Roland Berger

Probleme bei der ERP-Einführung im Mittelstand

04.12.2013
Von  und Andreas Dietze

Dirk Möbus ist Principal bei Roland Berger und verantwortlich für die Practice Group Information Management. Er berät Kunden aus unterschiedlichen Branchen zu den Themen IT-Strategie, IT-Transformation, IT-Post Merger Integration sowie der Steuerung komplexer Umsetzungsprojekte mit dem Schwerpunkt auf digitalen Technologien. Er ist Absolvent der Frankfurt School of Finance and Management und hat in früheren beruflichen Stationen unter anderem für die Commerzbank, CSC sowie die Thales-Gruppe gearbeitet.

ERP-Lösungen für Mittelständler sind zu komplex, umfangreich und benutzerunfreundlich. Auch der Anbietermarkt ist unübersichtlich. Andreas Dietze und Dirk Möbus von Roland Berger geben Ratschläge für die ERP-Einführung.
Andreas Dietze ist IT-Experte bei Roland Berger Strategy Consultants.
Andreas Dietze ist IT-Experte bei Roland Berger Strategy Consultants.
Foto: Roland Berger

In Deutschland arbeiten nach wie vor viele mittelständische Unternehmen mit veralteten IT-Systemen, um ihre Geschäftsprozesse abzubilden und Ressourcen wie Kapital, Betriebsmittel und Personal zu koordinieren. Die Nachfrage nach standardisierter Software für das "Enterprise-Resource-Planning" (ERPERP) ist dementsprechend hoch. Alles zu ERP auf CIO.de

Stärker als bisher müssen aber Software-Hersteller und IT-Dienstleister die Besonderheiten des Mittelstands berücksichtigen, um mit ihren Produkten das gesamte Marktpotenzial bei kleinen und mittleren Betrieben abschöpfen zu können. Roland Berger nennt Faktoren, die IT-Anbieter und mittelständische Unternehmen beachten sollten, um zu einer passenden ERP-Lösung zu gelangen.

Der Mittelstand ist Innovations- und Wachstumstreiber: Die deutsche Wirtschaft besteht zu rund 99 Prozent aus kleinen und mittelständischen Unternehmen, insgesamt beschäftigen sie mehr als 60 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland. Gerade im produzierenden Gewerbe haben sich zahlreiche Unternehmen zu "hidden champions" entwickelt, die in ihren Nischen weltweit den Status der Marktführerschaft erreichen konnten. Allerdings haben es viele Betriebe verpasst, ihre IT den expansiven Entwicklungen adäquat anzupassen, wie Roland Berger-Experten bei der Beratung mittelständischer Unternehmen häufig feststellen.

Dirk Möbus ist IT-Experte bei Roland Berger Strategy Consultants.
Dirk Möbus ist IT-Experte bei Roland Berger Strategy Consultants.

Kernprozesse in den Bereichen Vertrieb und Distribution, Supply Chain Management sowie Buchhaltung, Controlling oder Personalwesen werden auf historisch gewachsenen IT-Plattformen abgewickelt, die aber einst auf viel kleinere Volumina und geringere Komplexität ausgelegt waren. Eröffnet ein international tätiger Mittelständler zum Beispiel einen neuen Standort, wird bei der Anpassung der IT-Plattformen an die neue Unternehmensstruktur häufig improvisiert.

Das kann in Prozessbrüchen, inkonsistenten Stammdaten und damit etwa in ineffizienten Funktionsdoppelungen münden. Hinzu kommt, dass oftmals die Hersteller solch antiquierter IT-Systeme nicht mehr am Markt vertreten sind und damit der Kundenservice nicht mehr gewährleistet ist.

Der unternehmerische Fokus liegt oft auf der schnellen Expansion in neue Märkte oder Produkte, ohne die nötigen Anpassungen in der IT zu berücksichtigen. Schwächen in der Software werden dann erst zu einem späteren Zeitpunkt deutlich. Modernisierung, Harmonisierung und Professionalisierung der IT sind ein zunehmender Bedarf vieler Mittelständler. Für die IT-Industrie ist dies weiterhin eine große Chance sowie ein attraktiver Markt - sowohl auf der Hersteller- als auch der Dienstleisterseite.

Hohe Einstiegshürden in die ERP-Welt

Viele Unternehmen scheuen aber die Ablösung ihrer bestehenden Architekturen durch eine integrierte ERP-Lösung. Die Gründe: Einerseits besteht dabei ein recht hoher Investitionsbedarf, andererseits setzt eine Einführung innerhalb des Unternehmens Wissen und Erfahrung mit umfangreichen IT-Projekten voraus. Die dafür nötigen Ressourcen sind mitunter nicht vorhanden. Zumal die IT von vornherein häufig nicht als gleichberechtigter Partner in der Unternehmensorganisation gesehen wird.

Doch nicht nur auf Seiten der potenziellen Kunden gibt es Hürden für eine höhere Verbreitung von ERP-Anwendungen im Mittelstand. Denn trotz aufwändiger Mittelstandsinitiativen der Hersteller - insbesondere in den vergangenen zwei bis drei Jahren - verweisen kleine und mittelgroße Unternehmen zu den Angeboten in der Regel auf zwei zentrale Problemfelder:

  • 1. Die angebotenen Lösungen sind oft zu umfangreich, zu komplex und zu wenig benutzerfreundlich. Viele abgebildete Standardprozesse sind ursprünglich den Bedürfnissen großer produzierender Unternehmen angepasst.

So lassen sich etwa Produktkalkulationen oder Reports in vielen Standardpaketen nur unter hohem Aufwand verändern, was insbesondere in Unternehmen mit kürzeren Innovationszyklen problematisch ist.

  • 2. Zudem ist die Anbieterlandschaft stark zerklüftet. Neben den Mittelstandsprodukten von SAP, Oracle oder Microsoft tummeln sich allein auf dem deutschen Markt mindestens 300 weitere Hersteller kleinerer IT-Lösungen - alle haben ERP-Software oder Lösungen für Customer-Relationship-Management in ihrem Portfolio.

Ohne tiefe Marktkenntnis und aufwändige Anbieterselektion fällt es mittelständischen Unternehmen schwer, die einzelnen Differenzierungsmerkmale der Produkte zu verstehen und die für sie bestmögliche Auswahl zu treffen.

Zwar erlebt die Branche derzeit eindeutige Konsolidierungstendenzen auf Anbieterseite, die Marktlandschaft aber bleibt auf absehbare Zeit stark heterogen.

Abbildung 1: Marktanteil der ERP-Hersteller nach Kundengröße.
Abbildung 1: Marktanteil der ERP-Hersteller nach Kundengröße.
Foto: Gartner, Roland Berger

Wie Abbildung 1 zeigt, nimmt die Dominanz der größten Hersteller von ERP-Lösungen (Tier I-Anbieter) in den kleineren Unternehmenssegmenten deutlich ab. In diesem Marktsegment können zahlreiche lokale IT-Produkt- und Dienstleistungsanbieter (Tier II und Tier III-Anbieter) punkten und Geschäftspotenzial abschöpfen.

Gleichzeitig steigt jedoch der Bedarf mittelständischer Unternehmen an modernen Technologien zum Betrieb von ERP-Lösungen. Auch wenn das klassische, lizenzbasierte Geschäft mit vor Ort installierter Software ("on-premise") derzeit noch den größten Marktanteil hat, werden zunehmend Lösungen nachgefragt, die als Dienstleistung auf fremden Rechnern angeboten werden oder bei Bedarf einsetzbar und somit flexibler skalierbar sind. Entscheidend ist, dass die dabei zum Tragen kommenden Technologien überschaubar und in die bestehenden IT-Landschaften integrierbar sind. Denn bisher sind viele Angebote am Markt auf größere Skalen ausgelegt, die für den Mittelstand nicht attraktiv sind.

Die folgende Abbildung zeigt, welche ERP-Delivery-Modelle laut einer Umfrage unter mittelständischen Unternehmen derzeit als "potenziell relevant" eingeschätzt werden:

4 zentrale Faktoren für den Erfolg von ERP-Lösungen im Mittelstand

Worauf kommt es nun an, um ERP-Lösungen erfolgreich bei mittelständischen Unternehmen einzuführen? Insbesondere die folgenden vier Faktoren sind nach unserer Erfahrung von Bedeutung:

1. Klar definierte IT-Strategie

Abbildung 2: "Potenziell relevante" ERP-Delivery-Modelle für den Mittelstand.
Abbildung 2: "Potenziell relevante" ERP-Delivery-Modelle für den Mittelstand.
Foto: Aberdeen Group

Falsche Entscheidungen hinsichtlich der geplanten ERP-Architektur sind insbesondere im Mittelstand fatal. Eine Korrektur der ursprünglich ausgewählten Lösung ist aufgrund begrenzter IT-Ressourcen meist problematisch. Mittelständische Unternehmen müssen daher im Vorfeld klar definieren, welche Prozesse oder wie viele Standorte im ERP abzubilden sind.

In Abhängigkeit davon kann eine integrierte, schlanke bzw. eine anspruchsvollere und modulare Lösung gewählt werden. Die IT-Struktur muss für einen längeren Zeitraum Bestand haben können. Die konsequente Ableitung einer IT-Strategie aus der Unternehmensstrategie sollte daher auch und gerade im unternehmerisch geprägten Mittelstand mit entsprechendem Aufwand berücksichtigt werden.

2. Lokale Betreuungsstruktur

Der Mittelständler benötigt Ansprechpartner vor Ort, die die Anforderungen des Unternehmens erfassen, bewerten und in Fachkonzepte übersetzen können. Dabei ist ein tiefes Verständnis der spezifischen Branche und der speziellen Marktsituation auf Seiten der IT-Betreuung erforderlich.

Die Vertriebs- und Liefer-Organisationen großer Hersteller können diese Flexibilität oftmals nicht ausreichend darstellen und bieten Dienstleistungen länderübergreifend an (z.B. über ein zentrales Support-Center). Es müssen Wege gefunden werden, die Präsenz vor Ort zu stärken. Partnerschaften mit lokalen Dienstleistern werden also von großer Bedeutung bleiben.

3. Mittelstandstaugliche Pakete

Für die Entwicklung neuer Funktionalitäten und die individuelle Anpassung komplexer Anwendungspakete stehen dem Mittelständler in der Regel nur begrenzte Mittel und Kapazitäten zur Verfügung. Es ist daher von großer Bedeutung, dass die im ERP abgebildeten Prozesse praxisnah und auf die jeweiligen Branchenspezifika abgestimmt sind. Sowohl für produzierende Mittelständler als auch für mittelständische Dienstleister sind differenzierte Mechanismen für die Kostenverrechnung oder das ReportingReporting erforderlich. Alles zu Reporting auf CIO.de

Neue Paradigmen im industriellen Sektor, wie etwa die intelligente Fabrik (Stichwort IndustrieIndustrie 4.0), bieten gerade im produktionsorientierten deutschen Mittelstand Chancen, da die Vernetzung von Fertigung, Forschung und Vertrieb mit den heutigen "Bordmitteln" der IT nicht mehr bewältigt werden kann. Auf die Bedarfe kleinerer Unternehmen und Produktionsanlagen abgestimmte Lösungen in diesem Bereich werden in naher Zukunft vermehrt nachgefragt werden. Top-Firmen der Branche Industrie

4. "Werkstatt-Ansätze" in der Projektarbeit

Klassische Projektansätze bei der ERP-Einführung folgen nach wie vor häufig dem sogenannten "Wasserfallmodell". Dabei findet eine sequenzielle Abarbeitung der verschiedenen Projektphasen vom Lastenheft über Design und Entwicklung bis zur Test- und schließlich Einführungsphase statt. Beispiele aus der Praxis zeigen, dass sich die Einführung eines globalen ERP-Templates nach diesem Muster teilweise über Jahre hinziehen kann.

Mittelständische Unternehmen können dies aber nur bedingt bewältigen, so dass "Werkstatt-Modelle" hier einen geeigneteren Ansatz darstellen: Zunächst ist die Bereitstellung der Grundfunktionalitäten sicherzustellen. Anschließend werden aus der Menge der meist zahlreichen zusätzlichen Anforderungen einzelne "Sprints" identifiziert, also priorisierte und vom Umfang überschaubare Funktionalitäten, die in kurzer Zeit realisiert werden können. Somit werden schnelle Ergebnisse geschaffen, welche die Akzeptanz großer IT-Veränderungen im unternehmerisch geprägten Umfeld durch greifbare Erfolge stützen.

Eine klare Ausrichtung auf diese Erfolgsfaktoren wird Hersteller und Dienstleister von ERP-Lösungen in die Lage versetzen, das hochattraktive Segment der Mittelständler auch in Zukunft erfolgreich bedienen zu können.

Andreas Dietze und Dirk Möbus sind IT-Experten bei Roland Berger Strategy Consultants.

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