WEF 2024 – Microsoft-Chef Satya Nadella im Interview

"Intelligence at your fingertips"

Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Auf dem Weltwirtschaftsforum 2024 diskutierte Klaus Schwab, Gründer und Chairman des WEF, mit Microsoft-Chef Satya Nadella zu KI und den gesellschaftlichen sowie wirtschaftlichen Auswirkungen.
Klaus Schwab, Gründer und Chairman des WEF, im Gespräch mit Microsoft-Chef Satya Nadella.
Klaus Schwab, Gründer und Chairman des WEF, im Gespräch mit Microsoft-Chef Satya Nadella.
Foto: World Economic Forum/Faruk Pinjo

Klaus Schwab: Satya, als wir uns das letzte Mal trafen, war GenAI noch ein sehr junges Baby. Ich würde sagen, jetzt ist es ein Teenager geworden, also sehr schnell gewachsen. Es hat weniger als ein Jahr gedauert. Wie siehst Du die Situation?

Satya Nadella: Sie haben recht. Ich erinnere mich noch genau an den November 93 als, glaube ich, Mosaic (Anm. d. Red.: Mosaic war einer der ersten Webbrowser) zum ersten Mal herauskam. Das für mich ebenfalls ein sehr großes Ereignis. Ich kam 92 zu MicrosoftMicrosoft und mit Mosaic veränderte sich das Web stark. Alles zu Microsoft auf CIO.de

KI verändert die Welt drastisch

Und mit ChatGPT erleben wir seit November 22 etwas ähnliches in Bezug auf KIKI - nur schneller. Es war einfach fantastisch zu sehen, wie sich KI schnell und rasant über Länder und Branchen hinweg verbreitete. Für mich war es das erste Mal, dass ich wirklich glaubte, dass sich etwas drastisch verändert. Alles zu Künstliche Intelligenz auf CIO.de

Eine der elitärsten Wissensarbeit ist für mich die Softwaretechnik. Und nun sah man ein neues Werkzeug, das alles verändert, was man bislang kannte. Die Plackerei des Software-Engineerings war weg, die Freude am Software-Engineering kam zurück. Das hat mich davon überzeugt, dass dies ziemlich magisch ist, und seither führen wir Copilot ein.

KI für horizontales Arbeiten

Sie kennen Copilots für breit angelegte horizontale Arbeiten. Und für die Arbeit an der Front haben wir Copilots für Sicherheitsoperationen. Und im Gesundheitswesen helfen Copilots, die Belastung der Ärzte reduzieren, wenn es darum geht, den Dialog mit ihren Patienten zu führen. Und wir haben Copilots als einen personalisierten Tutor für jeden Schüler im Land eingeführt.

Wenn Bill Gates 1993 zum ersten Mal auf der COMDEX (Anm. d. Red.: Bis 2003 die weltweit zweitgrößte IT-Messe nach der CeBIT) von "Information at your fingertips" sprach, dann befinden wir uns jetzt im Zeitalter der "Intelligence at your fingertips" oder der "Expertise at your fingertips". Und 2024 wird das Jahr sein, in dem sich all dies ausweiten wird.

Schwab: Satya, ich muss gestehen, dass ich einige der Anmoderationen zur Vorstellung der Gesprächspartner von KI schreiben ließ. Aber erzähl es nicht weiter. Auf dem WEF wird viel über KI diskutiert, und wir sprechen über die Auswirkungen. Aber was wird bei dieser Diskussion Deiner Meinung nach übersehen?

Neue Moleküle in Rekordzeit

Nadella: Nichts, aber ich denke, es wird zuviel über die horizontale Wissensarbeit und die Veränderungen der Arbeitswelt gesprochen. Dabei dürfte vielleicht das Interessanteste sein, welche Auswirkungen KI auf die Wissenschaft hat.

Mit MatterGen hat Microsoft eine Art generatives KI-Modell zur Erzeugung neuer Moleküle entwickelt.
Mit MatterGen hat Microsoft eine Art generatives KI-Modell zur Erzeugung neuer Moleküle entwickelt.
Foto: alice-photo - shutterstock.com

Hier sind mit KI Dinge möglich, von denen ich nicht geglaubt hätte, dass sie realisierbar sind. Gemeinsam mit dem Pacific Northwest National Lab haben wir neue Moleküle für neues Material entwickelt, mit dem wir Batterien mit 70 Prozent weniger Lithium herstellen können. Dazu haben wir eines unsere KI-Modelle verwendet, nämlich MatterGen. Das ist eine Art generatives Modell zur Erzeugung neuer Moleküle.

Beschleunigte Wissenschaft

Das ist einfach phänomenal. Denn wenn wir über den Klimawandel und die Energiewende nachdenken, dann geht es darum, 250 Jahre Chemieforschung auf 25 Jahre zu verkürzen. Und dies geht mit KI. Das Gleiche geschieht in der Biologie. Denken Sie nur an die Möglichkeiten bei der Krebserkennung.

Diese Wissenschaft dürfte der Ort sein, wo wir durch KI eine echte Beschleunigung erleben werden. Bisher hat die DigitalisierungDigitalisierung der Wissenschaft lediglich neue Werkzeuge gebracht. Aber sie hat die Wissenschaft nicht grundlegend beschleunigt. Alles zu Digitalisierung auf CIO.de

Wenn wir jetzt die Wissenschaft mit KI grundlegend beschleunigen können, dann stehen wir meiner Meinung nach vor sehr, sehr tiefgreifenden Veränderungen - egal, ob bei der Heilung von Krankheiten, der Energiewende, oder in der Materialwissenschaft.

Schwab: Sicher, aber in der vierten industriellen Revolution spielen noch viele andere Technologien eine Rolle. In meinen Augen wird es eine Kombination verschiedener Technologien sein, die zu Veränderungen führen. Welche anderen Technologien schaffen Deiner Meinung nach diesen Fortschritt für die Gesellschaft?

Quantencomputer und KI

Nadella: Das sind hauptsächlich drei Technologien. So brauchen wir grundsätzlich mehr Rechen-Power. Die IT-Welt wird noch immer vom Prinzip der Von-Neumann-Maschine und der damit verbundenen Architektur beherrscht. Die große Frage lautet hier: Können wir die Quantenrevolution in Gang setzen?

Quanten-Computing gehört für Nadella zu den drei Technologien, die für künftige Innovationen erforderlich sind.
Quanten-Computing gehört für Nadella zu den drei Technologien, die für künftige Innovationen erforderlich sind.
Foto: Bartlomiej K. Wroblewski - shutterstock.com

Ich bin davon überzeugt. Mich begeistert die Quantenphysik. KI ist der Emulations-Layer für die Quantensimulation. Also Quanten-Computing ist für mich die erste Technologie.

KI ist dann natürlich die zweite Technologie. Die Dritte ist für mich Mixed Reality. Denken Sie nur an humanoide RoboterRoboter, autonome Autos, Sensoren etc. Diese drei Technologien könnten die Plattform für künftige Innovationen bilden. Alles zu Roboter auf CIO.de

Eine neue Renaissance?

Schwab: Wenn wir in der Geschichte zurückblicken, dann führte wohl die Erfindung des Buchdrucks zur Renaissance. Können diese Technologien ein neues Zeitalter der Renaissance für die Menschheit einläuten?

Nadella: Für mich ist die Antwort ein klares Ja. Sie brauchen nur hier auf dem WEF mit den unterschiedlichsten Leuten zu diskutieren - egal, aus welchem Wirtschaftszweig oder aus welchem Teil der Welt sie kommen. Sie werden zu der Erkenntnis kommen: Wow, digitale Technologie wird auf tiefgreifende Weise genutzt.

Das bedeutet, dass es sich um eine Allzwecktechnologie handelt. Und immer wenn es Allzwecktechnik gab, haben wir als Gesellschaft echte Durchbrüche erlebt. Ja, wir werden eine neue Renaissance erleben. Die Technologie verschiebt Grenzen, was unter anderem zu besseren medizinischen Ergebnissen und zu besseren Bildungsergebnissen führt.

Wird der globale Süden abgehängt?

Schwab: Im Rahmen des WEF hatte ich die Gelegenheit, eine Reihe von Gesprächen mit Staats- und Regierungschefs zu führen. Vor allem die Vertreter weniger entwickelter Länder fürchten, dass diese Technologien zu einer neuen Kluft führen könnten und neue Spannungen zwischen Nord und Süd hervorrufen. Wie siehst Du das?

KI könnte das Zeitalter einer zweiten Renaissance einläuten.
KI könnte das Zeitalter einer zweiten Renaissance einläuten.
Foto: Pandora Pictures - shutterstock.com

Nadella: Das Letzte, was die Welt braucht, sind Technologien, die diese Kluft vergrößern. Ich habe die Hoffnung, dass es uns gelingt, eine neue Renaissance für alle anzustoßen. Und mit Technologien wie GPT-4 können wir das schaffen. Also, dass jeder Mensch auf der Welt, alle 8 Milliarden, eine bessere medizinische Beratung, eine bessere Beratung über seine Rechte etc. erhält.

Das Potenzial ist vorhanden. Klar gibt es immer Hindernisse. Zuversichtlich stimmt mich aber, dass in den letzten 15 Jahren Cloud und Smartphone allgegenwärtig geworden sind. Deshalb dürften sich die neuen Technologien jetzt viel schneller verbreiten. Die Verbreitung wird jetzt 5 Jahre oder weniger dauern und auch den globalen Süden erfassen.

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