Deutscher Luftverkehr

Flug-Chaos hält Urlauber nicht von Reisen ab

29.06.2022
Das Chaos im Luftverkehr wird nach Einschätzung des Lufthansa-Chefs bis in den Herbst andauern. Die Kunden des größten Touristikanbieters scheint das nicht zu stören, doch das Personal ächzt.
Carsten Spohr, CEO der Deutschen Lufthansa AG, entschuldigt sich für das Chaos an den Flughäfen.
Carsten Spohr, CEO der Deutschen Lufthansa AG, entschuldigt sich für das Chaos an den Flughäfen.
Foto: Christian Schlüter / Lufthansa

Die Probleme im LuftverkehrLuftverkehr können nach Einschätzung von LufthansaLufthansa-Chef Carsten Spohr nicht schnell gelöst werden. Die von Personalmangel, Teileknappheit und eingeschränktem Luftraum geprägte Situation werde sich "kurzfristig kaum verbessern", sagte der Chef der größten Airline-Gruppe Europas in einem Entschuldigungsschreiben an die Passagiere. Während die Gewerkschaft Verdi über zunehmende Angriffe und gesundheitliche Belastungen für das Personal klagt, berichtet der Touristik-Konzern TuiTui von einer ungebrochenen Nachfrage. Verkehrsminister Volker Wissing ist nach eigener Aussage "selbst Opfer der schwierigen Zustände an den Flughäfen geworden". Der FDP-Politiker verwies im "Kölner Stadt-Anzeiger" (Mittwoch) auf viele gestrichene Flüge. Top-500-Firmenprofil für Deutsche Lufthansa AG Top-500-Firmenprofil für TUI Top-Firmen der Branche Transport

Die drei zuständigen Bundesminister für Verkehr, Inneres und Arbeit, Volker Wissing (FDP), Nancy Faeser (SPD) und Hubertus Heil (SPD) wollen am Mittwoch Maßnahmen zur kurzfristigen Abhilfe der Situation vorstellen. Daran hatte eine Koordinierungsgruppe auf Ebene der Staatssekretäre seit Mitte des Monats gearbeitet.

Tui-Deutschland-Chef Stefan Baumert sagte, "trotz aller Herausforderungen aufgrund von Personalengpässen in der Branche werden die Ferien für die überwiegende Mehrheit reibungslos verlaufen". Anders als manche Airlines will die konzerneigene Fluggesellschaft Tuifly keine Flüge streichen. Der Flugplan der eigenen Tuifly-Maschinen bleibe bestehen, wie auch Planungen für zusätzliche Reserveflugzeuge zu Spitzenzeiten, sagte Baumert am Montagabend in Berlin.

Sommergeschäft boomt

Dem Manager zufolge stieg die Nachfrage nach Sommerreisen in den vergangenen Wochen deutlich und liegt "durchgängig über dem Niveau von 2019". "Wir holen rasant auf und sind mehr als zuversichtlich, dass wir in diesem Jahr ein Sommergeschäft sehen, das an 2019 herankommt", bekräftigte Baumert frühere Erwartungen. Auch die Buchungen für die Monate September und Oktober zögen seit einigen Tagen kräftig an.

Tui könne nicht feststellen, dass sich die Menschen wegen Problemen bei der Abfertigung an Flughäfen mit Buchungen zurückhielten. Es gebe auch keine Hinweise darauf, dass Kunden bei den sogenannten Flextarifen verstärkt die Option nutzten, kostenfrei bis 15 Tage vor Abreise umzubuchen oder zu stornieren. "Sie wollen alle in Urlaub", sagte Baumert. "Aber wir verzeichnen Rekordwerte bei den Anrufen bei unseren Kundenhotlines."

Fluggäste müssen für eine längere Zeit längere Wartezeiten und Abläufe hinnehmen.
Fluggäste müssen für eine längere Zeit längere Wartezeiten und Abläufe hinnehmen.
Foto: Billion Photos - shutterstock.com

Lufthansa-Chef Carsten Spohr stimmte die Passagiere hingegen auf weitere Schwierigkeiten ein. Zwar plane die Branche allein in Europa mehrere tausend Neueinstellungen. "Dieser Kapazitätsaufbau wird sich allerdings erst im kommenden Winter stabilisierend auswirken können." Er entschuldigte sich im Namen des Unternehmens dafür, dass nach dem Corona-Einbruch das "Hochfahren des komplexen Luftverkehrssystems von fast Null auf derzeit wieder fast 90 Prozent" nicht zur angestrebten Verlässlichkeit, Pünktlichkeit und Robustheit geführt habe. Der Manager räumte eigene Fehler ein und stellte fest, dass auch dem Lufthansa-Konzern in einigen Bereichen Personal fehle.

Wissing schloss eine langfristige Veränderung bei der Organisation der Sicherheitskontrollen an den Flughäfen nicht aus. Sie liegt derzeit in den Händen von Privatunternehmen, die Bundespolizei übernimmt lediglich die Aufsicht. Ob das Modell Bayerns für ganz Deutschland die beste Lösung sei, könne er nicht beurteilen, sagte Wissing laut "Kölner Stadt-Anzeiger". In Bayern werden die Kontrollen von einer Luftsicherheitsgesellschaft organisiert, an der der Freistaat 51 Prozent der Anteile hält.

Hausgemachter eklatanter Personalmangel

Der Flughafenverband ADV forderte, die großen Flughäfen sollten private Sicherheitsdienstleister selbst auswählen und steuern dürfen - und nicht die Bundspolizei, wie es derzeit die Regel sei. "Wir sehen aktuell ein grundlegendes Problem in der Luftverkehrsbranche, einen eklatanten Personalmangel", sagte ADV-Geschäftsführer Ralph Beisel zu t-online. "Der Bund sollte daher die Luftsicherheitsgesetzgebung alsbald anpassen. Die Flughäfen wissen am besten, wie viele Mitarbeiter in den Kontrollspuren benötigt werden", fügte Beisel hinzu. Aushilfskräfte aus dem Ausland könnten "voraussichtlich ab Anfang August eingesetzt werden. Das wird die Lage sichtlich entspannen."

Die Gewerkschaft Verdi klagte über zunehmende körperliche und psychische Gewalt gegen das Personal in den Terminals. "Wir sehen, dass der Frust der Fluggäste immer häufiger an Beschäftigten ausgelassen wird, die gar nichts für die Probleme können", sagte Verdi-Gewerkschaftssekretär Sven Bergelin den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Auch die hohe Krankenquote an deutschen Flughäfen ist laut der Gewerkschaft ein Problem. "Aufgrund der hohen Belastungen vor Ort haben wir momentan eine Krankenquote von 20 Prozent an den Flughäfen", sagte Bergelin.

Beim Veranstalter Tui sind nach mehr als zwei Jahren Corona-Pandemie klassische Reiseziele vor allem rund ums Mittelmeer gefragt, insbesondere die Türkei. Antalya hat sich demnach auf Platz zwei hinter Mallorca geschoben. Auch Griechenland werde weiterhin stark nachgefragt. "Kreta steuert auf eine Rekordsaison zu", berichtete Baumert. Auch Portugal, Zypern und Ägypten legten aktuell kräftig zu. Bei Autoreisen stehen demnach vor allem die deutsche Ostseeküste und die Oberitalienischen Seen im Fokus. (dpa/rs)

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