freie Fahrt gestatten. Die neue Denke: Hauptsache, die Arbeit wird erledigt. Egal wo.
8.Transparenz schaffen
Jedes Teammitglied muss wissen, wie und wann die Kollegen erreichbar sind. Ein elektronischer Teamkalender verschafft Durchblick.
9. Medien festlegen
Der digitale Büro-Austausch hat viele Gesichter: Telefon, E-Mail und Chat, WhatsApp Videokonferenz und Firmenwikis. Das Team sollte festlegen, was man wie mitteilt.
10. Technik umarmen
Neue Techniken sind für Telearbeiter-Teams immer Freund und nicht Feind. Also bitte nicht die Kamera beim Videochat zukleben – das Gesicht sagt manchmal mehr als 1.000 Worte!
11. Fair bleiben
Gleiches Recht für alle. Falls durch die veränderten Arbeitsorte Mehrarbeit entsteht, muss diese gleichmäßig auf den Schultern von Präsenz- und Telearbeitern verteilt werden. Chefsache.
12. Jours fixes vereinbaren
Der altmodische Austausch von Angesicht zu Angesicht ist durch keine Webkonferenz der Welt zu ersetzen. Feste Termine für Teamtreffen festlegen, wenn es möglich ist.
zusammengestellt von Judith-Maria Gillies
freie Wirtschaftsjournalistin in Köln.