Cloud-Strategie und mehr

SAP und Daimler: CEO und CIO im Gespräch

16.01.2013 von Christoph Witte
Wir haben Michael Gorriz, den CIO von Daimler, mit Jim Hagemann Snabe, einen der beiden CEOs von SAP, zusammengeführt. Die Themen waren Cloud, Mobile und Big Data - und nicht zuletzt die Frage, was "Partnerschaft" eigentlich bedeutet.

Herr Gorriz, zur Vorbereitung dieses Gesprächs haben wir uns über potenzielle Themen ausgetauscht. Eins davon war die Co-Existenz von Public Cloud und Enterprise IT. Was interessiert Sie daran in Zusammenhang mit der SAP?

Gorriz: Wir wollen in zehn Jahren 30 Prozent unserer Anwendungsfälle aus der Cloud beziehen. Dazu müssen wir die Cloud in unsere Lösungsarchitektur einbauen. Die Frage lautet deswegen, wie wir die Vorteile der Cloud mit denen der On-Premises-Lösungen verbinden? Dazu brauche ich einen Partner, der uns dabei sinnvoll unterstützt.

Die von Herrn Gorriz genannten 30 Prozent scheinen über einen Horizont von zehn Jahren etwas mager, oder?

„Nichtstrategische Aufgaben wandern zuerst in die Cloud.“ Jim Hagemann Snabe, SAP
Foto: SAP

Snabe: Wenn wir die jetzigen Funktionen betrachten, halte ich diese Zahl für nicht falsch, behaupte aber, dass durch neue Themen, die wir heute überhaupt noch nicht bearbeiten, die Cloud-Services enorm zunehmen werden. Das heißt, der Kuchen der IT-Services wird insgesamt viel größer und das Verhältnis wird eher bei 50 zu 50 liegen in zehn Jahren. Nehmen Sie zum Beispiel Sentiment-Analysen, die wir über verschiedene soziale Medien und das Web ausführen. Das machen wir von Anfang an in der Cloud. Ein anderes Beispiel ist die Vernetzung zwischen Unternehmen, wie wir sie über Ariba (ein B2B-Commerce Netzwerk, Anm. d. Red.) anbieten. Das kann man nur über die Cloud realisieren.

Gorriz: Der Einfluss der IT dehnt sich natürlich aus. Als ich die 70-zu-30-Losung ausgab, habe ich die neuen Themen nicht berücksichtigt. Aber auch wenn man die außer Acht lässt, sind 30 Prozent sehr viel. Sie müssen bedenken, dass wir nur sechs Prozent der Anwendungslandschaft pro Jahr überhaupt verändern. So gesehen müsste ich bis zum Jahr 2022 die Hälfte meines Veränderungsbudgets in die Cloud investieren, um diese 30 Prozent zu erreichen. Heute bringe ich allerdings nur einen sehr viel geringeren Beitrag für die Cloud auf. Da sich die Cloud-Entwicklung aber beschleunigen wird, steigt der Anteil in den kommenden Jahren kräftig an.

Snabe: Das bestätigen auch unsere Zahlen. Cloud ist die bei weitem am schnellsten wachsende Kategorie.

Woher resultiert das Wachstum - aus den Legacy-Applikationen, die in die Cloud wandern, oder aus den neuen Themen?

Snabe: Ich sehe beides. Unternehmen werden die wettbewerbsrelevanten Themen und Prozesse weiterhin selbst beherrschen und nicht teilen wollen. Dann aber gibt es die, wie ich es nennen möchte, so genannten Randthemen. Hier geht es nicht um Konkurrenzvorteile, sondern eher um Effizienzgewinne, und diese wandern zurzeit am schnellsten in die Cloud. Das sind beispielsweise bestimmte HR-Prozesse wie das Finden neuer Talente oder eben nicht-strategische Einkaufsprozesse.

Viele dieser Dinge erledigen die Unternehmen auf ähnliche Weise. Deshalb können sie das sehr gut teilen. Das gilt übrigens auch für bestimmte Bereiche im CRM.

Kann man Commodity hier als Synonym für Effizienz verwenden?

Snabe: Ja. Dabei betrachtet allerdings fast jedes Unternehmen etwas anderes als Commodity. Das bedeutet für uns eine hohe Komplexität. Manche Versicherungen etwa sehen die Schadensabwicklung als Effizienzprozess, den sie im Sinne von Preisvorteilen auch auslagern können. Andere benutzen die Schadensregulierung dagegen als strategisches Mittel der Kundenbindung. Deshalb sehen sie in ihr einen Kernprozess. Konsequenterweise muss die SAP flexibel genug sein, ihren Kunden Lösungen im Cloud- und im On-Premise-Modell anzubieten, so dass die Kunden für sich entscheiden können, was ein Kern- oder ein Randprozess ist. Und die Integration der beiden Welten liefern wir selbstverständlich auch mit.

Nicht alles soll in die Cloud

„Wir wollen die individuelle Kundenbetreuung über digitale Kanäle ermöglichen.“ Michael Gorriz, Daimler
Foto: Daimler

Gorriz: Bleiben wir noch einen Moment bei der Schadensregulierung. Wir wollen unseren Kunden natürlich eine Schadensregulierung in unseren Vertragswerkstätten anbieten, als Bestandteil eines Rund-um-sorglos-Servicepakets. Deshalb benötigen wir in diesem Fall sicher Teile des Standardprozesses aus der Cloud. Aber andere Teile des gesamten Prozesses, etwa die weitere Betreuung des Kunden, sehen wir als Kernprozess, den wir lieber selbst gestalten wollen und daher on premise erledigen.

Könnte Daimler einen Standard-Cloud-Prozess nutzen und ihn mit eigenen Bestandteilen anreichern, die on premise entwickelt und betrieben werden?

Gorriz: Das ist das Ziel.

Cloud lebt von den Skaleneffekten

Bleibt dann die SAP-Effizienz nicht auf der Strecke, wenn Sie beides anbieten müssen? Das Mehr an Integrationsarbeit bedeutet doch, dass Ihr Geschäft kleinteiliger und damit weniger profitabel wird.

Snabe: Zunächst möchte ich sagen, dass wir bei SAP eine Skalierbarkeit wie kaum ein anderer in der Branche bieten. Um in der Cloud Geld verdienen zu können, braucht man möglichst viele Kunden, die auf derselben Infrastruktur arbeiten. Das können wir sehr gut. Weil wir sowohl die Cloud- und On-premise-Lösung schon gebaut haben, müssen wir die Integration nur einmal erledigen. Wenn das von zwei verschiedenen Anbietern käme, müsste jeder Kunde die Integration individuell erarbeiten.

Gorriz: Integration existiert in zwei Facetten: Die Cloud-to-Cloud- und die Cloud-to-On-Premise-Integration. Das wird letztendlich über den künftigen Verbreitungsgrad der Cloud entscheiden. Heute unterstützen Cloud-Services in der Regel einen isolierten Geschäftsprozess, die Integration in die restliche Prozesswelt ist meistens dünn. Das reicht vielleicht aus für E-Mail, Calendering oder einige Bereiche von CRM. Doch wenn man eine komplette Verkaufsabwicklung integrieren will, wird’s spannend. Das verlangt eine tiefgehende Integration in bestehende Datenstrukturen. Da reichen leichtgewichtige Interfaces nicht mehr aus.

Herr Gorriz, kann die SAP schon mehr als leichtgewichtige Integration?

Gorriz: Ich bin nicht die Marketingstimme der SAP. Aber wir arbeiten mit dem Unternehmen ja deshalb zusammen, weil es unsere Auffassung von Integration teilt. Die SAP liefert das Thema nach und nach in verwertbaren Lösungen an uns aus. Ich nehme unser ERP-System als Ausgangspunkt, in dem rund 98 Prozent meiner Daten liegen. Dieses System möchte ich mit den Cloud-Vorteilen kombinieren, die es uns ermöglichen, mehr auf den Kunden gerichtete IT zu entwickeln. Bevor Kunden einen unserer Showrooms besuchen oder eines unserer Fahrzeuge Probe fahren konfigurieren sie ihr Wunschauto am PC. Bei 80 Prozent unserer Fahrzeugverkäufe läuft diese Ereigniskette so ab.

Deshalb dürfen nur Fahrzeuge konfigurierbar sein, die in den verschiedenen Märkten auch gebaut werden können. Schon von daher ist eine Integration zwischen Cloud basiertem Car Configurator und den on premise betriebenen Produktionssteuerungssystemen unabdingbar. Das ist bereits realisiert. In den nächsten Schritten geht es darum, die individuelle Kundenbetreuung über digitale Kanäle zu ermöglichen. Dadurch erweitert sich die Einflusssphäre der IT noch einmal enorm. Unsere internen Prozesse werden zu nahezu 100 Prozent mit IT unterstützt. Einige laufen komplett automatisch ab. Der nächste Schritt zielt darauf ab, auch den gesamten Kundenzyklus möglichst so zu unterstützen, wie wir das bereits heute mit den internen Prozessen tun. Das geht nur über die Cloud, dazu reicht unsere Enterprise IT bei weitem nicht aus.

Sie haben es früher schon einmal gesagt: Bei Daimler soll die IT die digitale Schnittstelle zum Kunden bilden. Kann Ihnen dabei ein Hersteller helfen?

Gorriz: Wir müssen natürlich selbst wissen, was wir wollen. Wir spezifizieren die Dinge, die wir mit dem Kunden machen wollen. Dabei geht es darum, Daten- und Funktionsstrukturen so zu ordnen, dass auf sie schnell zugegriffen werden kann. Außerdem muss das Ganze dann in einer heterogenen Prozesslandschaft untergebracht werden. Und ich traue der SAP zu, dass wir das zusammen in einer Gesamtlösung realisieren können.

Snabe: Wir hören unseren Kunden genau zu. Unser nächster Schritt wird sein, die neuen Technologien Cloud, Mobile, Predictive Analytics, In Memory Computing und Backend-Technologien miteinander zu verbinden. So können wir dem Kunden eine Menge Komplexität abnehmen. Wir haben auf unserer letzten Kunden-Messe in Madrid im November die erste von diesen neuen Lösungen vorgestellt, die in diese Richtung gehen: SAP 360 Customer. Auf diese Weise ermöglichen wir Unternehmen, eine 360-Grad-Betrachtung ihrer Kunden. Das wiederum gibt ihnen die Chance, ihre Kunden viel gezielter mit individualisierten Produkten und Services anzusprechen. Das ganze machen wir im Prinzip für jede Branche. Die Automotive-tickt natürlich anders als etwa die Bankenwelt.

Partnerschaft oder der "Partner schafft"

Sie beide bezeichnen Ihre Beziehung als Partnerschaft und nicht als eine Lieferanten-Kunden-Beziehung. Sie entwickeln gemeinsam und Daimler hat in einigen Bereichen keine anderen Lieferanten mehr als SAP. Das macht abhängig. Wie regeln Sie in einer solchen Beziehung die Preisfindung?

Gorriz: Wir haben 1998 bereits die Entscheidung getroffen, im ERP-Bereich im Wesentlichen mit SAP zusammenzuarbeiten. Und natürlich weiß Herr Snabe, dass wir diese Entscheidung nicht rückgängig machen können, selbst wenn er mich ab und zu mit seinen Preisverhandlungen quält. In den letzten 15 Jahren haben wir es immer geschafft, faire Lösungen zu finden, die den Mehrwert teilweise bei uns lassen, und der SAP angemessene Verdienstchancen eröffnet. Wir haben gemeinsame Lösungen entwickelt, die SAP heute teilweise auch an andere verkauft.

Damit sind wir einverstanden, weil es unsere Kosten senkt, aber uns gleichzeitig den Innovationsvorsprung gesichert hat, weil wir eben vorn dran waren. Ein Erfolgsbeispiel ist die Fahrzeugstückliste. Dieses Modell haben wir gemeinsam entwickelt und inzwischen benutzen es viele andere Autohersteller ebenfalls. Ähnliches erhoffen wir uns im Bereich Spare-Parts-Management. Da stehen wir jetzt kurz vor dem unternehmensweiten Rollout und werden damit sicher auch andere überzeugen können. Kurz: Wir lernen in dieser Beziehung ständig dazu und sind sicher, dass wir sie auch in Zukunft für beide Seiten erfolgreich gestalten können.

Snabe: Wir haben dabei auch viel gelernt. Wir hatten ja eine Phase, in der wir diese Beziehungen zu den Kunden zu stark ausgenutzt haben - das betraf vor allem die Enterprise-Support-Geschichte. Ich bin jetzt seit 20 Jahren bei SAP und habe damals wirklich gelernt, dass man das Vertrauen der Kunden nicht überstrapazieren darf. Das Wort "Partnerschaft" kann im Deutschen missverstanden werden als "der Partner schafft". Deshalb ist mir manchmal die englische Bezeichnung "partnership" lieber. Damit wird sofort klar, das beide im gleichen Boot sitzen und die gleichen Ziele verfolgen müssen, wenn sie erfolgreich sein wollen.

Kein Volumenmodell für Mobile Apps

Welche Neuerungen hat die Partnerschaft zwischen Daimler und SAP im Bereich Mobile bisher zustande gebracht und wie zufrieden sind Sie damit Herr Gorriz?

Gorriz: Die SAP kam im Jahr 2011 mit einem Software-Stack zur Entwicklung mobiler Lösungen auf uns zu. Den haben wir genau geprüft und haben Nachbesserungen vorgeschlagen. Die SAP hat genau zugehört und weiterentwickelt. Heute ist der Stack unserer Meinung nach Enterprise-tauglich und für uns gut einsetzbar. Die Preishürde war nicht so leicht zu überwinden. Aber dazu kann Herr Snabe vielleicht mehr sagen.

Snabe: In Volumenentscheidungen diskutieren wir häufig, wie wir einen Mehrwert für den Kunden schaffen und für SAP einen Liquiditätsvorteil generieren können. Im Zusammenhang mit Mobile haben wir gelernt, dass es umgekehrt besser funktioniert, will sagen: wenn man kleinpreisiger pro App einsteigt. Nehmen Sie das Beispiel Apple AppStore. Damit hat Apple eine Innovationsplattform geschaffen mit heute insgesamt mehr als 700 000 Apps, davon mehr als 275 000 Apps allein für das iPad. Das wäre wahrscheinlich mit einem Volumenvertrag, der erst bei einer hohen Zahl von Apps einen niedrigen Preis erlaubt, nicht zustande gekommen. Deshalb haben wir uns mit Daimler auf ein Modell geeinigt, das im jeweiligen Projekt am Anfang niedrige Preise erlaubt unter Berücksichtigung des Business Case. Damit teilen wir uns auch einen Teil des Risikos.

Gorriz: Ich gehe das Risiko ein, dass sich Daimler bei der Entwicklung mobiler Applikationen auf den Software-Stack von SAP festlegt. SAP ist dafür bereit, länger auf den großen Kuchen zu warten. Wir haben beide von Apple gelernt, dass auch eine App für 99 Cent viel Geld bringt, wenn man sie zehn Million Mal verkauft.

Vom Apple AppStore lässt sich auch lernen, dass man eine Umgebung kontrollieren und sie trotzdem für andere Entwickler öffnen kann. Wird SAP auch so vorgehen?

Snabe: Diesen Ansatz haben wir von Anfang an verfolgt. Wir glauben nicht, dass alle Innovationen im mobilen Bereich von SAP kommen können. Deshalb haben wir das als Plattformgeschäft realisiert. Mit dieser Plattform können Dritte schnell Apps entwickeln, in die standardmäßig die Anbindung an die SAP-Backend-Systeme und -Daten integriert sind, und sich so problemlos im SAP-Ökosystem einsetzen lassen.

Gorriz: Die Verbindung zum ERP-System ist deshalb im professionellen Umfeld so wichtig, weil die meisten Enterprise Apps ja Daten aufbereiten, die irgendwo in diesen Backend-Systemen residieren oder durch sie abrufbar sind.

Können Sie Beispiele für Apps nennen, die Daimler auf der SAP-Plattform entwickelt hat?

Gorriz: Bisher sind noch keine Kunden-Apps entstanden. Wir konzentrieren uns noch auf Apps für den Daimler-internen Gebrauch. Das reicht von einfachen Workflows, bis hin zur Lagerverwaltung.

Sicherheit gerät noch stärker in den Fokus

Durch die Ausdehnung der IT auf den Endkunden sowie die vielfältigen digitalen Interaktionsmöglichkeiten zwischen Kunden und Unternehmen gerät das Thema Sicherheit noch stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit als ohnehin schon. Was erwarten Sie in diesem Zusammenhang von Ihren Lieferanten, Herr Gorriz?

„Die Kunden erwarten, dass wir ihnen – wie Amazon – auf Basis ihres jüngsten Einkaufs Angebote machen können.“ Michael Gorriz, Daimler
Foto: Daimler

Gorriz: Auf der einen Seite betrachten wir Kundendaten als hochsensibles und schützenswertes Gut. Auf der anderen Seite erwarten die Kunden aber auch von uns, dass wir - wie Amazon zum Beispiel auch - ihnen auf Basis ihres jüngsten Einkaufs Service-Angebote machen. Vom Leasingvertrag bis hin zum passenden Dachträger oder einem Software-Update für ihr Navigationssystem. Um diesen Erwartungen zu entsprechen, werden wir in Zukunft viel mehr Daten sammeln als in der Vergangenheit. Schon recht bald verbinden wir die Fahrzeuge mit dem Internet. Auf diese Weise wissen wir, was der Kunde mit seinem Auto macht, wie und wohin er fährt zum Beispiel.

Vom Umgang mit den Daimler-Kundendaten

Und sie bieten dann die Ergebnisse dieser Analysen Autobahnraststätten an, damit die ihr Angebot besser auf Daimler-Kunden abstimmen können?

Gorriz: Wir denken da in andere Richtungen: Wenn wir den Fahrstil eines Kunden kennen, bieten wir vorsichtigen Fahrern Versicherungen zu einem niedrigeren Preis an. Wenn wir so etwas tun, hat Datensicherheit natürlich eine extrem hohe Priorität. Und das ist nicht nur eine Frage der betrieblichen Aufmerksamkeit, sondern auch eine Architekturfrage. Wie werden kundensensible Daten abgelegt, gespeichert, verschlüsselt und so aufbereitet, dass sie in anonymisierter Form allgemein, aber in individueller Form nur für dieses Individuum verwendet werden? Das ist eine Herkulesaufgabe. Wir erwarten deshalb von unseren Vendoren, dass die Komplexität ihrer Lösungen den gestiegenen Sicherheitsansprüchen nicht zuwider läuft. Wir erwarten, dass Security integraler Bestandteil ihrer Pakete ist.

Snabe: SAP hat zwei Vorteile in diesem Bereich: Wir machen Geschäftssoftware und keine Konsumentenprogramme. Unsere Software geht seit 40 Jahren sowohl mit Konstruktionsdaten von Flugzeugen als auch mit Milliarden Transaktionen von Banken um. Deshalb haben wir in Sachen Sicherheit große Erfahrung.

Aber die Enterprise- und die Konsumenten-Welten wachsen doch zusammen - gerade im mobilen Bereich!

„Ich habe gelernt, dass man das Kundenvertrauen nicht überstrapazieren darf.“ Jim Hagemann Snabe, SAP
Foto: Wolfram Scheible / SAP AG

Snabe: Die Sicherheitsprobleme entstehen meistens zwischen den Systemen, weniger häufig innerhalb eines Systems. Im Enterprise-Bereich war das früher nicht so schwierig. Heute, mit Internet-Verbindungen, mit Mashups aus Komponenten verschiedener Anbieter, mit der Mischung aus Cloud- und On-premise-Lösungen ist das viel komplizierter geworden. Wir können da auf der einen Seite unsere Erfahrung mit kritischen Systemen in die Waagschale werfen. Andererseits fallen viele Systemübergänge weg, wenn sich ein Kunde für SAP entscheidet. Aber durch Mobile und Cloud bleiben wir in Sachen Sicherheit dauernd gefordert. Wir können es uns keinesfalls leisten, da nachzulassen. Wir haben bei SAP dreizehn sehr hohe interne Qualitätsstandards. Davon zielt einer dediziert auf das Thema Security. Wenn ein Produkt unser Haus verlässt, muss es diesen internen Standards entsprechen. Ansonsten erfolgt keine Auslieferung.

Gorriz: Einer alten Schiffbauerweisheit zufolge dringt das Wasser nicht durch die Planken, sondern durch die Ritzen dazwischen. Auf unsere Zeit übertragen heißt das, wenn wir, wie in den USA, unsere Autos über das iPhone öffnen lassen, dann sind unsere Diebstahlsicherungen nur noch so sicher wie das iPhone. Deshalb müssen wir schon aus Eigeninteresse großen Wert auf die Sicherheit der mobilen Geräte legen.

InMemory hilft, den Datenschatz zu heben

Lassen Sie uns zum letzten Thema dieses Gesprächs kommen - Big Data und In-Memory-Computing.

Snabe: Die Datenmenge ist in den letzten Jahren so stark angestiegen, dass wir vor der Frage stehen, ob wir Daten als Asset benutzen wollen oder ob sie weiter zur Komplexität beitragen und keinen Mehrwert liefern. In-Memory-Computing macht die stark steigende Datenflut zum Asset, weil wir sie in Echtzeit analysieren und sie für zukunftsgerichtete Entscheidungen nutzen können. Dazu mussten wir allerdings die Festplatte umgehen und alle zu analysierenden Daten in den Hauptspeicher bekommen. Das galt aber aufgrund des hohen Preises als zu teuer.

Gilt es wohl immer noch, gerade mit HANA.

Snabe: Nein. Wir haben inzwischen auf Basis von SAP HANA bezahlbare Appliances gebaut. Zum Beispiel haben wir bei einem Kunden, der 320 Millionen Transaktionen pro Tag bewältigt, ein System installiert, das sämtliche Transaktionen von zehn Jahren im Hauptspeicher unterbringt. Das gelingt natürlich nur mit intelligenten Kompressionsverfahren.

IT-Systeme sind nicht zuletzt deshalb so komplex geworden, weil sie mit der Langsamkeit der Festplatten umgehen müssen. Im BI-Bereich zum Beispiel arbeiten wir mit redundaten Daten, die wir in Data Warehouses speichern und sie aufbereiten, um schneller Antworten zu bekommen. Mit dem Einsatz von In-Memory-Computing spare ich mir diesen Zwischenschritt der Datenaufbereitung. Ich halte deshalb diese neue Technologie für eine der wenigen, die Infrastruktur vereinfachen können und sie nicht noch komplexer werden lassen. Mit SAP HANA komprimieren wir Daten um den Faktor 100, so dass Sie etwa ein Petabyte Plattenspeicher mit 100 Terabytes In-Memory-Kapazität vergleichen müssen.

Hinzu kommt das Parallel Processing. Diese beiden Technologien verstärken sich gegenseitig und treiben den Preis von HANA nach unten und die Performance nach oben. Selbst wenn wir HANA nicht weiter entwickeln würden, halbieren sich die Preise für Hauptspeicher (Memory) rund alle 18 Monate und die Rechenleistung verdoppelt sich mit jeder neuen Chipgeneration. Deshalb werden wir Festplatten bald nur noch zur Langzeitspeicherung einsetzen, nicht mehr für Hot Data. Das heißt nicht, dass Festplatten nicht mehr benutzt werden, schließlich ging die Steinzeit auch nicht wegen fehlender Steine zu Ende, sondern weil neue Technologien genutzt wurden.

Gorriz: Wir sollten In-Memory und Big Data nicht in einen Topf werfen. Wir können heute ganze transaktionale Systeme im Hauptspeicher unterbringen. Dank Technologien wie SAP HANA können wir auch unsere analytischen Aufgaben dort erledigen. Die Ressourcen, die ich vorher für diese Aufgaben brauchte, kann ich dann nutzen, um die wirklich großen Datenmengen zu speichern. Wenn wir von Petabyte sprechen, wird uns auch In-Memory-Computing nicht wirklich weiterhelfen. Physische Speicher werden weiterhin notwendig sein. Aber mit In-Memory habe ich einfachere Architekturen, und ich bekomme Ressourcen frei, die ich für die neuen Aufgaben verwenden kann, die auf die IT zukommen.

Zunächst müssen Kunden aber in HANA Geld investieren. Wie rechnen Sie heute einen Business Case für HANA?

Gorriz: Heute betreibe ich auf einer Maschine ein ERP-System mit einer klassischen Datenbank darunter. Daneben betreibe ich auf einer zweiten Maschine ein Business Warehouse, das mir die entsprechenden Reports liefern kann. Eine HANA Appliance, so die Annahme, auf der ich beide Tasks erledigen kann, kostet ungefähr so viel wie eine der heute betriebenen Maschinen. Das frei werdende Geld kann ich dann für neue Ausgaben nutzen - zumindest teilweise.

"Geschäftsprozesse verändern sich aufgrund der neuen technischen Möglichkeiten"

Und was bringt die eingesparte Zeit dem Geschäft?

Gorriz: Das kann man pauschal nicht sagen. Die Geschäftsprozesse verändern sich aufgrund der neuen technischen Möglichkeiten und was diese Veränderungen bringen, lässt sich noch nicht voraussagen:

Snabe: Lassen Sie mich das anhand eines Beispiels verdeutlichen: Nongfu Spring ist in China der größte Produzenten von Mineralwasser. Das Unternehmen benutzt SAP HANA für seine Transportplanung. Das dauerte früher fünf Stunden und wurde über Nacht erledigt. Morgens machten sich die hoch beladenen Lastwagen auf den Weg. Die Transportkosten belaufen sich auf rund 15 Prozent des Umsatzes. Mit SAP HANA bewältigt das Unternehmen die Transportoptimierung in drei Minuten. Das heißt, sie optimieren jetzt kontinuierlich. Der LKW wird also gegebenenfalls während der Fahrt noch anders geroutet. Damit sparen sie 30 Prozent ihrer Transportkosten ein, steigern also ihren Ertrag um insgesamt vier Prozent. Aber das ist kein generischer Vorteil. Das ist unternehmensabhängig.

Das Gespräch führte Christoph Witte, ehemals Chefredakteur und Herausgeber der Computerwoche und heute Geschäftsführer der Agentur Wittcomm.