Lufthansa, Rheinmetall & Co.

Umstritten: Web 2.0 am Arbeitsplatz

13.10.2010 von Christoph Lixenfeld
Die Diskussion um Facebook macht aus CIOs gespaltene Persönlichkeiten: Web 2.0 zur internen Zusammenarbeit finden sie super, Marc Zuckerbergs Brabbel-Plattform weniger. Aus gutem Grund.
Nachrichten von einem "Facebook-Freund" sind also auch dann sichtbar, wenn der User gerade nicht in Facebook eingeloggt ist.

Facebook ist überall. In den USA haben mehr als 40 Prozent der Einwohner einen Account. Und in diesem Sommer hat Facebook sogar Einzug in Microsofts Outlook gehalten. Eine Schnittstelle zu LinkedIn, der Social-Media-Plattform für berufliche Kontakte, gab es dort bereits seit letztem Jahr. Aber jetzt hat es eben auch Facebook geschafft. Wer bislang dachte, er brauche sich nicht um das Jugendphänomen Facebook zu kümmern, der irrt. Die neueste Outlook-Version zeigt Mitteilungen, die in der sogenannten Statuszeile von sozialen Netzwerken verbreitet werden. Nachrichten von einem "Facebook-Freund" sind also auch dann sichtbar, wenn der User gerade nicht in Facebook eingeloggt ist. E-Mail ist eben nicht mehr überall die wichtigste Form der digitalen Kommunikation. Auch nicht bei CIOs. Dazu drei Beispiele:

1. Bei der Deutschen Lufthansa ist Social Media zu einer der wichtigsten Werbeplattformen geworden. Folglich zeichnet dafür Marketing-Chef Hubert Frach verantwortlich und nicht der CIO Thomas Endres. Endres nutzt natürlich alle Möglichkeiten, die das Feedback- und Mitmach-Internet bietet. Zentrales, wuchtiges Tool ist für ihn die Web-2.0-Kommunikationsplattform e-Teaming, die Mitarbeiter aller Unternehmensteile miteinander vernetzt. Erst seit einem Jahr produktiv, hat e-Teaming bereits 25 000 aktive User. Endres Haltung zu Facebook ist hingegen ambivalent. Er ist sehr dafür, dass Lufthansa auch dort landet: "Wir müssen auf die Marke achten und Dinge tun, die zur Marke passen. Und das ist bei Facebook der Fall." Er persönlich hält jedoch nichts von totaler Offenheit. "Der" Thomas Endres ist im Gegensatz zu seinen zahlreichen Namensvettern auf keiner Social-Media-Plattform für alle sichtbar. Er nutzt die Privacy-Einstellungen, um sich ausschließlich seinen Freunden zu zeigen.

2. Bei Markus Bentele, CIO bei der Rheinmetall AG, fällt die Ambivalenz sogar noch größer aus. Einen Facebook-Account hat Bentele nicht: „Weil ich nicht wüsste, warum!“ Von Facebook-Funktionalitäten zeigt er sich allerdings schwer begeistert: Rheinmetall unterhält eine eigene, firmeninterne und gesicherte Collaboration-Plattform für Document-Sharing und Yellow Pages, außerdem gibt es virtuelle Teamräume und Instant-Messaging-Funktionen. Auch Microblogging à la Twitter sieht das Unternehmen in einer potenziellen Anwendbarkeit, obwohl Bentele zunächst dagegen war: "Ich dachte: Twittern? Geschwätz? Brauchen wir nicht. Aber dann kam jemand auf die Idee, eine Microblogging-Funktion in unsere Yellow Pages einzubauen. So könnten Mitarbeiter twittern, in welcher Niederlassung sie am nächsten Dienstag sind. Sehr praktisch, wenn man jemanden mal schnell auf einen kurzen Informationsaustausch treffen will."

3. Jürgen Burger, CIO bei Hellmann Worldwide Logistics aus Osnabrück, ist "always on", wie er sagt, und er hat einen eignen Facebook-Account, obwohl sein Arbeitgeber keinen hat. Er ist dabei, weil er "verstehen will, wie das Ganze funktioniert und wer da unterwegs ist". Abseits vom reinen Erkenntnisgewinn setzt Burger Social Media aber auch im eigenen Unternehmen ein. Mit "Helios" hat er ein Projekt für die Umstellung der gesamten prozessführenden Systeme hin zur integrierten E-Business-Suite von Oracle aufgesetzt. Das Kommunikations- und Dokumentenaustausch-Tool von Helios ist ein Wiki, also eine klassische Web-2.0-Anwendung.

Jürgen Burger, CIO bei Hellmann Worldwide Logistics: "Jedem, der sich in diesem Umfeld bewegt, muss klar sein, dass die Grenze zwischen privatem Wissen und Firmenwissen immer durchbrochen wird."
Foto: Joachim Wendler

Die Beispiele zeigen, welche Beziehung CIOs in der Regel zum Web 2.0 pflegen: Sie kümmern sich um nützliche Wikis, Blogs oder andere webbasierte Anwendungen. Aber die Außendarstellung der Firma etwa auf Facebook zählt natürlich nicht zu ihren Aufgaben. Das heißt, sie dürfen sich mit den technischen Schwierigkeiten und Sicherheitsproblemen herumschlagen, ernten aber nie die Früchte des Social Web. Hinzu kommt ein weiteres Argument, das die Begeisterung trübt:

Daniel Heinzmann, Chef von OIZ, dem kommunalen IT-Dienstleister der Stadt Zürich, hatte den rund 24 000 kommunalen Mitarbeitern mit Rückendeckung des Stadtrates per Mail vom 5. Mai 2009 "eine letzte Chance" gegeben, Facebook weiterhin nutzen zu können.

Bedingung: Die Zahl der monatlichen Zugriffe sollte von 3,36 Millionen im März 2009 auf maximal 0,5 Millionen bis Ende Juli sinken. Tatsächlich ging die Facebook-Nutzung zunächst deutlich zurück, stieg dann aber schnell wieder an. Bis der OIZ-Chef die Notbremse zog: Seit August 2009 müssen die Mitarbeiter der Stadt ihren Account nach Feierabend vom heimischen Rechner aus pflegen. Daniel Heinzmann: "Mit dem Entscheid zur Schließung haben wir uns meiner Meinung nach als kostenbewusstes Unternehmen positioniert, das zwar den Mitarbeitern Raum für Eigenverantwortung lässt, aber auch nicht davor zurückschreckt, im Sinne des Steuerzahlers unpopuläre Maßnahmen zu ergreifen."

Nach eigenen Angaben erreicht Facebook weltweit 500 Millionen aktive Nutzer.

Zu solch unpopulären Maßnahmen greifen heute nicht nur Behörden, die den Traffic in ihren Netzwerken reduzieren und damit das Steuersäckel schonen wollen. Auch Unternehmen sperren den Zugang zu Web-2.0-Anwendungen, meist aufgrund von mangelnder Sicherheit. Wie eine aktuelle Studie des CIO-Colloquiums ergab, haben mehr als die Hälfte aller CIOs Sicherheitsbedenken bezüglich der Social-Media-Plattformen - die Bedrohung durch Hacker schätzen sie geringer ein.

Social Engineering

Die UBS-Bank zum Beispiel hat ihren Mitarbeitern das Facebook-Kabel abgeklemmt, weil den Verantwortlichen das Risiko von "Social Engineering" zu groß ist. Gemeint ist "die Gefahr, unter Vortäuschung falscher Identität unberechtigt an vertrauliche Daten zu gelangen oder die Opfer zu bestimmten Aktionen zu bewegen. Insbesondere Social-Network-Plattformen bergen die Möglichkeit der Speicherung von Informationen, die nicht nur Rückschlüsse auf die Person, sondern auch auf den Arbeitgeber zulassen", schreibt die Bank.

Schmerzfreier Umgang mit Daten

Thomas Endres, CIO der Lufthansa:"Wir müssen auf die Marke achten und Dinge tun, die zur Marke passen. Das ist bei Facebook der Fall."
Foto: Joachim Wendler

Die Warnungen und Ängste vor den Gefahren durch Xing, StudiVZ, Facebook und andere Social-Media-Plattformen sind mehr als berechtigt. Gerade in diesem Frühjahr gab es fast im Wochentakt Horrormeldungen über den laxen, um nicht zu sagen völlig schmerzfreien Umgang der Macher mit der Privatsphäre ihrer Nutzer.

Besonders Facebook und sein Chef Marc Zuckerberg standen dabei heftig in der Kritik. Einige Schlagzeilen: "Facebook hat Nutzerdaten an Werbekunden verraten" -"Facebook versendet unverschlüsselte Passwörter" - "Geplante Datenschutzbestimmungen bei Facebook hochproblematisch" und so weiter. Ein Gruppe von Kanadiern rief den "Verlasst-Facebook-Tag" aus. Mehr als 20 000 User erklärten daraufhin, der großen Freunde-Maschine den Rücken kehren zu wollen. Spiegel Online betitelte den Mai 2010 gar als den "düstersten Monat der Unternehmensgeschichte" für Facebook.

Insgesamt 44 Prozent der deutschen Unternehmen untersagen die Nutzung von Social Media am Arbeitsplatz. Erstaunlich liberal zeigt sich in der weltweiten Studie von Cisco China.

Marc Zuckerberg bereitet das jedoch keine schlaflosen Nächte. Facebook selbst bezeichnet den Mai als einen der wachstumsstärksten Monate der Unternehmensgeschichte. Und bei - nach eigenen Angaben - weltweit 500 Millionen aktiven Nutzern lässt sich der Abgang von 20 000 oder 30 000 verschmerzen.

Wenn Facebook ein Land wäre, dann wäre es gemessen an den Einwohnern das drittgrößte der Erde. Dessen Regierungschef Marc Zuckerberg verkündete selbstbewusst, dass die Zeit der Privatheit schlicht vorbei sei. Nicht Facebook müsse sich ändern, die Gesellschaft ändere sich. Mehr Offenheit auch in privaten Dingen sei heute die "soziale Norm". Klingt erschreckend. Besonders weil es stimmt. Schlimmer noch: Soziale Netzwerke machen sogar süchtig, jedenfalls wenn man einer Studie der University of Maryland glaubt. 200 Studenten mussten dabei 24 Stunden lang auf jede Art digitaler Medien verzichten. Als Folge berichteten viele über Unruhe, extreme Nervosität und Anspannung, also von ähnlichen Symptomen wie beim Entzug von Alkhol und Drogen.

Und Süchtige sind die treuesten Konsumenten überhaupt, deshalb sind Social-Media-Plattformen ideale, zudem extrem preiswerte Werbeflächen. Die Lufthansa zum Beispiel ist in der schönen neuen Web-2.0-Welt sichtbar und präsent wie kaum ein zweites Unternehmen, Marketing-Chef Hubert Frach nutzt StudiVZ, Facebook und Twitter konsequent als Werbeflächen: Auf Twitter wird auf den A380 eingestimmt ("The wait is over! You can book your flights now"), "Lufthansa Moments" auf Facebook fordert die User dazu auf, Fotos von Reisen hochzuladen und so die schönsten "Lufthansamomente" miteinander zu teilen. Die Fans können über einen Link zur Lufthansa-Seite buchen, sich über das Unternehmen informieren oder sich Detailfotos über die neuesten Triebwerke ansehen. Es gehe darum, sagt Hubert Frach, "die Marke emotional aufzuladen". Dazu würde es natürlich schlecht passen, den Zugang der Mitarbeiter zu Facebook oder Youtube zu beschränken. Und Frach käme auch gar nicht auf die Idee. "Unsere weltweit 117 000 Mitarbeiter sind hervorragende Botschafter des eigenen Unternehmens."

"Wo haben die das bloß her?"

Markus Bentele, CIO von Rheinmetall: "Bis jetzt haben wir kein Problem, aber wer Böses will, der kann Böses tun, das ist klar."
Foto: Joachim Wendler

Allerdings kann die Sache mit dem Botschafter des eigenen Unternehmens auch nach hinten losgehen. Hellmann-CIO Jürgen Burger: "Ich hatte durchaus schon die Situation, dass Externe gewisse Dinge über unser Unternehmen wussten, bei denen ich mich fragte: Wo haben die das bloß her? Oder ich sehe irgendwo außerhalb unseres Unternehmens eine Powerpoint-Präsentation, die mir irgendwie bekannt vorkommt." Grund zur Panik? Für Jürgen Burger eher nicht. "Jedem, der sich in diesem Umfeld bewegt, muss klar sein, dass die Grenze zwischen privatem Wissen und Firmenwissen immer durchbrochen wird, wenn Menschen über Facebook oder Xing miteinander kommunizieren." Hellmann Worldwide Logistics hat eine klare Policy zum Umgang mit sozialen Medien, und Burger sagt, dass "wir unsere Leute immer wieder sensibilisieren müssen. Allerdings lassen sich die Dinge, die wir machen, so einfach auch nicht von anderen kopieren. Das gilt vor allem für unser wichtigstes Asset, die globale Präsenz."

Verbieten bringt nichts

Von einer Sperrung hält Jürgen Burger deshalb ebenso wenig wie von einem Verbot. Diesen, im Vergleich zur Radikallösung der Stadt Zürich etwas sanfteren Weg, gehen viele Unternehmen in Deutschland: Laut einer Studie von Cisco untersagen 44 Prozent der deutschen Unternehmen die Nutzung von Social Media während der Arbeitszeit. Interessanter als diese Zahl ist allerdings eine andere: 40 Prozent der Angestellten halten sich nicht an das Verbot - so viel zur Sucht.

Markus Bentele, CIO der Rheinmetall AG, seufzt vernehmbar, wenn man ihn auf das Thema Facebook und Sicherheit anspricht. Dass er es nicht ganz so locker sieht wie sein Kollege Burger, hängt mit den Empfindlichkeiten seiner Branche zusammen; Rheinmetall produziert - auch - Rüstungsgüter. "Natürlich haben unsere Mitarbeiter auch eine besondere Sensibilität für das Thema Datensicherheit. Bis jetzt haben wir kein Problem, aber wer Böses will, der kann Böses tun, das ist klar." Bei der Rheinmetall AG gibt es neben der Policy eine Vereinbarung mit Betriebsräten über den Umgang mit Verstößen. Bentele schließt auch keineswegs für alle Zeiten aus, bestimmte Seiten zu sperren. "Wenn wir merken würden, dass sich das ganze Thema Social Media und Außenwirkung gegen uns wendet, dann müssten wir entsprechend reagieren."

Aber könnte ein Verbot die entsprechende Reaktion sein? Eher nein. Jürgen Burger von Hellmann World-wide Logistics: "Die sogenannte Generation Y, also die heute Zehn- bis 19-Jährigen, brauchen das einfach, die können nicht ohne Social Media. Die gehen später nur in ein Unternehmen, in dem es entsprechende Anwendungen gibt, die nicht nur hilfreich sind, sondern auch Spaß machen." Und Rheinmetall-CIO Markus Bentele glaubt, dass Social Networks "die Mentalität verändert haben.

Bei den Jungen geschieht die kognitive Prägung zur Problemlösung heute durch Vernetzen und Teilen." Probleme sieht er mittlerweile darin, auch diejenigen auf die Reise mitzunehmen, die kognitiv noch anders geprägt sind, die "Generation E-Mail" sozusagen. Deshalb hat sich Bentele einen kleinen Trick ausgedacht, um sie näher an die schöne neue Zwopunktnull-Welt heranzuführen: den "Buddy-Knopf" im Mail-Programm, quasi eine Analogie zu den Freunden bei Facebook oder den Followern bei Twitter.

Ablehnen ist keine Alternative

Und die Zukunft? Für die CIOs, die sich weniger um das "emotionale Aufladen der Marke" und mehr um den internen Nutzen von Web-2.0-Anwendungen kümmern, stehen effiziente Kommunikation und Wissensmanagement an erster Stelle. Lufthansa-CIO Thomas Endres will "so schnell wie möglich sämtliche Lufthansa-Töchter an die e-Teaming-Plattform anbinden und so die Reichweite erhöhen. Das ist auch deshalb wichtig, weil die Zusammenarbeit der Mitarbeiter über den ganzen Konzern hinweg immer enger wird."

Jürgen Burger von Hellmann Worldwide Logistics möchte auf dem Kundenportal, das auf Websphere basiert, verschiedene Tools wie Wikis und Blogs integrieren, zum Beispiel um damit die Nachverfolgung von Sendungen noch genauer und effizienter zu machen. Burger: "Die Estimatet Time of Arrival, die voraussichtliche Ankunftszeit, kann ich genau berechnen, wenn ich dazu in Echtzeit zum Beispiel Informationen aus Singapur, Hamburg und Hongkong bekomme."

Markus Bentele, CIO von Rheinmetall: "Für 20 bis 30 Leute, die alle auf einem Flur sitzen, brauche ich keine Web-2.0-Anwendung. Da reicht die bekannte Kaffee-Ecke."

Markus Bentele, CIO der Rheinmetall AG, setzt vor allem auf ein weiter perfektioniertes Wissens-Management. "Wir sind ein substanzstarkes und international erfolgreiches Unternehmen, das auch durch Zukäufe und Beteiligungen gewachsen ist. Deshalb sind die Strukturen, wenn auch nur temporär, heterogen, was die Kommunikation erschwert. Für ein Unternehmen wie unseres sind Web-2.0-Anwendungen daher ideal." Ein Muss für jeden sind solche Plattformen aber aus seiner Sicht nicht. Markus Bentele: "Für 20 bis 30 Leute, die alle auf einem Flur sitzen, brauche ich keine Web-2.0-Anwendung. Da reicht die bekannte Kaffee-Ecke völlig aus."