Enterprise Content Management

Ballast entsorgen

02.06.2004 von Heide Witte
Papierberge und Informationsmüll überlagern das Unternehmenswissen. Enterprise Content Management (ECM) hilft beim Aussortieren der wirklich wichtigen Daten. Doch die Wahl des richtigen Anbieters fällt schwer: Trotz zahlreicher Unternehmensübernahmen ist der Markt weiterhin zersplittert. "Die eine Lösung" für alle Anforderungen gibt es - noch - nicht.

Die von Anwendern lang erhoffte Konsolidierung auf dem Anbietermarkt für Content-Management-Systeme (CMS) kommt nur langsam voran. Mittlerweile verwenden Anbieter das Kürzel ECM (Enterprise Content Management), unter dessen Dach sie alle Varianten des CMS packen. Mit ECM-Systemen sollen digitale Inhalte - unabhängig von Art und Format und während ihres gesamten Lebenszyklus - integriert und verwaltet werden. Dazu zählen strukturierte Daten aus betriebswirtschaftlichen Programmen, Datenbanken sowie Data-Warehouses ebenso wie E-Mails, Voice-Mails, Bilder und Videos.

Hinter dem Sammelbegriff "Enterprise Content Management" verbirgt sich allerdings noch ein Sammelsurium unterschiedlicher Werkzeuge: Das Spektrum reicht von der klassischen Lösung für das Dokumentenmanagement über das Web Content Management bis zum Digital Asset Management (DAM). Übersichten listen allein rund 75 Anbieter von ECM/DMS-Lösungen auf - mit Angeboten in allen Preisklassen.

ECM wird so wichtig wie ERP

Das Geschäft boomt: Laut den Analysten der Meta Group wächst der ECM-Markt jährlich um stolze 15 Prozent. Mit Software sollen im Jahr 2007 beispielsweise 2,3 Milliarden Dollar umgesetzt werden; der Servicebereich weise dann ein Volumen von sieben Milliarden Dollar auf. Das Interesse der Anwender ist groß, wie eine kürzlich erschienene Studie aus der Schweiz belegt. Befragt wurden 600 große und mittelgroße Schweizer Unternehmen vom Beratungshaus Dr. Pascal Sieber & Partners AG im Auftrag von Web-Dienstleister Unic Internet Solutions und ECM-Anbieter Ixos/Open Text. 60 Prozent der Teilnehmer wollen die ECM-Investitionen erhöhen. Bereits heute geben Unternehmen laut der Untersuchung durchschnittlich 15 Prozent ihres IT-Budgets für ECM-Anwendungen aus; über zehn Prozent machen dafür zwischen 31 und 50 Prozent locker. Über 80 Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu, dass "ECM mittelfristig einen ähnlichen Stellenwert für alle inhaltlich getriebenen Prozesse erhält wie ERP für die Abbildung betriebswirtschaftlicher Prozesse".

Besondere Bedeutung kommt dabei dem ECM-Framework zu. Das Framework ist die Technologie, mit der sich alle benötigten Daten aus den unterschiedlichsten Quellen einfach zusammenführen lassen. Und dies unabhängig von den eingesetzten Systemplattformen, Anwendungen, vom Standort oder der Sprache, in der die elektronischen Informationen vorliegen. "Bis 2006 werden 60 Prozent der Global Player ein strategisches ECM-Framework einsetzen", sagt Charlie Brett, Vice President bei der Meta Group.

Web-Technologien oder Web-Content-Management (WCM)-Systeme - laut Meta Group eine ECM-Ergänzung - sind dafür prädestiniert. Im WCM-Bereich tummeln sich derzeit noch rund 200 Anbieter. WCM wurde in der Dotcom-Ära groß, und gemäß dem Motto "Content is king" geht es hier vor allem um Redaktionssysteme zur Gestaltung von Internetseiten. Struktur und Aussehen einer Seite werden dabei einmal definiert und dann über das Redaktionssystem laufend mit Informationen gefüllt. Zudem steuert das Redaktionssystem den Prozess vom Entwurf über die Freigabe bis zur Veröffentlichung der Inhaltskomponenten - WCM umfasst damit auch Workflow-Funktionen.

Eine Komplettlösung gibt es - noch - nicht

Integrationswerkzeuge tragen dann dazu bei, dass Inhalte automatisch nach definierten Vorgaben einfließen. Ein Beispiel: kundenspezifische Unterlagen über das Internet bereitstellen. Im Rahmen des Web Content Managements wird die Internet-Zugriffseite für die Kunden gestaltet, und Komponenten werden eingefügt, die Anwender authentifizieren, Suchabfragen ermöglichen und Dokumente darstellen. "Integrationsfunktionen sorgen dafür, dass die Authentifizierung der Kunden automatisch anhand von Daten aus dem Warenwirtschaftssystem oder der Kundenverwaltung (CRM) möglich ist", erklärt Jürgen Biffar, Vorstand des DMS-Anbieters Docuware und Mitglied des Verbands Organisations- und Informationssysteme (VOI).

Die vollintegrierte Lösung, die das komplette ECM-Spektrum abdeckt - vom Management der OnlineInhalte über Workflow-Management bis hin zu Archivierungsfunktionen -, gibt es jedoch noch nicht. Um die Anwendergunst buhlen nicht nur Dokumentenmanagementsystem- und WCM-Anbieter, sondern auch Hersteller von Infrastruktur- und ERP-Software wie SAP, Oracle und IBM. Sie haben auch gleich Applikationsserver und Portalsoftware-Pakete zur Präsentation der Inhalte über verschiedene Kanäle im Gepäck.

Die Schwergewichte in den einzelnen Teilbereichen versuchen durch Zukäufe von Technologien und Lösungen sowie durch Zusammenarbeit, ihr Portfolio zu komplettieren und eventuell vorhandene Defizite zu kompensieren. Beispiele aus der Vergangenheit: Der Storage-Spezialist EMC übernahm Ende 2003 die DMS-Größe Documentum, die wiederum baute ihre Lösungen um WCM-Funktionen aus. Auch weitere klassische DMS-Anbieter wie Filenet, Ixos und IBM übernahmen WCM-Werkzeuge. Auf der anderen Seite haben auch WCM-Pioniere wie Interwoven oder Vignette reagiert und ihre Systeme um DMS-Funktionen ergänzt.

Laut Meta-Group-Mann Brett ist die Konsolidierungsphase noch lange nicht zu Ende. Für die Anwender ist der Know-how-Zuwachs auf Anbieterseite indes von Nutzen. Denn die Anforderungen an die Verwaltung und Nutzung von digital anfallenden Inhalten sind hoch und steigen weiter. Als Beispiel seien nur die vom Finanzministerium festgeschriebenen "Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen" (GdPdU) genannt.

Kleine Anbieter behaupten sich

Im Anbietermarkt gibt es auch keine Gesetzmäßigkeit, wonach "die Großen die Kleinen fressen". Denn gerade die Produkte kleinerer Anbieter, etwa aus dem DMS-Bereich, können schon lange weit mehr als nur Papier scannen und archivieren. Die Verwaltung von Aktenstrukturen und einfache Postkorbfunktionen sind dagegen bei High-End-Produkten selten vorzufinden und nur mit viel Entwicklungsaufwand realisierbar.

Dasselbe gilt für reine WCM-Systeme. Sie sind schon für unter 200 Euro zu haben. Ein Anbieter preisgünstiger WCM-Tools ist beispielsweise die Webedition GmbH. Mit Produkten aus diesem Haus realisierte der Lebensmittel-Discounter Norma seinen neuen Webauftritt. Auch www.reisfit.de wurde mit einem System des Karlsruher Unternehmens gestaltet. Allerdings: "199 Euro ist der reine Produktpreis. Was der Dienstleister für die Integration verschiedener Funktionen verlangt, kommt noch dazu", sagt ein Firmensprecher.

"Je stärker sich die Lösung in Gesamtunternehmensanwendungen integrieren soll, je flexibler CMS sein soll - umso teurer ist die Lösung", fasst Biffar zusammen. Hier ist knallhartes IT-Projektmanagement gefragt. Denn Content-getriebene, sicherheitskritische und transaktionslastige Sites wie Marktplätze, Banken oder Online-Börsen verursachen hohe Entwicklungs- und Betriebskosten. Prominentes Beispiel einer Fehlkalkulation: die Online-Stellenbörse der Bundesanstalt für Arbeit. Anstelle der ursprünglich kalkulierten 65 Millionen Euro soll das Projekt jetzt 125 Millionen Euro kosten. Hinzu kämen weitere interne Kosten in Höhe von rund 40 Millionen Euro, die die Projektverantwortlichen bislang nicht berücksichtigt haben.