Post-Corona-Städte

Eine neue Form der Urbanisierung

Kommentar  27.08.2021
Bettina Tratz-Ryan ist Research Vice President und verantwortlich für Gartners Empfehlungen zu den digitalen Transformationsthemen Intelligente Geschäftsfelder und Smart Cities sowie Industrie 4.0.
Die Krise der COVID-19-Pandemie scheint überwunden. Der Alltag kehrt zurück - doch er unterscheidet sich von dem vor zwei Jahren. Smart Citys sind gefragt. Eine Herausforderung für kommunale CIOs.
Ein kompletter Überblick hilft, um eine Smart City zu entwerfen.
Ein kompletter Überblick hilft, um eine Smart City zu entwerfen.
Foto: jamesteohart - shutterstock.com

Viele Arbeitsplätze haben sich ins Homeoffice verlagert und Menschen haben mehr Auswahl, wo sie leben möchten. Die Raumnutzung und Mobilität in den Städten verändert sich immer weiter und kehrt nicht zum Alten zurück. Damit sind bisherige städtische Bevölkerungs-, Pendler- und Mobilitätsmuster veraltet. Zusätzlich ist Nachhaltigkeit eine absolute Notwendigkeit und wird auch von den Bürgern gewünscht. Deshalb müssen lokale Verwaltungen neue Konzepte entwickeln und bestehende Muster anpassen. Die Hälfte aller kleineren Städte (< 250.000 Einwohner) wird ihr Wachstum vor allem durch eine smarte Strategie ankurbeln und dadurch auch Großstädten Einwohner abwerben.

Smart Cities und Regionen haben Vorteile im Transportwesen, können auf die speziellen Bedürfnisse von verschiedenen kulturellen Gruppen eingehen und sind anpassungsfähiger bei Katastrophen - und das alles mit einer weit höheren Effizienz. Um urbane Dienstleistungen so individuell und attraktiv zu gestalten, dass sie die Einwohner überzeugen dort zu leben, müssen Städte nicht nur technisch digitaler werden, sondern diese benutzen, um sozialverträgliche und bürgernahe Dienste anzubieten. Dazu müssen Daten wie auch Technologien besser angewendet werden. Folgende Punkte sollten CIOs dabei besonders bedenken.

Datenaustausch im Mobilitätsökosystem

COVID-19 hatte das Mobilitätsverhalten von Berufspendlern und die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs verändert, mit der Zunahme von alternativen Mobilitätsmöglichkeiten wie dem Fahrrad, Scootern und Bike-Sharing. Das zeigte, dass herkömmliche Transportmuster nicht unveränderbar sind. Auch die zunehmende Arbeit von zu Hause aus wirkt sich auf das Pendlermuster in Städten aus.

Die Ausgestaltung der öffentlichen Verkehrsmittel muss also dringend überdacht und effizienter gestaltet werden. Grundlage der Anpassung muss eine schnelle Datenerfassung und ein freier Datenaustausch im gesamten Transport-Ökosystem sein, damit die Städte die unterschiedlichen Bedürfnisse der Reisenden erfüllen und eine bessere Koordination der Anbieter ermöglichen können.

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Der freie und effiziente Austausch von Daten zwischen den Anbietern war in der Vergangenheit nicht einfach, es traten einige Hindernisse bei der Einrichtung von Mobility-as-a-Service-Plattformen (MaaS) in mehreren Städten auf. Aspekte wie die gemeinsame Nutzung offener Daten, die Harmonisierung von Datenstandards und sogar die Datenverfügbarkeit sind übliche Schwierigkeiten, zusätzlich zu rechtlichen und Compliance-Fragen.

Diese unglückliche Kombination kann von städtischen Behörden aber gelöst werden, wenn Mobilitätsanbieter und Verantwortliche für Straßeninfrastruktur zusammenarbeiten und sich an Datengovernance-Kriterien orientieren. Zunächst sollte eine juristische Grundlage geschaffen werden, die alle etablierten Mobilitäts-, Transit- und Straßenverkehrsunternehmen dazu verpflichtet, Echtzeitdaten in einem harmonisierten Format anzubieten.

Das bildet die Grundlage für neue und effektive Prozesse, um Verbesserungsmöglichkeiten im Transportwesen zeitnah umzusetzen und so einen schnellen Nutzen aus den Mobilitätsdaten des Smart-City-Ökosystem zu ziehen. Zudem kann eine digitale Plattform helfen, die alle Daten vereint und mit Hilfe leistungsfähiger Analysen kontinuierlich mögliche Verbesserung des Stadtverkehrs aufzeigt. Bis 2024 werden laut Gartner die Hälfte aller Smart Cities eine Plattform für Mobilitätsdaten erstellt haben.

Innovation und Datenaustausch als Klimarettung in Städten

Doch nicht nur der Verkehr, auch Nachhaltigkeit macht Städte attraktiver für Bürger. Zusätzlich zur Pandemie haben einige Regierungen bereits den Klimanotstand ausgerufen. Städte müssen nun Maßnahmen ergreifen, um den eigenen Fußabdruck in Sachen Nachhaltigkeit und Klimafreundlichkeit zu verbessern. Gartner prognostiziert, dass bis 2023 rund 75 Prozent der Städte, die den Klimanotstand ausgerufen haben, widerstandsfähiger gegen Störungen sein werden als solche, die dies nicht getan haben. Deshalb müssen sich lokale Regierungen ihrer Eigenverantwortlichkeit und Autonomie bewusstwerden und Initiative ergreifen. Einige Städte gehen schon mit gutem Beispiel voran und erarbeiten sich dadurch einen hervorragenden Ruf.

Es werden Datenbörsen entstehen, die die Innovationsprojekte von Green-Tech- und Clean-Tech-Start-ups unterstützen. CIOs der Kommunen werden zusammen mit Entscheidungsträgern aus der Industrie nach Daten suchen, deren Austausch wirtschaftliches Wachstum verspricht. So können Innovationszentren wie im Rotterdamer Hafen oder das Innovationshub der Technischen Universität München (TUM) entstehen.

Lokale Führungskräfte setzen Ökosystemziele für intelligente gemeinsame Strategien in den Bereichen multimodale Mobilität, erneuerbare Energien und grüne Wasserstofferzeugung. Es entstehen Kreislaufstrategien, die ein urbanes gesellschaftliches Konsummodell beschreiben, das nur das nutzt, was es regenerieren und recyceln oder wiederverwenden kann (Circular City).

Sensoren und die daraus entstehenden Datensätze zusammen mit anderen Datenquellen können dazu beitragen, den Umweltfußabdruck des gesamten Ökosystems darzustellen. Dazu sind wieder Datengovernance und Datendefinition notwendig, um die gemeinsame Nutzung, Messungen und Visualisierungstools detailliert zu regeln. Sowohl kommunale Wirtschafts- und Industrieakteure in der Stadt als auch Bürger, Gemeindevertreter und NGOs müssen miteinbezogen werden. Hier können Datenplattformen als ein Service angeboten werden; Konversations- und Kommunikationsplattformen sowie interaktive Gamifications-Tools erleichtern den Austausch mit allen Schichten der Bevölkerung.

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Digitalisierung erleichtert Inklusion

Menschen mit Behinderungen werden aufgrund von umwelt- und einstellungsbedingten Barrieren oft daran gehindert, voll an der Gesellschaft teilzuhaben. Gerade Smart Cities können hier mithilfe neuer Technologien einen großen Schritt in Richtung Inklusion und soziale Integration gehen.

Das Arbeiten von zu Hause ist durch die COVID-19-Einschränkungen akzeptabler und durch die verstärkte Nutzung digitaler Tools zugänglicher geworden. Das stellte für einige physisch eingeschränkte Menschen einen enormen Auftrieb dar, da sie sich nun in digitalen Räumen leichter engagieren, arbeiten und soziale Kontakte knüpfen konnten. Diese Räumlichkeiten sind mit größerer Wahrscheinlichkeit barrierefreier gestaltet als Büros vor Ort. Viele Arbeitgeber haben damit begonnen, das Arbeiten von zu Hause aus und die Inklusion in ihr strukturelles System einzubauen und haben erkannt, dass die digitale Zugänglichkeit entscheidend für den Erfolg jeder Initiative für Vielfalt und Inklusion ist.

Dennoch müssen hier noch einige Fortschritte gemacht werden, um die Barrieren für ein unabhängiges Leben zu beseitigen. Stadtplaner, die sich darauf konzentrieren, ihre Städte intelligenter und inklusiver zu gestalten, sollten eng mit Technologie-Communities, Wohlfahrtsverbänden und Organisationen des privaten Sektors zusammenarbeiten. Dies wird einen größeren Erfolg und eine gleichberechtigte Teilhabe und Chancen für Bürger mit Behinderungen bieten, egal ob diese mit dem Sehen, Hören, dem Allgemeinzustand, dem Lernen, der Kognition oder der Mobilität zusammenhängen.

Konversationsfähige Chatbots und virtuelle Assistenten

Eine weitere Hilfestellung für alle Bürger und auch Touristen in Smart Cities sind KI-fähige Chatbots. Effizient eingesetzt können sie den Zugang zu Dienstleistungen ermöglichen und eine reibungslose Integration bei großen Events, wie Sport- und Kulturveranstaltungen oder Saisonaktivitäten und Feiertagen ermöglichen. Auch themenfokussierte Chatbots sind denkbar. Diese beschränken sich dann auf spezielle Bereiche wie Gesundheit oder Sicherheit und können in Krankenhäusern oder Transitbereichen zur Verfügung gestellt werden. Schon zum Ende nächsten Jahres wird ein Viertel aller Industrie- und Regierungspartner in Smart-City-Ökosystemen konversationsfähige Chatbots oder virtuelle Assistenten nutzen, um Service-Anfragen zu konkretisieren.

Um Chatbots und virtuelle Assistenten flexibler und schneller zu entwickeln, müssen die Schnittstellen intuitiver gestaltet werden, indem sie mit gängigen APIs für maschinelles Lernen und Sprachverarbeitung sowie Dateneingabe verbunden werden. Herausfordernd ist hierbei mehr als nur FAQs zu bearbeiten. Feedback muss aufgenommen und verstanden werden, ohne ein Redesign vorzunehmen. Ein Beispiel bietet Singapur. Dort unterstützt der Chatbot von Singapore Tourism Analytics Network (Stan) das Gesundheitswesen bei der COVID-19-Verfolgung, der Analyse von Symptomen und der Vorgehensweise an bestimmten Orten. Er ist in einen engen staatlichen Datenaustausch eingebunden, der von verschiedenen Behörden bereitgestellt wird. Der Schutz (persönlicher) Gesundheitsdaten und der Schutz der Gemeinschaft wird hier abgewogen.

Wie in diesem Beispiel veranschaulicht, muss die Stadt nicht selbst die Bots schaffen, sondern sich befähigen, ein solches Projekt umzusetzen. Da die Datensicherheit ein grundlegendes Recht ist, muss stets eine offene Kommunikation mit allen Beteiligten darüber geführt werden, welche Daten für das Training eines Chatbots verwendet werden. In vielen Fällen verfügen KI-gesteuerte Chatbots über eine Feedbackschleife, in der die Bürger angeben können, ob sie sich bei der Interaktion mit dem Chatbot wohlgefühlt haben. Dies setzt auch eine anwenderfreundliche und sozial-natürliche Sprache voraus. Hier kann beispielsweise das Wissen von Dialogdesignern aus der Spieleindustrie genutzt werden.

An einer smarten Zukunft von Städten führt kaum ein Weg vorbei. Mobile Arbeiter haben eine größere Freiheit ihren Arbeitsplatz und somit auch den Wohnort frei zu wählen. Auch kleinere Städte können somit in den Wettbewerb treten, da die Nähe des Arbeitsplatzes nicht mehr ausschlaggebend ist. Es kommt also nicht mehr darauf an, die Big Player zu überzeugen. Vielmehr müssen Städte darauf hinarbeiten einen attraktiven Wohnort für Individuen zu gestalten. (bw)

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