Zukunftsforscher Opaschowski

Medien machen einsamer und aggressiver

15.10.2019
Die Menschen kommunizieren immer mehr, dank der neuen Medien. Dennoch werden sie dadurch nicht glücklicher und friedlicher, erklärt der Hamburger Zukunftsforscher Opaschowski. Kann die Politik etwas ändern?
Professor Dr. Horst W. Opaschowski
Professor Dr. Horst W. Opaschowski
Foto: Professor Dr. Horst W. Opaschowski

Trotz der Vernetzung durch die neuen MedienMedien werden die Menschen in Deutschland nach Ansicht des Hamburger Zukunftsforschers Horst Opaschowski einsamer und aggressiver. "Der moderne Mensch droht in der Masse zu vereinsamen. Massenvereinsamung ist das größte Zukunftsparadox, weil es an echten Bezugspersonen und tieferen Beziehungen fehlt", schreibt Opaschowski in seinem neuen Buch "Wissen, was wird". Von der Kontaktarmut seien besonders ältere Menschen betroffen. Die Politik müsse reagieren. Großbritanniens Regierung habe das Thema bereits als Aufgabe einem Ministerium zugeordnet. Top-Firmen der Branche Medien

Die junge Generation wolle sich nicht mehr binden, weder in Beziehungen noch durch ein soziales Engagement. In Umfragen gäben Jugendliche an, sie hätten keine Zeit. Als Ursache dafür sieht Opaschowski die neuen Medien. Diese seien auch schuld an einer "Sinnesüberreizung". Die Entwicklung von Kindern werde dadurch nachhaltig beeinträchtigt. Aggressivität und Gewalt könnten zur Normalität werden.

Nervöse und unruhige Generation

In einer repräsentativen Umfrage des Opaschowski Instituts für Zukunftsforschung stimmten 79 Prozent der Befragten der Aussage zu: "Im künftigen Digitalzeitalter wächst eine nervöse und gehetzte Generation heran, die keinen langen Atem für geduldiges Zuhören mehr hat." Opaschowski resümiert: "Die Angst ist groß, dass eine dauerhaft nervöse und unruhige Generation heranwächst. Lust schlägt in Wut um und aus Nervosität wird Aggressivität."

Eine neue Studie von Marketing- und Medienforschern der Universitäten Hamburg und Münster stützt diese Analyse. "Vermehrter Nachrichtenkonsum über soziale Medien geht mit Aggressivität und radikalen Meinungen einher; beide Tendenzen leben die Deutschen auf Social-Media-Plattformen verstärkt aus", schreibt die Forschergruppe um Alegra Kaczinski, Thorsten Hennig-Thurau und Henrik Sattler auf Grundlage einer repräsentativen Befragung von mehr als 2.000 Internetnutzern.

Der Überreizung durch Medien müsse Einhalt geboten werden, fordert Opaschowski. "Wenn Sie das alles zusammennehmen, wachsende Aggressivität, wachsende Vereinsamung und wachsende Bindungsunfähigkeit, dann kann man folgern, was eigentlich die politische Aufgabe Nummer eins der Zukunft ist: für den sozialen Zusammenhalt zu sorgen, dass die Gesellschaft nicht auseinander bricht."

Schwere Gewalttaten rückläufig

Werden die Menschen in Deutschland tatsächlich aggressiver und gewalttätiger? Dieser Ansicht widerspricht der Kriminologe Christian Pfeiffer energisch. "Die Menschen sind heute weniger aggressiv", sagt der Professor aus Hannover. Gerade schwere Gewalttaten wie Raub, Vergewaltigung und Tötungsdelikte seien in den vergangenen zehn Jahren stark zurückgegangen, wie die polizeiliche Kriminalstatistik zeige. Ursache dieser positiven Entwicklung sei eine veränderte Erziehung. "Wir hatten noch nie so liebevolle Eltern", sagt Pfeiffer.

Die Wahrnehmung sei allerdings eine ganz andere. Dazu trügen in der Tat die Medien und das Internet bei. Die Anonymität im Internet biete die Möglichkeit, bedrohliche Mails zu versenden und Cybermobbing zu betreiben. Aber Mobbing, Beleidigungen und Bedrohungen habe es auch früher schon gegeben. Pfeiffer räumt aber ein, dass es nach der Zuwanderung von mehr als einer Million Menschen nach 2015 einen Anstieg der Gewaltkriminalität gegeben habe: "Es gab einen Peak, weil viele junge Männer aus Machokulturen kamen." Inzwischen habe sich die Tendenz aber wieder umgekehrt.

Auch Opaschowski geht in seinem Buch auf die Spannungen im Zusammenhang mit der Zuwanderung ein. "Die Abwehrhaltung eines großen Teils der Bevölkerung in Deutschland nimmt bisher jedenfalls mehr zu als ab", konstatiert er. Fremdenfeindlichkeit sei nicht nur ein politisches, sondern vor allem ein emotional besetztes Thema. Besonders die Ostdeutschen sähen dem wachsenden Ausländeranteil mit großer Sorge entgegen und fürchteten sich vor Überfremdung.

"Dies sind Probleme von Mehrheiten, die sich nicht einfach mit dem Hinweis auf Minderheiten abtun lassen", bemerkt der Zukunftsforscher. Von Gewerkschaften und Parteien organisierte Gegendemonstrationen könnten die Konflikte nicht lösen. Erforderlich seien deutliche Verbesserungen der Lebenslage. (dpa/ad)

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