Transparenz im Unternehmen schaffen

Nachsitzen

03.05.2004 von Holger Eriksdotter
Neue Gesetze zwingen Unternehmer, die Qualität ihrer Kennzahlen und die Verlässlichkeit des Controllings zu prüfen. Amerikanische Richter drohen mit drakonischen Strafen, falls CEOs an US-Börsen falsche Bilanzen abliefern - willentlich oder aus purer Ahnungslosigkeit. Auch in Deutschland fordert der Gesetzgeber mehr Budget-Klarheit. Business Intelligence kann helfen.

Das deutsche Top-Management reise nicht mehr so gerne in die USA, munkelt ein Kenner der BI-Szene. Angeblich fürchten die Unternehmensführer, gleich am Flughafen in Handschellen abgeführt zu werden. Schuld daran sei das Sarbanes-Oxley-Gesetz, das CEOs und CFOs weitgehende Auflagen zu Buchhaltung und Controlling macht. "Die Firmenlenker stehen persönlich in der Verantwortung und müssen mit Haftstrafen bis zu 20 Jahren rechnen", sagt Elizabeth Kroeger, Rechtsanwältin in der deutsch-amerikanischen Sozietät Weil, Gotshal & Manges in Frankfurt.

Natürlich sitzt bisher kein deutscher Unternehmens-Chef der knapp 300 in Amerika notierten Firmen wegen mangelhafter Buchführung im Knast. Aber Sarbanes Oxley zieht Kreise. "Die EU erwägt ähnliche Vorschriften, die den amerikanischen Vorgaben an Schärfe möglicherweise in nichts nachstehen werden", vermutet die Wirtschaftsrechtsexpertin Kroeger.

KonTraG und Basel II fordern ihren Tribut

Zudem werden die Firmenlenker auch in Deutschland von Regelungen wie dem KonTraG (Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich) oder den Kreditrichtlinien nach Basel II gezwungen, sich zeitnäher als bisher Klarheit über ihre Zahlen - und vor allem deren Verlässlichkeit - zu verschaffen.

"Der Sarbanes Oxley Act bringt nicht nur Anforderungen an das Finanzwesen mit sich, sondern auch IT-Herausforderungen, auf die sich die Unternehmen lieber vorbereiten sollten", warnt John Hagerty, Vice President bei AMR Research in Boston. Bis Ende 2004 muss die Sektion 404 von Sarbanes Oxley erfüllt sein, deren Kern eine jährliche Dokumentation und Beurteilung der internen Kontrollmechanismen durch das Management und externe Wirtschaftsprüfer ist. Aber welcher CEO oder CIO kann schon sicher sein, dass die Kontrollmechanismen funktionieren?

Die Lösung heißt deshalb fast immer Data-Warehouse (DW) oder, weiter gefasst, Business Intelligence (BI). Das Prinzip funktioniert wie folgt: Das Data-Warehouse, eine separate Datenbank, wird mit den bereinigten und qualitätsgeprüften Daten aus den operativen Systemen gefüllt. Darauf aufsetzende Analyse-Tools ermöglichen die zielgerichtete Selektion und Extraktion aller relevanten Informationen.

Der Vorgang der Datenintegration, auch ETL (Extrahieren, Transformieren, Laden) genannt, nimmt beim Aufsetzen eines DW den größten Teil des Projekts in Anspruch. 50 bis 80 Prozent des Projektaufwandes stecken in der Aufbereitung der Daten, schätzt Patrick Keller, BI-Spezialist und Analyst beim Business Application Research Center (BARC) in Würzburg, weil die Datenqualität der Vorsysteme meist weit schlechter ist als vermutet. Die Qualitätsmängel umfassen fehlende, mehrfach vorkommende, falsch verknüpfte, falsch definierte und häufig auch inhaltlich falsche Daten. "Die Mängel in der Datenqualität treten wegen der höheren Transparenz in vielen Fällen erst in BI-Systemen zutage."

Excel nach wie vor das beliebteste Tool

Grundsätzlich unterscheidet der Analyst zwischen Berichtswerkzeugen, mit denen normale Anwender Standard-Reports und spezifische Abfragen erzeugen können. Für speziell geschulte Experten wie Controller oder Daten-Analysten gibt es weiter gehende Tools, die mit komplexen Berichten Planungskennzahlen erzeugen oder mit Data-Mining-Algorithmen und statistischen Verfahren verborgene Strukturen und Muster aufdecken. Bis dato ist die Excel-Tabelle eindeutiger Spitzenreiter bei sämtlichen analytischen Anwendungen wie beispielsweise Management Reporting, Geschäftsplanung, Finanzberichtswesen, Konsolidierung und Performance Scorecards/ Dashboards. Nur etwa 20 bis 30 Prozent der Unternehmen setzen dafür Produkte von BI-Anbietern ein, weitere 25 bis 35 Prozent arbeiten mit analytischen ERP-Lösungen, schätzt Anke Hoffmann von der Meta Group. Die Leiterin einer Studie zu BI vermutet, "dass die Spreadsheets ihre Führungsrolle über die nächsten Jahre verlieren und abdanken müssen."

Bei den BI-Lösungen sieht Senior Consultant Hoffmann die Anbieter von Integrationslösungen - an der Spitze SAP - weit vorn: "Der Trend geht eindeutig in Richtung integrierter Lösungen, wobei die etablierten Anbieter von ERP-Lösungen mit ihrer breit installierten Basis deutliche Vorteile haben." Nach ihrer Studie bevorzugen 63 Prozent der Unternehmen die Lösung aus einer Hand. Für den Anwender ist die Entscheidung nicht so einfach. Die Angebote der BI-Spezialisten unterscheiden sich ganz erheblich: von ETL-Tool-Anbietern, die auf Datenintegration, Qualitätskontrolle und Qualitätsmanagement spezialisiert sind, über Anbieter von fortgeschrittenen OLAP- und Analyse-Tools, die auf gängige Datenbanken wie DB2, Microsoft SQL-Server oder Oracle aufsetzen, bis hin zu integrierten BI-Lösungen, die alle Komponenten liefern und auf eigene relationale oder multidimensionale Datenbanken aufsetzen. Selbst IT-Fachleute können den Markt kaum noch überschauen.

"Ohne Beratung hätten wir unser Projekt weder in der Professionalität noch in der Kürze realisieren können - und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass das ein Unternehmen allein kann", sagt Roland Hüber, Leiter Informationssysteme und Organisation des Arzneimittel- und Biotechnologie-Unternehmens Rentschler in Laupheim bei Ulm. Zu unübersichtlich sei der Markt, zuwenig habe er am Anfang des BI-Projekts gewusst, worauf er achten müsse und welche Produkte für seine Aufgabenstellung am besten geeignet seien. Der IT-Chef hat seine Entscheidung für externe Beratung durch BI-Spezialisten und gründliche Evaluation nicht bereut: Nach anfänglich 23 Produkten, von denen er unter Brücksichtigung betriebswirtschaftlicher, technischer und Budget-Kriterien drei für eine Präsentation auswählte, hat die Lösung von MIS den Zuschlag erhalten. Nach fünf Monaten Projektlaufzeit ist er überzeugt, das für seine Anforderung bestmögliche BI-System installiert zu haben. "Wir hatten, historisch gewachsen, keine einheitliche ReportingBasis. Auswertungen und Analysen sind jetzt von einer Qualität und einem Informationsgehalt, die vorher nicht erreichbar waren."

BI-Projektleiter empfehlen Beratung

Mit der Einschätzung, dass sich besonders bei BI-Systemen externe Beratung und gründliche Vorbereitung auszahlen, steht IT-Leiter Hüber nicht allein. Aus der breit angelegten Studie OLAP-Survey, für die mehr als 1000 BI-Projektverantwortliche befragt wurden, geht ein eindeutiger Zusammenhang zwischen einer formalen Evaluation und dem Nutzen einer BI-Lösung hervor. In allen Punkten, von der Einsparung von Kosten und der Qualität des Reportings über Umsatzwachstum und Zufriedenheit der Anwender bis zum Erreichen der geplanten Business-Ziele, lagen diejenigen Unternehmen vorn, die sich vor Projektbeginn gründlich mit der Materie befasst hatten.

Obwohl Anwender zu integrierten Lösungen vorzugsweise der etablierten ERP-Anbieter neigen, muss das nicht immer der beste Weg sein. "Es gibt gut funktionierende Schnittstellen im BI-Bereich, sodass auch ein Best-of-Breed-Ansatz durchaus die beste Variante sein kann", sagt Keller. Das ließe sich aber immer nur von Fall zu Fall entscheiden und hänge von den Gegebenheiten wie dem installierten ERP- und CRM-System, den Anforderungen an die BI-Lösung, dem Kostenrahmen und der Projektlaufzeit ab. Die Grundregel laute: Die Funktionsvielfalt und die Funktionstiefe der BI-Anbieter sind meist ausgefeilter als die der Generalisten - dafür sei der Integrationsaufwand in der Regel höher. Zudem zeichnet sich eine weitere Konsolidierung ab. Zunehmend verstärken sich BI-Spezialisten durch Übernahmen ihrer Konkurrenten, um die gesamte Palette der BI-Prozesse als Integrationslösung anzubieten (siehe Grafik).

Personalkosten im Controlling sinken

Wo keine gesetzlichen Regelungen zum Handeln zwingen, taucht gerade in Zeiten knapper Budgets die Frage nach dem RoI von BI-Investitionen auf. "Aber der RoI ist meist schwer zu ermitteln, da sich kaum Anwender finden, die harte Einsparungen öffentlich beziffern. Vielfach wird auf den geringeren Aufwand verwiesen, weil ein zeitaufwändiges Hantieren etwa mit Spreadsheet-Tabellen weitgehend entfällt", berichtet Christoph Kaderli, Europa-Marketing-Chef des BI-Anbieters Cognos. Nach einer Umfrage, die das amerikanische Marktforschungsinstitut Nucleus unter Cognos-Kunden durchgeführt hat, sanken die Personalkosten in diesem Bereich um 50 bis 90 Prozent. Aber schon der nächste Schritt - die Qualität der Auswertungen nimmt zu, und die Prozesse verkürzen sich - lässt sich kaum exakt ausdrücken. Trotzdem gaben der Nucleus-Studie zufolge 80 Prozent der befragten Unternehmen an, dass sie einen positiven RoI erzielt hätten, der sich aus effizienterem Reporting, genaueren Informationen zur Entscheidungsfindung und verbessertem Customer-Management ergebe. "Mit dem RoI alleine wird man BI-Investitionen nicht gerecht; ein ergänzender Blickwinkel ist der RoA (Return on Assets), denn BILösungen führen dazu, dass vorhandene operative Systeme effektiver genutzt werden", sagt Kaderli.

Die Top-Manager der in den USA notierten Unternehmen können trotz Data-Warehouse und BI-Lösung ihre Hände noch nicht in den Schoß legen. Experten rechnen damit, dass im kommenden Jahr die Sektion 409 des Sarbanes Oxley Act in Kraft tritt. Während es heute den Unternehmen überlassen bleibt, in welchen Intervallen - täglich, wöchentlich, monatlich oder quartalsweise - sie ihr Data-Warehouse mit neuen Daten aktualisieren, heißt die Vorgabe dann: in Echtzeit. Die amerikanische Bankenaufsicht SEC (Securities and Exchange Commission) hat eine Frist von 48 Stunden vorgeschlagen, in denen Unternehmen Ereignisse melden müssen, die für Investoren wichtig sind, weil sie sich auf das Unternehmensergebnis auswirken können. So könnte Sarbanes Oxley nicht nur das Reporting verbessern, sondern die Unternehmen auch der langgehegten Vision vom Real-Time-Business näher bringen.