CIOs müssen den Weg bereiten

Transform or Die: Überleben im digitalen Darwinismus

27.05.2014 von Thomas Spreitzer
Wenn selbst die Bild Zeitung ihren Bericht über den Genfer Automobilsalon mit "Wer sich nicht verändert, verliert" betitelt, um die Wirkung der Digitalisierung zu beschreiben; wenn Herr Winterkorn als Vorstandsvorsitzender von VW in der Digitalisierung die größte Herausforderung für VW sieht und die Wirtschaftswoche über den digitalen Darwinismus spricht, ist eigentlich alles gesagt.
"Wer die Digitalisierung nicht nutzt, um nah am Kunden zu sein, wird massiv Marktanteile verlieren." Thomas Spreitzer, Leiter Marketing T-Systems
Foto: T-Systems

Wir glauben, dass die wichtigste Aufgabe für Unternehmen ist, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen, um näher an ihre Kunden zu kommen. Wir nennen das Zero Distance. Trotz der ganzen Diskussion in den Medien tun sich insbesondere Konzerne und Traditionsunternehmen schwer mit der Implementierung einer Digitalisierungsstrategie. Das hat multiple Gründe: Erstens ist das Wissen um die Möglichkeiten immer noch nicht ausgeprägt genug. Zweitens verhindern Bürokratie, interne Politik und Silodenken eine kundenorientierte, schnelle Veränderung der Prozesse. Und nicht zuletzt ist leider die IT oft nicht im Driver´s Seat, obwohl sie eigentlich dafür prädestiniert ist.

Die IT ermöglicht neue Geschäftsmodelle auf der Basis von Cloud Computing , Social Media oder Big Data . Oft fehlt es aber in den IT-Bereichen an der Fähigkeit, Geschäftsherausforderungen und technische Möglichkeiten aktiv zusammenzubringen. Stattdessen wird oft noch die alte Arbeitsweise gelebt und es heißt: „Nenn‘ mir erst einmal deine Anforderungen, dann werde ich sehen, was davon unter den vielen Rahmenbedingungen wie Zielarchitektur, Sicherheit oder Kosten machbar ist.“ Wir möchten in diesem und den folgenden Beiträgen Denkanstöße geben, Praxisbeispiele vorstellen und die Herausforderungen und Chancen diskutieren.

Digitalisierungspotenzial erkennen

Was ein traditionsreiches und erfolgreiches Unternehmen wie Otto beispielsweise von weniger erfolgreichen oder mittlerweile gar insolventen Wettbewerbern unterscheidet: Otto hat sein Digitalisierungspotenzial erkannt und umgesetzt. Der Versandhausriese nutzt Big Data, um Kaufwünsche seiner Kunden besser vorauszusehen. So können aufwendige Retouren vermieden und logistischer Aufwand optimiert werden.

Dass die IT gar zur zentralen Schnittstelle zum Kunden wird, zeigt sich eindrücklich in der Bankenbranche. Noch vor fünf oder sechs Jahren trugen die meisten Menschen ihr Erspartes zur Bankfiliale an der Ecke. Heute sehen wir: Die ING-DiBa etwa hat es ganz ohne Filialen geschafft, 8 Millionen Kunden zu akquirieren und ist – hätten Sie es gewusst? – die drittgrößte Privatkundenbank in Deutschland. Und sie hat 2013 den höchsten Gewinn in ihrer Geschichte erwirtschaftet. Der ist übrigens sechs Mal höher als der der Commerzbank.

Wettbewerbsfaktor IT

Was lernen wir daraus? Wer die Digitalisierung nicht nutzt, um nah am Kunden zu sein, wird massiv Marktanteile verlieren. Denn es gilt immer mehr: Der Shop muss zum Kunden kommen, nicht umgekehrt. Mit „Shop“ meine ich nicht nur die Filiale, sondern jede Art von absatzorientierter Kundeninteraktion. Genau hier kommt die IT ins Spiel – egal, ob Sie mobile Einkaufsservices für Mitarbeiter anbieten wollen oder neue Vertriebskanäle für Kunden eröffnen. War es bis dato Hauptaufgabe der Unternehmens-IT, Prozesse innerhalb der Wertschöpfungskette zu gestalten und zu steuern, entwickelt sie sich nun zu einem echten Wettbewerbsfaktor. Damit ist die IT zu einem Vorstandsthema geworden.

CIOs und IT-Leiter müssen auf Augenhöhe mit dem Vorstand darüber sprechen, welchen Beitrag die IT für mehr Kundennähe leisten kann. Und wenn der CIO gemeinsam mit dem CEO hinter der digitalen Transformation des eigenen Unternehmens steht, tun dies laut einer MIT-Studie auch 95 Prozent der Mitarbeiter. Hier müssen viele der IT-Entscheider aber an ihrer Kommunikationsfähigkeit und ihrem Business-Verständnis arbeiten. Nur dann werden sie diese Rolle auch wirklich einnehmen können. Zurück zum Business: Wie können sich Unternehmen mit Filialstruktur gegen diese neuen, schnellen Wettbewerber zur Wehr setzen?

Mit Best-of-Both-Worlds zu mehr Kundennähe

„Klassische“ Unternehmen haben einen Vorteil gegenüber reinen Online-Unternehmen: eine „menschliche Vertriebsstruktur“. Wenn es ihnen gelingt, dieses Asset mit den Vorteilen der digitalen Sales und Marketing Channels (Portale & Social Media) zu kombinieren, können sie sich differenzieren. Was heißt das konkret? Im Bankenbereich heißt das, sie schalten am digitalen Point-of-Sale, also beispielsweise bei Immoscout24, eine Kreditanzeige und bieten auch die Erstberatung über das Web an. Der Kunde hat aber jederzeit die Möglichkeit, telefonisch oder in der nächsten Filiale einen Berater zu sprechen. Dort beginnt das Gespräch aber nicht wieder von vorne, sondern der Bankberater in der Filiale kennt die komplette Kundenhistorie und berät von diesem Startpunkt aus.

Auch im Automobilbereich wird der Omni-Channel-Ansatz immer wichtiger. Neue Wettbewerber wie Autohaus24.de oder 12Neuwagen.de stellen mit ihrer aggressiven Rabattstrategie die klassischen Händlerstrukturen in Frage. Was die digitalen Wettbewerber aber nicht können: das Wissen der Werkstätten nutzen, um einzuschätzen, ob ein Kunde ein altes reparaturfälliges Auto hat. Nur dann können Händler dem Kunden anbieten, die Kosten für die Reparatur besser in die Anzahlung eines Neuwagens mit Leasingmodell zu investieren.

Eine weitere Option: Ein Kunde stellt im Online-Konfigurator von Audi oder BMW sein Wunschfahrzeug zusammen, das gleich per Knopfdruck an den nächstgelegenen Händler geht. Der Verkäufer in der Filiale kann dann genau daran ansetzen. Voraussetzung ist die Vernetzung der Frontend- und Backend-Systeme, sprich Marketing-Tools wie Kampagnen-Software, Konfiguratoren, Social Media oder CRM-Systeme inklusive Händler- / Werkstätten-Anbindung.

Genau das bieten wir zum Beispiel mit unseren Lösungen im Bereich Customer Experience Management an. Sie beinhalten zusätzlich eine App-basierte Händlerlösung, die im Autohaus die 360-Grad-Kundensicht ermöglicht – mit einer Historie aller Telefonate, Kontakte, Mailings, Angebote, E-Mails, Rechnungen und Reklamationen. Wenn Werkstatt und Vertrieb die gleiche Sicht auf den Kunden haben, wird es bald selbstverständlich sein, dass der Kunde seinen potenziellen Neuwagen als Testfahrzeug bekommt, während sein altes Auto gerade in der Reparatur ist.

Erfolgsfaktor interne Kollaboration

Ganz gleich, in welcher Branche Sie als CIO oder IT-Verantwortlicher die IT-Transformation vorantreiben, immer ist eines entscheidend: die enge Zusammenarbeit mit den Fachabteilungen. Sie ist unabdingbar, um neue Services, Apps und Lösungen in die bestehende Unternehmens-IT und Prozesswelt erfolgreich zu integrieren und Insellösungen zu vermeiden. Wie wichtig die kollaborative Entwicklung neuer Lösungen zwischen IT- und Geschäftsbereich ist, weiß ich aus eigener Erfahrung als Marketingleiter sowie als Kunde der eigenen IT.

Sicher, da prallen Welten aufeinander. Denn das Business braucht neue Systeme und Lösungen, am besten sofort. Der CMO will Prozesse und Tools vom Kunden her optimieren. Der CIO dagegen achtet vornehmlich auf Datenschutz, Systemsicherheit und Kosten. Doch trotz dieser unterschiedlichen Erwartungshaltungen ist die Zusammenarbeit unumgänglich. Denn dann ist beiden gedient: Die Kundendaten sind sicher. Der CIO kann sich im Unternehmen gut positionieren. Und der CMO erhält Lösungen, die dem Business dienen. Gemeinsam sind sie der Schlüssel zum Erfolg.