Enterprise Content Management

Klasse statt Masse

24.08.2007 von Elisabeth Grenzebach
Der Markt für Enterprise Content Mangement wächst und wächst. Analysten sehen rosige Zeiten, Firmen investieren, aber Hersteller werden immer weniger, und die Produkte immer unsichtbarer. ECM könnte als Begriff bald verschwinden.
Warum Enterprise Content Management (ECM) als Begriff langam aus dem Wortschatz der Marketiers verschwindet.

Die Analysten sind sich einig: ECM-Funktionen werden zum Standard in Infrastrukturlösungen. Der Anwender freut sich - ECM frei Haus? ECM ist nach wie vor teuer - nur wird ECM immer unsichtbarer: SOA und Services machen es möglich: ECM verschwindet im Bauch der IT-Infrastruktur. Wer spricht heute noch von Enterprise Content Managment? In Interviews reden die Marketiers von Oracle, Microsoft und IBM längst über Informations-Management.

Die Marktkonsolidierung hinterlässt Spuren: IBM hat laut Reuters in den letzten drei Jahren insgesamt 40 Akquisitionen hinter sich gebracht, darunter auch Filenet. Den anderen ECM-Giganten Documentum hat sich EMC schon vor Jahren einverleibt. Um das ganze ECM-Funktionsspektrum abzudecken, kam der Capturing-Spezialist Captiva dazu. Auch Open Texts Einkaufsliste ist lang: Ixos, Powerwork, SERe Government, Gauss und Obtree. Damit nicht genug: Ende 2006 hat Open Text Hummingbird übernommen und damit frei Haus noch einen Content-Management-Hersteller bekommen: Reddot. Auch bei Oracle hat man sich zu einem Kauf durchringen können. Die ECM-Schmiede Stellent kam unter den Hammer. Lediglich Microsoft setzt noch auf Partnerschaften und Eigenentwicklungen.

Vier Hersteller im Leader-Quadrant

Der ECM-Markt in Europa.

Dementsprechend übersichtlich ist er geworden, der aktuelle "Leader-Quadrant“ für den Enterprise-Content-Management-Markt, den das Analystenhaus Gartner im Oktober 2006 herausgab. Vier Hersteller sind es noch: EMC, Open Text, IBM und Stellent. Die Studie erschien vor der Übernahme Stellents. Nach wie vor kommen in den Leader-Quadranten nur Hersteller, die gut skalier- und integrierbare ECM-Suiten vorweisen und zumindest die sechs ECM-Basisfunktionen Dokumenten-Management, Web-Content-Management, Records-Management, Capturing, Collaboration und Workflow abdecken. Aus dem Quadranten herausgefallen sind fusionsbedingt Filenet und Hummingbird. Mobius Management Systems hat sich selbst zurückgezogen: Man wolle nur noch auf Archivierung setzen.

EMC in Pole-Position

Im Leader-Quadranten von Gartner hat EMC immer noch die Nase vorn. Immer wieder kann sich EMC in großen Projekten d urchsetzen. Ob es so weitergeht, hängt nach Gartner vor allem davon ab, ob es EMC schafft, sich stärker auf vertikale Lösungen zu konzentrieren, die Komplexität der Produkte zu reduzieren und die Implementierungszeiten zu kürzen. Zu beobachten ist auch, dass EMC die Zusammenarbeit mit Microsoft forciert. So wie EMC Microsofts Storage-Lücke schließt, besetzt Microsoft mit dem SQL-Server eine Leerstelle im EMC-Portfolio.

Gartner-Studie: Der letzte Magische Quadrant.

Gerade mit dem Kauf von Filenet hat IBM gezeigt, wie wichtig das Thema ECM für IBM ist. So viel ist sicher: IBM hat schon lange alle Funktionen einer ECM-Lösungen im Haus. Deshalb wurde Filenet nicht gekauft. Ein Grund könnte das Business-Process-Management sein. Ein anderer: Bei IBM war das Software-Geschäft rund um den Content-Manager nicht umsatzstark genug, um auch innerhalb von IBM genug Gewicht in die Schale zu werfen. Hinzu kommt, dass Filenet viele Mitarbeiter mit Branchen-Know-how hat, die ECM-Lösungen auf die Belange der einzelnen Unternehmen herunterbrechen können. Sicherlich wird Filenet im gehobenen BPM-Segment positioniert werden. Und auch für Web-Content-Management sehen die Gartner-Analysten Chancen für Filenet. Bewertet Gartner doch IBMs Web-Content-Management als "die schwächste Funktion im IBM-Portfolio“. Filenet hingegen hat ein OEM-Abkommen mit Day. Auf jeden Fall schreitet die Integration von Filenet in die IBM-Lösungen voran: Vor allem das Bundling mit DB2 war zu erwarten, da in Filenet-Lösungen oft der Datenbank-Erbfeind Oracle eingesetzt wurde. Inzwischen hat man auch Version 4.0 von Filenets P8 angekündigt und damit deutlich gemacht, dass man hinter der Neuerwerbung steht.

Open Text jetzt enger an SAP

Ähnlich bunt war die Einkaufliste von Open Text. Für Gartner sieht es so aus, dass Open Text durch den Ixos-Kauf in Europa Stärken ausbauen konnte. Hat doch der kanadische ECM-Spezialist damit ein enges Verhältnis zu SAP geerbt. Mit der neuen Behördensoftware "Livelink Records Management“ hat Open Text die traditionell enge Partnerschaft mit SAP auf eine neue Stufe gehoben. Die Software wird nun als "SAP-endorsed Solution“ verkauft. Zugeschnitten ist das Produkt zunächst auf den US-Markt und genügt beispielsweise den Richtlinien des amerikanischen Verteidigungsministeriums. Hummingbird hingegen sichert Open Text eine stabile Kundenbasis und Fachwissen in vertikalen Märkten wie Kanzleien.

Neben der Kooperation mit SAP und Microsoft ist Oracle als neuer strategischer Partner auserkoren, obwohl die Ellison-Company durch die Übernahme von Stellent zum Konkurrenten von Open Text geworden ist: Intern stellt Open Text 100 Mitarbeiter ab, die an der Partnerschaft zu Oracle arbeiten, wobei die Anbindung an die verschiedenen ERP-Lösungen im Vordergrund steht. Und auch den Mittelstand hat man im Visier: Die Content-Management-Suite von Reddot soll die Speerspitze der mittelstandstauglichen Lösungen bilden. Zu bemängeln hat Gartner lediglich die Workflow-Funktion und eine fehlende Brachenlösung für den Finanzmarkt.

ECM von Oracle - das ist keine Vision mehr. Der Datenbankanbieter tritt 2007 mit aller Macht an. Überall, wo bereits eine Oracle-Datenbank läuft, kann man mit 10g Dokumenten-Management-Funktionen zukaufen. Bisher sah Gartner die Ellison-Campany im ECM-Markt als Nischenanbieter. Nun kommt allerdings Stellent hinzu. Der ECM-Anbieter ist längst im Leader-Quadranten platziert, insbesondere die innovativen CMS-Komponenten überzeugen. 440 Millionen US-Dollar hat man für Stellent auf den Tisch gelegt. ECM-Anbieter, die Oracle als Index-Datenbank im Bauch haben, dürften an Koliken leiden. Ulrich Kampffmeyer von der DMS-Beratung Project Consult ist überzeugt: "Wenn es Oracle schafft, die Kräfte zu bündeln und auf die Straße zu bringen, ist das Unternehmen in Kürze einer der wichtigsten ECM-Anbieter.“

Da die neueste Gartner-Studie vor dem "Microsoft Office Sharepoint Server 2007“ auf den Markt kam, blieb es für Microsoft beim Titel "Visionär“. Die Anwender hatten einen längeren Atem, haben auf den neuen Sharepoint-Server gewartet. Schließlich spart ECM aus Office heraus viel Einarbeitungszeit. Ist doch Microsoft Office in den meisten Firmen im Einsatz. Und inzwischen ist er auch da - der "Microsoft Office Sharepoint Server 2007“. Das frühere "Portal" ist aus dem Produktnamen verschwunden, jetzt prangt ein
"Office“ davor.

Sharepoint schüttelt den Markt

Der neue Sharepoint macht sich einen Namen mit Collaboration. Aber auch Records-Management, Web-Content-Management, Formular-Management und Enterprise-Search werden mitgeliefert. Für die vielen Partner bleiben nur die Funktionen Archivierung und Dokumentenerfassung. Trotzdem sind einige Redaktionen unter den vielen Partnerankündigungen aus dem Hause Microsoft in die Knie gegangen. Microsoft mit Open Text, Microsoft mit SAP, Microsoft mit Ceyoniq, Easy, ELO, SER, Optimal Systems, d.velop und Saperion. Alle, die in der ECM-Branche Rang und Namen haben, sind dabei.

Das Marktvolumen von ECM beziffert Gartner für das Jahr 2005 mit 2,3 Milliarden Dollar. Ein Wachstum bis 2010 von 12,8 Prozent wird erwartet. Dass der ECM-Markt schneller wächst als der Softwaremarkt allgemein, damit rechnen auch die Marktforscher von Forrester. Sie gehen davon aus, dass 2008 3,9 Milliarden Dollar für ECM-Software ausgegeben werden. Und welcher Hersteller sichert sich wie viel vom Kuchen? Im August 2006 haben die Gartner-Analysten Roger Fulton und Tom Eid die Studie "Market Share: Enterprise Content Management Software Worldwide, 2003–2005“ herausgegeben. Berücksichtigt man noch die jüngsten Übernahmen, wird der Markt in Europa, im Mittleren Osten und Afrika (EMEA) von drei Anbietern beherrscht: Open Text, IBM und EMC. Allerdings spricht vieles dafür, dass in Zukunft auch Microsoft und Oracle weiter vorne mitmischen werden.

Anwender haben in DMS investiert

"Die Integration von ECM-Systemen gehört neben dem Thema Compliance zu den wichtigsten Aufgaben der Unternehmen", sagt Anke Hoffmann, Senior Advisor bei der Experton Group.

Dass auch deutsche Unternehmen in ECM investieren werden, suggeriert eine Befragung der Experton Group unter 153 deutschen Anwenderunternehmen. "Die Integration von ECM-Systemen in die bestehenden IT-Systeme gehört neben dem Thema Compliance zu den wichtigsten Aufgaben der Unternehmen“, so Anke Hoffmann, Senior Advisor bei der Experton Group. "Viele haben bereits in Systeme für Dokumenten-Management und Archivierung investiert. Jetzt gilt es, diese einzelnen Lösungen zusammenzubringen, zentral zu koordinieren und in die bestehende Infrastruktur und Prozesse zu integrieren.“ Dabei sind die Branchen nach wie vor unterschiedlich investitionsfreudig: Besonders viel Engagement erwarten sich die Analysten der Experton Group von Ämtern und Behörden sowie den Unternehmen des Gesundheitswesen, der prozessorientierten Fertigung und des Handels.

OpenSource und Freeware gibt es inzwischen nicht nur für ECM, sondern auch für Dokumenten-Management, Workflow und Archivierung. Das Marktforschungsinstitut Forrester sieht Open Source sogar als einen der vier wesentlichen Marktantreiber im ECM-Umfeld. Bereits auf der letzten Branchenmesse DMS-Expo hat das Open-Source-ECM Alfresco für Aufsehen gesorgt. Jetzt hat Alfresco die Verfügbarkeit der Version 2.0 angekündigt. Bleibt noch abzuwarten, wann es auch Nuxeo, ein weiterer Open-Source-ECM-Anbieter, nach Deutschland schafft. Leicht wird es nicht, sich als Open-Source-Produkt einen Platz im etablierten ECM-Markt zu erobern.

Natürlich ist eine einheitliche ECM-Infrastruktur ideal. Aber auch die Anwender haben eine Vergangenheit: Jede Abteilung hat andere Wünsche, braucht andere Funktionen. Deshalb sind vielerorts zahlreiche Lösungen, zwei bis drei konkurrierende Betriebssysteme und mehrere Datenbanken im Einsatz. Den ECM-Hersteller, der alle Content-Typen und Einsatzszenarien gleich gut abdeckt, gibt es nicht. Deshalb wird der Ruf nach flexibler IT immer lauter. SOA (Service-orientierte Architektur) soll es richten und wird es richten. Die Hersteller haben ihre Hausaufgaben gemacht. Im Jahre 2010 werden nach Gartner Content-Services zur Basisinfrastruktur gehören und auf etwa 60 Prozent aller Unternehmens-Desktops installiert sein.

Jetzt sind die Anwender dran: Ohne ein mutiges Management, das klare Ansagen macht, sind solche Projekte von vornherein zum Scheitern verurteilt. Gesucht sind CIOs, ausgestattet mit Prozessdenken, systemübergreifenden Kenntnissen, einem ausgeprägten Verständnis für IT-Architektur und kommunikativem Talent.