Europäische Südsternwarte

Informationstechnologie am Ende der Welt

19.06.2015
Dirk Stähler befasst sich seit vielen Jahren mit der innovativen Gestaltung von Organisationen, Prozessen und IT-Systemen.

Wie begegnen Sie den immer schnelleren Lebenszyklen bei der Hardware?

Andrew Wright: Pragmatisch. Wir kaufen gerade den erwarteten Bedarf an M620 für das ganze Jahr auf Vorrat um diesem Problem aus dem Weg zu gehen. In Kürze veröffentlichen wir eine neue Version der ESO Software. Wenn wir gleichzeitig gezwungen wären auf einen neuen Servertyp umzustellen, müssten wir alles neu testen. Wir hoffen die Problematik dadurch etwas abzuschwächen.

Ob uns das auf Dauer gelingt weis ich noch nicht. Die Hersteller haben ihre eigene Planung und die fokussiert primär darauf Einheiten zu verkaufen. Die hohe Entwicklungsgeschwindigkeit bei neuer Hardware ist für die ESO definitiv nicht hilfreich. Die Leistungsfähigkeit die wir mit unseren Systemen erreicht haben ist aktuell bei weitem ausreichend. Wir brauchen nicht jedes Jahr neue Hardware. Mit dem E-ELT wird sich das sicher ändern, aber da sprechen wir über Zeiträume von mehreren Jahren.

Aktuell errichtet die ESO auf dem 20 Kilometer von Paranal entfernten Berg Armazones das European Extremely Large Telescope (E-ELT). Mit einem Hauptspiegel von 39 Metern Durchmesser aus 798 sechseckigen Spiegelelementen wird es das weltweit größte optische Teleskop. Seine Instrumente werden um Größenordnungen leistungsfähiger sein, als die aller bisherigen Teleskope. Doch nicht nur für die Astronomen nähert sich das neue Teleskop physikalischen Grenzen. Auch die zugehörige Informationstechnologie steht vor großen Herausforderungen und Unbekannten. Im Jahr 2024 soll das neue E-ELT in die Infrastruktur des Paranal Observatoriums integriert sein und den Regelbetrieb aufnehmen.

Blick zur E-ELT Baustelle auf dem 20 km entfernten Berg Armazones.
Blick zur E-ELT Baustelle auf dem 20 km entfernten Berg Armazones.
Foto: ESO Paranal

Lässt sich die Zukunft planen?

Was ist bei der Planung der IT-Infrastruktur für das E-ELT besonders anspruchsvoll?

Andrew Wright: Das E-ELT wird noch mal eine größere Datenmenge liefern. Wir haben aktuell keine Instrumente mit ähnlichen Kapazitäten, so dass uns die Vergleichsmöglichkeiten fehlen. Wir kennen ungefähr die erforderliche Rechenleistung der zugehörigen Infrastruktur. Diese wird rund zwei bis dreimal so groß sein wie die heute in Paranal verfügbare Leistung. Aber wir wissen nicht, wie groß die zu erwartenden Datenmengen sind und in welchen Zeiträumen sie zur Verfügung stehen.

Aktuell müssen Daten innerhalb von 24 Stunden in Deutschland verfügbar sein. Vielleicht werden wir diese Anforderungen ändern müssen, da die Datensätze zu groß werden. Das Projekt ist aus Sicht der IT noch weit in der Zukunft und die Technologie verändert sich so schnell. Ich arbeite gerade an der IT-Architektur für das E-ELT, aber seit dem Start des Projektes habe ich sie bereits drei oder viel mal überarbeitet. Wir sind von zwei Seiten unter Druck. Technologische Entwicklungen auf der einen und neue Anforderungen der Wissenschaftler auf der anderen Seite zwingen uns immer wieder zur Überarbeitung des Designs. Man jagt einem beweglichen Ziel hinterher. Unser Architekturentwurf ist deshalb ein lebendes Dokument, das sich immer wieder aktualisiert.

Haben Sie ein Beispiel für uns?

Andrew Wright: Betrachten wir die Netzwerkplanung. Es gibt entweder 10, 40 oder 100 Gigabit Uplinks. Aktuell basiert die Planung für das E-ELT bereits auf 40 oder 100 Gigabit. Vor fünf Jahren dachten wir noch 10 Gigabit wären ausreichend. Jetzt haben wir das Design schon ändern müssen. Ich denke oft über die Frage nach, wie wir die Daten vom E-ELT nach Deutschland bekommen. Aber Vorhersagen über die technischen Möglichkeiten in 10 Jahren zu treffen ist schwer. Die Kapazitäten hängen nicht alleine von unserer Infrastruktur ab. Die verfügbare Bandbreite in Chile ist immer noch limitiert. Wir müssen schauen wie sich der Markt entwickelt.

Es gibt aktuell nur wenige 10 Gigabit Back-Bones. Das ist überhaupt nicht mit Europa vergleichbar. Wegen der geographischen Gegebenheiten ist Chile zwar gut mit Glasfaserkabeln erschlossen, da Glasfaser bei der Ausdehnung des Landes von Norden nach Süden die einzige Option ist. Aber die Infrastruktur entwickelt sich immer noch. Das E-ELT wird nach aktueller Planung mit mindestens 10 Gigabit ans Netz angeschlossen. Aber in dem Moment an dem wir die Technik tatsächlich bestellen, kann sich das auf 2 x 10, 2 x 40 oder vielleicht auch 100 Gigabit verändert haben. Das hängt auch von der Entwicklung der Infrastruktur in Chile ab. Vielleicht muss auch die ESO ihre Datentransferpläne ändern. Aktuell haben wir einfach nicht genug Informationen um eine verbindliche Vorhersage zu treffen.

Da kommt eine Menge Arbeit auf die ESO IT in Chile zu. Wie organisieren Sie Ihr Team?

Andrew Wright: Aktuell haben wir in Paranal ein Team von 4 bis 5 Mitarbeitern. Die Besetzung ist für die Arbeiten die zu erledigen sind am Limit. Hauptaufgaben über den Tag sind vorbeugende Wartungsarbeiten um lange Ausfallzeiten zu vermeiden. Wir sind fern von jeder Zivilisation und müssen unseren Strom selber erzeugen. Dennoch kommt es manchmal zu Ausfällen. Man kann sich vorstellen, wenn die Systeme mehrere Monate nicht neu gestartet wurden dauert es lange bis die File System Checks durchgelaufen sind. In der Zeit steht die gesamte Anlage. Ausfallzeiten müssen wir soweit wie möglich reduzieren.

Weiterhin sind wir verantwortlich dafür, dass die Netzverfügbarkeit für alle Instrumente an den Teleskopen sichergestellt ist. In Paranal haben wir über 5000 Glasfaser Kerne. Das erfordert eine Menge Wartungsarbeiten. Das gesamte Netz verwendet keine Kupferkabel um das Risiko von Blitzschlägen zu reduzieren. Im La-Silla-Observatorium hatten wir in den 80er Jahren einen Blitzschlag. Der komplette Standort wurde lahmgelegt. Deshalb setzen wir heute nur noch auf Glasfaserkabel. Zusätzlich haben wir noch die Standardarbeiten einer IT Abteilung zu leisten. Neben der komplexen Teleskop IT bedeutet das die Betreuung der Laptops von Wissenschaftlern, Druckern und allen sonstigen Routineaufgaben einer IT Abteilung.

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