Fit für die Digitalisierung

Stolpersteine der Agilität ausräumen

28.02.2020 von Sabine Dietrich  IDG ExpertenNetzwerk
Agilität scheint Allheilmittel der VUCA-Welt zu sein. Woran sie im Unternehmensalltag allzu häufig scheitert und wie Sie mit diesen Stolpersteinen umgehen - dazu liefert der Beitrag konkrete Tipps.
Agilität braucht mutige Manager, die die Stolperfallen gezielt umschiffen können.
Foto: khak - shutterstock.com

Agilität - dieser Begriff findet sich aktuell immer und überall. Als ob es sich um ein Zauberwort handele. Das Zauberwort, dem Unternehmen, Führungskräfte und Mitarbeiter nur folgen müssen, um sich fit für das Jahrzehnt der Digitalisierung aufzustellen.

Dabei haben zwischenzeitlich viele Unternehmen erfahren, dass dieser vielberufene Geist die Erwartungen nicht erfüllt hat. Auch nicht erfüllen konnte. Aber warum eigentlich? Was sind die Ursachen? Hier vier zentrale Stolpersteine:

1. Unklare Begriffe & Erwartungen

Allzu häufig heißt es "Wir werden agil". Aber was ist das eigentlich? Die Frage an Führungskräfte unterschiedlicher Unternehmen, aber sogar an Führungskräfte eines Unternehmens in verschiedenen Bereichen führt meist zu sehr unterschiedlichen Antworten. Von "Wir werden schneller", "Wir sparen die lästige Dokumentation der Anforderungsbeschreibungen" bis zu "Die Mitarbeiter sind dann verantwortlich" hört man ziemlich vieles. Und an allem ist sicher irgendetwas dran. Aber eben auch nur etwas.

Agilität - was ist das eigentlich?

Agilität als Begriff gibt es bereits seit fast 70 Jahren in unterschiedlichen Facetten. Die Digitalisierung hat ihm mehr Bedeutung und Aktualität verliehen. Nichtsdestotrotz, die Definitionen sind vielfältig, wenn nicht schillernd.

Das Konzept der Agilität findet sich in der Systemtheorie von Organisationen seit den 1950er Jahren. In diesem Kontext hat der amerikanische Soziologe Talcott Parsons vier Dimensionen fixiert, die ein auf Zukunft ausgerichtetes System erfüllen muss und deren Anfangsbuchstaben den Begriff AGIL bilden:

In Wellen beginnend mit dem Agile Manufacturing über die Agile Softwareentwicklung bis zur Agilen Organisation rauscht der Begriff durch die Unternehmenslandschaft.

Agilität heute - Begriff klären

In der heutigen Unternehmenspraxis sind mit dem Begriff die folgenden Aspekte verbunden:

Fazit

Der Begriff "Agilität" ist vielschichtig und bedarf unbedingt, bevor ein Unternehmen sich auf den Weg der Veränderung macht, der Klärung. Was verstehen die Beteiligten darunter? Was ist das gemeinsame Verständnis? Und was sind die Erwartungen an diese Veränderung? Das gemeinsame Verständnis der erarbeiteten Antworten ist der erste Schritt zum Schutz vor Fehlentwicklungen und enttäuschten Erwartungen.

2. Der Glaube an DIE Lösung

Jeder spricht darüber, überall sind sie zu lesen: die Erfolgsgeschichten zu Agilität. Also muss dieser Ansatz jedes Unternehmen, jedes Projekt zukunftsfit machen. Wenn das so einfach wäre. Ein häufiger Irrtum: Agilität ist Scrum. Ja, Scrum ist weit verbreitet. Aber Agilität ist auch Kanban, Design Thinking, DevOps, SAFe - um nur einige weitere Ansätze zu nennen. Allein die Begriffsdefinition zeigt schon die unterschiedlichen Facetten der Agilität, die auf dem Weg zur Veränderung professionell bespielt werden müssen. In diesem Umfeld müssen sich Unternehmen positionieren. Eins ist darüber hinaus all diesen Methoden gemeinsam: Ein Allheilmittel gibt es nicht. Auch wenn sich der eine oder andere das wünscht.

Individuelle Aufstellung

Jedes Unternehmen muss sich die Frage stellen, wie es sich angesichts der notwendigen Veränderungen aufstellen will. Oder auch: Wie viel Agilität in welcher Form und auch wo ist für das Unternehmen erforderlich? Was passt zum Unternehmen, zu seiner Kultur und seinen Werten? Und nicht zuletzt zu seinen Kunden?

Kurze Iterationen à la Scrum sind wunderbar, wenn allerdings die Kunden weiterhin direkte, verbindliche Antworten, ein Fixierung ihrer Anforderungen und direkt marktreife Lösungen erwarten, wird es für jedes agil arbeitende Unternehmen schwierig. Agilität macht in einem solchen Kontext keinen Sinn. Oder was geschieht mit einem Start-up, in dem Selbstorganisation bei zunehmendem Unternehmenswachstum nicht mehr funktioniert?

Fazit

Agilität ist kein Fertigbaukasten und auch kein Allheilmittel, das jedes Unternehmen per se zukunftsfit macht. Vielmehr gilt es genau zu prüfen, inwiefern und in welcher Ausprägung agiles Arbeiten für ein bestimmtes Thema oder einen Bereich sinnvoll ist und nachhaltig Mehrwert erzeugen kann - oder inwiefern möglicherweise auch tradierte Modelle und -werte wirksam sind.

3. Arbeit an den Symptomen

Ein Prozess scheint zu langsam zu sein, also machen wir ihn schneller. Und wenn wir dann noch Agilität mit mehr Schnelligkeit gleichsetzen, scheint es ganz einfach zu sein, oder? Schade, wenn sich dann nicht die erhofften Ergebnisse einstellen.

Wenn man genau hinschaut: Letztendlich wurde nur ein Pflaster auf ein oberflächlich sichtbares Symptom geklebt, die tieferen Ursachen blieben bei einem solchen Vorgehen unberücksichtigt. Und wirken natürlich weiterhin.

Ursachen identifizieren

Bevor also direkt zur scheinbar passenden Lösung "Agilität" oder was auch immer gegriffen wird, sind die wahren Ursachen für ein Problem zu prüfen. Diese Prüfung kostet Zeit, ja. Sie rentiert sich aber immer. Denn fehlgeleitete Schnellschüsse und ad-hoc-Maßnahmen sind üblicherweise teurer: Sie kosten nicht nur Zeit und Geld, sondern auch Energie und Motivation der Mitarbeiter.

Um die Gründe hinter oberflächlich sichtbaren Symptomen zu erkennen, hat sich die von Toyoda Sakichi entwickelte 5-W-Methode bewährt. Wie funktioniert diese?

Sie stellen beispielsweise fest, dass Ihre Projekte zu lange dauern und beginnen zu fragen :

Und plötzlich erscheint unter einem oberflächlichen Symptom die wahre Ursache - häufig in einer ganz anderen Dimension. So wird dann klar, an welchen Themen wirklich gearbeitet werden muss.

Fazit

Die agile Veränderung braucht eine Ausrichtung. Und die muss auf den wahren Ursachen basieren. Allein in dem beschriebenen Beispiel hätte die Einführung von beispielsweise Scrum keinerlei Wirkung gehabt. Die Ursache des Problems lag hier in einem ganz anderem Bereich, nämlich dem fehlenden Ressourcenmanagement.

4. Oberflächliche Veränderung "auf Knopfdruck"

"Wir lassen die Mitarbeiter Scrum trainieren und zertifizieren, dann wird das schon" - so ein häufiger Spruch. Kann sein, tut es allerdings zumeist nicht. Eine Qualifikation für eine Methode ist nie schlecht. Damit eine Veränderung im Unternehmen wirksam werden kann, ist jedoch mehr erforderlich.

Eine nachhaltige Veränderung muss auf vielen Ebenen wirken, bis hin zum neuen Mindset - und das kostet Zeit und fordert Professionalität. Und auch wenn das eigentlich alle wissen, bleibt es doch zu häufig unberücksichtigt.

In der Realität werden immer wieder Mitarbeiter in Trainings gesandt und anschließend in der Organisation allein gelassen. Eine Kommunikation zu den damit verbundenen Erwartungen, zum Ziel des erworbenen Wissens oder der aktuellen Veränderung, eine Begleitung beim Praxistransfer - Fehlanzeige. Die Konsequenz ist Verunsicherung, unzureichende Handlungskompetenz und letztendlich Demotivation.

Wirksam verändern

Im Fokus der Veränderung stehen die Menschen im Unternehmen. Sie gilt es, aktiv und konsequent einzubinden. Ihnen das WARUM und WIE der Veränderung zu erklären. Und das nicht nur einmal. Sondern kontinuierlich und in unterschiedlichen Formaten. Schließlich verändern sich die Anforderungen, die Verantwortung und damit nicht zuletzt die eigene Rolle eines jeden.

Das fängt bei jedem Manager an, der in der agilen Welt eine andere Rolle übernehmen muss - den Mitarbeitern gegenüber weiterhin Vorbild bleiben sollte. Wie verhält er sich in kritischen, herausfordernden Situationen? Genau das sind die Situationen, in denen tradierte Verhaltensmuster reaktiviert werden, was dann wiederum kontraproduktiv auf die Mitarbeiter wirkt.

Fazit

Neue Rollen und deren Anforderungen benötigen Reflexion und den Erwerb von Handlungskompetenz. Angefangen von den Managern bis hin zu jedem Mitarbeiter. Um dies zu verankern und Wirkung zu erzielen, muss immer wieder konsequent Raum für das Verproben und die Weiterentwicklung neuer Verhaltensweisen eingeräumt werden - idealerweise im Sinn bestmöglicher Ergebnisse professionell begleitet. Eine konsequente Kommunikation und aktive Einbindung aller Beteiligten mit der Möglichkeit eines offenen Austauschs ist Erfolgsfaktor auf der Reise der Veränderung.

Agilität ist mehr als Scrum

Zunehmende Dynamik und wachsende Komplexität fordern Veränderung, neue Arbeitsweisen fordern neue Methoden. Agilität kann Unternehmen erfolgreicher machen, ist jedoch mehr als Scrum und in keinem Fall ein Allheilmittel. Vielmehr muss eine Veränderung zum zu lösenden Problem passen und es müssen die erforderlichen Voraussetzungen geschaffen werden.

Von zentraler Bedeutung dabei ist die konsequente Einbindung aller im Unternehmen - von der Schaffung eines gemeinsamen Verständnisses bis hin zur Auseinandersetzung mit den Anforderungen der neuen Rollen. Letztendlich braucht eine nachhaltig wirksame und wirtschaftlich sinnvolle Veränderung Manager, die mutig die passgenaue Veränderung realisieren und Aktionismus durch reflektiertes Handeln ablösen.