BI: Quelloffenen Lösungen fehlt es immer noch an Reife

Open Source noch keine echte Alternative

25.05.2010 von Werner Kurzlechner
Open Source ist wieder einmal zum Business-Intelligence-Trend ausgerufen worden. In einigen Ländern gibt es ihn tatsächlich. In der Bundesrepublik ist er aber bislang nicht auszumachen, wie das Gros der Analysten beobachtet.
Optimistischer als andere: IDC-Analyst Rüdiger Spies sieht eine steigende Nachfrage nach Software ohne Lizenzkosten.

Zu Beginn des Jahres erklärten die Marktanalysten von Gartner Open Source zu einem Trend in Sachen Business Intelligence (BI). In den nächsten Jahren werde Open Source-BI stärker wachsen als klassisch-kommerzielle Plattformen. Dass Open Source indes bestenfalls die Zukunft, aber mitnichten die BI-Gegenwart ist, klingt im selben Hause durch. Unausgereift und überschätzt seien die Angebote, lautet der Tenor eines Webinars von Andreas Bitterer, Research Vice President bei Gartner. Auch als Instrument der Kostensenkungen seien quelloffene BI-Tools nur bedingt geeignet, so Bitterer. Das Urteil von Experten aus anderen Häusern fällt ebenfalls zwiespältig aus.

Wie verbreitet ist Open-Source-Software im BI-Bereich? "Weniger als fünf Prozent der Unternehmen setzen derartige Lösungen ein", sagt Barney Finucane vom Business Application Research Center (BARC). Ein leichtes Wachstum sei im Segment festzustellen, allerdings derzeit nicht in nennenswertem Ausmaß. Auch von den etablierten BI-Anbietern würden die Open Source Vendors nicht als echte Konkurrenz betrachtet.

Bitterer zufolge wird in den kommenden Monaten lediglich das OS-Datenbanksystem MySQL größere Zuwächse verbuchen können. Bei Datenbank-Management-Systemen fürs Data Warehouse bevorzugen Gartner-Kunden ansonsten eindeutig proprietäre Software.

"Wenn man unter einem Trend Markteinfluss mit einem gewissen Momentum und kritischer Größe versteht, ist er jedenfalls in Deutschland nicht auszumachen", konstatiert auch Carlo Velten, Senior Advisor bei Experton. Im angelsächsischen Raum, aus dem die größten Open Source-BI-Anbieter wie Jaspersoft oder Pentaho stammen, oder in Frankreich sei die Entwicklung wesentlich weiter fortgeschritten. In Deutschland bilde in höherem Maße als anderswo Enterprise Resource Planning (ERP) das Rückgrat der IT, auf das BI-Tools in der Regel aufsetzen. Was das bedienen dieser Schnittstellen sowie Integration und Implementierung angeht, haben laut Velten die etablierten Anbieter eindeutig die Nase vorn. Open Source BI tue sich hierzulande aber auch deshalb schwer, weil es an auf diese Lösungen spezialisierten Dienstleistern fehle, ohne die entsprechende Projekte kaum zu stemmen seien.

Etwas positiver beurteilt man die Lage bei IDC. "Ja, wir sehen durchaus einen Trend hin zu "For Free Software", sagt Analyst Rüdiger Spies. Damit seien neben echten Open-Source-Lösungen auch sehr günstige proprietäre BI-Angebote gemeint. Etablierte Anbieter schnüren zum Beispiel Reporting-Tools oder ITILETL-Funktionalitäten zu speziellen Paketen mit keinen oder sehr geringen Lizenzkosten. "Quasi Testpakete zum Schnupperpreis, die über die Support- und Projektkosten refinanziert werden", so Spies. Die Nachfrage nach diesen Angeboten ebenso wie nach genuinen Open Source-Produkten zeige den wachsenden Bedarf nach Lösungen jenseits der umfassenden BI-Suiten. "Nach unserer Einschätzung experimentiert ein Fünftel der Unternehmen in irgendeiner Weise mit Open Source-BI", so Spies.

Bisher auf nicht-kritische Anwendungen beschränkt

Wofür werden quelloffene BI-Anwendungen überhaupt eingesetzt? Ihren Platz haben Open-Source-Lösungen bislang vor allem "in den Randbereichen von BI", wie es Finucane formuliert. Er meint damit insbesondere Data Mining und Daten-Integration. Im Data Mining seien die Open Source-Angebote am weitesten entwickelt. "Die Lösungen stammen oft aus dem akademischen Umfeld und schwappen allmählich in kommerzielle Unternehmen über", so Finucane. Die Open Source Community sei in der Lage, spezielle Data-Mining-Algorithmen bereit zu stellen. Das mache die Angebote neben ihrem Preis für Unternehmen attraktiv.

Der Bereich Daten-Integration hinke wegen der hohen Komplexität der Anwendungen im Vergleich etwas nach, so der BARC-Analyst. Bei Analyse- und Reporting-Tools sowie OLAP-Datenbanken spiele Open Source hingegen noch keine wirkliche Rolle. "Die Angebote werden langsam besser, aber zur Reife fehlt noch ein Stück", so Finucane.

Gartner schätzt die Lage genau andersherum ein. Reporting, Analyse und Dashboards sieht Bitterer als Funktionen, bei denen Open-Source-Lösungen mit proprietärer Software oft mithalten können. Hingegen seien die Unterschiede beim Data Mining beträchtlich. So gebe es kaum quelloffene Software, die auf ähnlichem Niveau mit unstrukturierten Daten umgehen könne wie kommerzielle Lösungen. Auf dem Gebiet der Daten-Integration gebe es aktuell zwar viele kleine Projekte, aber kaum vollständige Plattformen auf Open Source-Basis. "Bei großen Implementierungen, wo es um große Data Warehouses geht, sehen wir allerdings kaum Open Source-Einsatz", so Bitterer.

Einigkeit herrscht zwischen den Analysten darin, dass sich Open Source-BI derzeit fast ausschließlich auf nicht-kritische Anwendungen beschränkt. Sobald es um sichere Transaktionen oder größere Installationen geht, finden quelloffene Lösungen kaum Anwendung.

Experton-Analyst Velten beobachtet, dass es in einzelnen Fachbereichen wie Marketing oder Vertrieb eine Tendenz zu verstärktem Einsatz von Open Source gebe. Dahinter stehe die derzeitige Entwicklung, dass Fachbereiche an der IT-Abteilung vorbei selbst Lösungen für ihren speziellen Bedarf suchen. Dem CIO, der um eine einheitliche IT-Landschaft bemüht ist, behagt die Entwicklung in der Regel nicht. In der Tat torpediere das Zurückgreifen auf vereinzelte Open-Source-Lösungen oft das an sich richtige Ziel der Einheitlichkeit, so Velten. Es hänge jedoch letztlich vom Einzelfall ab, ob der punktuelle Open-Source-Einsatz sinnvoll sei.

Sparpotenzial von etwa 20 Prozent

Wie viel Geld lässt sich durch den Open-Source-Einsatz sparen? Eine Senkung der Software-Kosten ist das Hauptmotiv von Unternehmen, die auf Open Source setzen. In einer Gartner-Umfrage sagten 87 Prozent der Anwender, sie wollten so die Gesamtkosten (TCO) für Software senken. Hohe Erwartungen also nicht allein an die Reduzierung der Lizenzkosten, sondern auch an geringere Kosten für Support und Personal.

Die Analysten dämpfen diese Hoffnungen nachdrücklich. Nur jedes zweite Unternehmen erreiche das angepeilte Sparziel auch, so Bitterer. Das liege zum Beispiel an zum Teil beträchtlichen Support-Kosten, die zumeist unterschätzt würden. Stelle man die Ersparnis an Lizenzkosten den Ausgaben für Support und Personal gegenüber, blieben am Ende Ersparnisse "von 20 bis 30 Prozent - mehr nicht" übrig, so der Gartner-Analyst.

"Auch die Anbieter von Open Source Software wollen Geld verdienen", sagt BARC-Analyst Finucane. Es würden zwar stets kostenlose Basis-Versionen angeboten, die jedoch die Bedürfnisse größerer Unternehmen in Praxis kaum befriedigen. "Für den Bedarf einzelner Fachabteilungen mögen diese kostenlosen Tools genügen", so Finucane. Ansonsten komme man um die leistungsstärkeren, aber eben auch kostenpflichtigen Lösungen der Open Source-Anbieter nicht herum. Was den Support angeht, macht der BARC-Analyst den Anwendern hingegen Mut. Die Anbieter versuchten klassischerweise damit im Vergleich zu den Branchengrößen zu punkten, so dass sich von Seiten der Anwender hier gute Konditionen erzielen lassen sollten.

Nichtsdestotrotz sollten sich Anwender nicht alleine dadurch verführen lassen, dass anfangs keine Lizenzkosten anfallen. "Kostenmäßig fallen vor allem die Ausgaben für Projektimplementierung und die Anpassung an die bestehende Systemlandschaft ins Gewicht", so Rüdiger Spies. Potenzielle Open-Source-Kunden müssen also einkalkulieren, dass nach Projektstart immer wieder Kosten für Updates, Wartung und Support anfallen. "Alles in allem bleiben am Ende meist Einsparungen von 15 bis 18 Prozent übrig", so Spies.

Ein Anwendungsszenario zu dieser Frage liefert Experton-Analyst Velten: Open Source lohne sich insbesondere für mittelständische Firmen, die mit langem Atem spezielle Ressourcen aufbauen wollen. Der entscheidende Faktor sei Manpower: Wer über zwei oder drei junge IT-Experten verfüge, die sich intensiv in die Open-Source-Materie einarbeiten, sich in den entsprechenden Communitys Wissen aneignen und die gewünschten BI-Systeme über mehrere Jahre und ohne täglichen Ergebnisdruck aufbauen können, kann am Ende auch finanziell stark profitieren.

Reife: 4 Punkte auf Skala 0 bis 10

Veltens Gegenbeispiel: Ein externer Dienstleister baut die gewünschte Open Source BI auf, anfangs scheint alles tadellos zu funktionieren. Nach einiger Zeit benötigt das Unternehmen aber Updates oder Erweiterungen und muss feststellen, dass die Kernentwickler des Projektes beim Dienstleister von einst nicht mehr tätig sind. In diesem Fall schlägt der beschriebene Mangel an Service-Personal heftig zurück. Wer Pech habe, müsse längere Zeit im Internet nach den benötigten Experten suchen, sie am Ende aus den Vereinigten Staaten einfliegen lassen und entsprechende Honorare berappen, so Velten. In derartigen Fällen zahlte schon so mancher Open-Source-Anwender am Ende dicke drauf.

Wie ist es um die Reife der Angebote bestellt? Open-Source-Lösungen hätten schon alleine deshalb eine Daseinsberechtigung, weil ein Markt für sie bestehe, so Finucane. Im BI-Bereich ist dieser Markt freilich klein, derzeit lediglich eine Nische. Der Nachholbedarf gegenüber den Angeboten der etablierten BI-Platzhirsche ist groß, wenngleich die Lücke langsam schrumpft. Jedenfalls konstatiert Bitterer, dass quelloffene Anwendungen in ihrer Reife immer mehr an kommerzielle herankommen würden.

"Auf einer Skala von 0 bis 10 würde ich die durchschnittliche Reife von Open Source BI mit 4 bewerten", sagt Carlo Velten von Experton. Anwender müssten sich vergegenwärtigen, dass quelloffene Angebote zu 90 Prozent "halbwegs ordentliche Kopien bestehender IT-Lösungen" seien. Es dauere mehrere Jahre, bis die Qualität der ursprünglichen Lösungen erreicht sei - und insbesondere im besonders komplexen Gebiet der BI benötige dieser Prozess vermutlich noch zwei oder drei Jahre.

Wiederum positiver schätzt IDC die Lage ein. "In den relevanten Einsatzbereichen wie Reporting und Simple Query stehen Open Source-Lösungen anderen Tools in Sachen Reife in fast nichts nach", sagt Rüdiger Spies.

Inwieweit ist die Kombination von Lizenzlösungen und Open Source eine sinnvolle Strategie? Zum Teil scheitert sie schon alleine an der technologischen Kompatibilität. Diese sei keinesfalls selbstverständlich, auch weil die BI-Riesen an ihr nicht unbedingt interessiert sind, sagt Barney Finucane.

Open Source: Trumpf im Verhandlungspoker

Nichtsdestotrotz scheint hier ein Weg gepflastert, auf dem es für quelloffene BI vorangeht. "Systemintegratoren beginnen, Open-Source-Technologie als Teil der Gesamtlösung zu nutzen - ein nicht zu unterschätzender Wachstumstreiber für die freie Software", heißt es bei Gartner.

Trotz der angeführten Probleme und Risiken rät Experton Unternehmen, sich in jedem Fall über BI-Alternativen auf dem Open Source-Sektor kundig zu machen. Wer dort brauchbare Alternativen finde, könne mit diesem Trumpf in Lizenzverhandlungen mit den etablierten Anbietern sehr wahrscheinlich günstige Konditionen durchsetzen, sagt Velten. Einsparungen auf Umwegen sozusagen.