Uvex-CDO Preuschoff

Technologie führen, nicht delegieren

12.04.2022
Von Bernd Preuschoff
Bernd Preuschoff wettet, dass in fünf Jahren mindestens 50 Prozent der Geschäftsführer in deutschen Unternehmen einen Technologie- oder Digitalhintergrund im Lebenslauf haben.
Bernd Preuschoff ist Chief Digital Officer (CDO) der Uvex Group.
Bernd Preuschoff ist Chief Digital Officer (CDO) der Uvex Group.
Foto: Uvex Group

In den vergangenen Jahren der Debatten über digitale Transformation, beschleunigt noch durch den Schub, den die DigitalisierungDigitalisierung durch die Corona-Epidemie erfahren hat, wurde viel darüber diskutiert, wie sich die Rolle des CIORolle des CIO verändern muss. Die Fragen beziehungsweise die als Antwort darauf formulierten Hypothesen waren dabei immer die gleichen: Alles zu Digitalisierung auf CIO.de Alles zu Rolle des CIO auf CIO.de

Werden die Rollen von CIO und CDO verschmelzen?

Ja, denn mit ein wenig Dazulernen kann eine CDO-Aufgabe auch vom CIO wahrgenommen werden, und die nervenden Konflikte ­zwischen den Rollen, welche in den letzten Jahren beobachtet werden konnten, lassen sich vermeiden.

Wird der CDO verschwinden, weil der CIO seine Aufgaben übernimmt (eine gern formulierte These gerade aus den Technologiekreisen)?

Ja, denn der CIO darf sich nicht auf Wartung, Betrieb und Support reduzieren lassen.

Wird der CIO künftig fester Bestandteil des Executive Boards, weil er bei wichtigen Geschäftsentscheidungen mitsprechen muss?

Ja, denn als Digitalisierer muss er auf viele andere Aspekte des Geschäftslebens Einfluss nehmen können, nicht zuletzt auf die Change-Kultur.

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Auch wenn ich den Weg dieser Gedanken teile und mir sicher bin, dass die oben beschriebenen Thesen, die in den gemeinsamen Runden oftmals auf Basis eigener leidvoller Erfahrungen formuliert werden, ihre Richtigkeit haben, lassen mich die Debatten dazu trotzdem immer noch etwas unzufrieden zurück. Denn es bleibt das Gefühl, die Gedanken nicht zu Ende gedacht zu haben.

Zum einen liegt das sicher daran, dass diese Diskussionen sehr oft noch ausschließlich innerhalb der IT-Community geführt werden - wie sehen das eigentlich die Kollegen der anderen Disziplinen, mit denen wir im Team arbeiten und deren Rollen sich aktuell auch verändern? Wie kann eine ganz neue Organisation aussehen, die mehr ist als nur die Ausweitung bekannter Rollen? Dieser Austausch über bestmögliche Rollenverteilung wird zwar in einigen Unternehmen geführt, aber soweit ich sehen kann, noch nicht auf einer breiten Management- oder Unternehmerbasis.

Zum anderen habe ich immer noch das Gefühl, dass wir mit diesen drei oben beschriebenen Gedanken zwar im Sinne der Veränderung richtig unterwegs sind, aber wir mit den daraus entstehenden Forderungen immer noch zu kurz springen, da auch sie vermutlich nur temporären Charakter haben werden. Denn vielleicht ist die Herausforderung angesichts der Art, wie und in welcher Geschwindigkeit sich die Welt wandelt, ja noch größer, als "nur" die Rolle des CIO neu zu definieren?

Deswegen lautet meine Wette: In fünf Jahren werden mindestens 50 Prozent der Geschäftsführer in deutschen Unternehmen einen Technologie- oder Digitalhintergrund im Lebenslauf haben.

Um den Gedankengang darzulegen, der dieser Wette zugrunde liegt, möchte ich einmal nicht den Weg aus der Innen-, sondern den aus der Außenbetrachtung gehen. Was ist denn überhaupt notwendig, um ein erfolgreiches Geschäft zu führen dieser Tage? Schauen wir uns einfach einmal eine allgemein zugängliche Definition eines Geschäftsführers/CEO einmal genauer an:

"Die Geschäftsführung ist die oberste Leitungsstelle eines Unternehmens, die für die Willensbildung und Definition der Unternehmensziele zuständig ist und die entsprechenden Entscheidungen zu treffen hat. (…) Die FührungFührung macht die Geschäftspolitik (…) und entscheidet über die Strategie. Originäre Management-Aufgaben sind außerdem die Organisation, Kon­trolle und Unternehmensplanung, bei letzterer fokussiert auf die strategische Planung." Alles zu Führung auf CIO.de

Mit anderen Worten: Die Aufgabe des Geschäftsführers ist es, den Markt und die Kunden zu verstehen, erfolgversprechende Geschäftsmodelle zu entwickeln und deren Umsetzung anzustoßen. Zudem soll er die eigene Organisation diesem Ziel entsprechend aufbauen sowie die notwendigen Kontrollmechanismen etablieren, die sicherstellen, dass der Weg nicht dem Zufall überlassen ist.

Digitaler Wandel und die Folgen

Diese Definition ist wahrlich nicht neu - allerdings sollten wir sie nicht als selbstverständlich und lapidar hinnehmen, denn die darin verwendeten Begriffe haben sich inhaltlich fundamental gewandelt im Vergleich zu der Welt, wie sie sich im letzten Jahrtausend (also ein wenig mehr als zwanzig Jahre zurück) noch dargestellt hat:

  • Märkte und Kunden sind per se digital. Güter werden über Plattformen und elektronische Wege entworfen, produziert, geliefert, angeboten und verkauft. Geschäfts- wie Privatkunden informieren sich auf digitalen Medien und benutzen vollkommen alltäglich ein Smartphone, tragen ein Wearable, nutzen selbst das Internet für den Großteil ihrer Aufgaben. Kurz: Technologie ist für Märkte und Kunden kein zusätzliches Attribut mehr unter vielen, sondern ein integraler und vor allem vollkommen natürlicher Bestandteil.

  • Geschäftsmodelle und deren Umsetzung sind, wenn sie skalieren und nachhaltig sein sollen, ohne Technologie nicht mehr denkbar - und dies hat bereits mit der breiten Einführung von SAP-Systemen begonnen. Es gibt in den Unternehmen heutzutage keinen Euro mehr, der NICHT über elektronische Systeme läuft. Neue Modelle können also nicht mehr nur "am Reißbrett" entworfen und dann auf Umsetzbarkeit geprüft werden, sondern entstehen oftmals überhaupt erst durch technologische Innovationen, also aufgrund von neu gegebener Umsetzbarkeit. Eine klassische Trennung und schrittweise Abarbeitung von Konzept und Umsetzung stößt also allein aufgrund der fehlenden Geschwindigkeit an ihre Grenzen. Der dahinterliegende Gedanke, dass sorgfältige Planung Risiko vermeidet, wird ebenso fraglich, wenn Planbarkeit teilweise überhaupt nicht mehr gegeben ist.

  • Organisation und Unternehmensplanung müssen mit der Geschwindigkeit dieser Geschäftsmodelle ebenfalls mithalten. Wenn in der derzeitigen Unternehmenslandschaft auch noch viel zu oft zu sehen ist, dass Firmen neue Ideen und deren Realisierung daran ausrichten, "wie sie ticken", bleibt dieses Verhalten letztlich trotzdem fatal. Denn andere, mithin neue Wettbewerber, die sich organisatorisch direkt an der Kundenherausforderung ausrichten, realisieren damit die Geschwindigkeit, die der Markt fordert, und haben in den letzten zwei Jahrzehnten bewiesen, dass sie damit mittelfristig etablierte Unternehmen überholen können. AgileAgile Methoden und flexible Organisationsmodelle dürfen damit kein Thema mehr für separate "Spiel­plätze" sein, sondern müssen zum festen Bestandteil des Methodenbaukastens des Unternehmens werden. Alles zu Agile auf CIO.de

  • Die Kontrolle von Maßnahmen und deren Erfolg sind in einem Umfeld, das auf digitalen Instrumenten fußt, dann in logischer Schlussfolgerung ebenfalls nicht mehr rein durch Beobachtung und Bauchgefühl möglich. Valide Daten spielen hier die zentrale Rolle, denn sie beantworten nicht nur schonungslos, ob ein Kunde konvertiert oder nicht, sondern bieten überhaupt erst die Erkenntnisse, welche zu Optimierungen oder gar neuen Ideen führen. Sie nicht nur zu konsumieren, sondern ihre Herkunft zu verstehen und korrekt zu interpretieren, wird also zur Grundlagenfertigkeit eines jeden, der über die Zukunft eines Unternehmens entscheiden möchte.

Klassische Organisation bremst

Wenn wir also darin übereinstimmen, dass sich die Welt so verändert hat, dass alle betriebswirtschaftlichen Komponenten eines Geschäftes nicht nur mit digitaler Technologie und den dazugehörigen Methoden verwoben sind, sondern sie sogar elementar darauf basieren, dann stößt die "alte" Trennung von "Fachbereich" und "Technologiebereich/IT" an ihre Grenzen.

Die Delegation von Technologiebetrachtung und Umsetzung einer Idee aus einem Management-Board herab an einen Bereichsleiter wird definitiv der notwendigen Veränderungsgeschwindigkeit nicht gerecht - und sie lässt auch diejenigen Innovationspotenziale aus, die durch neue Technologien überhaupt erst entstehen und zu denen kein Fachbereich eine Anforderung definieren kann. Auf dieser Basis ließe sich sogar generell einmal trefflich darüber diskutieren, ob ein "klassisches" Management-Board aus Disziplin-Spezialisten überhaupt noch zeitgemäß ist.

Wie auch immer man aber zur Frage der Zusammensetzung einer Geschäftsführung steht: Für mich ist der Weg des Digitalexperten in die Rolle des Geschäftsführers nicht nur möglich, sondern sogar zunehmend notwendig. Ergänzt um Branchenkenntnis, ein starkes Netzwerk aus Partnern im Öko-System und ein kompetentes Team aus Umsetzern und Themen-Spezialisten, kann ein Unternehmen somit nicht nur das Wissen, sondern vor allem das Verständnis, welches Markt und Kunden von Anbietern erfordern, an die zentrale Stelle setzen und damit auch Einfluss nehmen auf alle Unternehmens- und Gestaltungsentscheidungen, die im Weiteren daraus folgen. Da sich erfahrene Digitalmanager traditionell mit dem Brückenschlag zwischen "Alt" und "Neu", "Heute" und "Morgen" und nicht zuletzt "Mensch" und "Technologie" beschäftigen, sind sie eigentlich prädestiniert für diese Rolle.

Verantwortung annehmen

Die Krux dabei: Diese Verantwortung muss man auch annehmen - denn natürlich geht mit der Rolle des Geschäftsführers auch einher, "den Kopf hinzuhalten" für all das, was da entschieden wird - ein Zurückziehen auf technisches Expertenwissen als CIO oder eine "neue Sonderrolle" als CDO ist dann nicht mehr möglich. Auf der anderen Seite bietet die Rolle all diejenigen Gestaltungsmöglichkeiten, welche die IT-Entscheider gern für sich einfordern. Die Möglichkeit besteht also - und sie anzustreben, zeigt auch die Ernsthaftigkeit, die hinter dem Wunsch, zu verändern, tatsächlich liegt.

Mittelfristig erwarte ich, dass wir in Stellenbeschreibungen für Geschäftsführer zunehmend und verstärkt neben den üblichen Anforderungen eine fundierte Digitalkompetenz sehen werden, welche inhaltlich weit über Überschriften-Niveau hinausgeht und einfordert, Themen nicht nur im Großen und Ganzen verstanden, sondern auch tatsächlich nachweislich umgesetzt zu haben. Wer sich dann in den Wettbewerb um diese Positionen stellt, wird sich zeigen: Sind es diejenigen, die eine technologische Laufbahn hinter sich haben und nun die Seite wechseln?

Oder wird digitale Umsetzungskompetenz ein fester Bestandteil der betriebswirtschaftlichen Karrierepfade? Wir dürfen gespannt sein. Auch die Ausbildungslandschaft, gerade in Deutschland, wird sich dieser Frage stellen müssen. Denn so gern wir Spezialisten ausbilden und im Rahmen eines mechanistischen Weltbildes in unseren Unternehmen anstellen: In der Führung wird ein breiter und disziplinübergreifender Erfahrungsschatz notwendig werden, um in einer digitalen Welt erfolgreich zu sein. Die Zeit der "Berührungsängste" ist vorbei. Davon bin ich überzeugt.

Meine Wette gilt!

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