Nachholbedarf

Kritische Selbsteinschätzung bei Digitalisierung

04.01.2017 von Christiane Pütter
Unternehmen stellen sich bei der Digitalisierung kein gutes Zeugnis aus im Vergleich zur internationalen Konkurrenz. Das zeigt eine Studie der TU Darmstadt und Lünendonk.
  • Fast alle Unternehmen arbeiten gemeinsam mit Partnern (Kunden, Zulieferer und IT-Dienstleister) an Innovationen
  • Die Branche Banken/Finance beteiligt sich am häufigsten (31 Prozent) an Startups oder Technologieunternehmen
  • Die Technologie hinter der MP3-Codierung lieferten Fraunhofer und die Universität Erlangen-Nürnberg, den großen kommerziellen Erfolg streichen US-Medienunternehmen ein

"Wie digitalisieren Sie ihr Business?" Diese Frage steht im Zentrum einer Studie unter knapp 130 Unternehmen im deutschsprachigen Raum. Verfasser sind der Berater Lünendonk aus Mindelheim (bei Augsburg), die Technische Universität Darmstadt und der Anbieter Cognizant. Das Fazit der Studie ist pessimistisch. Die Befragten sehen sich nicht gut aufgestellt.

Die Studienautoren definieren die aktuelle Transformation als "zunehmende Digitalisierung und Vernetzung in traditionellen Industrien der sogenannten Old Economy und den daraus entstehenden Möglichkeiten neuer Geschäftsmodelle, Prozesse und Partner-Ökosysteme." Die Entwicklung kreise um Themen wie Internet of Things (IoT), Big Data, mobiles Internet, Social Media, Robotik und künstliche Intelligenz.

Deutschsprachige Unternehmen sehen sich bei der Nutzung neuer Technologien im internationalen Vergleich nicht gut aufgestellt.
Foto: Lünendonk

In der Befragung geht es zunächst um eine Standortbestimmung. Die Firmen sollten sich auf einer Skala von minus zwei ("deutlich schlechter") bis plus zwei ("deutlich besser") anhand der genannten Themen einordnen. Vergleichskriterium war ihr eigenes Unternehmen gegenüber dem internationalen Wettbewerb.

Robotics, Künstliche Intelligenz und Social Media

Demnach halten die Befragten ihre Position in fast allen Punkten für schlechter. Das gilt für die Nutzung von Automation/Robotics (hier geben sie sich einen Durchschnittswert von -0,87), Künstlicher Intelligenz (-0,65) und Social Media (-0,52) sowie Cloud (-0,04). Leichte Vorteile sehen sie für sich bei der Nutzung von Big Data (+0,15) und Mobile Computing (+0,52).

Eine weitere Verortung bezieht sich auf Strategie und Umsetzung der Transformation. Im internationalen Vergleich schlecht aufgestellt sehen sich die Befragten bei der Umsetzung einer Digitalisierungsstrategie (samt Spezifizierung für die Fachbereiche). Hier bewerten sie sich im Durchschnitt mit -0,60. Bei der Vermarktung digitaler Innovationen geben sie sich einen Wert von -0,53 und beim Aufbau eines Netzwerks zur Innovationsförderung einen Wert von -0,44.

Vorteile bei digitalen Geschäftsmodellen

Ganz leichte Vorteile sprechen sie sich zu bei der Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle (+0,06) und beim Erarbeiten einer Digitalisierungsstrategie (+0,15). Etwas deutlicher vorn sehen sie sich bei der Entwicklung digitaler Innovation (+0,44).

Auch in Fragen von Digitalisierungsstrategien und Innovation sehen sich deutschsprachige Unternehmen nicht vorn.
Foto: Lünendonk

Für den gezeigten Pessimismus liefert Lünendonk ein Beispiel aus der Musikindustrie. Die Technologie, auf der MP3-Codierung und digitale Musikvermarktung basieren, lieferten 1982 das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen, Erlangen, und die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Den großen Erfolg heimsten jedoch Medienunternehmen aus den USA ein.

Ecosystem aufbauen und mit Startups kooperieren

Lünendonk geht außerdem der Frage nach, wie sich deutschsprachige Unternehmen ihr Ecosystem aufbauen. Fast alle Studienteilnehmer (98 Prozent) erklären, Innovationen gemeinsam mit Partnern (dazu zählen Kunden, Zulieferer und IT-Dienstleister) zu entwickeln und bis zur Marktreife zu bringen. Die spezielle Form des Crowdsourcing nutzen 18 Prozent.

Die Studienautoren haben erfragt, ob sich die Firmen an Startups beziehungsweise Technologieunternehmen beteiligen. Hierzu liegt eine Branchenauswertung vor. Demnach beteiligen sich Banken/Finanzdienstleister mit 31 Prozent am häufigsten an Startups oder Technologieunternehmen. Unter den Vertretern aus Chemie/Pharma/Medizintechnik sind es 15 Prozent und aus dem Handel sechs Prozent.

"Unrealistischer Optimismus"

Fast alle Befragten (95 Prozent) erwarten, dass ihre Ecosysteme zunehmend komplexer werden. Die Studienautoren vergleichen das mit dem Durchschnittswert von -0,44, den sich die Unternehmen beim Aufbau eines Netzwerks zur Innovationsförderung geben und kommentieren, es liege auf der Hand, dass Nachholbedarf besteht.

In einem weiteren Punkt spricht Professor Peter Buxmann, TU Darmstadt, von "unrealistischem Optimismus": 61 Prozent der Befragten erklären, durch die Digitalisierung kämen "große" oder "sehr große" Veränderungen auf ihre Branche zu - für das eigene Unternehmen erwarten das aber nur 53 Prozent. "Dass gerade die sehr großen Unternehmen davon ausgehen, der Markt um sie herum würde sich stärker verändern als sie selbst, spiegelt eine traditionelle Wahrnehmung wider", sagt Buxmann.