Was der ILOG-Kauf durch IBM für den Markt bedeutet

Kaum ein Software-Anbieter ist sicher vor Übernahmen

06.08.2008 von Rüdiger Spies
Dieses Mal hat IBM wieder zugeschlagen und will ILOG übernehmen. Nach Telelogic ist dies bereits das zweite signifikante europäische Softwarehaus, das IBM in diesem Jahr kaufen will. Auch andere mittelgroße erfolgreiche Software-Anbieter wie Software AG und IFS laufen Gefahr, übernommen zu werden.
Rüdiger Spies, Independent Vice President Enterprise Applications bei IDC.
Foto: IDC

ILOG ist mit seinem Hauptsitz in Frankreich und trotz seiner 850 Mitarbeiter, seinen 3000 direkten Kunden in über 30 Ländern und seinen mehr als 500 OEM-Partnern nur bei Insidern wirklich bekannt. Dabei verfügt ILOG über ein äußerst interessantes Produktspektrum: Business Rules Management, Optimierungs- und Visualisierungs-Lösungen. Den Kern bildet eine sehr effiziente Optimierungs- und Rules-Engine.

Damit wäre ILOG eigentlich ein Übernahmekandidat für Oracle oder SAP gewesen. Es bleibt offen, warum nicht eines dieser Unternehmen die Akquisition gemacht hat. Möglicherweise war IBM einfach schneller mit seiner Entscheidung. Die Tatsache, dass ILOG bereits seit 1996 ein IBM-Partner ist, kann es allein nicht gewesen sein. Denn auch die anderen beiden Firmen Oracle und SAP haben langfristige, partnerschaftliche Beziehungen zu ILOG.

Allerdings hätten beide ERP-Anbieter eine Unmenge von existierenden ILOG-Partnern direkt vor den Kopf gestoßen. Die ILOG-Optimierungsalgorithmen werden praktisch von allen Unternehmen bzw. Softwarehäusern eingesetzt, die Optimierungsroutinen benötigen, da es praktisch keine wirkliche Alternative am Markt gibt. Viele der "Noch-ILOG-Partner", die voraussichtlich alle zu IBM-Partnern werden, hätten intensiv nach Alternativen Ausschau gehalten, und der ILOG-Unternehmenswert wäre damit gesunken.

IBM hingegen ist kaum Konkurrenz für die meisten ILOG-Partner, sodass IBM erneut sein Partner-Netzwerk auch für andere WebSphere-Produkte weiter ausbauen kann. IBM plant in der Tat, die ILOG-Produkte in die WebSphere-Reihe einzugliedern und sein SOA-Angebot durch die Business-Rules-Engine deutlich zu verbessern.

Außerdem gewinnt IBM mit der geplanten Akquisition auch einen guten Einblick in die Aktivitäten derer, die die Optimierungs-Engine einsetzen. In erster Linie sind Supply-Chain-Management-Anbieter zu nennen. Außerdem belegt der geplante Kauf erneut, dass IBM weiterhin nachhaltig in das Anwendungsgeschäft investiert. ILOG verkauft einen Großteil seiner Software zwar bisher vielfach mit einer "embedded Lizenz", dennoch wird ILOG normalerweise als Applikationsunternehmen angesehen.

SAP sieht die geplante Akquisition sicher mit einem lachenden und einem weinenden Auge: Die Abhängigkeit zu IBM steigt für den Preis einer Nichtabhängigkeit von Oracle.

Unter dem Gesichtspunkt einer deutlichen Verschärfung der Konkurrenzsituation zwischen SAP und IBM, insbesondere im Middleware-Bereich, wird SAP wohl mittel- bis langfristig versuchen, die genutzten ILOG-Routinen durch eigenes Know-How zu ersetzen.

Für IBM allerdings ist die geplante Übernahme von ILOG ein sehr durchdachter strategischer Schachzug, der IBM auch bei der Anwendungssoftware deutlich weiterbringt. Auf der Business-Rules-Engine von ILOG beruht IBMs WebSphere Process Server sowie der WebSphere Application Server. Außerdem beruht die Visualisierung bei WebSphere-Business-Events sowie die Netzwerkvisualisierung von Tivoli Netcool auf ILOG-Software. Das Gleiche gilt für Filenet und IBMs Master Data Management.

Weiterhin benutzt IBM die ILOG-Optimierungssoftware bei der Halbleiterherstellung im Werk East Fishkill; und zusätzlich setzt IBM die ILOG-Lösungen in seinem Zentrum für Business-Optimierungen und zusammen mit IBM Global Business Services Business Consulting ein. IBM wird also in Zukunft eine Menge Lizenzgebühren sparen können. Alleine deshalb könnte sich der geplante Deal schon fast rechnen.

Fraglich bleibt allerdings, wie lange die anderen im Weltmaßstab operierenden Independent Software Vendors (ISVs) in Europa ihre Unabhängigkeit bewahren können. Das gilt unter anderem für den ERP-Hersteller IFS aus Schweden ebenso wie für die Software AG. Begehrlichkeiten weckt auch sicher das auf Steuerabrechnungen spezialisierte Unternehmen Datev, das - wenn auch längere Zeit nicht wirklich als ISV wahrgenommen - heute doch im Rahmen von Software as a Service (SaaS) besondere Aufmerksamkeit genießt.

Der Software AG, die die aktuelle SOA-Welle dazu genutzt hat, sich völlig neu am Markt zu positionieren und sich nicht mehr auf seinen "Kronjuwelen" Adabas und Natural ausruht, wäre klar zu wünschen, dass das Unternehmen eine so große kritische Masse erreicht, die eine Übernahme nur noch schwer möglich macht.

IFS ist durch die starke Kopplung seiner Anwendungen an die Oracle-Datenbank ohnehin in den Fängen des Datenbankherstellers. Eine Übernahme durch Oracle würde also wenig Sinn machen. Auch andere hätten an IFS gerade wegen der hohen Oracle-Abhängigkeit wenig Freude.

Eines wird durch diese neue geplante Übernahme im Softwarebereich wieder einmal deutlich: trotz der hohen Dynamik und Innovationskraft der Softwarebranche handelt es sich um einen reifen Markt, in dem mittelgroße erfolgreiche Softwareanbieter, wenn sie sich nicht auf eine spezielle Nische konzentrieren, von den "Gravitationszentren" der IT-Industrie aufgekauft werden. Nur alternative, insbesondere private Eigentumsverhältnisse à la Datev oder SAS, schützen vor einer Übernahme.

Rüdiger Spies ist Independent Vice President Enterprise Applications bei IDC.