Strategien


Existenzfrage

Wie schwer wiegt IT?

Heinrich Seeger arbeitet als IT-Fachjournalist und Medienberater in Hamburg. Er hat über 30 Jahre IT-journalistische Erfahrung, unter anderem als Gründungs-Chefredakteur des CIO Magazins. Er entwickelt und moderiert neben seiner journalistischen Arbeit Programme für Konferenzen und Kongresse in den Themenbereichen Enterprise IT und Mobile Development, darunter IT-Strategietage, Open Source Meets Business, droidcon und VDZ Tech Summit. Zudem gehört er als beratendes Mitglied dem IT Executive Club an, einer Community von IT-Entscheidern in der Metropolregion Hamburg.

Stand der Forschung ignoriert

Hätte Carr sorgfältiger recherchiert, wäre ihm dieser Lapsus nicht unterlaufen; Wirtschaftswissenschaftler Picot wirft ihm vor, den Stand der Forschung nicht präsent zu haben. Das vom Ökonomie-Nobelpreisträger Robert Solow 1987 entwickelte "Produktivitätsparadoxon" - weniger IT-Investitionen führen zu höherem ökonomischem Ertrag - ist nämlich spätestens seit März 2003 widerlegt. Da erschien in der Zeitschrift "Computing Surveys", herausgegeben von der Association for Computing Machinery (ACM), ein Aufsatz von Jason Dedrick, Vijay Gurbaxani und Kenneth Kraemer. Die Wissenschaftler der Universität Irvine in Kalifornien haben die Ergebnisse von mehr als 50 empirischen Studien zwischen 1985 und 2002 zu diesem Thema zusammengetragen und erneut analysiert. Und keine einzige dieser Studien kam zu dem Ergebnis, dass mehr IT-Einsatz zu geringerer Produktivität führe - im Gegenteil: IT, so die Autoren, sei längst mehr als nur ein Werkzeug, um damit bestehende Prozesse zu automatisieren. Viel wichtiger sei ihre Rolle bei der Förderung organisatorischer Veränderungen, die tatsächlich zu Produktivitätsgewinnen führen könnten. Das Solow’sche Paradoxon, urteilen die kalifornischen Wissenschaftler abschließend, sei ohnehin immer schon mehr ein "Strohmann" als eine ernsthafte ökonomische Analyse gewesen.

Outsourcing - IT bleibt strategisch

Weniger Kosten und dadurch mehr Produktivität der IT versprechen sich viele Firmen durch OutsourcingOutsourcing. Als Strategiethema habe die Informationsverarbeitung deshalb noch längst nicht ausgedient, betont Organisationsforscher Picot. "Information hat in Unternehmen immer schon eine extrem wichtige Rolle gespielt." Die Marktmodelle der Application Service Provider (ASP) und die aktuelle On-demand-Diskussion zeigten, dass die Auslagerung von IT-Leistungen nur in begrenzten Bereichen funktionieren kann. "Man darf sich da nichts vormachen: Man gibt nur die Dinge raus, die wirklich unproblematisch sind", urteilt er. Alles zu Outsourcing auf CIO.de

Aber selbst große Outsourcing-Deals machen nach Picots Worten die Unternehmens-IT und ihre Entscheider nicht obsolet, selbst wenn sie hierarchisch herabgestuft - etwa aus dem Vorstand entfernt - würden. "Informationsverantwortung kann auch unter Zuhilfenahme der Technologie vom Top-Management und dem Unterbau mit gemacht werden; sie bedarf nicht mehr so dringend eines spezialisierten Bereichs wie vorher." Die strategische Bedeutung der IT für die Unternehmensentwicklung werde durch Outsourcing nicht reduziert, stellt Picot fest; sie werde vielmehr heute "integraler wahrgenommen". Ein CIO dürfe sich nicht dadurch definieren, "dass er große Truppen im Unternehmen befehligt, sondern dadurch, dass er Methoden, Konzepte und Bewusstsein schafft für die Bedeutung und die Bereitstellung des Produktionsfaktors Information im Unternehmen", so der Wissenschaftler. "Das kann eine winzige Truppe sein, die nur dafür sorgt, dass intern die Leute Awareness für die IT haben und sich der Systeme überhaupt bedienen."

Reflexion der Bedeutung von IT

Eines muss man Carr zugestehen: Sein Artikel und die anschließende Auseinandersetzung haben zu einer gründlichen Reflexion der Bedeutung von IT geführt. Das räumt auch Picot ein: "Provokante Beiträge wie dieser sind hilfreich; sie zwingen, Positionen zu überdenken", so der Wirtschaftsinformatiker. Ansonsten bringt er wenig Respekt für den Autor auf.

Und das ist die Position der IT nach Carr: Ob sie zählt, wird nicht daran deutlich, wie neu und investitionsintensiv die Technik ist, sondern ob sie Geschäftsprozesse wirksam unterstützt. Das kann auch mit alter Technik geschehen - wenn sie richtig eingesetzt wird. Es ist die Abhängigkeit von der Intelligenz der Entscheider, die IT von anderen horizontalen Funktionen wie Gas-, Wasser- und Stromversorgung unterscheidet. Diese Abhängigkeit wird sich noch über Generationen nicht auflösen, die Hirne der CIOs und ihrer Teams werden nicht in Standardsoftware abgebildet werden.

IT wiegt schwer, auch wenn sie kostengünstig und mit wenigen Kräften bewerkstelligt wird.

Zur Startseite