Die wöchentliche CIO-Kolumne

Homo telelaborans

Heinrich Seeger arbeitet als IT-Fachjournalist und Medienberater in Hamburg. Er hat über 30 Jahre IT-journalistische Erfahrung, unter anderem als Gründungs-Chefredakteur des CIO Magazins. Er entwickelt und moderiert neben seiner journalistischen Arbeit Programme für Konferenzen und Kongresse in den Themenbereichen Enterprise IT und Mobile Development, darunter IT-Strategietage, Open Source Meets Business, droidcon und VDZ Tech Summit. Zudem gehört er als beratendes Mitglied dem IT Executive Club an, einer Community von IT-Entscheidern in der Metropolregion Hamburg.
Noch so eine angekündigte Revolution, die zuerst ausfiel, nun aber doch allmählich durchschlägt: Laut Meta Group gibt es heute doppelt so viele Vollzeit-Telearbeitsplätze wie vor drei Jahren; bis 2006 sollen 60 Prozent der Global-2000-Unternehmen die Voraussetzungen für die Heimarbeit von Festangestellten geschaffen haben. Evolution statt Revolution; was indes noch aussteht, ist der Evolutionsschritt, der uns wirklich fit macht für die ortsunabhängige Business-Zukunft.

Viel spricht dafür, dass die Prognose der Meta Group wahr wird. Fast alle der rund 50 IT-Entscheider, die letzte Woche auf eine Kurzumfrage von CIO antworteten, glauben an ein Wachstum von Telearbeit - wenn auch meist in einer Mischform von Heim- und Präsenzarbeit und nicht in dem Ausmaß, das die Marktforscher voraussagen.

Die wichtigsten Pro-Argumente der CIOs: Telearbeit spart Arbeitszeit und Raumkosten. In Telearbeitsverhältnissen kann man Mitarbeiter und ihr Wissen bewahren, von denen man sich normalerweise ganz oder auf Zeit trennen müsste, etwa Mütter und Väter im Erziehungsurlaub. Telearbeit ermöglicht konzentriertes Arbeiten im Wechsel mit Entspannung zu frei gewählten Zeiten, ist dadurch motivierend und somit produktivitätsfördernd. Beispiel: Den Befund eines daheim arbeitenden Arztes als "second opinion" zur Diagnose des Diensthabenden hinzuzuziehen, ist eine (bereits praktizierte) Möglichkeit, den Konflikt um die Ärzte-Arbeitszeit zu entschärfen.

Andererseits: Was für die Global 2000 stimmt, muss nicht für alle gelten. Selbst Unternehmen, die ganz selbstverständlich Telearbeit und die Aufwendungen dafür akzeptieren, wenn es darum geht, Außendienstlern uneingeschränkten Zugang zum Unternehmensnetz zu verschaffen, zieren sich, ihren Mitarbeitern das Arbeiten in den eigenen vier Wänden zu gestatten. Viele Traditionalisten, gerade im inhabergeführten Mittelstand, scheinen mit dem Verlust der räumlichen Nähe auch den Verlust der Kontrolle über ihre Mitarbeiter zu befürchten. "Jobs, die ein intensives Beziehungsmanagement erfordern, eignen sich nicht für Telearbeit", hieß es in der Antwort eines IT-Entscheiders auf die Umfrage. Sogar von der "Aufsichtspflicht" des Arbeitgebers über seine Mitarbeiter war die Rede.

Die Vorbehalte gegen Telearbeit sind freilich nicht ausschließlich psychologisch oder patriarchalisch fundiert. Harte Argumente aus der Befragung: Unternehmenskritische Daten und Anwendungen via Internet bereit zu stellen, ist unsicher oder teuer. Vertrauliche Dokumente dürfen das Haus nicht verlassen. Telearbeiter gehören nicht richtig zum Team, weil sie für Adhoc-Besprechungen nicht zur Verfügung stehen und ihre Teilnahme an Meetings ebenfalls schwierig ist.

Gerade Letzteres stimmt auffallend; Telekonferenzen sind ein Thema für sich. Wer mal telefonisch einer Konferenz mit ansonsten körperlich versammelten Teilnehmern beigewohnt hat, dürfte das kennen: Diskussionsbeiträge am Tisch sind kaum zu verstehen, weil ständig durcheinander geredet wird. Eigene Wortmeldungen dringen nicht durch, weil der Kasten auf dem Konferenztisch nicht als Repräsentation eines vollwertigen Gesprächspartners wahrgenommen wird (Irgendwie verständlich, die Dinger sehen ja auch zu putzig aus in ihrem Spielekonsolen-Design mit bunten Lämpchen.). Welche Koalitionen sich im Gesprächsverlauf am Tisch bilden und welche Stimmungen sich aufbauen, ist telefonisch gar nicht auszumachen, sondern bestenfalls per Breitband-Videokonferenz; und das funktioniert auch nur dann, wenn es so etwas wie einen Regisseur am Tisch gibt, der dafür sorgt, dass Sprechende gleichzeitig zu sehen sind.

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