Bayer, Siemens, Post

Wie CIOs auf den Fachkräftemangel reagieren

15.11.2011 von Werner Kurzlechner
Elf IT-Chefs schildern, wie stark sie die Personalknappheit belastet, wie ihr Unternehmen darauf reagiert und welche Antworten die Gesellschaft geben muss.

Jürgen Burger, Hellmann Logistics

Jürgen Burger
Foto: Joachim Wendler

"Der zunehmende Mangel an Fachkräften besonders in den systemnahen Berufen wird zu einer weiteren Fokussierung der Unternehmens- IT auf Kernkompetenzen führen.

Weitere Unternehmens-IT-Bereiche werden die Themen Anwendungsprogrammierung, Server-Management und Netz-Management an externe Provider vergeben, um auch hier dem Fachkräftemangel zu entgehen und die wenigen IT-Kräfte auf die notwendige Kernkompetenz im Unternehmen zu fokussieren.

Die Profile in der prozessnahen IT zur Umsetzung von neuen Funktionen zur Geschäftsunterstützung werden daher weiter ausgebaut. Parallel wächst aber auch das IT-Management- Wissen, da die Steuerung externer Einheiten wichtiger wird. Der Ausbau von Contract- und Vendor- Management sowie Controlling in den IT-Bereichen zielt entsprechend auf den Einkauf der systemnahen Dienstleistungen. Die Bezahlung dieser spezialisierten Fachkräfte bei Systemhäusern oder in der Unternehmens- IT wird sich weiterhin überproportional entwickeln.

Allerdings mit der Einschränkung, dass diese Profile auch durch andere Sourcing-Methoden - sowohl Offshore als auch Nearshore - gefunden werden können."

Erich Ehbauer, Apollo-Optik

Erich Ehbauer
Foto: Apollo Optik Holding

"Für einen Mittelständler mit etwa 60 Mitarbeitern inklusive sieben Azubis im Bereich Informations-Management stellt sich die Lage so dar: Wir haben dieses Jahr bereits zehn Mitarbeiter eingestellt. Zum einen hatte ich fünf Kündigungen, zum anderen haben wir dringenden Bedarf an gut ausgebildeten Fachkräften.

Kündigungen hatten wir in den vorherigen sieben Jahren nur zwei. Wir spüren also die erhöhte Nachfrage im Großraum Nürnberg. Darüber hinaus ist ein Mitarbeiter zurück in sein Heimatland Polen gegangen, wo es mittlerweile auch Jobs gibt. Wir haben immer unsere jährlich zwei Azubis übernommen, uns fehlen dennoch Informatiker mit Kenntnissen in neuen Themen. Das war 2009 so bei Einführung einer SOA-Plattform, und das ist es jetzt mit EDI, Cloud Computing oder Web-Services so.

Außerdem haben erschreckend wenige Mitarbeiter und Bewerber eine richtige Ausbildung im Projekt-Management – das ist übrigens im Fachbereich zum Teil noch schlimmer. Der Wettbewerb um die Top-Kandidaten wird meines Erachtens noch härter werden. Mitarbeiter mit überschaubaren Kenntnissen in Administration oder Entwicklung werden sich weiterentwickeln müssen oder Probleme bekommen, denn immer mehr Services werden angeboten werden und intern nicht mehr zu konkurrenzfähigen Preisen erbracht werden können.

Da wird es ein Mittelständler wie wir, tätig im Handel mit Hauptsitz in der fränkischen Provinz, nicht leicht haben. Deshalb muss die Weiterqualifizierung der eigenen Mitarbeiter hohe Priorität haben."

Daniel Hartert, Bayer

Daniel Hartert
Foto: Bayer Business Services

"Auch wir spüren den Fachkräftemangel. Vor allem berufserfahrene Experten mit Business-Knowhow, wie beispielsweise IT-Berater mit Erfahrung im Personal-, Einkaufs oder Finanzbereich, sind immer schwerer zu bekommen.

Dabei liegt genau hier einer der Schwerpunkte unserer Arbeit: die Beratung der Fachbereiche im Bayer- Konzern, wie sie ihre Geschäftsprozesse mit passenden IT-Lösungen noch effizienter und einfacher gestalten können. Dass sich auf unsere offenen Stellen für IT-Berater immer weniger hoch qualifizierte Kandidaten bewerben, liegt zum einen daran, dass es insgesamt weniger IT-Fachkräfte gibt.

Zum anderen ist oft nicht bekannt, dass Bayer auch für solche Experten faszinierende Aufgabenfelder bietet und ein attraktiver Arbeitgeber ist. Wir haben uns schon frühzeitig auf diese Situation eingestellt, sodass es bisher gelungen ist, vakante Positionen mit bestens geeigneten Personen zu besetzen. So haben wir beispielsweise schon vor zwei Jahren die Zahl der Plätze in unserer dualen Ausbildung zum Wirtschaftsinformatiker um 40 Prozent erhöht."

Norbert Kleinjohann, Siemens

"Der Fachkräftemangel betrifft natürlich auch die IT Abteilungen im Siemens-Konzern. Dieser Herausforderung begegnen wir mit verschiedenen Maßnahmen, zu denen verstärktes Recruiting und Nachwuchsprogramme ebenso gehören wie Weiterbildung und attraktive Angebote für Eltern.

Norbert Kleinjohann
Foto: Siemens

Hierzu zwei Beispiele: Im Zusammenspiel von Beruf und Privatleben, bei der sogenannten Work-Life-Balance der Mitarbeiter, kommt innovativen IT-Lösungen große Bedeutung zu. Das gilt etwa für die Möglichkeit, im Rahmen des Bürokonzeptes Siemens Office seinen Arbeitsplatz frei zu wählen, oder für das Einwählen ins Firmennetz von zu Hause aus.

Unsere Mitarbeiter können so zeitlich und räumlich flexibel arbeiten. Darüber hinaus reduziert der verstärkte Einsatz von Video- und Audiokonferenzen die Reisezeiten unserer Mitarbeiter. Zur Sicherung des qualifizierten Nachwuchses richten wir unsere IT-Infrastruktur auf Nachhaltigkeit aus, weil dieser Aspekt vor allem für junge Mitarbeiter zunehmend eine Rolle bei der Wahl des Arbeitgebers spielt.

Zusätzlich planen wir in Zusammenarbeit mit internationalen Hochschulen ein Programm für Abiturienten, die unsere IT-Fachkräfte von morgen sind."

Thomas Ochs, Villeroy & Boch

"Der Fachkräftemangel wird Unternehmen zwingen, neben der bewusst längeren Weiterbeschäftigung von älteren Mitarbeitern - eventuell auch in flexibleren Arbeitsmodellen - viel früher als heute eine intensive Bindung zu potenziellen Nachwuchskräften aufzubauen.

Thomas Ochs
Foto: Villeroy & Boch

Der Bindungsaufbau muss noch vor dem Studium ansetzen. Modelle wie studienbegleitende Stipendien oder duale Ausbildungskonzepte als Kombination von Studium und betrieblicher Tätigkeit werden zur Regel.

Die finanziellen Anreize und die früh einsetzende enge Kooperation führen zu einer höheren Identifikation mit dem künftigen Arbeitgeber. Damit kann sich das Unternehmen im Wettbewerb um die knappen Ressourcen einen Vorteil erarbeiten.

Zudem wird der zu erwartende Fachkräftemangel zwangsläufig zur Erhöhung der extern zugekauften Dienstleistungen führen, also zu einem steigenden Anteil von Near- und Offshoring. Einem Mangel an IT-Fachleuten in Deutschland steht ein ausreichendes Angebot an gut ausgebildeten Fachkräften mit hoher Leistungsbereitschaft in Ost- und Südeuropa sowie Indien und anderswo in Asien gegenüber.

Schon heute ergibt es wirtschaftlich meist keinen Sinn mehr, nur projektbezogen benötigte Fachkompetenz dauerhaft vorzuhalten. In Zukunft wird es für Unternehmen mit einem Ruf als wenig attraktiver Arbeitgeber unmöglich sein, ausreichend IT-Fachkräfte am Markt zu finden beziehungsweise dauerhaft zu halten."

Oliver Schoeller, Gothaer Finanzholding

"Der 'War for Talents' ist auch ein Wettbewerb zwischen den Sektoren. Keine Branche ist für junge Leute so attraktiv wie die Technologie-Branche: Sie ist dynamisch, hungrig und verbindet die klügsten Köpfe in ganz neuen Formen der Kollaboration.

Wir als Unternehmen müssen dafür sorgen, dass der Technologiesektor in Deutschland attraktiv bleibt. Google, Facebook oder salesforce.com waren in den vergangenen zehn Jahren alles einmal Start-ups.

Oliver Schoeller
Foto: Gothaer

Gerade deutsche Konzerne tun sich offensichtlich schwerer mit neuen Technologien und auch Technologielösungen junger Unternehmen. Das hemmt die Innovation, die Startup-Kultur und damit den Technologiestandort Deutschland.

Es besteht eine gute Chance, die demografische Entwicklung durch eine hohe Sogkraft der Technologiebranche für junge Talente zumindest in diesem Sektor auszuhebeln. Aber sie ist auch global, kann also genauso in anderen Märkten stattfinden. Es wird an uns liegen, ob global in diesem Falle auch lokal heißt.

Speziell die Versicherungsbranche wird den Eigenentwicklungsanteil massiv reduzieren müssen. Standardsoftware bis hin zu Cloud-Lösungen/SaaS sind künftig nicht nur eine Frage der Wirtschaftlichkeit, sondern sie werden unter knappen Entwicklungskapazitäten ein ebenso wichtiges Ventil für das Demografieproblem.

Wenn es weniger Ressourcen gibt, ist die logische Konsequenz, die Wertschöpfung dieser Ressourcen im Kollektiv zu nutzen. Das ist für viele Player eine kulturelle Überwindung. Aber die Unternehmen, die dies treiben, werden zu den Gewinnern gehören."

Andreas Schumann, KHS

Andreas Schumann
Foto: KHS

"Die Besetzung von Positionen für berufserfahrene IT-Experten kann sich über Zeiträume von mehr als einem Jahr hinziehen. Aber auch die Anwerbung von Absolventen für die IT ist nicht leicht. In vielen Fällen suchen wir nicht den ausgeprägten Informatiker, sondern den IT-affinen Ingenieur oder Kaufmann.

Diese Kandidaten haben bei der Stellensuche einen relativ engen Suchfilter und streben nach dem Studium einen möglichst studiennahen Job an. Als mittelgroßes Unternehmen werden wir von den potenziellen Kandidaten aber auch nicht als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen. Langfristig ist dies für die Kandidaten ein tragischer Irrtum: Während sie bei den Blue-Chip-Unternehmen im scharfen Wettbewerb mit vielen anderen gleich qualifizierten Top-Kandidaten stehen, bestehen in mittelgroßen Unternehmen angesichts einer viel ausgeglicheneren Qualifikationsstruktur und flacherer Hierarchien viel größere Handlungsspielräume und Aufstiegschancen bei vergleichbaren Verdienstmöglichkeiten.

Wir glauben aber auch, dass wir dem Fachkräftemangel begegnen können. Einerseits versuchen wir, langfristig junge Mitarbeiter aus Ausbildungsberufen aufzubauen und ‚on the job‘ in Expertenpositionen zu entwickeln. Andererseits sehen wir ein großes Zukunftspotenzial durch qualifizierte Mitarbeiter aus dem Ausland. Der Anteil von Mitarbeitern in unserem IT Bereich, die aus dem Ausland zugewandert sind, liegt bei rund 15 Prozent. Das sind Ingenieure, Kaufleute und Informatiker aus Russland, Weißrussland, Rumänien, Polen, der Türkei und den USA, die eine exzellente Arbeit leisten."

Andreas Strausfeld, Bitmarck Holding

Andreas Strausfeld von Bitmarck Holding.
Foto: Bitmarck

"Glaubt man den Zahlen, würde die deutsche Wirtschaft rund 15 000 Informatikabsolventen im Jahr einstellen - wenn sie denn da wären und nicht so viele ihr Studium abbrechen würden. Ein Blick auf die aktuellen Abbrecherquoten lässt vermuten, dass noch nicht einmal jeder Zweite seinen Abschluss machen wird.

Gleichzeitig zieht sich die erste Generation der Informatiker langsam, aber sicher in den Ruhestand zurück. Sie wird aber aufgrund ihres Know-hows über ‚auslaufende Technologien‘ wie etwa Cobol und Großrechner dringend weiterhin gebraucht. Bei Gesprächen mit Bewerbern fällt auf, dass es neben der demografischen Entwicklung auch die immer höheren Qualifikationsanforderungen sind, die viele Informatikstudenten schon während des Grundstudiums die Flinte ins Korn werfen lassen. Deshalb kann ich die Bestrebungen einiger Hochschulen nur unterstützen, etwa den Numerus clausus abzuschaffen und die Lehrdeputate der Dozenten zu erhöhen.

Aber all das wird nicht ausreichen. Wir müssen die IT und auch andere Branchen attraktiver machen. Die IT ist keine Branche von kalte Pizza essenden und ausschließlich Cola trinkenden Menschen, die kaum Tageslicht sehen - sie ist ein Motor des Fortschritts mit einer Vielfalt an Jobs. Wir müssen Image und Attraktivität durch Wissensaufbau im eigenen Land sowie durch mehr Wissensaustausch zwischen vorhandenem Fachpersonal, Experten und Informatikabsolventen steigern.

Schaffen wir das nicht, dann werden wir entweder die Defizite der deutschen Wirtschaft verschlimmern. Oder wir können uns wie in Zeiten des Wiederaufbaus nur durch Zuzug von Know-how-Trägern aus dem Ausland wettbewerbsfähig halten."

Wolfgang Standhaft, HeidelbergCement

Wolfgang Standhaft
Foto: HeidelbergCement

"Kurzfristig sorgt die weltweite Überführung der Prozesse und IT-Systeme auf eine standardisierte Zielarchitektur für ausreichendes Interesse am Arbeitsmarkt. Dies umfasst sowohl die betroffenen Bereiche SAP, also ERP und BW, als auch die Infrastruktur.

Hierbei werden die Bewerber vorrangig nach Eignung und ‚Cultural Fit‘ für die HeidelbergCement AG ausgewählt.

Mittelfristig werden wir den Fokus auf Bewerber mit geringerer Berufserfahrung legen und in die Ausbildung von IT-Experten investieren, um eine nachhaltige Altersstruktur in der IT zu erreichen.

Auch dieser Aufgabe sehe ich zuversichtlich entgegen, da das Unternehmen spannende Entwicklungsmöglichkeiten in einem internationalen Tätigkeitsfeld bietet."

Sönke Björn Vetsch, Börse Stuttgart

Sönke Björn Vetsch
Foto: Börse Stuttgart Holding GmbH

"Der Fachkräftemangel in der IT ist nichts Neues und hat sich lange abgezeichnet. Auch auf die tradeIT der Börse Stuttgart wirkt er sich auf der Kostenseite aus.

Der Mangel bringt ein aufwendigeres Rekrutierungsverfahren mit sich. Fachkräfte, die nicht vollständig dem IT-Stellenprofil entsprechen, müssen zusätzlich weitergebildet werden. Weitere Mehrkosten verursacht der Einkauf externer Arbeitsleistungen von IT-Fachkräften in speziellen Fachthemen und in der Projektarbeit.

Mit stetigen Innovationen, klarem Leadership und individuellen Weiterbildungsmöglichkeiten ist der Börsenplatz ein attraktiver Arbeitgeber.

Ohne eine intelligente Auslagerung von Arbeitsleistungen würde jedoch Wissen verloren gehen. Die fachliche und technische Kernkompetenz der Börse Stuttgart muss dabei aber im Hause bleiben. Eine nachhaltige Erhöhung von IT-Studieneintritten und -abschlüssen gelingt, wenn das Interesse an Mathematik und Physik bei Kindern und Jugendlichen in allen Altersstufen gefördert wird.

Aus diesem Grund engagiert sich die Börse Stuttgart als eine der Mitbegründerinnen bei der Stiftung Rechnen, die sich die Förderung des Rechnens bei Kindern und Jugendlichen auf die Fahnen geschrieben hat. Der Fachkräftemangel ist eines der wichtigsten gesellschaftspolitischen Themen und gehört daher bei hochrangigen Vertretern der Politik und Wirtschaft neben Strategie, Finanzen, Staatshaushalt und Ressourcen ganz oben auf die tägliche Agenda. Qualifiziert ausgebildete Fachkräfte sind das wichtigste Kapital unserer Gesellschaft."

Ralf Weißbeck, Deutsche Post

Ralf Weißbeck
Foto: Deutsche Post

"IT Services ist mit etwa 3.300 Mitarbeitern als interner IT-Dienstleister von Deutsche Post DHL an den Standorten Bonn, Darmstadt, Prag, Cyberjaya in Malaysia und Tempe in den USA vertreten. Wir sehen uns einem immer stärkeren Wettbewerb um die besten IT-Experten ausgesetzt.

Während IT in früheren Zeiten eine reine Männerdomäne war, sind im Management Board von IT Services inzwischen fünf von elf Mitgliedern Frauen. Dieser Mix führt zu spürbar effizienteren Diskussionen und besseren Lösungen. Wir nutzen diese positive Erfahrung, um verstärkt Frauen für Fach- und Führungsaufgaben zu gewinnen - ein bisher wenig genutztes Potential in der Branche.

Es zahlt sich auch aus, dass IT Services seit Jahren schon an allen globalen Standorten in Ausbildung und Förderung junger Mitarbeiter investiert. Erfahrene IT-Experten sind ein knappes und teures Gut auf den Arbeitsmärkten geworden. Deshalb muss Talent- Management als langfristige und strategische Führungsaufgabe begriffen werden."