Standards von HP, Oracle und SAP

Wie die LKW-Maut funktioniert

22.07.2010 von Riem Sarsam
Das österreichische Maut-System kommt mit 22 verschiedenen Zahlungsmethoden und 30 Kartenarten zurecht. Bei rund 700.000 Lastwagen fallen an den 800 Mautstationen etwa 2000 Transaktionen pro Minute an. Das ERP kommt von SAP, die Datenbank von Oracle und die Server von HP.

2,7 Milliarden Kilometer legten LKWs über 3,5 Tonnen 2004 auf Österreichs Autobahnen und Schnellstraßen zurück. Das war das Jahr, in dem die LKW-Maut eingeführt wurde. Auch danach stieg die Fernverkehrsflut über den Brennerpass, die Tauern- und die Donauautobahn weiter: Höhepunkt war bislang das Jahr 2008, in dem sich die Zahl der gefahrenen LKW-Kilometer auf 3,26 Milliarden summierte.

Trotzdem, oder gerade deshalb braucht Österreich aus der Sicht der Verantwortlichen ein leistungsfähiges LKW-Mautsystem. Dass alle Anforderungen erfüllt werden, dafür sorgt die Asfinag, die österreichische Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft, Asfinag. Für die zentrale IT-Infrastruktur hingegen ist die Raiffeisen Informatik zuständig. "Der IT kommt im Mautsystem eine Schlüsselrolle zu", erläutert Hannes Pfneiszl, Senior Vice President der Raiffeisen Informatik.

Die Informationstechnik integriert die verschiedenen Systeme und stellt die Basis für die Bearbeitung der Datenmassen bereit: Mehr als 800 Mautstationen hängen an dem Netz, pro Minute fallen 2000 Transaktionen an. Über 700.000 LKWs sind als Stammkunden im System registriert, ein zentrales Callcenter der Raiffeisen Informatik steht außerdem mit über 250 Mitarbeitern rund um die Uhr zur Verfügung.

Um einen reibungslosen Start des Mautsystems zu gewährleisten, legten die österreichischen Verantwortlichen die Messlatte für das Projekt von Anfang an sehr hoch: Das System sollte am 1. Januar 2004 seinen Betrieb aufnehmen. Bereits drei Monate vorher musste sich das Pilotprojekt im Livebetrieb bewähren. Dies wiederum setzte voraus, dass sechs Monate zuvor der Verkauf der On-Board-Units (OBU) für die Abrechnung beginnen musste. In 18 Monaten konnten über 100 Fachkräfte der Raiffeisen Informatik das Projekt zu Ende führen.

Basis der Infrastruktur sind Server von HP, die mit dem kommerziellen Unix-Betriebssystem HP-UX ausgestattet sind. Darauf setzt eine Oracle-Datenbank auf. SAP liefert die ERP-Software - zunächst R/3 inzwischen in der Version SAP ERP 6.0. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem Modul SAP FI-Ca (Vertragskontokorrent), das speziell auf Massendatenverarbeitung ausgelegt und für die Abrechnung mit den Kunden zuständig ist. Eine zentrale Aufgabe kommt der Anwendung SAP CRM zu, in der Kunden und Zahlungsmodalitäten angelegt sind.

Datenmasse engt Softwarewahl ein

Komplettiert wird die Softwarelandschaft durch SAP Netweaver Business Warehouse in der Version 7.0, das die Transaktionsdaten auswertet. Die Auswahl des Systems war schon allein durch die Masse der Daten schnell eingeengt. "Die SAP-Software war in der Lage, eine große Anzahl von Transaktionen und Kunden zu verarbeiten", begründet Bernd Datler, Chef der Systementwicklung bei der Asfinag, die Entscheidung für die Anwendungen aus Walldorf. Außerdem habe das System verschiedene Sprachen zur Kundenkommunikation unterstützt, zum Beispiel für die Rechnungsstellung.

Wacht über Österreichs Straßen: Die Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs AG (Asfinag) muss auch für ein leistungsfähiges Mautsystem sorgen.

Ein kritischer Punkt bei der Auswahl sei auch die einfache Integration gewesen, ergänzt Christian Muthspiel, Projektmanager der Raiffeisen Informatik. "Mit SAP-Software können wir alle Systeme anbinden, ohne vielfältige Schnittstellen einsetzen zu müssen."

Die Basisdaten für das Mautsystem entstehen durch das Zusammenspiel von Mautstation und On-Board-Units (OBU), die in Österreich Go-Boxen heißen. Diese haben etwa die Größe einer Zigarettenschachtel und werden an der Windschutzscheibe des LKWs befestigt. Sie enthalten Informationen über die Fahrzeugkategorie und die Anzahl der Achsen. Passiert ein LKW eine der Mautstationen, sendet die Box eine Meldung an das Zentralsystem per Mikrowellentechnik. "Diese Technologie ist weltweit erprobt und europaweit standardisiert", erklärt Pfneiszl die Vorteile. "Außerdem fallen relativ geringe Kosten für die On-Board-Units an."

Doch damit allein ist es für die Software noch nicht getan. Insgesamt sind 22 verschiedene Zahlungsarten im System hinterlegt, die wiederum in zwei große Kategorien fallen: Prepay- und Postpay-Verfahren. Bei der Bezahlung vorab wird ein Guthaben auf der Go-Box verbucht, das jeweils beim Passieren eines Kontrollpunktes belastet wird. Bei der anderen Variante, der Bezahlung im Anschluss, wird per Einzugsauftrag, über eine Kredit- oder Tankkarte zweiwöchentlich oder monatlich abgerechnet.

Mittlerweile sind über 30 verschiedene Kartenarten im System eingepflegt. Damit zahlen die LKW-Fahrer an den Zahlstellen ihre Gebühren und erhalten ihre Rechnung. Um den Mautprozess abzuschließen, werden die Übersichtsrechnungen vom Druck Output Center der Raiffeisen Informatik gedruckt, kuvertiert und versendet.

An den Vertriebsstellen können die Fahrer zudem über eine Frontend-Anwendung Mautverträge abschließen, ändern und Zahlungsmethoden festlegen. Diese Daten wandern in das CRM, wo sie den Mitarbeitern des Callcenters als Grundlage für die Bearbeitung von Kundenanfragen oder Beschwerden dienen. Neben dem Callcenter steht Fahrern und Speditionen außerdem ein Kunden-Portal zur Verfügung.

Vertrauen ist gut ..: An rund 100 Stellen sind Kontrollsysteme installiert, mit denen sich die Fahrzeuge von allen Seiten fotografieren lassen.

Das österreichische Mautsystem hat nach Betreiberangaben eine Erfassungsquote von 99,6 Prozent. Ergänzt wird es durch ein Kontrollsystem, das Mautprellerei bekämpfen soll. Rund 100 Autobahnabschnitte sind zu diesem Zweck mit stationären Kontrolleinrichtungen ausgestattet. Diese fotografieren die vorbei fahrenden LKWs von vorne und von der Seite. Per Bilderkennung wird so automatisch überprüft, ob das Fahrzeug erstens über eine Go-Box verfügt und zweitens tatsächlich so viele Achsen hat, wie im System hinterlegt.

Archiv mit 80 TB Daten

Bei Verdacht auf Täuschung sendet das System ebenfalls automatisch ein Bild vom betreffenden Fahrzeug an die Zentrale. Diese wiederum informiert dann die Mautaufsicht der Asfinag, die den potenziellen Mautpreller direkt auf der Autobahn zur Rede stellen und zur Kasse bitten kann. Zusätzlich sind mobile Kontrolleinrichtungen im Einsatz und die Mitarbeiter der Mautaufsicht selbst führen manuelle Kontrollen durch.

Die Datenhaltung erfolgt in zwei Storage Area Networks (SAN). Der Bestand an Online-Daten umfasst 5,35 Terabyte (TB), im Archiv befinden sich 80 TB. Zum Vergleich: Der Speicherbedarf einer akademischen Bibliothek beträgt etwa zwei TB. Die Kunden- und Fahrzeugdaten werden jedoch nicht nur zur Abrechnung gespeichert: Das SAP Business Warehouse hat darüber hinaus die Aufgabe, Auswertungen vorzunehmen. Die gefahrenen Kilometer im Jahr beispielsweise oder die am stärksten befahrenen Streckenabschnitte. Informationen, die als Basis für Renovierungsarbeiten herangezogen werden oder als Grundlage für Planung und Entwicklung der Straßen dienen.

System in Österreich Vorreiter

Selbstverständlich lässt das System auch Aussagen über die Entwicklung der europäischen Lastverkehrsströme zu. Die Qualität dieser Einschätzungen würde jedoch verbessert, wenn die europäischen Mautsysteme technisch kompatibel wären. Unter diesem Blickwinkel ist das System in Österreich Vorreiter: "Schweizer LKWs können ihre OBUs in Österreich nutzen", betont Muthspiel. "Das ist ein wichtiger Schritt für die Interoperabilität." Ähnliche Projekte mit Italien und Deutschland sind bereits in Planung.

Asfinag / Maut-System

Branche

Transport

Zeitrahmen

ab 2004

Produkte

SAP Netweaver, CRM, BI

Dienstleister

Raiffeisen Informatik

Umfang

Österreich

Internet

www.asfinag.at