Doppelvorsitz in EU und UN

Was Deutschland in der EU erreichen kann

02.07.2020
Wann wird man sagen können, die deutsche EU-Ratspräsidentschaft war ein Erfolg? Kann Deutschland in führender Rolle im UN-Sicherheitsrat etwas ausrichten? Es gibt einige Prüfsteine - und eine alles überragende Aufgabe.
So viel internationale Verantwortung auf einmal kam der Bundesrepublik lange nicht zu.
So viel internationale Verantwortung auf einmal kam der Bundesrepublik lange nicht zu.
Foto: Tsibii Lesia - shutterstock.com

Zum Start strahlte das Brandenburger Tor in europäischem Blau: Seit Mittwoch hat Deutschland für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft und zusätzlich sogar noch für einen Monat den Vorsitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Was kann Berlin in der doppelten Führungsrolle erreichen? Für einige Projekte sieht es gut aus. Andere sind wohl chancenlos.

Das Haushaltspaket

In der EU soll möglichst schon im Juli ein umfassendes Finanzpaket von allen 27 EU-Staaten einstimmig gebilligt werden. Auf dem Tisch liegt ein Vorschlag der EU-Kommission: 1,1 Billionen Euro für den nächsten siebenjährigen EU-Haushaltplan plus 750 Milliarden für einen Corona-Wiederaufbauplan, der gleichzeitig Klimaschutz und Digitalisierung voranbringen soll.

Erwartet wird eine Einigung; die Frage ist aber, ob das schon beim EU-Gipfel am 17. und 18. Juli gelingt. "Ich muss Ihnen sagen, dass die Positionen noch weit auseinander liegen", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittwoch. Die Rolle Deutschlands ist vor allem, eine Brücke zu den anderen EU-Nettobeitragszahlern zu schlagen - darunter die "sparsamen Vier" Österreich, Schweden, Dänemark und die Niederlande. Nötig sind wahrscheinlich finanzielle Zugeständnisse.

Den Brexit glimpflich zuende bringen

Großbritannien hat die EU zwar verlassen, gehört aber bis zum Jahresende noch zum Binnenmarkt und zur Zollunion. Wie läuft danach der Handel möglichst reibungslos? Das soll in einem Abkommen festgelegt werden, über das schon monatelang erfolglos verhandelt wird. Die Fortschritte hierbei seien "sehr übersichtlich", mokierte sich Merkel. Bis Anfang November muss es fertig sein, sonst komme ein ungeregelter wirtschaftlicher Bruch.

Deutschland ist erstmal nur Nebendarsteller, denn die Verhandlungen führt der EU-Chefunterhändler Michel Barnier. Doch wird es in der heißen Phase im Herbst darum gehen, mögliche Kompromisslinien im Kreis der 27 EU-Staaten zu klären. Im Idealfall steht zum Jahresende ein ratifiziertes Abkommen, das Zölle und Handelshemmnisse verhindert.

Ein neues Klimaziel setzen

Im Pariser Klima-Abkommen hat auch die Europäische Union zugesagt, ihr Klimaziel nachzuschärfen, um die Überhitzung der Erde zu stoppen. Derzeit gilt: Die EU will bis 2030 ihre Treibhausgase um 40 Prozent unter den Wert von 1990 drücken. Im Gespräch ist eine Erhöhung auf 50, 55 oder sogar 65 Prozent. Nach einer Folgenprüfung will die EU-Kommission im Herbst einen offiziellen Vorschlag machen. Deutschland fiele es dann zu, im Kreis der EU-Länder und danach auch mit dem Europaparlament einen Kompromiss zu suchen. Ob beides vor Jahresende klappt, ist offen.

Den Gordischen Knoten bei Migration zerschlagen

Noch unsicherer sind die Chancen für die Reform des Asyl- und Migrationsrechts. Seit Jahren streiten die EU-Staaten darüber. Die Länder an den südlichen Außengrenzen wollen die Abkehr vom sogenannten Dublin-System, wonach in der Regel zunächst das Land für Asylverfahren zuständig ist, wo ein Migrant zuerst europäischen Boden betritt. Sie wollen eine Verteilung der Menschen. Östliche Staaten wie Tschechien und Ungarn, aber auch Österreich sind strikt dagegen.

Bundesinnenminister Horst Seehofer schlägt vor, nach einer Vorprüfung schon an den EU-Grenzen jene Menschen abzuweisen, die keinerlei Aussicht auf Schutz haben. Das soll die Zahlen so drücken, dass die Verteilung leichter wird. Doch ein Konsens ist nicht in Sicht. Weil die Fronten so hart sind, zögert die EU-Kommission mit einem offiziellen Vorschlag. Ein Kompromiss unter deutscher Präsidentschaft gilt als unwahrscheinlich. Seehofer will es trotzdem versuchen.

Die Debatte über Europa beginnen

Eigentlich sollte die Konferenz zur Zukunft Europas bereits im Mai beginnen, doch dann kam Corona. Gemeint ist eine zweijährige Debatte in verschiedenen Formaten mit Beteiligung von Bürgern. Das Ziel ist eine demokratischere und bürgernähere EU. Das Europaparlament will nun einen Auftakt im Herbst. Deutschland dämpft die Erwartung. Man müsse sehen, wann die Pandemie das zulasse, sagt ein Diplomat.

Behauptung Europas zwischen China und den USA

Der Konkurrenzkampf der Weltmächte China und USA wird immer härter. Europa muss aufpassen, dass es dabei nicht unter die Räder kommt. "Wir haben nur dann eine Chance, uns in diesem Umfeld zu behaupten, wenn wir dies zusammen als Europäer tun", sagt Bundesaußenminister Heiko Maas. "Sonst werden wir zum Spielball von anderen."

Das Verhältnis zu China wollte Merkel eigentlich bei einem großen Gipfel mit der Pekinger Führung im September in Leipzig neu austarieren. Der ist nun wegen der Corona-Pandemie erstmal verschoben, soll aber trotz des Streits um das Sicherheitsgesetz für Hongkong noch in diesem Jahr nachgeholt werden. Beim Verhältnis zu den USA schauen alle auf den 3. November: die Präsidentenwahl, bei der sich entscheidet, ob man es weitere vier Jahre mit Donald Trump zu tun haben wird.

Moderatorenrolle im Nahost-Konflikt

Eine drohende Eskalation im Nahost-Konflikt dürfte Deutschland sowohl in der EU als auch im UN-Sicherheitsrat fordern. Israel will palästinensische Gebiete im Westjordanland annektieren, nach Regierungsangaben noch im Juli. Das würde eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats nach sich ziehen. Und auch die EU müsste entscheiden, wie sie darauf reagieren will. Der Bundesregierung würde dabei eine schwierige Moderatorenrolle zukommen. Sie sieht eine Einverleibung besetzter Gebiete durch Israel zwar als rechtswidrig an. Doch hat Deutschland wegen des Holocausts eine besondere Verantwortung für Israel. Die Forderung nach Sanktionen, die von einigen Ländern kommen wird, wird sie daher kaum unterstützen.

Neue Bemühungen im Libyenkrieg

Im Libyenkrieg hat Deutschland bereits im vergangenen Jahr eine Vermittlerrolle übernommen und im Januar einen Gipfel in Berlin organisiert. Der wurde zwar zunächst als diplomatischer Erfolg gefeiert. Inzwischen ist davon aber nichts mehr übrig geblieben. Die Kämpfe halten an und die Einmischung von außen hat sich eher noch verstärkt. Im Sicherheitsrat will Deutschland die damaligen Gipfel-Teilnehmerstaaten wieder an einen Tisch bringen - und sie an ihre Verpflichtungen erinnern. Erfolgschancen: eher gering. (dpa/rs)

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