Esport-Experte Köhler im Interview

Esport in Deutschland

Nils Zeizinger ist  freier Autor für PR-, Wirtschafts- und Finanzthemen. Inhaltlich setzt er sich vor allem mit der FinTech-Szene sowie den Tech-Riesen Google, Facebook und Co. auseinander. Der gebürtige Thüringer studierte Publizistik, Politikwissenschaft sowie Komparatistik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Er ist Mitglied im Deutschen Journalisten Fachverband.
Von der Nische in den Mainstream: Esport erobert die Welt. In Deutschland wird jedoch diskutiert, ob Computerspielen überhaupt Sport ist.
Jan Köhler, 1. Vorsitzender des 1. Esport Club Frankfurt e.V.
Jan Köhler, 1. Vorsitzender des 1. Esport Club Frankfurt e.V.
Foto: Jan Köhler

Im Juli gewann ein 16-Jähriger Amerikaner 3 Millionen US-Dollar Preisgeld bei der "Fortnite"-Weltmeisterschaft, im August freute sich Mohammed "MoAuba" Harkous als erster Deutscher über den WM-Titel beim "Fifa eWorld Cup" – dass Nachrichten wie diese mittlerweile auch die Mainstream-Medien erreichen, ist bereits ein Beleg für die gewachsene Popularität des Esport in Deutschland.

Immer mehr Gamer organisieren sich dabei in Vereinen. Von dort aus wird eine hitzige Debatte vorangetrieben: Ist Esport überhaupt Sport? Eine politische Anerkennung würde den Vereinen geregeltere Strukturen, höhere Einnahmen und eine breitere gesellschaftliche Akzeptanz garantieren. Wir sprachen mit Jan Köhler, dem 1. Vorsitzenden des 1. Esport Club Frankfurt e.V.

Sport oder nicht Sport – das ist hier die Frage. Weshalb kämpfen Esport-Vereine dafür, dass Gaming als Sport anerkannt wird?

Jan Köhler: Esport ist ein Phänomen und eine gesellschaftliche Bewegung riesigen Ausmaßes. Bei unserer Rekrutierung in den letzten Jahren ist uns aufgefallen, dass nahezu alle Jugendlichen oder jungen Erwachsenen bereits mit Gaming in Berührung gekommen sind. Allein das wäre schon Grund genug: Mehrere Generationen von Jugendlichen wollen einfach mit ihrem Sport von der Gesellschaft anerkannt werden.

Der wichtigste Punkt für die Vereine ist aber der Auftrag der Gesellschaft, der durch die schiere Masse an Spielern an die Vereine herangetragen wird. Esport-Vereine brauchen Räumlichkeiten, ausgebildete Trainer und vor allem Jugendarbeiter. Eine professionelle Ausbildung in diesen Bereichen kann erst geregelt stattfinden, wenn Esport als als Sport oder etwas Gleichwertiges anerkannt ist.

Im Endeffekt geht es den Vereinen mehr um die Gemeinnützigkeit als um den Begriff "Sport". Es ist wichtig, den jungen Spielern einen gesunden Umgang mit dem Medium zu lehren, sie weiter zu fördern und vor allem im Verein mit einzubinden. Entgegen den Meldungen, dass das Ehrenamt in Deutschland ausstirbt, merken wir: Die Jugend ist sehr gerne Teil eines Vereins und will dort auch mithelfen, um Teil der Gemeinschaft zu sein, um den Verein zu leben und dessen Werte nach außen zu tragen.

"Esport hat sich immer einen Weg gesucht"

Nehmen Sie uns mit in die Zukunft: Wie entwickelt sich Esport in Deutschland wenn 1. die Anerkennung als Sport erfolgt, oder wenn 2. diese Anerkennung ausbleibt?

Jan Köhler: Der Esport in Deutschland wird sich bei beiden Szenarien gleich entwickeln – einige Entwicklungsschritte werden ohne das Label "Sport" allerdings mehr Zeit in Anspruch nehmen. Esport hat sich immer einen Weg gesucht. In den letzten Jahren ist der Esport exorbitant gewachsen und viele Menschen haben das gar nicht mitbekommen. Ohne die Anerkennung könnten sich jedoch die Probleme mit unseriösen Firmen und Vereinen häufen, die beispielsweise ihre Spieler nicht bezahlen. Auch die Ausbildung geeigneter Trainer würde noch länger auf sich warten lassen, genau wie die daraus resultierende präventive Arbeit und Aufklärung von jüngeren Spielern und Eltern. Und gerade bei diesem Punkt besteht dringender Handlungsbedarf.

Die Einstellung der Esport-Vereine zu dem Thema ist naheliegend und nachvollziehbar – aber wie stehen die deutschen Gamer zu der Frage "Sport oder nicht Sport"?

Jan Köhler: Den meisten Gamern ist es schlichtweg egal. Sie lassen sich nicht vorschreiben, was sie über ihre Passion oder ihr Hobby denken sollen. Esport wurde von Anfang an belächelt und wenig ernst genommen; trotzdem haben sich viele dafür eingesetzt und etwas Großes geschaffen. Deswegen ist der Zusammenhalt in dieser Gemeinschaft auch so gut – Esport ist ein Phänomen, das aus sich selbst entstanden ist, ohne Unterstützung von außen. Und der Esport wächst weiter, trotz der Steine, die uns immer wieder in den Weg gelegt werden.

Wie viele aktive Gamer gibt es in Deutschland? Und wie viele davon sind in Vereinen organisiert?

Jan Köhler: Laut des Jahresreports von "game", dem Verband der deutschen Games-Branche, gibt es hierzulande zirka 45 Millionen Menschen, die sich mit Esport und Gaming sehr gut auskennen, Esport betreiben oder anschauen. Insgesamt 10 Millionen Menschen können sich vorstellen, in einem Esport-Verein tätig zu sein. Genau dieses Interesse erleben wir auch gerade beim 1. Esport Club Frankfurt e.V. Wir wachsen kontinuierlich und immer mehr neue Mitglieder kommen auf den Vorstand zu, um aktiv mitzuarbeiten und etwas zu bewegen. Das ist eine sehr schöne Entwicklung.

"Die Politik ist zurückgerudert"

In Asien und jüngst auch in europäischen Ländern wie Dänemark wird Esport staatlich gefördert – Welche Unterstützung gibt es seitens der Politik in Deutschland?

Jan Köhler: Es gibt keine länderübergreifende Unterstützung von Esport in Deutschland. In ihrem Koalitionsvertrag haben CDU und SPD noch verlautbaren lassen, dass sie "Esport künftig vollständig als eigene Sportart mit Vereins- und Verbandsrecht anerkennen und bei der Schaffung einer olympischen Perspektive unterstützen" wollen. Seitdem sind sie zurückgerudert und haben die Klärung der Frage, "ob Esport als Sport zu verstehen ist", auf "die organisierten Sportverbände" abgewälzt.

Auf Länderebene, beispielsweise in Schleswig-Holstein, tut sich da etwas mehr: Dort wurden bereits kleinere Projekte einzelner Vereine durch das Land bezuschusst. Das sind vielversprechende erste Schritte, die meiner Meinung nach aber nicht weit genug gehen. Nur wenn Esport die Gemeinnützigkeit zugesprochen bekommt, können Vereine wie der 1. ECF junge Spieler deutschlandweit und nachhaltig fördern und im gesunden Umgang mit dem Medium anleiten.

Welche mögliche "Förderer" sind neben der Politik noch denkbar – und welche unterstützen Esport bereits?

Jan Köhler: Willkommen ist jeder, der Interesse an Esport hat, den Esport mit uns zusammen erleben und leben möchte. Beim 1. Esport Frankfurt e.V. arbeiten wir beispielsweise mit vielen Universitäten zusammen; zudem konnten wir Warsteiner als Unterstützer gewinnen. Bei den Sponsoren aus der Wirtschaft gäbe es natürlich viele Möglichkeiten – aktuell tut sich hier vor allem die Kreativwirtschaft hervor und in Hessen besonders die GAMEAREA Frankfurt.

Wie lässt sich die beherrschende Rolle der Publisher wie Valve, Riot Games oder Blizzard Entertainment mit der in Deutschland durch Art. 9 im Grundgesetz geschützten Verbandsautonomie vereinen? Stichwort: Kommerzialisierung des Sports.

Jan Köhler: Das ist in der Tat ein schwieriges Problem. In traditionellen Sportarten "gehört" Niemandem der Sport. Dies ist beim Esport anders – hier müssen sehr gute internationale Verträge und Regeln zwischen den Firmen und den Verbänden ausgearbeitet werden. Trotzdem können die Publisher nicht machen, was sie wollen: Wenn sie etwas tun, das den Gamern oder der Gesellschaft missfällt, wird ihr Spiel einfach nicht mehr gespielt. Dadurch sind die Firmen zu einer gewissen Sorgfaltspflicht gezwungen und sie wissen, es hat Konsequenzen, wenn sie dieser nicht nachkommen.

"Kein Nachwuchs-, sondern ein Ausbildungsproblem"

Jüngst war zu lesen, dass der Esport in Deutschland ein Nachwuchsproblem hat. Wie sehen Sie die Entwicklung: Bleibt Esport ein Randphänomen oder ist der große Boom auch hierzulande nur eine Frage der Zeit?

Jan Köhler: Wir haben in Deutschland kein Nachwuchs-, sondern ein Ausbildungsproblem. Der 1. Esport Club Frankfurt e.V. hat in den letzten Monaten extrem viele Anfragen von 12- bis 15-jährigen Spieler/innen bekommen. Diese brauchen eine andere Unterstützung und Betreuung als zum Beispiel unsere Studententeams.

Es gibt sehr viel Nachwuchs und junge Spieler, aber diese wissen meist nicht, wo sie sich melden können. Deswegen datteln sie weiter unorganisiert alleine herum. Ob Esport ein Randphänomen bleibt oder nicht, liegt daran wie die verschiedenen Parteien in den nächsten Jahren mit dieser Thematik umgehen. Aber eins ist sicher: Die Esport-Bewegung ist nicht einfach nur ein Trend, der sich in ein paar Jahren wieder erledigt hat.

Welches Spiel spielen Sie aktuell?

Jan Köhler: Ich bin mit "League of Legends" aufgewachsen – das spiele ich immer noch regelmäßig. Ansonsten spiele ich mittlerweile auch gerne "World of Warcraft Classic" oder "Magic the Gathering Arena".

Zur Person
Jan Köhler ist 1. Vorsitzender des 1. Esport Club Frankfurt e.V. Der Ursprung des im Dezember 2018 gegründeten Vereins liegt in der studentischen Initiative University eSports Germany, die von Jan bereits 2017 ins Leben gerufen wurde. Seit der Gründung des 1. ECF hat sich der Verein als eine der größten Esport- und Gaming-Communities in Deutschland etabliert und entscheidenden Anteil an der Esport-Entwicklung in Frankfurt am Main und Hessen. Jan Köhler hat Neurowissenschaften studiert und ist promovierter Psychologe.

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