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Agentur für Arbeit

CIO Markus Schmitz fordert mehr IT-Eigenleistung

Horst Ellermann ist Herausgeber des CIO-Magazins und Ambassador für CIOmove in Deutschland.
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) will mehr IT-Aufgaben selbst erledigen. Wollte sie 2012 schon mal. CIO Markus Schmitz erklärt, warum die alte Idee nicht funktioniert hat. Und warum es diesmal klappen muss.
Markus Schmitz, CIO der Bundesagentur für Arbeit, will insgesamt 600 zusätzliche Stellen in fünf Tranchen genehmigen lassen.
Markus Schmitz, CIO der Bundesagentur für Arbeit, will insgesamt 600 zusätzliche Stellen in fünf Tranchen genehmigen lassen.
Foto: Bundesagentur für Arbeit

Im Jahr 2012 stand die Zahl erstmals im Raum: 80 Prozent der IT-Aufgaben sollten inhouse erbracht werden, postulierte der damalige CIO Klaus Vitt. Dann kam die Flüchtlingskrise - und mit ihr jede Menge neue Arbeit, auf die in Nürnberg niemand vorbereitet war. Die BA-Spitze musste eingestehen, dass das eigene Team die neuen Aufgaben unmöglich allein lösen konnte. Fazit: Die "Eigenerbringungsquote", wie es im schönsten Nürnberger Arbeitsamt-Sprech heißt, stieg nie. Im Gegenteil: Sie sank auf 52 Prozent - zuletzt 2019 gemessen. Vitts Nachfolger Markus Schmitz sieht zwei Gründe.

Zum einen seien die Anforderungen an die BA stetig gewachsen: 113.200 Mitarbeitende generieren an 1.600 Standorten 2.400 fachliche Änderungen pro Jahr. Dazu kommen 10.000 technische Änderungen, die sich etwa aus den gestiegenen Sicherheitsanforderungen ergeben. Eine der größten IT-Landschaften im öffentlichen Raum Europas wird also ständig umgemodelt - und wächst: Neben den eigenen Mitarbeitenden greifen auch Kolleginnen aus kommunaler Verwaltung und von Bildungsstätten auf die IT der BA zurück. "Wir betreuen 175.000 PCs", sagt Schmitz, "nebst Netzen und drei Rechenzentren."

Bottom-up statt top-down

Zum anderen sei aber auch der Ansatz von 2012 heute neu zu denken, meint Schmitz: "Die 80-zu-20-Prozent-Ansage von 2012 war top-down", sagt der CIO. Sie hätte über alle Systeme gelten sollen. "Das geht aber gar nicht", sagt Schmitz. Die Systeme seien viel zu unterschiedlich. Im ersten Halbjahr 2021 hat der neue CIO deshalb den Bottom-up-Ansatz gewählt und bei einer Vollerhebung im Systemhaus der BA gefragt: "Wo sind wir überhaupt eigenleistungsfähig?" Und: "Wo ist Eigenleistung erstrebenswert?"

Rund 20 bis 25 Prozent der Mitarbeitenden steuern derzeit die IT-Anbieter, schätzt Schmitz. Und Hans-Jürgen KlementHans-Jürgen Klement, Bereichsleiter für die Steuerung der IT, ergänzt: "Wir wollen einen Vendor-Lock-in auf jeden Fall vermeiden." Von den drei Rechenzentren soll deshalb auch keins von Dienstleistern gesteuert werden. Das kleinste davon dient als Entwicklungsplattform in Nürnberg. Die beiden anderen sind gespiegelte Data Center, in denen auch die "klassischen Leistungsverfahren" laufen. "Von der Kritikalität stehen die ganz oben", sagt Schmitz: "Wenn da etwas schiefläuft, also Zahlungen ausbleiben, stehen nach wenigen Stunden die Kunden bei Olaf Scholz auf der Matte." Profil von Hans-Jürgen Klement im CIO-Netzwerk

Komplexe IT: Die Bundesagentur für Arbeit betreibt drei Rechenzentren und rund 175.000 PCs.
Komplexe IT: Die Bundesagentur für Arbeit betreibt drei Rechenzentren und rund 175.000 PCs.
Foto: nitpicker - shutterstock.com

Bei den 9.000 Servern in den eigenen Rechenzentren ist, entgegen dem Trend, aktuell also kein OutsourcingOutsourcing angedacht. Selbst, wenn Schmitz und Klement wollten, sie könnten auch gar nicht ohne Weiteres auslagern. Der Bundesbeauftragte für den DatenschutzDatenschutz und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik sprechen mit, was wirklich raus kann. Und das ist nach dem Schrems-II-Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 16. Juli 2020 nicht viel. Schmitz glaubt auch nicht, dass sich am Datenexport in Drittländer noch viel ändert: "Wir gehen nicht davon aus, dass es noch ein Abkommen zwischen den USA und der EU gibt." Alles zu Datenschutz auf CIO.de Alles zu Outsourcing auf CIO.de

Ohne IT kein Kindergeld

Hinter "klassischen Leistungsverfahren" verbergen sich so Dinge wie der "Kinderzuschlag", bei der die BA errechnet, wieviel Zuschlag zum Kindergeld den Arbeitslosen zusteht. "Das ist von der Komplexität kaum zu toppen", sagt Schmitz. Und natürlich hat kein klassischer Softwareanbieter Interesse, ein "Kinderzuschlag-Modul" ins Portfolio aufzunehmen. Der Markt ist ausgesprochen übersichtlich: Gibt es außer Dänemark, Schweden und Norwegen noch einen Sozialstaat in der Welt, der an einer derartigen Lösung interessiert sein könnte?

Die Kindergeldsoftware haben die Mitarbeitenden der BA folglich selbst programmiert - mit Hilfe von Accenture und Capgemini. Accenture wirbt sogar damit, die weltweit einzigartige Lösung geschaffen zu haben. Schmitz und Klement sagen, dass im Bereich Leistungssoftware für Hartz 4 die meisten Mitarbeitenden noch selbst programmieren können - ganz anders als am anderen Ende des IT-Service-Katalogs: Den User Helpdesk lässt die BA von 60 Mitarbeitenden eines extern Dienstleisters erledigen. "Da gibt es Zeiten mit vielen Anrufen, Zeiten mit wenigen, das kann ein Dienstleister immer besser", sagt Schmitz.

Vorstand und Verwaltungsrat, also der Aufsichtsrat der BA, haben einen weiteren Ausbau der Eigenleistung bereits im Mai beschlossen. Schmitz hatte erklärt, dass Eigenleistung zwingend nötig sei, um die IT schneller und sicherer zu machen: "Da ticken wir nicht anders als Daimler oder Volkswagen." 100 zusätzliche Stellen für die "kritikalen" Anwendungen sind genehmigt. Die Rekrutierung läuft bundesweit, nicht bloß in Nürnberg. "Die klassische Stallhaltung hat sich überlebt", sagt Schmitz: "80 Prozent unserer Entwickler arbeiten jetzt zeitweise remote - manchmal ist es aber schon noch sinnvoll, die Leute zusammenzurotten."

Insgesamt wollen Schmitz und Klement 600 zusätzliche Stellen in fünf Tranchen genehmigen lassen. Rund 40 Millionen Euro jährliche Einsparungen im Sachhaushalt haben sie dem Aufsichtsrat dafür in Aussicht gestellt. Nächster Milestone: Im November 2022 beschließt der Bundestag den neuen Haushalt. Dann zeigt sich, ob die Abgeordneten der BA das Selbermachen auch zutrauen.

Die Bundesanstalt für Arbeit - Eckdaten

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