Die wöchentliche CIO-Kolumne

Der nächste Akt auf dem Drahtseil

Heinrich Seeger arbeitet als IT-Fachjournalist und Medienberater in Hamburg. Er hat über 30 Jahre IT-journalistische Erfahrung, unter anderem als Gründungs-Chefredakteur des CIO Magazins. Er entwickelt und moderiert neben seiner journalistischen Arbeit Programme für Konferenzen und Kongresse in den Themenbereichen Enterprise IT und Mobile Development, darunter IT-Strategietage, Open Source Meets Business, droidcon und VDZ Tech Summit. Zudem gehört er als beratendes Mitglied dem IT Executive Club an, einer Community von IT-Entscheidern in der Metropolregion Hamburg.
Die Kandidaten haben ihre Klientel bedient: Gerhard Schröder, knapp vier Jahre lang Genosse der Bosse, hat sich rechtzeitig vor der Wahl wieder enger bei den Gewerkschaften eingehakt, um sich aus dem Tief der Meinungsumfragen herausziehen zu lassen. Edmund Stoiber versprach arbeits- und sozialrechtliche Reformen und Maßnahmen, deren Nutzen - Aufhebung des Kündigungsschutzes, Wieder-Wegfall der Sozialabgaben für Kleinverdiener-Jobs - den Arbeitgebern unmittelbar einleuchteten und auch viele Beschäftigte überzeugten. Beide Wahlkampfstrategien haben ziemlich gut funktioniert, und am Ende waren es das Glück des Unglücks (Flut), der Instinkt (Irak-Verweigerung) und das Fiasko der FDP (nicht nur Möllemann), die Schröder respektive Rot-Grün einen knappen Vorsprung und damit die Regierungsmacht bewahrten. Ob Union und FDP einen besseren Job gemacht hätten, ist unwichtig; ob SPD und Grüne es besser machen werden als in den vergangenen vier Jahren, ist Gegenstand der Hoffnung.

Offenbar hätten diejenigen, die an den Schaltstellen des Businesssitzen, lieber einen Kanzler Stoiber gehabt; der Absturz des DAX amMontag nach der Wahl macht das nochmal deutlich. Aber ob der dieHoffnungen erfüllt hätte, die in ihn und sein Team gesetzt wurden,darf bezweifelt werden. Auch Stoiber und seine Mannschaft hätten nichtauf einer frischgemähten Wiese agiert, sondern auf demselben holprigenParcours widerstreitender Interessen, den jetzt erneut das KabinettSchröder in Angriff nehmen muss.

Das Projekt der gesellschaftlichen Modernisierung, von dem in denvergangenen vier Jahren herzlich wenig erledigt wurde, istanspruchsvoll - im Wortsinn: Alle Bevölkerungsgruppen verlangen, dasses ihnen in Zukunft mindestens so gut geht wie bisher. Der Wohlstandhat in den achtziger und neunziger Jahren durch dasWirtschaftswachstum und die immer preisgünstigere Teilhabe amtechnologischen Fortschritte ein Plateau erreicht.

Jetzt sorgt der technische Fortschritt mit dafür, dass dieses Plateauabbröckelt: Es wird immer deutlicher, dass die durchrationalisierte -und weiter unter hohem Rationalisierungsdruck stehende -postindustrielle Wirtschaft weniger menschliche Arbeitskraft benötigt,als zur Verfügung steht. Der Arbeitskräfte-Überhang wird sich auchnicht abbauen lassen, indem man einen Teil der Arbeitssuchenden fürgutbezahlte Premium-Jobs qualifiziert und die anderen, teils womöglichals "Ich-AG", gering entlohnte Dienste leisten lässt. Solche Dienste -Liefern online bestellter Frühstücksbrötchen, Parkplatzwachen vor derShopping-Mall, Schuheputzen während der CeBIT - würden zwar dasService-Niveau in diesem Land zugunsten derjenigen heben, die sich dasleisten können. Dass auf diese Weise nennenswerte Kaufkraft entstündeund die Konjunktur anspränge, darf aber stark bezweifelt werden.

Zugespitzt: Der Konflikt zwischen denen, die Arbeitskraft anbieten,und denen, für die ein Zuviel an verfügbarer Arbeitskraft Kostenerzeugt, von denen sie sich schnellstmöglich trennen wollen, wird nochlange andauern. Selbst ein Wachstumsschub wird nicht vier MillionenArbeitslose in Lohn und Brot bringen. Es geht darum, diesen Zustandsozial auszubalancieren. Der große reformerische Wurf wird Schrödernicht gelingen, und Stoiber hätte ihn auch nicht geschafft.

Etwas anderes zum Schluss: MicrosoftMicrosoft hat anlässlich der Wahl einenechten Coup gelandet: Unter sämtlichen Auswertungsgrafiken prangte dasLogo von ".net"; Millionen von Fernsehzuschauern dürfte die Existenzdieses Konzepts erstmals bewusst geworden sein. Nach Auskunft vonMicrosoft handelt es sich um eine langfristigeTechnologiepartnerschaft mit den Wahlforschern von Infratest Dimap. Obbei der Auswertung der Stimmergebnisse bereits .net-Technik eingesetztwurde oder ob sich Microsoft als Sponsor allein die riesigenARD-Einschaltquoten des Wahlabends zunutze machen wollte, darüber gabes allerdings keine Auskunft. Alles zu Microsoft auf CIO.de

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