CIO Markus Schümmelfeder

So schult Boehringer Ingelheim seine IT

10.01.2024 von Jens Dose
Der Pharma-Konzern baut systematisch interne Technologie-Expertise auf. CIO Markus Schümmelfeder berichtet über Bottom-up-Innovation und neue Lernpfade.
Markus, Schümmelfeder, CIO von Boehringer Ingelheim, geht beim Aufbau von IT-Know-how im eigenen Haus neue Wege.
Foto: Boehringer Ingelheim

Der Pharmakonzern Boehringer Ingelheim treibt ein umfassendes Digitalisierungsprogramm voran (lesen Sie hier mehr dazu: "Wie sich ein Pharmakonzern transformiert"). Für Markus Schümmelfeder ist moderne Technik allein aber nicht genug.

"Wir wollen uns auch bei der Wissensvermittlung zu neuen Technologien weiterentwickeln," sagt der IT-Chef. "Upskilling" lautet das Stichwort. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen weniger Tickets abarbeiten und mehr mit dem Business interagieren, um Mehrwerte zu schaffen.

Self-Made Experten

Dazu hat das Unternehmen vor vier Jahren "Communities of Practice" (COPs) ins Leben gerufen. Schümmelfeder: "Als Führungskräfte haben wir uns Gedanken gemacht, welche Technologien und Skills wir hinsichtlich unserer Strategie brauchen - etwa Robotic Process Automation (RPA), Data Science, KI, agile Arbeitsweisen, Blockchain oder IoT." Diese Themen sollen in den COPs vertieft werden.

Der Clou daran: In den Gruppen schulen Kollegen sich gegenseitig, ohne dedizierte Führungskräfte. Zudem kann die Belegschaft selbst neue COPs gründen. Experten für das jeweilige Thema übernehmen die Führung. Anschließend werden interessierte Mitarbeiter gesucht, die mitgestalten wollen. Dabei spielt laut Schümmelfeder das mitgebrachte Wissensniveau keine Rolle, denn die Teilnehmer lernen durch die Praxis.

Die Top-CIOs der Chemie- und Pharma-Branche
Markus Schümmelfeder
Seit April 2018 ist Markus Schümmelfeder neuer CIO des Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim in Ingelheim am Rhein. Er war zuvor Corporate Vice President IT im Unternehmen. Schümmelfeder berichtet an seinen Vorgänger im CIO-Amt, den CFO Michael Schmelmer.
Martin Richtberg
Seit 1. Januar 2022 bekleidet Martin Richtberg die Position des Senior Vice President Information Technology, CIO und CDO von Wacker Chemie. Zuletzt war er dort Leiter des globalen Project-Engineering.
Annette Hamann
Annette Hamann ist seit 2020 CIO bei der Hamburger Beiersdorf AG. Ihre Vorgängerin Barbara Saunier ist im Ruhestand.
Dirk Ramhorst
Seit dem 1. Mai 2022 ist Dirk Ramhorst, ehemaliger IT-Chef von Wacker Chemie, CIO beim Spezialchemiekonzern Evonik. Seine Vorgängerin Bettina Uhlich ging in den Vorruhestand.
Michael Nilles
Henkel hat Michael Nilles am 1. Oktober 2019 zum Chief Digital & Information Officer (CDIO) ernannt. Er berichtet direkt an Carsten Knobel, CEO von Henkel. In seiner Position ist Nilles für die Bereiche Digital, IT, Geschäftsprozessmanagement und Corporate Venture Capital verantwortlich.
Abel Archundia-Pineda
Abel Archundia-Pineda ist seit Mai 2017 Head of IT Business Partnering Pharmaceuticals bei Bayer im Geschäftsbereich Pharma bei Bayer. Zuvor war er Head of IT for Novartis Technical Operations and Global CIO der Sandoz Division, Novartis AG.
Michael Jud
Michael Jud ist seit April 2017 Leiter IT beim Pharmahersteller InfectoPharm Arzneimittel und Consilium GmbH in Heppenheim im südlichen Hessen. Jud kommt vom Anlagenbauer Schenck Process in Darmstadt. Er berichtet bei seinem Arbeitgeber an den kaufmännischen Geschäftsführer. Neben dem Fokus-Thema IT-Sicherheit baut der gelernte Diplom Ingenieur SAP weiter aus und unterstützt das internationale Wachstum von InfectoPharm.
Alessandro de Luca
Alessandro de Luca war bisher Interims-Group CIO beim Pharmakonzern Merck. Der Konzern hat sich entschieden, de Luca dauerhaft in dieser Position zu beschäftigen.
Hermann Schuster
Seit 1. September 2021 ist Hermann Schuster Head of Information Technology bei der Lanxess AG. Er folgt auf Kai Finke. In seiner neuen Position will Schuster im Chemiekonzern ein Konzept für den Modern Workplace umsetzen und sich auf Cybersicherheit konzentrieren. Daneben steht der Rollout eines SAP S/4 Hana-Templates auf seiner Agenda. Schuster berichtet an den Lanxess-Finanzvorstand Michael Pontzen.
Bijoy Sagar
Bijoy Sagar ist ab Juni 2020 neuer Leiter IT und Digitale Transformation der Bayer AG. Er löst den bisherigen CIO und CEO der IT-Tochter Bayer Business Services (BBS) ab, der seine Konzernkarriere beendet. Die BBS wird aufgelöst. Sagar soll die Digitalisierung des Pharmakonzerns vorantreiben und die begonnene Neuaufstellung der IT ans Ziel führen. Er berichtet an den Finanzvorstand Wolfgang Nickl.
Martin Wiedenmann
Martin Wiedenmann ist seit Februar 2019 Head of Global IT/CIO der Atotech Group, einem weltweit agierenden Marktführer für Spezialchemie. Zuvor war er war seit Juli 2016 CIO bei Ledvance in München.
Andreas Becker
Andreas Becker ist seit April 2017 Vice President Information Technology/CIO beim Pharmakonzern Daiichi-Sankyo Europe in München. Im Oktober 2014 kam der Diplom-Kaufmann mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik & EDV als Head of IT Strategy & Service Delivery ins Unternehmen.
Sandeep Sen
Sandeep Sen ist CIO der Linde Group. In dieser Funktion hat er Büros in Singapur und München. Weltweit führt Sen rund 1.100 Mitarbeiter. Er kam 1993 zu Linde Indien (vormals BOC India). Zuvor war er in der IT auf dem Finance-Sektor tätig. Dabei arbeitete er sowohl in Indien als auch in Großbritannien.
Peter Buchmüller
Seit Mitte Juni 2017 ist Peter Buchmüller IT-Leiter der Aenova Group, einem pharmazeutischen Auftragshersteller mit Sitz in Starnberg bei München. Der genaue Titel lautet: Senior Vice President Corporate IT Aenova Group. Buchmüller wechselte von der Molkerei Meggle in Wasserburg, wo er zuvor als Leiter IT tätig war.
Berthold Kröger
Berthold Kröger hat im Juli 2015 die IT-Verantwortung bei der K+S AG in Kassel übernommen. Der neue Leiter Corporate IT berichtet an den Vorstand Thomas Nöcker. Der promovierte Informatiker hat sein Studium an der Universität-Gesamthochschule Paderborn absolviert. Er arbeitete danach mehr als drei Jahre im Forschungs- und Technologiezentrum der Deutschen Telekom und war später in verschiedenen Positionen bei der Hochtief AG und der Hochtief Solutions AG in Essen beschäftigt.
Alexander Bode
Im Juli 2014 hat Alexander Bode den CIO-Posten beim Farbenhersteller DAW SE angetreten. DAW (Deutsche Amphibolin-Werke) ist vor allem bekannt durch Farbenmarken wie Caparol und Alpina. Bode kommt vom Pharmahändler Celesio, wo er seit 2013 als Global Head of IT Governance tätig war. Davor arbeitete der Wirtschaftsinformatiker viele Jahre bei der Freudenberg-Gruppe, wo er auch seine berufliche Laufbahn 2002 begann. Zuletzt verantwortete er dort von 2008 bis 2013 als Director ERP Europe das SAP Competence Center von Freudenberg Sealing Technologies.
Torsten Müller
Seit November 2018 ist Torsten Müller Head of Information Technology (CIO) beim Pharma- und Laborzulieferer Sartorius AG mit Sitz in Göttingen. Zuvor war er Chief Digital Officer und Chief Information Officer sowie Mitglied der Geschäftsleitung der Versicherung Helvetia Deutschland in Frankfurt.
Stephan Heinelt
Stephan Heinelt ist seit September 2018 Group CIO beim Spezialchemiekonzern Altana AG mit Sitz in Wesel. Der Diplom-Wirtschaftsinformatiker Heinelt war zuletzt Leiter Service Management Global IT Services bei der Evonik Industries AG in Essen.
Martin Kinnegim
Martijn Kinnegim ist seit März 2019 CIO der STADA Arzneimittel AG mit Sitz im hessischen Bad Vilbel. Kinnegim arbeitete zuvor bei Jacobs Douwe Egberts (JDE). Dort war er als Global CIO tätig und leitete die Integration der Gesellschaften DE Masterblender 1753 und Mondelez International in den weltweit führenden Kaffeekonzern.
Walter Grüner
Walter Grüner ist seit Mai 2019 Head of Information Technology beim Chemie-Unternehmen Covestro in Leverkusen. Zuvor war Grüner seit 2013 als Group CIO bei der KION Group AG tätig, einem Anbieter von Gabelstapler und Lagertechnik.
Tobias Günthör
Der Pharmakonzern Stada hat mit Tobias Günthör seit Anfang April einen neuen IT-Chef. Der Titel des 53-Jährigen lautet CIO/Senior Vice President IT at Stada Group.
Carsten Priebs
Zum 01.01.2024 wurde Carsten Priebs zum Digitalchef der Biesterfeld AG berufen.

Die Teams bauen ihre Expertise in Projekten und Weiterbildungen auf. Sie lernen, wie sie die Technologie im täglichen Betrieb einsetzen und weiterentwickeln können. "Dabei haben wir eine gute Bilanz: etwa 80 Prozent der zirka 1.000 auf diese Art geschulten Kollegen sagen uns, dass sie die Skills im Alltag tatsächlich anwenden," so der CIO.

Cross-funktional und selbstbestimmt

Begonnen hat die COP-Initiative in der IT-Abteilung mit 18 Gruppen. Mittlerweile bilden sich auch cross-funktionale Teams gemeinsam mit Kollegen aus den Fachabteilungen, etwa bei Themen wie Augmented und Virtual Reality oder agilen Arbeitsweisen.

Die COPs arbeiten selbstbestimmt. "Jede Community hat Zeit, an dem jeweiligen Thema zu arbeiten, solange sie es für sinnvoll hält," so Schümmelfeder. Sind die anvisierten Use Cases ausgearbeitet und ausreichend Kollegen geschult, lösen sich die COPs auf.

So beendete beispielsweise die Community zum Thema RPA ihre Arbeit, als das gesteckte Ziel von 100 geschulten Menschen aus IT und Business erreicht war. "Zudem lebte das Thema in den Geschäftslinien mit eigenen COPs selbstständig weiter, so dass die ursprüngliche Gruppe überflüssig wurde," berichtet der IT-Chef. Gleichzeitig gründen sich ständig neue COPs. So laufen laut dem CIO gerade Projekte rund um künstliche Intelligenz, User Experience oder agile Validierung der Herstellungsprozesse von Pharmaprodukten.

Minimale Governance

Ganz ohne Governance geht es dann aber doch nicht. Um den Fortschritt der COPs zu messen, berichten die Leiter der Gruppen in den Führungskreis. "Wir wollen verstehen, wo sie stehen, wie viele Leute teilnehmen und ob wir unsere Upskilling-Ziele schaffen, um das Know-how zu verbreitern," erklärt Schümmelfeder.

Zudem kommen diverse Werkzeuge zum Einsatz. Der Fortschritt der RPA-Initiativen wurde beispielsweise über das Automatisierungs-Tools UiPath verfolgt, das als RPA-Standardlösung im Unternehmen zum Einsatz kommt. "Dort sehen wir genau, wie viele Prozesse und Teilprozesse automatisiert und implementiert sind," so der CIO.

Darüber hinaus pflegen die COPs enge Verbindungen zum unternehmensinternen Kompetenzzentrum für RPA. Es strukturiert die Aktivitäten der Gruppen, um zu verhindern, dass zwei Teams an derselben Sache arbeiten, und hält die Dokumentation der Projekte vor. Schümmelfeder: "Darüber messen wir auch, wie schnell Projekte umgesetzt werden, und wir beobachten verschiedene KPIs wie etwa Start- und Enddatum."

Bei all dem hält sich der Manager jedoch an das Motto "Weniger ist mehr": "Wir wollen sie nicht mit Governance überschütten, sondern die Arbeit der COPs schlank und leicht halten." Dieser Freiraum und der Bottom-up-Ansatz der Communities sorge für intrinsisch motivierte Teilnehmer, die Innovationen von sich aus vorantreiben.

Systematisch qualifiziert

Neben den COPs überarbeitet Boehringer Ingelheim auch die Qualifizierung der Belegschaft. "Vorher konnten wir nicht genau sagen, wie viele Frontend- und Backend-Engineers oder Data Scientists wir tatsächlich haben. Diese Job-Rollen waren historisch gesehen sehr fragmentiert." Also hat das Team um Schümmelfeder die IT-Rollen harmonisiert und standardisiert.

Zudem werden einheitliche Lernpfade für die IT-Mitarbeiter mit den für die Rollen relevanten Skills definiert. Diese gestalten die Weiterbildung.

Für die Lernpfade gibt es Verantwortliche und Chapter. Sie halten die Skills vor und leihen sie in die Organisation für Projekte und Produkte aus. Das Chapter tauscht sich eng mit dem Verantwortlichen aus, welche Skills vorhanden sind, und welche gebraucht werden. Dadurch werden die Lernpfade kontinuierlich angepasst.

Lernen im Self-Service

Die Lernpfade selbst werden in der hauseigenen "IT-Academy" mit Kursen hinterlegt und sollen das "skill-basierte" Lernen fördern. Dort können sich die Kollegen eigenständig weiterbilden. Schümmelfeder spricht von "Self-oriented Learning".

"So verstehen unsere Leute auf Anhieb, was sie tun müssen, um sich weiterzuentwickeln, und sehen gleich den zugehörigen Weg," ergänzt der CIO. Zudem habe das Unternehmen nun immer den Überblick, welche Rollen und Qualifikationen vorhanden sind.

In jährlichen Mitarbeitergesprächen bieten die Lernpfade Anhaltspunkte, umstrukturiert festzulegen, wohin die Entwicklung gehen soll und was dafür zu leisten ist. Schließlich kommen hier die oben beschriebenen Communities of Practice ins Spiel. In ihnen können die Meilensteine für das nächste Level einer Ausbildung praxisnah erworben werden.