Ziele und Aufgaben

Politik benennt 5 Handlungsfelder der Digitalisierung

12.04.2017 von Christoph Lixenfeld
Das Bundeswirtschaftsministerium äußert sich im "Weißbuch Digitale Plattformen" auf fast 120 Seiten zu Status Quo und Herausforderungen von Digitalisierung. Was drinsteht - und was (leider) nicht.

Kein Thema eignet sich in Wahlkampfzeiten besser zur Profilierung als die Digitalisierung: Alle sind dafür, jeder sieht die Notwendigkeit, und wenn wir uns alle zusammen ganz doll anstrengen dabei, dann gibt es am Ende nur Gewinner.

Ein wenig muss man sicher auch das gerade erschienene "Weißbuch Digitale Plattformen" vor diesem Hintergrund betrachten. Allerdings wäre es unfair, das Werk ausschließlich als Wahlkampfgeklingel abzutun. Dafür ist es zu differenziert und sein methodischer Ansatz zu seriös. An einigen Stellen muss man ihm allerdings Realitätsverweigerung beziehungsweise eine gewisse Naivität bezüglich der Einflussmöglichkeiten von Politik vorwerfen. Oder anders gesagt: Das Weißbuch stellt richtige Fragen, die Antworten darauf sind allerdings eher dünn.

Möglichkeiten und Grenzen der Digitalisierung

Aber der Reihe nach. Zunächst fällt auf, dass der Titel im Grunde irreführend ist, beschäftigt sich das Buch doch keineswegs nur mit Digitalen Plattformen, sondern mit Digitalisierung, ihren Möglichkeiten und Grenzen insgesamt.

Um diese auszuloten, hatte das Ministerium erstens 263 Beiträge und 10.464 Bewertungen auf dem Online-Beteiligungsportal de.digital ausgewertet, zweitens 70 ausführliche Stellungnahmen von Unternehmen, Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften, Non-Profit-Organisationen, Wissenschaftler und interessierten Bürgern.

Das Weißbuch ist politisches Statement

Drittens hielt man mit Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik fünf Workshops über die mögliche Ausgestaltung eines Ordnungsrahmens für Digitale Plattformen ab.

"Das Weißbuch ist Ergebnis dieses Konsultationsprozesses", schreibt Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries in ihrem Vorwort. Aufrichtiger wäre es gewesen, zu formulieren, dass das Weißbuch AUCH Ergebnis des Konsultationsprozesses ist. Denn es ist darüber hinaus politisches Statement und politische Willensbekundung.

Brigitte Zypries, erst seit kurzem Ressortchefin, beschäftigt sich in ihrem Vorwort mit jenen Fragen, die zuletzt auch Kern vieler veröffentlichter Diskussions- und Wortbeiträge waren.

Zitat: "Wie kann Wettbewerb abgesichert werden, wenn Netzwerkeffekte über Konzentrationstendenzen zu Marktverschlüssen führen können? Wie kann Vertragsfreiheit gewahrt bleiben, wenn die Datenkontrolle durch Plattformbetreiber Informationsungleichgewichte entstehen lässt? Welche Funktion erfüllt der Preisbildungsmechanismus, wenn Leistungen auf der einen Seite der Plattform unentgeltlich erbracht werden, weil sie durch Zahlungen auf der anderen Plattformseite finanziert werden?"

Soziale Marktwirtschaft als Antwort auf alles

Die etwas kryptischen Formulierungen zielen im Kern auf die Macht von Google, Facebook & Co. und auf die Frage ab, wie sich diese beschränken lässt.

"Die Soziale Marktwirtschaft hält auch auf diese Fragen Antworten bereit", schreibt Zypries einige Zeilen weiter unten befremdlicherweise. Die Soziale Marktwirtschaft ist eine Erfindung der 1950er Jahre, stammt aus einer Zeit, in der es weder Globalisierung noch Digitalisierung noch Plattform-Ökonomie gab. Und genau diese Phänomene sind es, die einige lange gültige Gesetzmäßigkeiten unseres Wirtschaftslebens verändert haben.

Kernproblem vieler StartUps: Sie haben nicht genug Geld, um es für einen raketenhaften Start zu verfeuern.
Foto: pathdoc - shutterstock.com

Weshalb die eine oder andere Forderung ins Leere läuft. Wenn Brigitte Zypries zum Beispiel schreibt, neue Technologien müssten "zügig eingesetzt und die dafür erforderlichen Investitionen schnell und rechtssicher getätigt werden können. Dies ist gerade auf dynamischen digitalen Märkten von großer Bedeutung", dann zielt sie damit an einem zentralen Problem vieler Plattform-Gründer vorbei.

Entscheidend ist die Tiefe der Taschen

Denn die leiden weniger am verzögerten Einsatz neuer Technologien und mehr daran, dass diese Technologien überall verfügbar sind und sich jede Plattformidee in Windeseile kopieren lässt.

Weil aber auf Nischenmärkten für Koch-, Haushaltsservice- oder Reiseplattformen am Ende höchstens zwei bis drei Player überleben, braucht es vor allem tiefe Taschen, um die verlustreiche Anlaufphase länger durchzustehen als andere. Technologische Exzellenz und extreme Schnelligkeit sind dagegen oft entbehrlich.

5 Handlungsfelder der Politik

Im Anschluss an das umfängliche Vorwort gliedert das Weißbuch jene digitale Ordnungspolitik, die sich aus dem "Konsultationsprozess" (und den politischen Auffassungen des Wirtschaftsministeriums) ergibt, in fünf Handlungsfelder vulgo Ziele.

Der Breitbandausbau in Deutschland geht trotz ermüdend langer Diskussion noch immer nicht wie gewünscht voran.
Foto: Deutsche Telekom

1. Fairer Wettbewerb

Wichtigste Ziele sind hier, Wettbewerbsverfahren zu beschleunigen und ein "Level Playing Field" in Telekommunikationsmärkten herzustellen: WhatsApp und Skype sollen bei Kundenschutz, Datenschutz und Sicherheit die gleichen Regeln einhalten müssen wie jene klassischen Telekommunikationsanbieter, mit denen sie konkurrieren.

Außerdem sollen sich WhatsApp und Co. künftig vollständig europäischen Datenschutzregeln unterwerfen. Dritter Wettbewerbsaspekt: Das Ministerium will ein Frühwarnsystem installieren, das übermäßige Marktmacht Einzelner schnell sichtbar macht und dazu eine "personell gut ausgestattete Behörde" installieren, die missbräuchliches Verhalten mit "robusten Eingriffsbefugnissen" ahndet.

Gute Absicht, möchte man dazu sagen, ab etwas spät. Denn die "übermäßige Marktmacht Einzelner" entsteht ja nicht irgendwann in Zukunft, sondern sie ist längt da…

2. Schaffung einer modernen Datenökonomie

Hier soll ein klarer Rechtsrahmen für die Nutzung von Daten gesetzt, Siegel- und Zertifizierungslösungen für mehr Transparenz vorangetrieben und grundlegende Informationspflichten für digitale Plattformen eingeführt werden.

"Die Nutzer sollen nachvollziehen können, wie z. B. Suchergebnisse zustande kommen", heißt es dazu wörtlich. Und: "Auch über eine kommerzielle Verwendung persönlicher Daten müssen die Unternehmen informieren, damit stärker ins Bewusstsein der Nutzer rückt, dass vermeintlich kostenlose Dienste sich über Datenverkäufe finanzieren." Außerdem sollen Online-Geschäftsabschlüsse und E-Commerce einfacher und sicherer werden.

Schließlich sind noch "Experimentierräume" für innovative digitale, vernetzte Geschäftsmodelle geplant. Wo? "Aufgrund hoher, aber noch nicht ausgeschöpfter Digitalisierungspotentiale eignet sich die Gesundheitswirtschaft besonders gut als Einsatzfeld."

In der Provinz wie z.B. im Spreewald ist es oft idyllisch, vorausgesetzt, man betreibt kein Geschäft, das auf schnelles Internet angewiesen ist.
Foto: DanKe - shutterstock.com

Auch auf diesem zweiten Handlungsfeld stellt sich die Frage nach dem Einfluss von Politik. Schwer vorstellbar, dass ein Ministerium in Deutschland Google zur Veröffentlichung seines Suchalgorithmus‘ bewegen kann.

Und was die Experimentierräume in der Gesundheitswirtschaft angeht: Das erste und ambitionierteste Digitalisierungsprojekt der Branche, die elektronische Gesundheitskarte, ist nach über 20 Jahren Projektlaufzeit noch immer nicht am Ziel.

3. Gigabitfähige digitale Infrastrukturen

Die Politik will "den Netzausbau über die Nachfrageseite" vorantreiben, die "staatliche Förderung auf hohem Niveau sichern" und "kommunale Anlaufstellen für infrastrukturrelevante Digitalisierungsfragen einrichten".

Dass der Bund mit eigenen Mitteln auch strukturschwache Regionen flächendeckend mit schnellem Internet versorgen wird, steht - vermutlich ganz bewusst - nicht in dem Paper. Stattdessen soll es die "Nachfrageseite" regeln, will sagen erst muss die Nachfrage danach sichtbar werden, dann gibt es (vielleicht) einen Breitbandanschluss.

Das ist ungefähr so logisch und sinnvoll, als würde die Politik erst dann eine Straße bauen, wenn sich in der betreffenden Gegend vorher mindestens hundert Leute ein Auto gekauft haben. Um sich anschließend zu wundern, dass es der Autoindustrie schlecht geht.

4. Sicherung einer Demokratischen Digitalkultur

Rechtsverletzungen jeder Art müssten im Internet "genauso nachhaltig geahndet werden wie in der analogen Welt." Rechtsfreie Räume im Internet seien zu beseitigen - Stichwort Cybermobbing. Die Einführung eindeutiger Identifizierungsverfahren müsse geprüft werden. "Die Betreiber öffentlicher Meinungsforen wären dann verpflichtet, ihre Nutzer vorab zu registrieren."

Außerdem wollen Zypries und ihre Mitarbeiter "Internetplattformen die Einführung eines europaweit einheitlichen Beschwerdemanagements auferlegen."

Kommentar dazu: Ein eindeutige Identifizierung wäre ja nur durch eine elektronische Signatur oder das Übersenden der Kopie des Ausweises möglich. Dass sich zum Beispiel Facebook zu einem solchen Aufwand verpflichten ließe, ist aber ebenfalls nur schwer vorstellbar.

5. Digitale staatliche Kompetenzen ausbauen

Das Bundeswirtschaftsministerium empfiehlt die Gründung einer "Digitalagentur", die die Politik unterstützt und den Markt beobachtet. Von einem eigenständigen Digitalministerium rät man dagegen ab, weil man dabei nach Ansicht des BMWi viele Kompetenzen, die in anderen Ministerien bereits vorhanden seien, ein zweites Mal aufbauen würde.

Resümee

Fazit: Als Katalog des im Zusammenhang mit den Themen Digitalisierung und Plattformen politisch und ökonomisch Wünschenswerten ist das Weißbuch des Bundeswirtschaftsministeriums sicher hilfreich. Leider zeigt die Publikation aber kaum Wege auf, wie sich die allseits bekannten Widerstände gegen die Erfüllung dieser Wünsche beseitigen lassen könnten.