Mehr als CRM

Customer Experience wird zum Maßstab unternehmerischen Handelns

04.11.2015 von Heinrich Vaske
Den Analysten von Forrester Research zufolge leben wir im "Zeitalter des Kunden". Viele Unternehmen hätten das allerdings noch nicht verstanden. Sie konzentrierten sich auf ihre CRM- und Marketing-Aktivitäten und wüssten weder um das Ausmaß der anstehenden Veränderungen noch um die erforderliche Umsetzungsgeschwindigkeit.
  • Zehn Tipps zeigen, wie Unternehmen sich in Richtung "Kundenbesessenheit" wandeln können
  • Führungskräfte, die nicht digital ticken, werden ausgetauscht
  • Datenschutz und -sicherheit sind keine Nebenbaustelle mehr
  • Wer den digitalen Wandel nicht schafft, wird schon bald die Segel streichen müssen

Im nächsten Jahr, so die düstere Prophezeiung der Analysten, geht die Schere auf. Die guten Unternehmen haben dann die Herausforderung angenommen und kämpfen dafür, ein "Customer-obsessed" Betriebsmodell umzusetzen. Die anderen werden weiter den falschen Prioritäten hinterher rennen und im Wettbewerb zurückfallen, heißt es. Laut Forrester gibt es zehn kritische Erfolgsfaktoren.

Personalisierung ist die entscheidende Hürde

Kunden erwarten künftig, als Individuen erkannt und behandelt zu werden. Deshalb müssen die Ansprechpartner in den Unternehmen vollständig und korrekt über den Kunden, seine Geschichte und seine Interessen unterrichtet sein. Nur wenn sie die persönlichen Wünsche und Bedürfnisse wirklich kennen, ergeben sich Vorteile. Wer andererseits mit jedem Kundenkontakt erst schwerfällig lernen muss, mit wem er es zu tun hat, wird vom Markt bestraft werden.

Wo liegen die Budgets für Customer-Experience-Vorhaben?
Foto: Forrester Research

Level und Qualität der personalisierten Kundenerfahrung werden 2016 darüber entscheiden, welche Anbieter der Kunde wahrnimmt und wo er sein Geld lässt. Entscheidend sind also "Kundenintelligenz" im Vertrieb und die Ausstattung des Personals mit Analytics-Systemen, die flexibel sind und auch die zukünftigen Kundenbedürfnisse ermitteln können.

Customer Experience entscheidet über Umsatzentwicklung

Kunden erwarten erstklassige Bedienung an allen Touchpoints - egal ob es sich auf der Gegenseite um menschliche Ansprechpartner oder Tools handelt. Für Unternehmen ist das eine Herausforderung: Sie brauchen eine Kombination aus Menschen, Prozessen und Technologien, die im Zusammenspiel zu einem besseren Verständnis und idealerweise auch zu einer Antizipation zu erwartender Kundenbedürfnisse führt.

Laut Forrester sind Customer Experience und Umsatzentwicklung nicht voneinander zu trennen. Auch kleine, taktische Anstrengungen könnten hier direkt zu einer Verbesserung der Erlöse führen. Es liege im Aufgabenbereich des Chief Marketing Officer (CMO) dafür zu sorgen, dass erstklassige Kundenerfahrungen das Wachstum vorantreiben. Sie müssten das Markenversprechen in werthaltige, personalisierte Kundenerfahrungen umsetzen. Forrester fürchtet allerdings, dass die Mehrzahl der Firmen eher "klein denken" und lediglich an den Details der "Customer Journey" arbeiten wird.

CEOs werden ihr Management umbauen

Der Wandel in Richtung eines voll auf den individuellen Kunden abgestimmten Markts wird dazu führen, dass CEOs ihre Führungsteams umbauen. Anstelle der langjährigen, etablierten Führungskraft tritt nun ein neuer Managertyp, dessen Profil auf der tiefen Kenntnis digitaler Techniken und Trends aufsetzt. Das führt zu Spannungen in den Unternehmen.

Herausforderungen bei Customer Experience
Foto: IDC

Viele Bereichs- und Abteilungsleiter werden von ihren erlernten und über Jahre verwurzelten Verhaltensweisen nicht lassen können. Sie haben verinnerlicht, dass Risiken bezüglich der Quartals-Performance das letzte ist, was sie sich leisten können. Zudem sind viele CMOs, die das Thema Customer Experience Management vorantreiben müssten, noch nicht bereit dafür. Auch die CIOs - eigentlich diejenigen mit dem nötigen IT-Hintergrund - seien oft nicht in der Lage, die Brücke zum Business zu schlagen und sich dessen Perspektive anzueignen. Sie ließen ihren Alltag von technischer Komplexität, Architekturkompromissen, Risiko- und Compliance-Fragen bestimmen - und nicht von der Beschäftigung mit dem Kunden.

Einige Firmen investieren deshalb in neue Positionen wie den Chief Digital Officer oder den Chief Customer Officer. Am Ende aber kommt es in dieser Phase des Wandels laut Forrester auf den CEO selbst an. Er muss Veränderungen anschieben und die richtigen Persönlichkeiten für die Gestaltungsaufgaben finden, egal welchen Titel sie dann tragen. Wie die Analysten fürchten, wird ein Teil der Unternehmen jedoch an überkommenen Führungsstrukturen festhalten. Sie werden Personen mit wenig Durchsetzungskraft in die entscheidenden Positionen bringen und Governance-Strukturen haben, die zum Scheitern verurteilt sind.

Kultur entscheidet über Geschäftserfolg

Über Unternehmenskultur wurde in den vergangenen Jahren viel geredet. Jetzt ist sie tatsächlich erfolgskritisch geworden. Nur wenn alle in die gleiche Richtung rudern, wird der Wandel zu einer kundenzentrierten Organisation schnell genug erfolgen. "Kultur befeuert den Wandel", sagen die Analysten, sie sei nicht etwa dessen Nebenprodukt. Kultur sorge für Geschwindigkeit, Effizienz, Kreativität und unternehmerische Intelligenz. All das sei notwendig, um das Unternehmen in Richtung Kundenfokus umzukrempeln - und den vielen disruptiven Herausforderern zu begegnen.

Entwicklungsstand des eigenen CRM-Vorhabens auf dem Weg zum kundenorientierten Unternehmen.
Foto: BARC

Doch eine Kultur aufzubauen oder zu wandeln, geht nicht von heute auf morgen. Wichtig ist die Weichenstellung in frühen Stadien. Ist die DNA die richtige, sind Unternehmen in der Lage, betriebliche Umbaumaßnahmen schnell vorzunehmen und neue Level der Business-Agilität zu erreichen.

Disruption wird zur Normalität

Die viel zitierten "Digital Disruptors" haben heute Startvorteile, weil sie kein Traditionsgeschäft und keine "Legacy-Kultur" am Bein haben. Vergleicht man etwa den US-Autobauer Tesla mit klassischen Branchenvertretern wie Volkswagen oder Daimler, wird klar, was gemeint ist. Die Neueinsteiger können unbelastet darüber nachdenken, wie sie Kunden bestmöglich bedienen, und sie können völlig neue Technologien einsetzen.

Doch viele der klassischen Unternehmen haben das inzwischen erkannt, meinen die Forrester-Analysten. Sie kontern, indem sie ihre Vorteile nutzen - etwa die oft dicke Kapitaldecke, die massiven Kundendaten-Bestände oder die starke Marken- und Marktpräsenz. Die vermeintlichen Oldies werden viel agiler und können heute ähnlich schnell und kundenorientiert Prozesse etablieren wie ihre Herausforderer mit digitalem Hintergrund. Allerdings gibt es auch Nachzügler, die unbeweglich sind und an ihren bisherigen Geschäftspraktiken festhalten. Sie geraten 2016 stärker ins Hintertreffen.

Loyalty-Programme basieren künftig auf Partizipation

Loyalitätsprogramme, die der Kundenbindung dienen und ihnen den Anbieterwechsel erschweren sollen, haben keine Zukunft. Disruptive Herausforderer grätschen in solche Vertragskonstellationen hinein und besetzen die sich öffnenden Nischen.

Der CRM-Markt 2015 laut Gartner: Salesforce dominiert
Foto: Harald Weiss

Was Kunden künftig wollen, ist ein Vertrauensverhältnis zu der von ihnen gewählten Marke, möglicherweise auch ein gemeinsames Ziel mit dessen Anbieter. Beispielsweise möchten sie Produkte selbst anpassen und individualisieren oder durch neue Technologien wie den 3D-Druck eigenhändig gestalten. Loyalty-Programme, die auf Coupons, Discounts oder andere transaktionale Werte setzen, werden verschwinden. Im Jahr 2016 orientieren sich Kundenbindungsprogramme an gemeinsamen Vorhaben mit den Kunden.

Analytics wird wettbewerbskritisch

Im kommenden Jahr werden die Algorithmen, mit denen sich Daten analysieren lassen, wettbewerbsentscheidenden Charakter bekommen. Gute Analytics-Tools helfen, Kundenwert, Kosten und Geschäftswachstum zu beherrschen und zu antizipieren. Erschwert wird das dadurch, dass die Daten oft weit verstreut und vielfältig sind. Sie entstehen teilweise dynamisch und residieren auf ganz verschiedenen Systemen. Zudem kommen immer mehr externe Daten dazu, etwa aus Crowdsourcing-Projekten oder den Social Networks.

Big Data verspricht laut Forrester zwar Abhilfe, in Wahrheit würden aber Unternehmen oft mit zu vielen Daten überschwemmt, ohne dass es tiefere Einblicke gäbe. Nur die Tatsache, dass große Datenmengen analysiert werden könnten, stelle noch nicht sicher, dass auch die richtigen Daten, die oft auf den Systemen der Endanwender lägen, berücksichtigt würden. Außerdem müssen sich adäquate, manchmal bereichsübergreifende Prozesse anschließen, damit die Analysen nicht folgenlos bleiben.

Die guten Unternehmen schaffen es laut Forrester die Diversität der Daten zu berücksichtigen und den Schatz mittels der richtigen Algorithmen zu heben, um Kundenwerte zu schaffen und relevante Vorhersagen zu treffen. Die weniger guten verlieren an Tempo und Kundenfokus. Ihr Risiko, ungeduldige Kunden zu verlieren, ist hoch.

Digitales Dilettieren ist fatal

Unternehmen investieren 2016 mehr in Innovationen. Sie kämpfen um Talente mit digitalen Skills und stellen neues Führungspersonal mit entsprechendem Background ein. Digitale Technologien werden zum entscheidenden Treiber der Geschäftstransformation. Laut Forrester geht es um viel mehr als nur darum, das Business mit digitalen Erfahrungen und Tools zu dekorieren.

Investitionspläne von Unternehmen in CRM.
Foto: BARC

Wer vorne mitspielen will, muss digitale Techniken in alle Teile seines Business implementieren. Er muss virtuelle und reale Erfahrungen kombinieren und in der Lage sein, sich schnell an das immer extremere Verhalten der Kunden bezüglich Akzeptanz oder Ablehnung von Angeboten anzupassen.

Forrester warnt davor, sich mit Scheinprojekten selbst zu blenden. Wer Trends wie das Internet of Things oder Mobile Payment 2016 noch ins Labor oder auf die digitale Spielwiese verbanne, werde erhebliche Wertschöpfungspotenziale verpassen. Es gehe nun darum, die institutionellen, organisatorischen und kulturellen Barrieren auf dem Weg in die digitalisierte Zukunft zu durchbrechen.

Datenschutz und Sicherheit werden wettbewerbskritisch

Früher haben sich laut Forrester nur fünf Prozent der Anwender wirklich mit Privacy beschäftigt, noch weniger hätten ihr Verhalten aus Sorge um ihre Daten geändert. In vielen Unternehmen sei der Datenschutz eher eine Frage der "rechtlichen Hygiene" als ein ernsthaftes Anliegen gewesen.

Das ist heute anders geworden. Öffentlich diskutierte Sicherheitsvorfälle wie der Sony-Hack oder die erfolgreichen Angriffe auf Visa und Mastercard haben die Menschen sensibilisiert. Heute kümmern sich die Kunden um ihre Daten und wenden sich nur solchen Firmen zu, die für den Schutz ihrer Privatsphäre garantieren. Deshalb ist bei führenden Unternehmen der Datenschutz nicht mehr nur eine rechtliche Frage oder ein "Risiko", sondern ein unmittelbares Marketing-Ziel. Gelingt es, ein hohes Datenschutz-Level zu reklamieren und nachzuweisen, kann das zu zusätzlichen Geschäften und Neugewinnung von Kunden führen. Firmen, die Privacy weiter als Nischenthema behandeln, werden den Analysten zufolge an Boden verlieren.

Die betriebliche Umsetzung ist entscheidend

Führungsteams, die eine kundenfokussierte Neuausrichtung anstreben, stellen sich die einfache aber wichtige Frage: Wie setzen wir es um? Laut Forrester haben sich die Marktbedingungen durch die Digitalisierung so fundamental verändert, dass ein "Weiter so" in den alten Strukturen nicht mehr möglich ist. Unternehmen müssten sich auf folgenden vier Ebenen auf ein neues Level bewegen:

  1. Wie kommen Unternehmen von der heute typischen Beschäftigung damit, was Kunden wollen und benötigen, zu einer echten "Besessenheit", die alle Beteiligten dazu bringt, werthaltige und personalisierte Kundenerfahrung in den Mittelpunkt des täglichen Handelns zu rücken?

  2. Wie lassen Firmen den Kampf mit Big Data und Business Intelligence hinter sich und etablieren Analytics, die personalisierte Services über menschliche und digitale Touchpoints hinweg ermöglichen?

  3. Wie gelingt es, eine Entwicklungs- und Reaktionsgeschwindigkeit zu erreichen, die der von disruptiven Herausforderernoder besonders dynamischen Kunden entspricht?

  4. Wie gelingt es, interne Silos aufzubrechen, um Kunden über ihre gesamte "Customer Journey" hinweg optimal bereichsübergreifend bedienen zu können?