Strategien


Neue digitale Geschäftsmodelle

Prozesse optimieren reicht nicht

29.12.2014
Von , Andreas Dietze und Thomas Fischer

Dirk Möbus ist Principal bei Roland Berger und verantwortlich für die Practice Group Information Management. Er berät Kunden aus unterschiedlichen Branchen zu den Themen IT-Strategie, IT-Transformation, IT-Post Merger Integration sowie der Steuerung komplexer Umsetzungsprojekte mit dem Schwerpunkt auf digitalen Technologien. Er ist Absolvent der Frankfurt School of Finance and Management und hat in früheren beruflichen Stationen unter anderem für die Commerzbank, CSC sowie die Thales-Gruppe gearbeitet.

Junge Firmen zeigen, wie sie neue Geschäftsmodelle geschaffen haben, anstatt alte Modelle zu optimieren. Energieversorger können davon sehr lernen.

Fundamentaler Wandel bestimmt derzeit alle Unternehmen im Bereich der EnergiewirtschaftEnergiewirtschaft, von den großen Erzeugern über Netzbetreiber bis hin zu den vielen lokalen Versorgern. Ursachen sind zum Beispiel in den politischen und sozio-ökonomischen Anforderungen zur Verbreitung von erneuerbaren Energien, in veränderten regulatorischen Rahmenbedingungen aber auch Fragestellungen der Versorgungssicherheit zu finden, die nicht zuletzt durch die Krise in der Ukraine ausgelöst wurden. Top-Firmen der Branche Energie u. Rohstoffe

Andreas Dietze ist Partner bei Roland Berger Strategy Consultants in Düsseldorf und Mitglied der weltweiten IT Practice Group.
Andreas Dietze ist Partner bei Roland Berger Strategy Consultants in Düsseldorf und Mitglied der weltweiten IT Practice Group.
Foto: Roland Berger

Gleichzeitig sind Ertragskennzahlen wie EBITDA und ROCE unter Druck und die Kunden verlangen von eher "traditionellen" Anbietern neue, leistungsfähige Prozesse etwa bei der Rechnungsstellung. Die Handlungsnotwendigkeit in der Energiewirtschaft ist daher groß.

Mit der zunehmenden Digitalisierung in allen Lebensbereichen kommt nun aber eine weitere Facette hinzu, die den Bedarf nach InnovationInnovation und Hinterfragen bestehender Geschäftsmodelle weiter erhöht. Beispiele hierfür sind der aufgeklärte Endkunde, der seine Kaufentscheidungen auf der Basis frei zugänglicher Informationen aus dem Internet trifft. Alles zu Innovation auf CIO.de

Preise und Leistungen von Versorgern werden verglichen und mit dieser erhöhten Transparenz geht eine größere Wechselbereitschaft einher. Social MediaSocial Media ermöglichen den Austausch zwischen vielen Nutzern und erlauben völlig neue Einblicke in das individuelle Verbrauchsverhalten von Energie. Alles zu Social Media auf CIO.de

Siemens, RWE und General Electric optimieren nur

Wie reagiert die Energiewirtschaft auf diese neuen Herausforderungen? Zahlreiche Unternehmen setzen auf den Einsatz von IT zur Optimierung ihrer bestehenden Geschäftsprozesse. SiemensSiemens wertet über intelligente Sensoren den Betrieb von Kraftwerksturbinen zur Energieerzeugung aus und erkennt damit frühzeitig Wartungs- und Reparaturbedarfe. Top-500-Firmenprofil für Siemens AG

Thomas Fischer ist IT-Experte bei Roland Berger Strategy Consultants.
Thomas Fischer ist IT-Experte bei Roland Berger Strategy Consultants.
Foto: Roland Berger

Unternehmen wie RWERWE setzen auf Big DataBig Data-Technologien zur genauen Vorhersage des Strombedarfs am Folgetag. Dadurch werden Lastspitzen erkannt und es können entsprechende Maßnahmen in der Erzeugung oder über Stromhandelsplattformen eingeleitet werden. Top-500-Firmenprofil für RWE AG Alles zu Big Data auf CIO.de

General Electric nutzt Echtzeit-Messverfahren zur proaktiven Erkennung möglicher Störungen in den Energienetzen und gibt diese Informationen frühzeitig an die Versorger weiter.

Ein Großteil dieser Maßnahmen hat aber eines gemeinsam - bestehende Geschäftsmodelle und -prozesse bleiben im Kern unverändert und IT wird lediglich zur inkrementellen Optimierung eingesetzt. Damit bleiben Potenziale auf der Strecke.

Der Trend zur Digitalisierung in der Energiewirtschaft bietet die Chance, sich mit Innovationen vom Wettbewerb abzuheben und langfristig erfolgreich zu bleiben. Damit diese Chance auch tatsächlich genutzt werden kann, ist ein anderer Blickwinkel auf die IT erforderlich. Unternehmen aus anderen Branchen haben mit Hilfe digitaler Technologien völlig neue Geschäftsmodelle geschaffen und damit die Regeln des Wettbewerbs teilweise radikal verändert.

Anhand von drei Beispielen wird deutlich, warum sich die Energiewirtschaft mit diesen Unternehmen beschäftigen sollte und wie damit die "Digital Maturity" der Organisation gesteigert werden kann.

Reine Prozessoptimierung reicht nicht aus.
Reine Prozessoptimierung reicht nicht aus.
Foto: Roland Berger

TomTom und REstore

Das Unternehmen TomTom hat sich als Anbieter von mobilen Navigationslösungen etabliert. Über die Bereitstellung von "elektronischen Landkarten" hinaus werden durch mobilfunkbasierte Endgeräte Daten über das individuelle Fahrverhalten erzeugt, die zur Vorhersage von Verkehrsstaus und Identifikation von Ausweichrouten verwertet werden. Nutzer der TomTom-Lösungen erreichen damit durch eine optimierte Routenplanung schneller das gewünschte Ziel.

Auf dem gleichen Prinzip beruht das Geschäftsmodell von REstore, einem belgischen Dienstleister, der in Echtzeit Daten über Stromverbrauch und den damit einhergehenden Bedarf an Kapazität analysiert. Basierend auf diesen Informationen kann großen Netzbetreibern sehr kurzfristig zusätzliche Kapazität aus bestehenden Stromspeichern angeboten werden, um Lastspitzen auszugleichen. Das datengetriebene Wissen über diese Lastspitzen in Verbindung mit der Möglichkeit, in Sekunden Stromkapazität bereitzustellen, ermöglicht eine Reaktionsgeschwindigkeit, die traditionelle Netzbetreiber durch das Hochfahren zusätzlicher Gaskraftwerke nicht erreichen können.

Start-ups lernen von Amazon

Dirk Möbus ist IT-Experte bei Roland Berger Strategy Consultants.
Dirk Möbus ist IT-Experte bei Roland Berger Strategy Consultants.
Foto: Roland Berger

Ausgehend vom Versandhandel über das Internet bietet AmazonAmazon mit seiner Tablet-Produktreihe "Fire" inzwischen auch eigene Hardware an. Die Geräte werden mit niedrigen Handelsspannen angeboten und dienen ausschließlich zum Abspielen von elektronischen Medien. Ein proprietäres Betriebssystem stellt sicher, dass der Kunde an die elektronischen Inhalte gebunden ist, die Amazon über seinen eigenen Vertriebskanal verkauft. Alles zu Amazon auf CIO.de

Derartige "Bundles" erzeugen Erträge nicht nur auf dem Weg des klassischen Endgeräteverkaufs, sondern durch die Kombination mit zusätzlichen Dienstleistungen. Wie kann ein solcher Ansatz in der Energiewirtschaft aussehen?

Erste Start-ups in Europa bieten zum Beispiel die Bereitstellung intelligenter Waschmaschinen und anderer Haushaltsgeräte an, die der Endkunde auf Basis der tatsächlichen Benutzung bezahlt. Über "smarte" Technologien werden Nutzungsverhalten und tatsächlicher Stromverbrauch ermittelt und an Dienstleister übertragen.

Dies ermöglicht dem Versorger, dem Endkunden maßgeschneiderte Tarife und Abrechnungsmodelle anbieten zu können sowie die Geräte zum Ausgleich von Lastspitzen aktiv zu steuern. Perspektivisch wird das "Bundling" von Stromverträgen mit der Vermietung von Haushaltsgeräten neue Möglichkeiten der Kundenbindung für die Versorger ermöglichen.

eBay und Vandebron

Ein anderes Beispiel ist die Auktionsplattform eBay, die völlig neue Vertriebs- und Vermarktungsmöglichkeiten jenseits des stationären Einzelhandels geschaffen hat, gerade auch für kleine und Kleinstunternehmer. Informationen über Preise und Verfügbarkeit von Waren sind in Echtzeit verfügbar. Die Sicherheit von Transaktionen wird über interaktive Bewertungen der Benutzer untereinander erhöht und der Wegfall von Intermediären, z.B. dem Großhandelhandel, verstärkt die Einkaufsmacht der Konsumenten bei gleichzeitig größerer Produkt- und Variantenvielfalt. Top-Firmen der Branche Handel

Dieses Prinzip macht sich bereits heute die Stromhandelsplattform Vandebron aus den Niederlanden zu eigen. Über das Online-Portal können Kunden ihren Strom direkt von den Erzeugern, beispielsweise Stromproduzenten aus lokalen landwirtschaftlichen Betrieben, erwerben. Jeder Erzeuger kann mit seinem individuellen Profil werben und Strom aus unterschiedlichen erneuerbaren Quellen anbieten.

Damit besteht für den Erzeuger die Möglichkeit, Überschussmengen an einem alternativen Markt zu platzieren und der Verbraucher kann entscheiden, aus welcher Erzeugungsart (Wind, Biomasse etc.) er seinen Strom beziehen möchte. Die Plattform orientiert sich vom Design und von der Funktionalität an großen Internet-Shops und bietet die Möglichkeit, Erfahrungen über einzelne Stromerzeuger zwischen den Kunden auszutauschen.

Diese drei Beispiele verdeutlichen, welche Innovationen durch digitale Technologien möglich sind und weshalb es sich für Unternehmen der Energiewirtschaft lohnt, ihr Geschäftsmodell aus der Perspektive digitaler Technologien und Trends zu überdenken. IT wird damit vom Kosten- zum Wettbewerbsfaktor und sichert die Zukunftsfähigkeit in einem komplexer werdenden Energiemarkt.

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