Kfz-Zulieferer Mann+Hummel

CIO Stamm rüstet die IT für neue Märkte

16.08.2022 von Wolfgang Herrmann
Beim Automobilzulieferer Mann+Hummel stehen die Zeichen auf Veränderung. CIO Alexander Stamm forciert den digitalen Wandel und muss zugleich die IT modernisieren.
Alexander Stamm, CIO von Mann+Hummel: "Die IT ist heute viel experimentierfreudiger als noch vor zwei Jahren. Wir probieren mehr Dinge aus, beispielsweise über Minimum Viable Products."
Foto: Mann+Hummel

"In den letzten 80 Jahren hing das Geschäft von Mann+Hummel stark am Verbrennungsmotor", berichtet Alexander Stamm. "Das ändert sich gerade massiv." Das 1941 im württembergischen Ludwigsburg gegründete Familienunternehmen steckt in einer tiefgreifenden Transformation. Als Hersteller von Filterlösungen für die Automobil- und die Maschinenbauindustrie ist Mann+Hummel vom Übergang zu alternativen Antriebsformen und dem digitalen Wandel besonders betroffen.

"Wir verändern unser Portfolio und sind dabei, alternative Produkte zu entwickeln", sagt Stamm, der 2019 als CIO bei der Mann+Hummel-Gruppe einstieg. Das gelte sowohl für das klassische Geschäft im Unternehmensbereich Transportation als auch für die neue Sparte Life Sciences & Environment (LS&E). "Auch E-Fahrzeuge brauchen schließlich Filterlösungen, beispielsweise für den Innenraum, den Antriebsstrang und darüber hinaus." Die strategische Stoßrichtung aber sei klar: "Wir entwickeln uns immer stärker aus der Automobilindustrie heraus."

Neue Anforderungen an die IT

Aktuell erwirtschaftet der LS&E-Bereich rund zehn Prozent der Umsätze. Bis 2026 will Mann+Hummel den Anteil auf ein Drittel steigern. Damit verbunden sind auch ganz neu entwickelte Angebote, erläutert der CIO. So offeriere die Sparte unter anderem Filterlösungen für Rechenzentren, Krankenhäuser und diverse Lüftungssysteme. Auch Produkte für Klimaanlagen, Wasserfiltration und Kläranlagen gehörten zum erweiterten Portfolio. Die IT bleibt davon nicht unberührt, so Stamm: "Wir bedienen jetzt ganz andere Anforderungen." In der Automobilbranche gehe es traditionell um Just-in-Time- und Just-in-Sequence-Prozesse, auf die sich die IT einstelle. "In den neuen Geschäftsfeldern sehen wir nun auch den Endkunden an unseren digitalen Schnittstellen und müssen uns um Themen wie E-Commerce kümmern."

Die IT-Eckdaten und Fakten zu Mann+Hummel.
Foto: cio.de

Drei Achsen der Transformation

Den Transformationsprozess beschreibt Stamm anhand von drei Achsen: Transformation des Geschäftsmodells und der Produkte, digitale Märkte und Interaktion mit den Kunden sowie die nach innen gerichtete Transformation zum Digital Enterprise. Dahinter steht ein ehrgeiziges Ziel: "Wir wollen uns vom klassischen, am Verbrennungsmotor ausgerichteten schwäbischen Mittelständer zum global aufgestellten Unternehmen entwickeln, das unterschiedliche Branchen bedient."

Den digitalen Wandel begleitet die IT auf mehreren Ebenen, beispielsweise wenn es um neue digitale Produkte geht. Schon jetzt baut Mann+Hummel "smarte Filter", die mit Sensoren ausgestattet sind, um den eigenen Zustand zu überwachen und Probleme zu melden, so der CIO. Daraus ließen sich datengetriebene Mehrwertdienste ableiten, die man etwa für landwirtschaftliche Maschinen anbieten könne. Auch mit digitalen Märkten beschäftigt sich die IT. E-Commerce, Social Media und Online-Marketing gehören nun zum Pflichtprogramm.

Smart Factory und Digital Twins

Der wichtigste Bereich im Transformationsprozess ist die Smart Factory. "Wir sind ein produzierendes Unternehmen, die Wertschöpfung findet im Kern in den Fabriken statt", erklärt der IT-Chef. Dementsprechend gehe es vor allem um Effizienz und Produktivität in den Abläufen. Auch digitalisierte Entwicklungsprozesse mithilfe digitaler Zwillinge spielten dabei eine zentrale Rolle.

In weltweit vier Digital Hubs testen Mitarbeitende von Mann+Hummel neue Technologien.
Foto: Mann+Hummel

Um den digitalen Wandel im ganzen Unternehmen voranzutreiben, hat Mann+Hummel neun "Action Fields" definiert. Daraus sind rund 200 einzelne Initiativen entstanden, die zu strategischen Aufgabenfeldern gebündelt wurden. Dazu gehören beispielsweise "Smart Factory & Digital Operations", "Digital Twins" und "Future Customer Interaction", aber auch weichere Themen wie "Digital Culture & Mindset".

Die Top-CIOs der Automobil-Branche
Falko Morlock
Seit 1. September 2023 ist Falko Morlock CIO des schwäbischen Maschinen- und Anlagenbauers Dürr AG.
Alexander Buresch
Alexander Buresch ist seit Januar 2020 CIO des bayerischen Automobilkonzerns. Ein Foto des Managers hat BMW bislang noch nicht veröffentlicht. Der Wirtschaftswissenschaftler ist seit mehr als 20 Jahren für BMW tätig und war zuletzt Vice President Corporate Strategy and Planning.
Mattias Ulbrich
Mattias Ulbrich ist seit 1. September 2018 CIO beim Automobilbauer Porsche. Ulbrich übernahm die Verantwortung für die IT in der Produktion des VW-Konzerns. Zum 1. Februar 2012 hatte Ulbrich die IT-Verantwortung (CIO) bei der Audi AG übernommen.
Hauke Stars
Seit Februar 2022 ist Hauke Stars IT-Vorständin und Chief Information Officer bei Volkswagen.
Katrin Lehmann
Als CIO der Mercedes-Benz Group AG und der Mercedes-Benz AG verantwortet Katrin Lehmann die globale IT für alle Geschäftsbereiche, Marken und Märkte und berichtet direkt an den CEO.
Jürgen Sturm
Jürgen Sturm ist seit Januar 2015 Informatikleiter beim Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen. Sturm ist promovierter Ingenieur und kommt von der BSH Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH. Sturm war vor seiner BSH-Zeit zwischen 1999 und 2003 Bereichsleiter Organisation, Prozesse und Informationssysteme bei der Grundig AG.
Volker Schwarz
Der langjährige Rheinmetall-CIO Volker Schwarz ist seit Januar 2024 CIO beim Automobilzulieferer GKN Automotive.
Frank Loydl
CIO der Audi AG und damit Nachfolger des bisherigen CIO Mattias Ulbrich ist seit Februar 2018 Frank Loydl. Seit 2016 verantwortete er im Konzern die Software-Entwicklung. Ab 2009 war er bei T-Systems das Delivery Management für den Kunden Volkswagen AG zuständig. Diese Aufgabe übernahm Loydl 2013 schließlich direkt für den Automobilkonzern.
Sven Lorenz
Der langjährige Porsche-CIO Sven Lorenz ist Konzern-CPO bei Volkswagen. Bei der Kür zum CIO des Jahres 2006 schaffte es Sven Lorenz auf den zweiten Platz.
Martin Hofmann
Martin Hofmann tritt zum 1. Mai 2023 seinen neuen Posten als CTO und CIO bei Volta Trucks an. Zuvor war er drei Jahre als Senior Vice President bei Salesforce und über 19 Jahre bei Volkswagen, dort zuletzt als Group CIO.
Alexander Eisl
Der ehemalige MAN-Manager Alexander Eisl hat am 1. Oktober 2022 die Nachfolge von Skoda-CIO Klaus Blüm angetreten, der zu VW gewechselt ist.
Christian Eigler
Seit Januar 2016 ist Christian Eigler Continental Corporate CIO und trägt die Verantwortung für die IT bei Continental. Von Januar 2012 bis Dezember 2015 war Eigler Continental Automotive CIO. Elisabeth Hoeflich ging nach fast 30 Jahren im Unternehmen in den Ruhestand.
Michael Hilzinger
Michael Hilzinger ist seit Juli 2019 CIO beim Bremsen-Spezialisten Knorr-Bremse in München. Er war zuvor Group CIO beim Stahlhändler Klöckner in Duisburg.
Markus Bentele
Markus Bentele ist seit Januar 2017 Vice President Information Technology (VP)/Group CIO beim Automobilzulieferer Mahle International GmbH in Stuttgart. Zuvor war Bentele Corporate CIO der Rheinmetall AG.
Christian Ley
Christian Ley leitet seit 2006 den Bereich Informationssysteme Brose Gruppe. In dieser Funktion verantwortet er den Ausbau der IT-Lösungen im Kontext der Unternehmensstrategie. Ley begann 1995 als Diplom Betriebswirt (FH) als Trainee in der Brose Gruppe und wechselte anschließend als DV-Koordinator in die zentrale Anwendungsentwicklung. Dort übernahm er 1999 die Teamleitung für PPS- und QM-Systeme und anschließend die Leitung der Zentralabteilung „logistische Anwendungssysteme“. In dieser Funktion war er bis 2006 weltweit für zahlreiche SAP-Implementierungsprojekte verantwortlich.
André Wehner
Am 1. Juni 2021 hat André Wehner den CIO-Posten bei MAN Truck & Bus übernommen. Als IT-Chef verantwortet Wehner die weltweite IT des Nutzfahrzeugherstellers. Dazu zählen auch Produktionswerke, Logistikzentren und die eigenen Landesvertriebsgesellschaften. Sein Vorgänger Stephan Fingerling geht als Geschäftsführer zur Group IT Services GmbH, der IT-Tochter der Volkswagen Gruppe. Vor seinem Wechsel zum Münchner Nutzfahrzeughersteller war Wehner CDO bei Skoda Auto. In der neu geschaffenen Stelle kümmerte er sich dort seit 2016 um Unternehmensentwicklung und Digitalisierung.
Maik Krüger
Am 1. April trat Maik Krüger die Position des CIO bei Dräxlmaier an. Der studierte Wirtschaftsinformatiker war jahrelang in führenden IT-Positionen bei BMW tätig.
Sebastian Stoll
Seit 1. Juni 2021 ist Sebastian Stoll CIO und Group Vice President IT der FEV Gruppe. Er hat den Posten von Andreas Engels übernommen, der beim Kölner Compliance-Startup Kerberos eingestiegen ist. Stoll berichtet an CFO Jürgen Koopsingraven. Neben der Einführung von SAP S/4 Hana will Stoll die IT in die Cloud verlagern und die Security verbessern.
Saskia Kohlhaas
Saskia Kohlhaas ist seit November 2021 Senior Vice President Information Technology beim Engineering-Dienstleister der Automobilindustrie IAV.
Thomas Külpp
Seit August 2017 ist Thomas Külpp neuer CIO beim Autobauer Opel Automobile GmbH in Rüsselsheim. Zuvor war er bei Opel Director Sales & Marketing. Külpp hat Maschinenbau an der University of Applied Sciences in Wiesbaden studiert und als Diplom-Ingenieur abgeschlossen. Er arbeitet bereits seit 27 Jahren in verschiedenen Positionen bei Opel.
Marcus Claesson
Marcus Claesson ist CIO bei Daimler Truck. Er berichtet an den Vorstand für Finanzen und Controlling, Jochen Goetz. Darüber hinaus verantwortet Marcus Claesson die Connectivity Services innerhalb der Daimler Truck AG. Er ist seit 2017 im Unternehmen. Zuvor war Claesson CIO bei Electrolux AB.
Uwe Kühne
Uwe Kühne ist seit 2017 CIO bei GF Casting Solutions, einer Division des Georg Fischer Konzerns. Er fing 2004 bei der Georg Fischer Automobilguss GmbH als Systemanalytiker an und war zuletzt bis Ende 2016 als Head IT Operational Services bei GF Automotive für die Erbringung zentraler IT Infrastrukturleistungen verantwortlich. Auf seiner Agenda stehen die strategische Neuausrichtung der zentralen IT-Organisation, die Vorbereitung auf SAP S4/HANA, die Verlagerung zentraler IT Dienste in die Cloud sowie die Verbindung zwischen klassischer IT und Automations-Bereichen („i4.0“). GF Casting Solutions ist eine von drei Divisionen der Georg Fischer AG, ein börsennotiertes Unternehmen mit Hauptsitz in Schaffhausen, Schweiz. Das 1802 gegründete Industrieunternehmen betreibt in 33 Ländern 131 Gesellschaften, davon 51 Produktionsstätten.
Felix Willing
Felix Willing ist seit Januar 2018 Leiter des Bereichs Information Management beim Automobilzulieferer Hella GmbH & Co. KGaA im nordrhein-westfälischen Lippstadt. In dieser Position fungiert er zugleich als CIO für den globalen Hella Konzern. Zuletzt war er CIO beim Windturbinenbauer Nordex Acciona Windpower AG in Hamburg.
Bernd Süßmann
Bernd Süßmann ist seit September 2018 Head of Corporate IT bei der SAS Automotive in Karlsruhe, einem Joint Venture zwischen Continental and Faurecia. Er trägt dort die Gesamtverantwortung für die IT, führt dabei 80 Mitarbeiter und berichtet an den CFO des Unternehmens, Ekkehard Klautke.
Bernhard Pluhatsch
Bernhard Pluhatsch ist seit Oktober 2018 neuer Head of IT, Transmission Systems bei Magna Powertrain Transmission Systems (MPT TS) in Untergruppenbach bei Heilbronn. Er kommt von der Nürnberger Leoni AG, wo er von 2002 bis 2018 Vice President IT Infrastruktur war.
Michael Simon
Michael Simon (56) ist seit 1. Juli 2019 der Leiter Zentral IT und CIO der Volkswagen Retail Group. Er berichtet an die Geschäftsführung. Zuvor war der studierte Informatiker seit 2015 Leiter IT bei der Weiss Umwelttechnik GmbH. Insgesamt bringt er Erfahrung aus drei Jahrzehnten als Fach- und Führungskraft in der IT mit, unter anderem bei der Salzgitter AG Group.
Simon Blankenstein
Seit Oktober 2022 verantwortet Blankenstein als CIO die IT der Huf Group. Er berichtet an CFO Rainer Heupel. Zu seinen wichtigsten Aufgaben gehört der weltweite Rollout von SAP S/4 HANA.
Tommy Andreasen
Nach der Fusion von MAN Diesel und MAN Turbo wurde Tommy Andreasen, vorher CIO von MAN Diesel, Anfang 2010 CIO der neu geschaffenen MAN Diesel & Turbo Gruppe. In den vergangenen 20 Jahren übernahm Tommy Andreasen innerhalb der MAN Diesel Gruppe verschiedene Management Positionen, schwerpunktmäßig im Bereich Finanzen und Controlling. Im Jahr 2000 wurde er Head of Information Technology bei MAN Diesel in Dänemark und entwickelte und führte eine neue IT-Strategie ein. 2006 wurde er dann CIO des gesamten MAN Diesel Konzerns.

Auf der CIO-Agenda: Multicloud, S/4HANA und Security

Dessen ungeachtet gibt es für Stamm auch reichlich klassische IT-Themen, um die er sich kümmern muss. "Wir haben schon auch eine ganze Menge im Maschinenraum zu tun", sagt er. Seine IT-Strategie dreht sich um die vier Säulen Business-Plattformen, Cloud, IT Operation Model und Security. Für alle Business-Funktionen gibt es eine Plattformstrategie und einen Bebauungsplan. Dazu gehören klassische Anwendungen wie ERP, CRM und PLM. Aktuell läuft ein Projekt zur Einführung des HR-Systems SAP SuccessFactors.

In Sachen Cloud Computing verfolgt Stamm eine hybride Multicloud-Strategie mit den zwei Hyperscalern Amazon Web Services (AWS) und Microsoft. Rund 90 Cloud-Services nutzt Mann+Hummel derzeit, Tendenz steigend: Der CIO will das Konzernrechenzentrum auflösen und IT-Ressourcen künftig zu großen Teilen aus der Public Cloud beziehen. Für bestimmte Bereiche werde es auch Private-Cloud-Plattformen geben.

"Wir wollen einen Lock-in so weit wie möglich vermeiden", begründet er die Strategie mit zwei Anbietern. Doch das sei nicht der einzige Grund. Die Hyperscaler hätten in Bereichen wie Data Analytics und Machine Learning jeweils unterschiedlich ausgeprägte Stärken, die man nutzen wolle. Ein weiterer Aspekt ist das für Mann+Hummel wichtige China-Geschäft. Wer dort in größerem Umfang Cloud-Ressourcen nutzen möchte, komme um einen lokalen Provider kaum herum, sagt Stamm.

Shared Services, Nearshore und Offshore

Geht es um das IT-Betriebsmodell, setzt der Manager auf einen Shared-Services-Ansatz. Etwa die Hälfte seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist in Nearshore- und Offshore-Regionen beschäftigt. Stamm spricht von "Best Cost Countries" und betont den Unterschied zum klassischen IT-Outsourcing. Die IT-Experten in diesen Ländern gehörten alle zur Belegschaft. Mann+Hummel wolle IT-Kompetenzen im Unternehmen halten, insbesondere in der Software-Entwicklung.

Das gilt auch für die vierte Strategiesäule Security. Vor gut eineinhalb Jahren hat der Zulieferer ein Security Operations Center (SoC) aufgebaut und das IT-Team umfassend in Sachen Sicherheit weitergebildet. Dennoch greife man bei bestimmten Themen auch auf externes Know-how zurück, so Stamm, beispielsweise in Form von Managed Services im Bereich SIEM (Security Information and Event Management).

Der Bereich Data Analytics spielt bei Mann+Hummel eine wachsende Rolle. Die IT hat unter anderem einen Data Lake und Data-Mesh-Technologien eingeführt.
Foto: Mann+Hummel

Besonders wichtig ist ihm auch der Bereich Advanced Analytics: "Das ist der Kernbaustein, um uns zu einem datengetriebenen Unternehmen zu entwickeln." Mann+Hummel habe in diesem Feld viel investiert, etwa einen Data Lake implementiert und Data-Mesh-Technologien eingeführt. "Im Grunde geht es darum, Daten zu sammeln, um schnellere und bessere Entscheidungen zu treffen", so der CIO. Anwendungsbeispiele gibt es etwa im Inventory Management. Angesichts hoher Rohstoffpreise und vielfältiger Probleme in den globalen Lieferketten steckt hier noch viel Optimierungspotenzial.

S/4HANA-Migration in zwei Welten

Zu den größten Projekten auf der CIO-Agenda gehört die Migration auf SAP S/4HANA. Stamm hat es dabei mit zwei Welten zu tun. Die Herangehensweise im jungen Geschäftsbereich Life Sciences & Environment unterscheidet sich grundlegend von der im traditionellen Geschäft: "Im LS&E-Bereich, der auch durch viele Zukäufe gewachsen ist, heißt die Strategie Fit to Standard". Das neue SAP-Kernsystem soll also mit möglichst wenigen individuellen Anpassungen implementiert werden. Einige der LS&E-Werke arbeiten bereits produktiv im S/4HANA Public Cloud Tenant, der Rollout soll innerhalb von drei Jahren abgeschlossen sein.

Ganz anders die Situation im Stammgeschäft, wo das SAP-Projekt bereits vor zwei Jahren startete. Derzeit laufen vor allem strukturelle Vorbereitungen. So hat Mann+Hummel etwa eine neues Hauptbuch (SAP New General Ledger) eingeführt, das alte SAP-Kernsystem ECC arbeitet bereits mit der HANA-Datenbank. Die eigentliche S/4HANA-Transformation ist im Projekt "LEAP" organisiert (Lean Enterprise and Advanced Processes). Stamm verfolgt eine Mischung aus Greenfield- und Brownfield-Ansatz: "Wir wollen Ballast loswerden, aber Bewährtes erhalten. Deshalb haben wir eine große Process-Mining-Initiative vorgeschaltet."

Gemeinsam mit dem Softwareanbieter Celonis und Accenture arbeitet das Projektteam daran, tiefere Einblicke in die laufenden Prozesse zu gewinnen, Schwachstellen zu erkennen und automatisiert Verbesserungsmaßnahmen anzustoßen. Neben der klassischen Prozessoptimierung geht es auch darum, Prozessdaten strukturiert auszuwerten und daraus Erkenntnisse zu gewinnen. Stamm: "Mann+Hummel ist 80 Jahre alt. Wir haben jetzt die einmalige Chance, in den Prozessen aufzuräumen und eine solide Basis für künftiges Wachstum zu legen." Das sehe auch die Geschäftsführung so.

Zentrale Strukturen für Business und IT

Die rund 400-köpfige IT-Organisation des Filterspezialisten ist klassisch funktional aufgestellt. Der CIO berichtet an Finanzchefin Emese Weissenbacher und gehört zudem einem erweiterten Geschäftsführungsgremium an, dem sogenannten Senior Leadership Team. Dort sitzen auch Verantwortliche aus den Business Units und aus anderen Funktionsbereichen. "Das IT-Budget liegt bei mir und wird zentral gemanagt", betont Stamm. Alle ITler berichteten über ihre jeweiligen Einheiten an den CIO.

Doch nicht nur die IT ist zentral organisiert. Auch alle andere Bereiche wie Finanz- und Logistikprozesse sind seit einiger Zeit durchgängig ausgerichtet, und das weltweit. Das war nicht immer so, erinnert sich Stamm. "Wir haben regionale Strukturen konsequent aufgebrochen." Die Aufräumarbeiten liefen noch. Ein anschauliches Beispiel für den Wildwuchs an Systemen und Prozessen fand er im Bereich Wareneingang: "Hier gab es mal 148 verschiedene Prozessvarianten. Nur ein kleiner Teil davon wurde wirklich gebraucht."

Innovationen und Fehlerkultur

Innovationen entstehen bei Mann+Hummel auf zwei Wegen, berichtet der CIO: Klassisch Top-down, wenn es etwa um neue Funktionen im ERP-System geht, aber auch Bottom-up in unterschiedlichsten Unternehmensbereichen. "Entscheidend ist, neue Ideen sichtbar zu machen und auch kleine Verbesserungen ernst zu nehmen. Es geht nicht um Revolution, sondern um Evolution." Für seinen Bereich hat er unter anderem den "IT Innovation Award" ins Leben gerufen. Erstes Fazit seiner Bemühungen: "Die IT ist heute viel experimentierfreudiger als noch vor zwei Jahren. Wir probieren mehr Dinge aus, beispielsweise über Minimum Viable Products."

Um den Innovationsprozess zu befeuern, bedarf es aber auch kultureller Veränderungen. Als Zulieferer für Automobilhersteller legte Mann+Hummel mit seinen Produkten großen Wert auf eine Null-Fehler-Kultur. In Zukunft werde es verstärkt darum gehen, offen mit Fehlern umzugehen, den Mut zu haben, diese einzugestehen und schneller daraus zu lernen, sagt Stamm. "Dazu gehört auch, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die nötige psychologische Sicherheit zu geben."

Lessons Learned

Die langen Lebenszyklen von Altsystemen bremsten den digitalen Wandel, blickt Stamm auf die vergangenen Jahre zurück. Doch entscheidend seien oft andere Faktoren. "Als ingenieursgetriebenes Unternehmen reden wir zu 95 Prozent der Zeit über Technologie und stellen doch immer wieder fest: Wenn etwas nicht klappt, war die Technik nicht das Problem."

Der Knackpunkt liege fast immer in der Unternehmenskultur. Dabei gehe es vor allem um die Haltung und den Mut der Mitarbeitenden sowie um Fähigkeiten im Change-Management. Die müsse man im Unternehmen stärker ausprägen. Angesichts des enormen Kostendrucks und der geopolitischen Verwerfungen komme es beim digitalen Wandel mehr denn je auf Geschwindigkeit an, so der CIO: "Ein Scheitern im Change-Management heißt in der Regel, man verliert Zeit und verursacht zusätzliche Kosten."