Verteilte Teams erfolgreich führen

Digitale Nähe bis ins Home Office

Alexander Freimark wechselte 2009 von der Redaktion der Computerwoche in die Freiberuflichkeit. Er schreibt für Medien und Unternehmen, sein Auftragsschwerpunkt liegt im Corporate Publishing. Dabei stehen technologische Innovationen im Fokus, aber auch der Wandel von Organisationen, Märkten und Menschen.

"Gerade in virtuellen, mediengestützten Strukturen ist es entscheidend, die Mitarbeiter ins zu Gespräch bringen", bestätigt Fraunhofer-Expertin Hofmann. Menschen vernetzen, Menschen begeistern, Menschen mitnehmen - allerdings ist nicht jeder Manager mit einer Fachkarriere dazu geeignet, Mitarbeiter über die Distanz zu führen, räumt Hofmann ein: "Eine erweiterte Medienkompetenz kann man mit kompetenter Begleitung durchaus antrainieren, aber aus einem Verstockten machen sie keinen Thomas Gottschalk."

Gegenseitiges Vertrauen

Auch an anderer Stelle knirscht es im Management-Gebälk: "Die Führungskraft sollte den Rahmen schaffen, in dem Wissensarbeiter ihrem Wunsch nach selbstbestimmter Arbeit bestmöglich nachkommen können", greift Wittenberger eine generelle Forderung auf. In der Praxis sieht es jedoch häufig anders aus: Mehr als die Hälfte der Befragten der Hays-Studie bezeichnet die Reduzierung der Kontrollfunktion des Managers hin zu mehr Eigenverantwortung als "Stolperstein".

In diesem Zusammenhang wurde auch eine weitere hohe Hürde genannt: der in flexiblen Arbeitswelten nötige Wandel von einer Anwesenheits- in eine Ergebnisorientierung. "Die große Herausforderung bei verteilter Zusammenarbeit mit flexibler Zeiteinteilung ist, dass wir ganz stark auf das gegenseitige Vertrauen angewiesen sind", so Wittenberger. Dies umfasst sowohl die vertikalen als auch die horizontalen Beziehungen in der Unternehmenshierarchie.

So sieht die Social-Beraterin bei den Führungskompetenzen für eine digitale Arbeitswelt "definitiv Nachholbedarf". Dies betreffe erstens die selbstverständliche Bedienung der neuen Technologien, zweitens den adäquaten Umgang mit Informationen und drittens einen partizipativen Führungsstil. "Einige unserer Kunden weisen in der Führungskräfteentwicklung eine große Reife auf", berichtet Wittenberger aus der Praxis. "Es gibt aber auch Unternehmen, in denen die Führungskräfte mit den neuen Herausforderungen komplett auf sich allein gestellt sind, weil das Top-Management kein Verständnis hat, dass diese Veränderung der Arbeitskultur Beteiligung, Coaching und Begleitung braucht."

Das zeigt sich vor allem in der Ausstattung mit den nötigen Ressourcen: "Wenn sie mit administrativen Aufgaben überladen und auch noch stark fachlich eingebunden sind, dann ist es schwer, sich darum zu kümmern, dass alles läuft und das Team funktioniert", sagt die Beraterin. Und auch Fraunhofer-Expertin Hofmann berichtet von Führungsspannen, die deutlich zu hoch sind: "Bei 40 Mitarbeitern tun sie sich extrem schwer, für alle ein guter Ansprechpartner zu sein." Als Orientierungswert für vernünftige Führung kalkuliere man rund zehn Prozent der Arbeitszeit pro Mitarbeiter - ohne Sachaufgaben, die dem Manager in der Regel zudem noch aufgeladen werden.

Disziplin unabdingbar

Hinzu kommt noch ein Erfolgskriterium, dass so gar nicht ins Bild der freizügigen Heimarbeit zu passen scheint: Disziplin. "Flexibilisierung funktioniert nur", so Hofmann, "wenn sich alle Beteiligten an ihre vereinbarten Erreichbarkeiten, zugesagten Liefertermine für Arbeiten oder Rückmeldungen halten, um das Vertrauen zu rechtfertigen." Zwar würden Regelhaftigkeit und Flexibilität wie ein Widerspruch aussehen ("In meinem Home Office kann ich machen, was ich will"), aber genau das Gegenteil sei der Fall.

"Natürlich kann man sich Aufgaben und Zeiten anders einteilen, aber gerade die aktive, verlässliche und eben auch personenorientierte und informelle Kommunikation ist extrem wichtig, damit solche Teams nicht auseinanderfallen." Mit der "Splendid Isolation" von Mitarbeitern gerät das fragile Gefüge rasch ins Wanken.

"Unternehmen müssen erkennen", ergänzt Communardo-Beraterin Wittenberger, "dass es nicht nur um Home Office und die Anpassung der Arbeitsregelungen sowie technischen Grundlagen geht, sondern darum, die nötigen Kompetenzen in der Belegschaft zu entwickeln." Diese - ob Führungskraft oder Geführte - müssten schließlich damit umgehen, dass sie in verteilten Teams arbeiten und Verständnis für die Bedürfnisse der anderen entwickeln. Zudem sollten sich Unternehmen darauf einstellen, dass sie trotz aller digitalen Vernetzung weiterhin in Reisezeiten und Reisekosten investieren müssen, damit sich Menschen real begegnen und Beziehungen aufbauen können.

Und man dürfe nach einer ersten Experimentierphase keine schnellen Erfolge erwarten, so Wittenberger: "Nur weil man einen Mitarbeiter ins Home Office schicken kann, heißt es nicht, dass die Produktivitätskennzahlen sofort nach oben gehen." Weit mehr Aspekte der neuen Arbeitsweisen seien zusammen zu betrachten und schrittweise - mit Beteiligung aller Betroffenen - zu etablieren, um wirksame Veränderungen hin zu einem digital vernetzen Unternehmen zu bewirken.

Ohne Führung geht es nicht

Trotz der virulenten Diskussion ist Fraunhofer-Expertin Hofmann überzeugt, dass Führung immer wichtiger wird: "Aber nicht im klassischen Sinne als Transmissionsriemen der Macht - Arbeit delegieren, kontrollieren und wieder nach oben zurückspielen." Generell sei es die eigentliche Aufgabe der Führungskräfte, das Personal zu entwickeln, zu fördern sowie die Mitarbeiter zu vernetzen und zu orientieren. Hofmann zufolge werde gerade in den flexiblen Netzwerken die Bedeutung eines Bindeglieds immer wichtiger, das den Mehraufwand in Kommunikation und Koordination leistet. "Und nicht zuletzt sollen Führungskräfte auch Identifikationsfiguren sein, die hoffentlich mehr leisten als Mitarbeiter zu kontrollieren und einmal im Jahr Gespräche zu führen."

So treten denn durch flexible Arbeitsumgebungen plötzlich wieder die klassischen Tugenden einer Führungskraft zutage, um Loyalität und Bindung herzustellen: Ideen entwickeln, Orientierung bieten und Identität stiften. Wer das nicht beherrscht, ist keine moderne Führungskraft, sondern nur ein klassischer Vorgesetzter.

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