Nicht hinter SLAs verstecken

Vom Alignment zur Business-Integration

10.01.2014 von Jens Niebuhr
Die Herausforderungen an die Unternehmens-IT haben sich geändert. Höchste Zeit für eine neue Art von IT-Governance, die das berücksichtigt.

Fortwährend ist die Unternehmens-IT mit sich wandelnden Geschäftsanforderungen konfrontiert. Daher muss sie sich immer wieder hinsichtlich ihrer Rolle, ihrer Fähigkeiten und ihrer Aufstellung hinterfragen. Zwei Entwicklungen haben sich als besonders fundamental herauskristallisiert, und wie aktuelle Studien übereinstimmend zeigen, werden sie eine nachhaltige Veränderung der Unternehmens-IT mit sich bringen.

Digitalisierung: IT als Kernleistung

Das ist zum einen "die Digitization": IT wird immer mehr zum Bestandteil der unternehmerischen Kernleistung, sei es als Grundlage neuer Geschäftsmodelle, als wesentlicher Bestandteil von Marktprodukten oder als Rückgrat optimierter Geschäftsprozesse.

So bauen BMW und Daimler selbst komplett neue digitale Vertriebskanäle auf. Procter & Gamble versteht Digitization als Vehikel zur Unternehmenstransformation und erwartet am Ende eine vollkommen neue digitale Geschäftsprozesswelt. Der Springer Verlag hat kürzlich angekündigt, sich ganz aus "analogen" Geschäftsfeldern zurückzuziehen. In diesem Umfeld wird die IT zur Schlüsselfunktion für die unternehmerische Weiterentwicklung.

Consumerization: Nutzer im Fokus

Zum anderen handelt es sich um die Entwicklung, die von Marktbeobachtern "Consumerization" genannt wird: Die Erwartungshaltung der Anwender hinsichtlich der IT-Nutzung hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Neue Formen der Kommunikation und Zusammenarbeit werden durch soziale Medien, Unified Communications und die mächtigen App-Ökosysteme um iOS und Android geprägt.

Eine Unternehmens-IT, die diesen Anforderungen nicht genügt, läuft Gefahr, von ihren eigenen Kunden ausgebootet zu werden. Denn meist hat der Anwender selbst bereits die moderneren Endgeräte, und benutzerfreundliche Apps sind oft kostenlos erhältlich. Diese Entwicklungen werden durch die Entstehung und Reifung neuer Technologien und IT-Liefermodelle geprägt. Dazu gehören beispielsweise Virtualisierung, Big-Data-Techniken, Mobile-Business-Lösungen und "As-a-Service"-Modelle.

Es liegt nahe, angesichts dieser grundlegenden Veränderungen die Positionierung und Fähigkeiten einer Unternehmens-IT kritisch zu überprüfen. Hier etwas zu ändern, erfordert allerdings viel Zeit und Energie. Also ist frühzeitiges Handeln geboten. Dabei sind insbesondere folgende Herausforderungen zu adressieren:

1. Business Alignment

Unter diesem Schlagwort ist das Streben der IT nach mehr Nähe zum Business zu verstehen. Seit jeher wird von der IT eine enge Verzahnung mit Vertrieb, Produktion und anderen operativen Kernfunktionen gefordert, damit sie Veränderungen in den Geschäftsprozessen und im Produktportfolio schnell und effektiv umsetzen kann. Im Zuge der zunehmenden Digitalisierung wird der enge Austausch zwischen der Unternehmens-IT und dem Geschäft, also den internen Kunden der IT, noch bedeutsamer.

Die Rolle der IT geht dabei weit über das Verstehen und Bedienen der Fachabteilungen hinaus. Ebenso wichtig ist die Fähigkeit, gemeinsam mit dem internen Kunden Anforderungen zu hinterfragen, zu vereinfachen und - wo möglich - auf Standards zurückzuführen.

2. Mehr Innovationsfähigkeit

Innovation wird häufig von der IT verlangt, aber angesichts fehlender Fähigkeiten oder operativer Prioritäten zu selten geliefert. Viele Produkt- und Prozessinnovationen werden aber von Technologie initiiert. Im Vertrieb und Service ermöglicht die Entwicklung und Reifung neuer Technologien, zum Beispiel von Hadoop-basierenden Speichersystemen, neue Ansätze in der Kundenanalyse und damit den Aufbau leistungsfähigerer Geschäftsprozesse.

Ohne die Unternehmens-IT als dem maßgeblichen Treiber lassen sich solche Potenziale nicht effektiv erschließen. Zudem müssen die technologischen Innovationen stimmig in die Prozess- und IT- Architektur eingefügt werden, um Datenintegrität und Skalierbarkeit der Lösungen sicherzustellen. Die IT ist gefordert, die Innovationspotenziale frühzeitig zu erkennen, die Implikationen zu verstehen und deren Erschließung voranzutreiben.

3. Risiko-Management/Sicherheit

Die wachsende Bedrohung durch Cyber-Kriminalität angesichts einer immer größeren Bedeutung der IT für den operativen Geschäftsbetrieb sorgt für weiteren Druck: Die Unternehmens-IT muss die Sicherheit der Informationen gewährleisten beziehungsweise die damit verbundenen Risiken im Griff haben. Eine rein IT-interne Perspektive greift angesichts der Verzahnung von IT und Geschäft allerdings zu kurz.

Die typische Datenschutz-/sicherheitsfunktion muss ihre Schlagkraft durch ein besseres IT-Risiko-Management erhöhen. Damit kann sie letztlich sogar zum Differenzierungsfaktor im Markt werden, wie die jüngsten Beispiele von Datenskandalen und Cyber-Attacken unterstreichen.

4. Effizienzpotenziale erschließen

Trotz der steigenden IT-Durchdringung des Business wachsen die IT-Budgets im Allgemeinen nicht. Der Handlungsspielraum, mit dem sich CIOs auf die digitale Zukunft vorbereiten können, bleibt also eng.

Daher müssen CIOs ihre IT weiter auf Effizienz trimmen und sich so den erforderlichen Spielraum schaffen. Auch künftig gefragt sind eine geringe Komplexität der Anwendungslandschaft, bessere Prozesse in Entwicklung, Betrieb und IT-Management sowie die Nutzung von Skaleneffekten und Near-/Offshore-Standorten.

Die Rolle der IT-Governance

Um diesen Herausforderungen zu begegnen, ist die Ausgestaltung der IT-Governance entscheidend. Dadurch werden die grundsätzlichen Spielregeln festgelegt, wie Unternehmens-IT und Geschäft miteinander arbeiten, wie Rechte und Pflichten im Unternehmen verteilt sind.

Die Art der Interaktion mit dem Geschäft - ob formal-distanziert ("at arm`s length") oder eher integrativ - ist ein maßgeblicher Faktor für das Business Alignment. Damit beeinflusst sie auch die Effektivität in der Zusammenarbeit zwischen Geschäft und IT.

Anforderungs-Management

Heute wird in den meisten IT-Funktionen die Schnittstelle der Unternehmens-IT zum Geschäft durch einen formalisierten Anforderungs-Management-Prozess bestimmt. Anforderungen werden dabei strukturiert aufgenommen, konsolidiert, bewertet etc. In der Governance sind Entscheidungsrechte, Budgetverantwortung und Bewertungskriterien festgelegt. Nach dieser Maßgabe wird dann entschieden, welche Themen in welchem Release umgesetzt werden und was eventuell zurückzustellen ist.

In vielen Unternehmen ist ein gut funktionierendes Anforderungs-Management immer noch keine gelebte Praxis. Sofern richtig implementiert, kann ein solches Modell diverse Stärken ausspielen: klar formulierte Geschäftsanforderungen, transparente Bewertung, nachvollziehbare Priorisierung im Einklang mit den Unternehmensprioritäten.

Kulturen treffen aufeinander

Allerdings bleibt das Business Alignment eine Herausforderung. An der Schnittstelle zwischen Unternehmens-IT und Geschäft treffen unterschiedliche Kulturen und Incentivierungen aufeinander. Eine gemeinsame Führung aus der Linie heraus existiert nicht. Konflikte müssen daher meist mit viel Reibung durch Gremien und Prozesse geregelt werden.

Häufig ist diese Schnittstelle zudem stark formalisiert, im schlimmsten Fall bürokratisiert. Wenn die Unternehmens-IT nicht dazu autorisiert ist, kann sie die fachlichen Anforderungen der Geschäftsseite auch nicht ausreichend hinterfragen, um beispielsweise effizientere Alternativkonzepte zu entwickeln und sich aktiver in den Innovationsprozess einbringen zu können.

Die Frage nach der idealen Schnittstelle zwischen Geschäft und Unternehmens-IT gehört zu den zentralen Themen jeder IT-Governance-Diskussion. Über die Ausgestaltung ihrer Kundenschnittstelle bestimmt die Unternehmens-IT maßgeblich die Zusammenarbeit mit dem Geschäft.

Key-Accounter/Solution-Designer

Organisiert sich die IT entlang ihrer Kundenstrukturen, zum Beispiel nach Geschäftssegmenten, Divisionen oder Regionen, fällt es ihr eher leicht, sich auf die spezifischen Anforderungen ihrer internen Kunden einzustellen. In diesem Fall ist der Kundenbezug ja bereits tief in der organisatorischen DNA verankert. Je stärker eine Unternehmens-IT sich jedoch funktional organisiert, um beispielsweise Skaleneffekte durch Know-how-Pooling zu erreichen, umso schwieriger wird es, das Business Alignment sicherzustellen. Andere Prioritäten rücken dann in den Vordergrund; der Fokus auf eine enge Verzahnung zwischen Geschäft und IT droht verloren zu gehen. Um dieser Gefahr entgegenzuwirken, bauen viele IT-Funktionen auf Key-Accounter und Solution-Designer mit starkem Geschäftsverständnis.

Was ist Business Integration?

Der konsequenteste Weg, Geschäftsnähe sicherzustellen, ist aber der, IT- und Geschäftsverantwortung zusammenzuführen. Sichtbarer Ausdruck ist die aufbauorganisatorische Zusammenlegung der Unternehmens-IT mit einer oder mehreren stark IT-abhängigen Geschäftsfunktionen. Statt von Business Alignment kann man hier von Business Integration sprechen.

Im globalen Chemiewettbewerb zum Beispiel gilt Supply-Chain-Kompetenz als kritischer Erfolgsfaktor. Die Anforderungen an das Lieferketten-Management nehmen stetig zu, neue Geschäftsmodelle mit veränderten Supply Chains entstehen. Gleichzeitig bieten zum Beispiel In-Memory-Computing und Big Data neue Chancen für die Erschließung von Wettbewerbsvorteilen.

BASF hat sich deshalb für eine integrierte Verantwortung von Global IT und Supply Chain entschieden. Unter anderem mit der Begründung, dass sich so die Zusammenarbeit zwischen Geschäft und IT in diesem kritischen Bereich fördern lässt.

Bei Procter & Gamble ist die Unternehmens-IT fester Teil der globalen Business-Service-Organisation. Damit lassen sich Shared-Service-Prozesse und IT besser aufeinander abstimmen, und der interne Kunde bekommt Leistungen aus einer Hand.

In Deutschland folgen bereits mehrere Unternehmen diesem Beispiel; sie bringen IT und Shared Services unter eine gemeinsame Verantwortung. Einige gehen sogar noch einen Schritt weiter und positionieren die Unternehmens-IT als Entwickler und Produzent digitaler Marktprodukte. SAP zum Beispiel hat für den Aufbau des Cloud-Service-Portfolios die Kompetenzen der Unternehmens-IT genutzt, um ein digitales Produkt- und Serviceangebot zu entwickeln.

Business Integration ist ein Schritt zur besseren Verankerung der IT und ihrer Fähigkeiten im Unternehmen, indem sie die Zusammenarbeit zwischen Geschäft und IT stärkt. Ob das eher in Richtung Produkt- oder Kundenmärkte wie im Beispiel SAP oder in Richtung Unterstützungsfunktionen wie bei Procter & Gamble laufen soll, ist pauschal nicht zu sagen.

Allerdings kann sich eine Unternehmens-IT nicht in alle Richtungen gleichzeitig integrieren. Stattdessen sollten Geschäft und IT gemeinsam die Funktionen identifizieren, die von einer Business Integration am meis-ten profitieren und so für das Gesamtunternehmen den größten Mehrwert stiften.

IT-intern lebt die Tradition weiter

Ist die Zeit der Arm`s-Length-Governance mit einer Unternehmens-IT Vergangenheit? Einer Governance also, die über Servicekataloge, Verrechnungspreise und SLAs geführt wird? Nein, nicht generell. Für geschäftsunabhängige IT-Leistungen führt kein Weg an Standardisierung und flexibler Bereitstellung vorbei - eben "as a Service".

Solche IT- Governance-Mechanismen, effektiv eingeführt und gelebt, eignen sich gut, um Standards durchzusetzen und die Ressourcennutzung zu optimieren, egal, ob diese Leistungen intern oder von Outsourcing- und Cloud-Service-Providern bereitgestellt werden. Viele Unternehmen können hier sicher noch weiter verbessern und die Mechanismen auch auf andere standardisierbare Leistungen ausdehnen, beispielsweise die einschlägigen HR-, Finanz-, oder Facility-Management-Prozesse.

Nicht hinter SLAs verstecken

Will ein Unternehmen seine IT hingegen zu einem strategischen Hebel ausbauen, so muss es das traditionelle IT-Governance- Modell in Richtung Business Integration überdenken. Gemeinsame Ziele, Prozesse und Führung fördern die Verzahnung von IT und Geschäft.

So ermöglicht das Unternehmen den Auf- und Ausbau seiner differenzierenden Fähigkeiten. Und gerade hier darf sich die Unternehmens-IT nicht hinter ServiceLevel-Agreements verstecken. (qua)