Strategie für den Mobile Moment

Eine App rettet kein Unternehmen

27.08.2014
Von Ted  Schadler
Die mobile Welt ist nicht das Internet im Kleinformat. Unternehmen brauchen eine komplett neue Technologieplattform. Das wird weder einfach noch billig. Ted Schadler von Forrester erläutert in seiner Kolumne, was Unternehmen für den Mobile Mind Shift tun sollten.

Mobile Geräte werden immer beliebter, um die Bedürfnisse der Verbraucher zu befriedigen. Wie wird das Wetter morgen? Ist das Flugzeug pünktlich? Wo ist das nächstgelegene Geschäft, und ist dieses Produkt dort günstiger? Egal, um was es geht, die Verbraucher erwarten immer öfter, dass sie die Antwort auf ihre Frage auf ihrem Handy finden.

Ted Schadler ist Vice President und Principal Analyst bei Forrester Research.
Ted Schadler ist Vice President und Principal Analyst bei Forrester Research.
Foto: Forrester Research

Dieser mobile moment, also ein Moment, in dem der Kunde eine Kontext-basierte sofortige Antwort sucht, ist der entscheidende Zeitpunkt, um den Kampf um die Kunden zu gewinnen. Wenn Sie in diesem Moment für den Kunden da sind, gewinnen Sie sein Vertrauen. Sind Sie es nicht, verlieren Sie ihn.

Vorreiter Nestlé, McDonalds und ING Bank

Sowohl Jungunternehmen wie das britische Hailo als auch große Konzerne wie Nestlé in der Schweiz, McDonalds in Frankreich und die ING Bank in den Niederlanden haben das Prinzip des mobile moments bereits verstanden. Dennoch glaubt die Mehrzahl der Firmen immer noch, dass das Kreieren einer eigenen App genügt, um die Kunden in ihren mobile moments für sich zu gewinnen.

Diese Strategie wird schlichtweg auf den Verlust von Kundschaft hinauslaufen. Warum? Weil Firmen den Kampf um den mobile moment nicht mit einer Technologieplattform gewinnen können, die für das Internetzeitalter entwickelt wurde. Die mobile Welt ist nämlich nicht das Internet in Kleinformat, sondern ein völlig anderes Erlebnis, das auf einfachen Schritten und dem Dialog mit dem Kunden basiert, anstatt auf Transaktionskatalogen mit Selbstbedienung.

Eine neue Schnittstelle reicht nicht

Die Kommunikationslücke zwischen dem Unternehmen und dem Kunden in diesem mobile moment kann man nicht schließen, indem man einer alten Technologie eine neue Schnittstelle verpasst. Stattdessen sollten Unternehmen ihre Technologieplattformen völlig neu gestalten, um die Kunden in ihren mobile moments für sich zu gewinnen, ihnen behilflich zu sein und sie an sich zu binden.

Überflüssiges, veraltetes Technologiechaos

Seit 30 Jahren entwickeln Unternehmen Technologiesysteme, um die PCs auf den Schreibtischen ihrer Angestellten und später die Websites auf den PCs der Kunden zu betreiben. Sie entwickeln Software, mit der sich diese Geräte an die großen Rechenzentren des gesamten Unternehmens koppeln lassen, auf denen zum Beispiel Lagerbestände und Kundendaten gespeichert sind. Das Ergebnis all dieser Mühe ist bei den meisten Großunternehmen ein kompliziertes, überflüssiges und veraltetes Technologiechaos, welches dem Mobile Mind Shift nicht gewachsen ist.

Mit der Technologie, in die Sie zur Nutzung von PCs und des Internets investiert haben, kann man keine mobile moments für sich gewinnen, denn die komplexen Transaktionssysteme sind nicht dafür ausgelegt, einfache mobile Erlebnisse zu ermöglichen. Sie wurden für Arbeitnehmer entwickelt, die den ganzen Tag an ihrem Schreibtisch sitzen und sich mit komplexen Prozessen beschäftigen, und nicht für Gelegenheitskunden, die hier und jetzt mit Hilfe ihres Mobilgerätes etwas erledigen wollen. Diese alten Systeme können den Anforderungen einer App, wie wir sie in einem mobile moment benötigen, in Bezug auf intuitive Bedienung, Aufgabenorientiertheit und Kontext, nicht gerecht werden.

Leistung alter Systeme reicht nicht mehr

Die Leistungsfähigkeit Ihrer Technologie wird nicht ausreichen, um den Anstieg des Transaktionsvolumens zu bewältigen. Ihre Systeme wurden nämlich für eine mäßige und vorhersehbare Belastung ausgelegt, doch erfolgreiche Apps können zu einem Anstieg der Anmelde- und Transaktionsvorgänge um das Zehnfache führen. So war eine Bank gezwungen, ihre Kapazität immer wieder zu erhöhen, nur weil ihre mobile App sechs Mal mehr Transaktionen generierte als erwartet. Sind Ihre Systeme solch einer Nachfrage gewachsen? Der Leiter der Technologieabteilung einer Bank befürchtet gar einen Zusammenbruch der Haupttransaktionssysteme, sollte der Börsenmarkt abrutschen.

Die Tatsache, dass Ihre Systeme nicht miteinander verknüpft sind, wird es Ihnen schwer machen, neue Dienstleistungen anzubieten. Ist zum Beispiel Ihre Kundendatenbank von dem Lagerbestand und dem Auftragsverwaltungssystem getrennt, können Sie Ihre Angebote und Preise nicht entsprechend der Treue und der Vorzüge des Kunden anpassen.

Kunden verlieren Toleranz

Ihre Content-Management-Systeme und -Verfahren werden Ihnen Steine in den Weg legen, wenn Sie versuchen, sie für neue Arten der Kundenbindung einzusetzen. Denn seitdem alles und jeder jederzeit mobil verfügbar sein muss, warten die Leute nicht mehr geduldig auf den Download Ihres Contents, und holperige Content-Erlebnisse werden erst recht nicht toleriert.

Ihre voneinander getrennt gespeicherten Daten werden eine Echtzeitanalyse des Kundendialogs unmöglich machen, welche jedoch erforderlich ist. Im neuen Zeitalter des Mobilseins dürfen Analysemöglichkeiten nicht erst im Nachhinein berücksichtigt werden, sondern müssen von Anfang an in das ganze System integriert werden.

Diese unvorhergesehenen Konsequenzen können für Ihre mobile moments fatal sein, denn das neue mobile Denken verlangt Innovationen. Die Komplexität Ihrer derzeitigen geschäftlichen Anwendungen und Ihrer veralteten Technologie-Infrastruktur stehen diesen Innovationen im Wege. Sie brauchen eine neue Technologiestrategie, und zwar eine, die für mobile moments ausgelegt ist.

Grundlegend neue Technologiestrategie

Im Zuge des Mobile Mind Shifts werden Sie Ihre gesamte Technologiestrategie grundlegend ändern müssen (siehe Tabelle 1).

Tabelle 1: Der Mobile Mind Shift erfordert eine grundlegende Änderung Ihrer Technologie
Tabelle 1: Der Mobile Mind Shift erfordert eine grundlegende Änderung Ihrer Technologie
Foto: Forrester

Die Technologieplattformen für mobile moments unterscheiden sich von den herkömmlichen Aufzeichnungssystemen, welche Firmen für ihre Kerngeschäfte und Aktivitäten im Back Office nutzen, wie beispielsweise Nestlés Lagerverwaltungssystem oder INGs Bankensystem. Sie sind dazu entwickelt worden, um mit absoluter Zuverlässigkeit den aktuellen Stand des Unternehmens wiederzugeben. Doch diese Systeme - und die von ihnen unterstützten Geschäftsvorgänge - sind nicht für die schnellen, häufigen und einfachen Aufgaben optimiert, die die Nutzer mobiler Geräte erledigen möchten.

Erfolgreiche Unternehmen haben verstanden, dass Mobile Mind Shift Investitionen in Systeme erfordern, die auf die Menschen und deren Kontext und Aufgaben ausgerichtet sind, anstatt auf interne Abläufe oder Datenbanken. Bei allen Unternehmen, die während unserer Beobachtungen einen mobile moment für sich gewinnen konnten, wurde von IT-Leitern eine Reihe neuer Technologien angewandt, die sich deutlich von den bisherigen Investitionen unterscheiden.

4 Voraussetzungen für den Wandel

Die Technologiefachleute dieser Unternehmen beachten vier Prinzipien, um den mobile moment für ihr Unternehmen zu gewinnen.

1. Intuitive Bedienung

Erstens muss die Anwendung für Erstbenutzer intuitiv zu bedienen sein. Bei der Entwicklung muss in erster Linie von einer Interaktion mit Menschen ausgegangen werden, nicht von der Nutzung einer Datenbank. Ziel ist es, jemandem zu ermöglichen, ohne Vorwissen einen bestimmten Vorgang sofort ausführen zu können. Dies verlangt jedoch eine ganz andere Einstellung und eine völlig neue Strategie zur Bereitstellung von Informationen und Transaktionen an die Benutzer. Ein gutes Verständnis der betreffenden Person und ihres Kontextes sind dabei der Ausgangspunkt.

2. Aufgabenorientierte Anwendungen

Zweitens muss die Anwendung aufgabenorientiert sein. Sie muss gerade genug Informationen und Aktionsbuttons bieten, um dem Benutzer zum nächsten Schritt weiterzuhelfen, denn mobile moments sind kurz und zielgerichtet. Daher müssen die Datenverarbeitungs- und Geschäftsprozesse in viele kleine Elemente zerlegt werden, damit immer nur das angeboten wird, was in dem Moment benötigt wird. Es sollten also keine zusätzlichen Klicks oder das Durchlaufen mehrerer Bildschirme und Datenmengen erforderlich sein, um zum Ziel zu gelangen.

3. Erlebnis in Kontext des Kunden einbetten

Drittens muss das Erlebnis in den Kontext des Kunden eingebettet werden. Weil Sie wissen, wo sich der Kunde gerade aufhält und Ihnen viel über ihn und seine vorherigen Aktionen bekannt ist, können Sie ihm den nächsten am wahrscheinlichsten Schritt erleichtern. Diese Informationen oder Einblicke können dabei aus Ihren eigenen Systemen stammen oder aber von einem Geschäftspartner oder Dienstleister wie GoogleGoogle oder Adobe. Alles zu Google auf CIO.de

4. Flexible Technologieplattform

Viertens muss die Technologieplattform flexibel sein und sich an den Tagesablauf und die Erwartungen des Kunden anpassen. Technologie in den Händen der Kunden bedeutet unweigerlich eine gewisse Unbeständigkeit, da sie die Apps zu allen Tages- und Nachtzeiten benutzen und Upgrades nicht bereits Monate im Voraus planen. Aus diesem Grund kann es bei Nachfrage und Nutzung zu unvorhersehbaren Spitzenzeiten kommen.

Mobile Apps hingegen sind auf Menschen ausgerichtet, nicht auf interne Prozesse. Sie nutzen mobile, soziale, Cloud-basierte und analytische Technologien, um Dienstleistungen direkt im Kontext des Kunden anzubieten. So kann Google Now Sie warnen, dass Sie Ihren Zug verpassen, wenn Sie die Bond Street oder die Champs-Élysées nicht etwas schneller heruntergehen. Dazu braucht man Technologie, die das bieten kann, was der Kunde in seinem aktuellen Kontext auf seinem Mobilgerät sehen möchte.

4 Grundsätze für den Mobiel Mind Shift

Um den Kunden in seinem mobile moment mit seinen Anforderungen überzeugen zu können, bereiten sich leitende Manager und Leiter von Technologieabteilungen auf den Mobile Mind Shift basierend auf den folgenden vier Grundsätze vor:

  1. Bewältigung einer Vielzahl neuer Technologien zur Unterstützung und Bindung der Kunden. Dazu gehören die Bereiche Mobil sein, soziale Medien, Cloud Computing, Nachrichtendienste, Analysen, internes Feedback, Content Management. Sie müssen miteinbezogen und miteinander verknüpft werden, um den Kunden interessante Erlebnisse bieten zu können.

  2. Entwicklung eine Cloud-basierte Plattform zur Integration und Lieferung von Daten. Das Internet kann mit seinen drei Ebenen die höchst unterschiedlichen und komplexen Anforderungen von mobile moments nicht bewältigen. Unternehmen müssen daher "die Cloud" und eine neue vierschichtige "Dialogplattform" annehmen. Diese trennt die "Aggregationsebene", auf der sich das API-Management und die Technologie Logik befinden, von der "Lieferebene", die auf der Skalierbarkeit des Internets läuft, und sofort darauf reagiert, wenn ein Kunde einen Aktionsbutton drückt . Die Cloud stellt einen wesentlichen Bestandteil dieser neuen Architektur dar.

  3. Vereinfachung des Datenabrufs aus bestehenden Transaktionssystemen. Die bestehenden Transaktionssysteme und -prozesse sind zu umfangreich und unflexibel für die kurzen Vorgänge und schnellen Antworten, welche in einem mobile moment verlangt werden. Unternehmen werden ihre Prozesse in viele kleinere Elemente zerlegen müssen und mit cleveren APIs, die alle Arten von mobilen Geräten und Kommunikationskanäle unterstützen, gerade so viele Daten teilen, wie benötigt werden.

  4. Einarbeitung umfassender Analysefähigkeiten. Wer eine mobile App kreiert, die nicht mit Analyseinstrumenten ausgerüstet ist, begibt sich quasi blind in den Kampf um den mobile moment. Denn eine App liefert nebenbei auch Daten zur Leistung und Nutzung sowie zum Standort, und sollte damit das Erlebnis des Kunden in seinem jeweiligen Kontext verbessern. Diese Auswertung ist das kniffeligste und gleichzeitig das möglicherweise wertvollste Ergebnis eines mobile moments.

Wie Sie sehen, versteckt sich hinter jedem großartigen mobile moment eine gut durchdachte Technologiestrategie und eine neue Generation technologischer Fähigkeiten. IT-Leiter haben eine mächtige und wichtige Rolle in dieser "schönen neuen Welt". Es wird weder günstig noch leicht sein, diese Technologieplattform der neuen Generation umzusetzen, jedoch ist es unerlässlich, um in Zeiten des neuen mobilen Denkens geschäftlich erfolgreich zu sein.

Ted Schadler ist Vice President und Principal Analyst bei Forrester Research und Mitautor von zwei Forrester-Büchern: Empowered (2010) und The Mobile Mind Shift (Juni 2014).

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