Information Lifecycle Management

Schlau speichern

25.05.2007 von Holger Eriksdotter
Fast alle Anbieter aus dem Storage- und Archivierungsumfeld schmücken sich mit dem Zusatz "ILM". Doch weder gibt es einen einheitlichen Ansatz noch reicht ein einfach gestricktes Konzept, um das komplexe Daten-Management in den Griff zu bekommen.
ILM wird in den Unternehmen nur selten komplett umgesetzt. (Foto: IBM)

Die Unternehmen drohen an der Masse ihrer Daten zu ersticken. Die E-Mail-Flut sowie die elektronische Erfassung von Dokumenten lassen die Datenspeicher überquellen. Dabei sind es vor allem unstrukturierte Daten, die zum Anschwellen der Unternehmensdaten beitragen. Schon heute liegen weniger als die Hälfte aller Daten in strukturierter Form in den Datenbanken der Unternehmensapplikationen vor - mit steigender Tendenz. Der große Rest verteilt sich auf E-Mail- und Messaging-Systeme, PDFs, Office-Daten und immer häufiger sogar Audio- und Video-Dateien.

Experten gehen davon aus, dass sich die Menge der Firmendaten alle zwei bis drei Jahre verdoppelt. Der Versuch, dem wachsenden Datenvolumen allein mit dem Ausbau der Storage-Kapazitäten zu begegnen, birgt neben rechtlichen Risiken auch die Gefahr, dass wertvolle Informationen im Dickicht der Storage-Landschaft verschwinden, während redundante und weniger wichtige Daten teure Online-Volumes füllen.

Storage treibt ILM-Ausgaben

Wolfram Funk Analyst Experton Group: "Jedes vierte Unternehmen hat ILM bereits punktuell umgesetz. Eine unternehemensweite ILM-Umsetzung hat mit 3,5 Prozent noch Seltenheitswert."

ILM soll Abhilfe schaffen: Das Speicherkonzept geht von der Annahme aus, dass Daten unterschiedlich wertvoll für das Unternehmen sind und dass sich der Wert von Informationen im Laufe der Zeit ändert. So weit, so gut. Das Kürzel kommt historisch aus dem Storage-Bereich. Während die wichtigsten operativen Daten auf schnellen - und teuren - Primärspeichern lagern, sollen sie im Lauf der Zeit auf günstigere Sekundärspeicher verlagert und dann endgültig auf Bänder archiviert werden, so die Theorie. "Trotz gewisser Berührungspunkte von ILM mit dem Enterprise Content Management (ECM) beziehungsweise Dokumenten-Management wird das Gros der ILM-Initiativen ausgehend von Storage-Vorhaben vorangetrieben. Rund acht bis zehn Prozent des IT-Budgets bei deutschen Anwenderunternehmen entfallen auf Storage-Ausgaben - interne Personalkosten eingeschlossen", sagt Analyst Wolfram Funk von der Experton Group.

Im vergangenen Jahr hat Senior Advisor Funk für eine ILM-Studie 200 deutsche Unternehmen befragt. „Fast 77 Prozent der befragten Anwenderunternehmen beschäftigen sich mit ILM. Jedes vierte Unternehmen hat nach eigenen Aussagen ILM bereits punktuell umgesetzt. Eine komplette, unternehmensweite Umsetzung hat mit nur 3,5 Prozent der Befragten aber noch Seltenheitswert“, sagt Funk.

Das verwundert nicht: Denn mit DMS, ECM-, Archivierungs- oder E-Mail-Management-Systemen entstehen Insellösungen in Unternehmen. Diese Lösungen in einzelnen Abteilungen und für Spezialaufgaben berücksichtigen teilweise über das Alter der Daten hinaus auch inhaltliche Kriterien. Aber Insellösungen bedeuten auch eine langfristige Bindung an den Hard- und Softwarelieferanten. Denn die einzelnen Systeme lassen sich nur schwer verknüpfen, anbieterübergreifende Standards existieren praktisch nicht.

David Senf Analyst, IDC: "ILM ist ein von Anbietern geprägtes Modewort, das nur einen kleinen Schritt in Richtung eines umfassenden Informationsmanagementsbedeutet."

Standards existieren praktisch nicht. Der Markt für Storage ist riesig: Funk beziffert das Marktvolumen für Storage-Lösungen und -Dienstleistungen in Deutschland 2006 mit 5,3 Milliarden Euro: Davon entfielen 2,2 Milliarden Euro auf Hardware, 0,8 Milliarden Euro auf Software sowie 2,3 Milliarden Euro auf Dienstleistungen. Das bedeutet ein Wachstum gegenüber dem Vorjahr um rund elf Prozent. In dieser Größenordnung läge auch die durchschnittliche jährliche Steigerungsrate im Zeitraum zwischen 2005 und 2008 – vor allem getrieben von Storage-Software und -Dienstleistungen.

ILM bleibt ein unscharfer Begriff

Reifegrad: Einsatz von ILM-Konzepten in einzelnen Branchen.

Wie viel von dieser Summe in ILM-Investitionen fließt, kann allenfalls geschätzt werden. Denn ILM-Funktionalität wird immer a ls Bestandteil von Storage-, ECM-, E-Mail-Management oder Archivierungslösungen mitgeliefert. Kein Anbieter weist ILM-Umsätze separat aus. Nach Funks Einschätzung gelten heute rund fünf bis zehn Prozent der Storage-Umsätze am deutschen Markt als „ILM-relevant“ – mit steigender Tendenz.

Markt: Umsätze der größten Storage-Anbieter weltweit.

Im Rahmen der Studie hat die Experton Group die Anwenderunternehmen anhand einer festen Liste von Produktanbietern zu Bekanntheitsgrad und Leistungsfähigkeit der Anbieter im ILM-Umfeld befragt. Beim Bekanntheitsgrad führen IBM, HP, Cisco, Fujitsu Siemens Computers, Dell und Microsoft das Ranking der Produktanbieter an. EMC liegt bei der Bewertung der Leistungsfähigkeit vorn. Überdurchschnittlich gut bewertet wurden ferner Cisco, IBM und HP sowie Tandberg Data, Network Appliance, Brocade, Sun Microsystems/StorageTek, Mount10, Overland Storage und Veritas (Symantec). Insgesamt bewerten die Befragten die meisten Anbieter mit "gut"; kein Unternehmen wird schlechter als "3" eingestuft. Das gewichtete Mittel aller Bewertungen liegt bei 2,2. Die Einschätzung der Anwender belegt, dass der Begriff sehr unscharf ist und Anwender mit ihm viele Lösungen verbinden.

Als treibende Faktoren für den Umbau der Speicherinfrastruktur nannten die Befragten an erster Stelle die Datensicherheit, Business Continuity und Desaster Recovery. Darauf folgten die Bewältigung der Datenflut und die Erfüllung von Compliance-Anforderungen. unstrukturierte Daten Sorgen; sie besitzen besondere rechtliche Relevanz: Vereinbarungen mit Kunden und Partnern werden per E-Mail getroffen, Geschäftsberichte und Verträge sind in Textverarbeitungs- oder PDF-Dateien gespeichert, Listen und Aufstellungen in Tabellenblättern erfasst, und Absprachen über technische Details liegen in Präsentationen oder digitalen Zeichnungen vor. Unstrukturierte Daten – und ihr Wert für das Unternehmen – lassen sich erheblich schwerer in ILMKonzepte einbinden als die strukturierten Daten in den operativen Systemen.

Probleme bei der ILM-Umsetzung

Beim Management von unstrukturierten Daten mit rechtlicher Relevanz reicht das ILM-Konzept nicht aus. (Foto: IBM)

Eine weitere Studie zum Umgang mit unstrukturierten Daten, die die Experton Group im Oktober vorigen Jahres durchgeführt hat, zeigt hier deutliche Defizite: Während die Unternehmen den Grad der Zielerreichung im Umgang mit unstrukturierten Daten in den technischen Bereichen wie der Verfügbarkeit und Konsolidierung der Speichersysteme, Backup- und Recovery, die Unabhängigkeit von Betriebssystem- und Server-Systemen oder das plattformübergreifende Speichermanagement als weitgehend zufriedenstellend einstufen, fällt ein Wert aus dem Rahmen: Die Einbindung des Managements und Klassifizierung von unstrukturierten Daten in bestehende Speicher-Konzepte beurteilen sie durchgehend als nicht zufriedenstellend. Experton-Vorstand und Studienleiter Andreas Zilch bilanziert: "Die Klassifizierung unstrukturierter Daten steht noch am Anfang; die Unternehmen verzeichnen in diesem Bereich bisher nur geringe Erfolge."

Das ILM-Konzept greift zu kurz

Marktüberblick: Anbieter von produkten im ILM- und Storage-Umfeld.

Das klassische ILM-Konzept ist zu einfach gestrickt und versagt, wenn es um inhaltliche Klassifizierung geht. Aus dem Storage-Blickwinkel betrachtet, wollen CIOs mit dem ILM-Konzept vor allem das Datenwachstum und die Kosten in den Griff bekommen. Viel dringender für Unternehmen ist die inhaltliche Klassifizierung, etwa nach rechtlicher Relevanz oder Vertraulichkeitsanforderungen. Diese Anforderungen aber lassen sich mit einem allein auf die Speicherebene ausgerichteten Konzept nicht in den Griff bekommen.

Hier gibt es eine Reihe von Firmen, die etwa mit E-Mail (Archivierungs)-Lösungen, Dokumenten (DMS)- und Enterprise-Content-Management (ECM)-Systemen ILM-Funktionalität über den reinen Storage-Ansatz hinaus anbieten. Insofern ist ILM fast zu einem Überbegriff für Storage- und Datenklassifizierungs- sowie Verwaltungskonzepte geworden. "ILM ist ein von den Anbietern geprägtes Modewort, das aber nur einen kleinen Schritt in Richtung eines umfassenden Information-Managements bedeutet“, sagt Analyst David Senf vom Marktforscher IDC.

Praxis: Wie Anwender die erreichten Ziele von ILM-Lösungen bewerten.

Unternehmen fühlen sich mit der Klassifizierung überfordert. Bei der Frage in der Experton-Studie "In welchen Bereichen würden Sie externe Dienstleistungen für das Management/Speicherung von unstrukturierten Daten in Anspruch nehmen?" landeten Compliance, Encryption und die Einbindung unstrukturierter Daten in eine ILM-Strategie auf den vordersten Plätzen. Zwar gaben fast 70 Prozent an, ihre Richtlinien für Datenspeicherung auf Basis gesetzlicher Regelungen festzulegen, aber weniger als die Hälfte stützte sich dabei auf eine umfassende Compliance-Strategie.

"Die" Komplettlösung, die alle Probleme des Daten-Managements in den Griff bekommt, gibt es noch nicht. Aber es zeichnet sich eine Konsolidierung im Anbietermarkt ab: Kleine Spezialanbieter werden übernommen, Storage-, Archivierungs-, DMS- und ECM-Anbieter schließen sich zusammen oder bilden Allianzen.