Was CIOs von ihnen halten

Thesen für 2021 im Kreuzfeuer

11.01.2012 von Thomas Pelkmann
Das CIO-Magazin hat IT-Experten gefragt, wie sie sich das Jahr 2021 vorstellen. Anschließend bewerteten CIOs diese Zukunftsprognosen. Eine Bilanz.
An Thesen für das Jahr 2021 mangelte es nicht.
Foto: Rene Schmöl

Im Jahr 2011 hat das CIO-Magazin seinen 10. Geburtstag gefeiert. Das Jubiläum war aber nicht nur Anlass für Rückblicke auf zehn Jahre Magazin, Website, Events und Community. Mit dem Jahrbuch 2011 und der Veranstaltung Ten Years Ahead war der Geburtstag auch Ausgangspunkt für einen Ausblick nach vorne. Insgesamt 38 IT-Manager und CIOs großer deutscher Unternehmen haben in dem Jahrbuch Wetten auf die Zukunft abgeschlossen. Im Rahmen der 10-Jahres-Feier des CIO-Magazins Ende September in Bonn präsentierten die Wettpaten ihre Prognosen einem interessierten Fachpublikum. Wir dokumentieren die wichtigsten Wetten und Kommentare.

Alles bleibt anders

Das Aussterben der Floppy-Disk ist nicht unbedingt der Gegenbeweis zur These von Rainer Janßen, nach der alles bleibt, wie es schon heute ist.
Foto: Kevin Largent - Fotolia.com

Auf den ersten Blick konterkariert die These von Rainer Janßen alle anderen Vorhersagen auf die Zukunft: Der CIO der Münchner Rück prognostizierte, dass in zehn Jahren alle heute eingesetzten Technologien weiter im Rennen sein werden. Janßen begründet seine These mit der Rückschau auf die vergangenen Jahre. So stehe SOA "angeblich für Service Oriented Architecture", meint Janßen. "Manche Kollegen sagen allerdings auch, es steht für ‚Same Old Architecture’".

Auch wenn die technischen Mittel vielleicht neu und anders sein mögen: "Ansätze zur modularen Programmierung wurden schon vor 35 Jahren formuliert, später mit objektorientierter Programmierung umformuliert und mit technischen Konzepten wie Remote Procedure Call unterlegt."

Janßen rät seinen Kollegen zur Entspannung, wenn Berater immer wieder von Hypes, Megatrends und schon bald anstehenden Paradigmenwechsel sprechen. "Schicken Sie den Kollegen unaufgeregt auf die Suche nach unserem IT-Nessie und trinken Sie lieber einen Single-Malt-Scotch."

Die Wette des Munich Re-CIOs spaltete die Kollegenrunde in Bonn: Keine andere Prognose bekam mehr Zustimmung, keine andere erfuhr aber zugleich auch mehr Ablehnung. "Hoffentlich nicht", meinte einer kritisch, während ein anderer zumindest in den kommenden zehn Jahren auf die Ablösung seiner Legacy-Systeme hofft.

Virtualisierung und Mobility

Schauen Sie sich dieses Bild genau an: Der Schreibtischarbeiter, wie wir ihn heute kennen, wird bis 2021 mutmaßlich aussterben.
Foto: MEV Verlag

Dabei zeigten viele andere Wetten, dass Rainer Janßen mit seiner sehr speziellen Prognose nicht ganz falsch liegt: So spielt etwa das bereits heute existente Cloud Computing bei jeder vierten Wette eine entscheidende Rolle. Andere Prognosen schreiben heutige Trends einfach fort. Aber dabei denkt manch Wettpate so konsequent über Änderungen nach, dass am Ende doch nichts mehr bleibt, wie es heute ist. Viele Wettpaten nehmen damit faktisch dann doch einen radikalen Gegenstandpunkt zu Rainer Janßen ein.

So wettete etwa Stefan Herrlich von Siemens Enterprise Communications, dass die Büroarbeiter 2021 fast ohne festen Schreibtisch auskommen müssen, aber sich trotzdem "effizienter, intensiver und sicherer austauschen" werden.

Mobility und Virtualisierung zählen schon heute zu den Megatrends. Insofern liegt es nahe, diese Trends in die Zukunft zu extrapolieren, um auf diese kühne Prognose zu kommen, die Stefan Herrlich präsentiert. Er ist nicht der einzige, der so verfährt. In ähnliche Richtung lehnt sich Joachim Philippi von Steria Mummert aus dem Fenster: Zwar würden in zehn Jahren "mindestens 1.000 Computer" für einen arbeiten. Die Rechner würden aber zunehmend unsichtbar werden und damit auch die Arbeitsumgebung im Büro, wie wir sie heute kennen.

Die Reaktionen der CIO-Kollegen fallen unterschiedlich aus: Während Stefan Herrlich für seine Mobility-Vorhersage deutlich mehr Ablehnung erfährt als Zustimmung, halten umgekehrt die Virtualisierungs-Wette von Joachim Philippi die meisten für wahrscheinlich.

Die "1.000 Computer" finden sich auch in einer anderen Wette wieder: Edgar Aschenbrenner, CIO bei E.On, wettet, "dass es in zehn Jahren keinen Job mehr ohne IT-Content gibt". Diese Wette fanden viele Kollegen nicht nur "sehr spannend", sondern auch realistisch. Sie deutet darauf hin, dass ITK-Technologien in Zukunft an Bedeutung noch zunehmen werden. Wer bei so viel Virtualisierung und Mobility von einem Verschwinden von sichtbarer Hardware im Büro ausgeht, liegt wahrscheinlich richtig. Wer daraus aber von der abnehmenden Bedeutung der IT ausgeht, irrt sich gewaltig - nicht nur aus der Sicht der IT-Verantwortlichen aus den Unternehmen.

Cloud Computing

Die Tür in die Cloud steht offen, nun müssen die Unternehmen auch durchgehen. Die CIOs glauben, dass genau das passieren wird.
Foto: Andrzej, Fotolia.de

"Cloud Computing ist ein Zukunftsthema" sagt Jörg Brinkmann in seiner Prognose. Dennoch wettet der CIO von Bilfinger Berger SE, dass "auch in zehn Jahren nicht alle Software-Module aus der Wolke kommen". Viele kritische Anwendungen, darunter viele SAP-Module, würden "on-premise" bleiben.

Die Meinung der CIOs zu dieser These besteht aus einhelliger Zustimmung; Gegenstimmen gibt es kaum, denn die These lässt genug Raum für Innovationen, ohne die Basis der Unternehmens-IT gänzlich infrage zu stellen. Anders als die These von Walter Denk von Comparex. Seine These, dass es 2021 keine klassische Hardware mehr geben werde, sondern über "allgegenwärtige Ressourcen-Schnittstellen" flexible Rechenleistung, Speicherplatz und Bandbreite, stößt auf geballten Gegenwind. Ob es daran liegt, dass die Arbeit der IT-Abteilung obsolet wird, wenn es keine Hardware mehr zu warten gibt?

Immerhin beschäftigt die CIOs das Thema Cloud - schon heute und mutmaßlich auch noch in zehn Jahren. So lautet die lakonische Antwort auf die Wette Manfred Eierles von CA Technologies, nach der die Cloud bald alle Unternehmen interessieren werde: "Heute interessieren sich schon die meisten Unternehmen für die Cloud." Was so sicher richtig ist, ohne dass es schon dabei zu schmerzlichen Konsequenzen kommen muss.

Social Media

Kreuz und quer kommunizieren gehört bald zum Alltag. Die E-Mail könnte dabei als Kommunikationsmittel aussterben.
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Seine Wette war wie alle anderen auch auf 2021 gemünzt, aber schon Ende 2011 bekam Daniel Hartert zum ersten Mal Recht. Er wettete, "dass in zehn Jahren ein Großteil der Unternehmen E-Mails als Kommunikationsmittel verbannt haben wird". Statt dessen werde man über Wikis, Chats, Communities, Blogs, Foren und Videokonferenzen kommunizieren. Die meisten seiner Kollegen wetteten übrigens dagegen, auch wenn sich manch einer darüber freuen würde, wenn mit der E-Mail auch der tägliche Kampf gegen Spam obsolet würde.

Die erste Bestätigung für die Hartert’sche Wette kam bereits Anfang Dezember mit einem Verbot interner E-Mails beim französischen IT-Dienstleister Atos. Die Einführung von Zero-E-Mail will Atos-Chef Breton in 18 Monaten, also bis August 2013, erreichen. Stattdessen sollen die Mitarbeiter Instant Messaging sowie eine "Facebook- und Twitter-ähnliche Plattform" für die interne Kommunikation nutzen, wie die Wirtschaftswoche schreibt. Es ist zu vermuten, dass andere nachziehen und damit die skeptischen CIOs erneut widerlegen werden.

Die Rolle des CIO

Der CIO wird bald zum CEO? Da ist wohl der Wunsch-Vater des Gedankens. Obwohl ...
Foto: CA

Wetten, die sich mit dem Verhältnis von IT und Business beschäftigen, sahen sich bei den CIOs besonders der Kritik ausgesetzt. So postuliert Friedhelm Kopka, "dass sich bis 2021 die Kommunikation und die Beziehung zwischen IT und Business grundlegend gewandelt haben werden. Der Mensch wird dann im Mittelpunkt stehen, und nicht mehr die IT."

Spärliche Zustimmung für den CIO von ThyssenKrupp Steel, aber umso lautere Ablehnung: Es ist eine der Wetten mit den meisten Gegenstimmen, getoppt nur von der Wette von Peter Lempp (Capgemini): "Ich wette, dass die Rolle des CIOs in zehn Jahren obsolet ist."

Leider begründeten nicht alle CIOs ihre Ablehnung. So liegt der Schluss nahe, dass es hier vor allem darum ging, die eigenen Sorgen um den Job und um die Stellung des CIOs im Unternehmen zum Ausdruck zu bringen.

Diese Sorge ist aber offenbar mit einer konkreten Hoffnung verbunden: Peter Kreutter von der WHU Otto Beisheim School of Management ist sich so sicher, dass er wettet, "dass sich die Zahl der DAX-Vorstände mit CIO-/IT-Leiter-Historie bis 2021 verdreifacht". "Könnte sein", so das beinahe einhellige Votum der CIOs, das eher nach Hoffnung als nach konkreter Perspektive klingt. Auf der anderen Seite zweifeln fast alle CIOs an der durchaus wohlwollend gemeinten Wette von Frank C. Pieper (Juniper Networks) nach der innerhalb der nächsten zehn Jahre "zuerst der CIO gefragt wird". Nur einer gab ihm Recht. Sein Kommentar: "Die Hoffnung stirbt zuletzt."

Autowetten

Auto und Technik, das geht immer. Die Wetten, dass unsere Fortbewegungsmittel schon bald Teil der mobilen Infrastruktur sein werden, kamen bei den CIOs jedenfalls gut an.
Foto: Rene Schmöl

Es gab auch Wettpaten, die bei ihren Wetten offenbar intensiv auch an das eigene Unternehmen gedacht haben. Klaus Hardy Mühleck etwa, bis vor kurzem noch CIO bei Volkswagen, setzt darauf, dass Autos nicht mehr nur Fahrzeuge sein werden, sondern Teil einer mobilen Netzinfrastruktur mit eigener Intelligenz und Verbindungen in die Cloud.

Auch für den Daimler-CIO Michael Gorriz sind IT und Vernetzung im Fahrzeug Bestandteile einer zunehmenden individuellen Mobilität der Gesellschaft. Beide IT-Chefs ernteten für ihre Thesen große Zustimmung ihrer Kollegen; einer verband sein Votum gar mit der Frage, ob die Fahrzeug-IT dereinst auch Bestandteil der Unternehmens-IT sein werde.

Bring your own device

Mit dem Verschwinden der Schreibtische wird es immer mehr Privatgeräte geben, die bei der Arbeit verwendet werden.
Foto: Mihai Simonia, Fotolia.de

In zehn Jahren werden 80 Prozent der Menschen in Deutschland ihr privates IT-Equipment wie Smartphones und Tablets nutzen, wettet Telekom-Ex-CIO Steffen Roehn. Dass die meisten CIOs zustimmen, verwundert kaum, denn diese Tendenz ist heute bereits absehbar. Spannend aber, dass besonders viele diese Wette offenbar besonders spannend finden. Dahinter steckt sicher die Annahme, dass sich die IT-Landschaft durch die Konsumerisierung (und durch Cloud, Virtualisierung, Social Media) stark verändern wird.

Die (positive?) Spannung, die die CIOs angesichts dieser Veränderungen verspüren, ist ein gutes Zeichen - dafür, dass die IT-Experten bereit sind, die Zukunft anzunehmen und ihre Rolle dabei aktiv mitzugestalten.

Ob sie das als CIO tun, also als "Chief Information Officer", oder als "Chief Innovation Officer" (wie neuerdings bei der Post), ist offen. Vielleicht entwickeln sie sich auch zum CCO weiter, zum "Chief Collaboration Officer", wie Stefan Schloter von T-Systems vorhersagt. Sicher aber ist, dass auch in zehn Jahren, darauf weist Rainer Janßen zurecht hin, Technologien von heute in der IT eine wichtige Rolle spielen werden.